Von Schuld und Vergessen

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Ausgabe Nummer 21 - Tsa 1021 BF

Von Schuld und Vergessen

Der Hofgerichts-Prozeß wider den einstigen Baron Conrad Salfridjes

Bedächtig öffneten sich die schweren Eisentüren und gaben den Blick frei auf das Innere des Rittersaals der gräflichen Residenz zu Ferdok. Höher noch als das Flußwappen, das der Grafschaft seit alters her zu eigen ist, hing an diesem Tage der große Wappenschild mit dem Keiler von Kosch — denn im Namen Seiner Durchlaucht sollten die Schöffen des Fürstlichen Hofgerichts heute urteilen über Conrad Salfridjes, den vom Kaiser einst zum Baron von Rohalssteg erhoben worden war.

Man erinnerte sich: Das letze Lebenszeichen des Barons waren sein Roß und sein Schild gewesen, die der tapfere Edle von Frattdorf vor seinem Kampf gegen den Lindwurm Greing fand, der weiland die Lande des Koschs bedrohte. Lange galt nun der Rohalssteger als tot oder zuwenigst verschollen — bis unlängst in einem außerkoscher Noionitenkloster ein Mann behauptete, eben jener Gesuchte zu sein. Der Insasse aber war ein Räuber und Schächer im Norden unseres Fürstentums gewesen, bevor ihn ein Schlag auf den Kopf das Gedächtnis verlieren ließ, und, wie es hieß, gar mit dem geächteten Jergenquell im Bunde (der Kosch-Kurier #18 berichtete).

In der Mitte der Schöffenbank saß der ehrwürdige Graf von Ferdok, Growin, Sohn des Gorbosch, ihm zur rechten Baron Alderan von Zweizwiebeln zu Auersbrück, zur linken Burgsaß Kuniswart von Eberstamm zu Ochsenblut und an den Außenseiten hatten rechterhand der Geweihte Jerodian von Nadoret (den die Äbtissin des Stifts Prasunk gesandt), linkerhand aber hatte die Jungfer Efferdane von Neuensteinigen Platz genommen. Hinter der Anklagebank saß des Fürsten Cantzler, der Reichsritter Duridan von Sighelms Halm, von dem Kenner erwarteten, daß er auch den Großteil des Prozesses führen würde. Denn der Graf selbst, so hat er bei den Verhandlungen vor dem Garether Reichsgericht (die nun einmal weit zahlreicher sind als solche vor jenem des Fürsten) gezeigt, mischt sich für gewöhnlich nur selten in den Verhandlungsablauf ein. Der Zuhörer waren gar viele in den Gerichtssaal geströmt — und wenn auch die Tagung dieses Hofgerichts kein solches Fest war wie in alten Tagen, hatten doch doch etliche hundert Ferdoker sehen wollen, wie da Mord verhandelt werde und über einen leibhaftigen Baron gerichtet werde, ob er schuld sei oder unschuldig ... so viele waren’s, daß die Büttel nur einen sehr geringen Teil einlassen konnte, damit Platz blieb für das edle Publikum: einen der Ernstlich Geheimen Greven des Grafen vom See, Herrn Bibrosch, den nicht minder betroffenen Vogt von Rohalssteg, Angbart von Salzmarken-See, Reichs-Richter Merwerd Stoia von Vinansamt, der den Angeklagten seinen Freund nennt, Baron Gundulf von Salmingen und Baruns Pappel, Baronin Alvide von Herbonia, sowie etliche weitere Junker und Edle aus der Grafschaft See und der Ferdoker Mark. Auch eine Abordnung der Rohalswächter in ihrer firnweißen Tracht mit dem grauen Skapulier war zugegen.

Klage wird erhoben

„Leider ist’s in diesem Falle gar schwer, der Wahrheit nahe zu kommen. Schwer, weil der Angeklagte zwar keineswegs die ihm zur Last gelegten Verbrechen leugnet, jedoch ohne Unterlaß beteuert, während all der Zeit wie unter einem Bann gehandelt zu haben — sofern er sich überhaupt des ganzen erinnert.“

Mit diesen Worten hub des Fürsten Cantzler in dem Prozesse vor dem Grafen Growin und den Schöffen des Hofgerichts Klage zur Anklage an wider Conrad Salfridjes, und man erinnerte sich im kargen Saal der Ferdoker Residenz, daß des Cantzlers erste Frage an den Angeklagten gewesen war, ob er denn bei Praios zu schwören bereit sei, daß er all das ihm zur Last gelegte unwillentlich getan habe.

Der Baron bejahte dies ohne Zögern. Vielleicht denkt der geneigte Leser, daraufhin hätten die Anwesenden doch gewißlich empört sein müssen, daß bei einer so unverfrorenen Lüge der Name des Götterfürsten im Munde geführt werde, und wohl steckte auch diese Begehr hinter den Worten des listigen Cantzlers.

Doch wer den Baron an diesem Tag gesehen und die tiefe Trauer in diesem einem Worte gehört, wird bemerkt haben, welch bitterer Ernst in ihm steckte. Auch der sonst hitzköpfige Praios-Geweihte ließ kein Worte des Protestes hören. Einzig der im Publikum sitzende Baron Graphiel von Metenar sprang auf — wohl, um das gefürchtete „Frevel! Frevel!“ der Bannstrahler herauszuschleudern — doch hieß ihn die eisige Stille sich zu setzen, bevor ein einzig Wort über seine Lippen gelangte. Verlegen räusperte sich der Cantzler.

Die daraufhin stattfindende Vernehmung der Zeugen bracht folgenes Bild: Hochwürden Gisbrun von Wengenholm (der sich jenen einen Tag Zeit genommen hatte, bevor er seinen Zug zu den Tempelburgen des Westens begann) erklärte, der Angeklagten habe ohne Zweifel zu den Geächteten Ulfing von Jergenquells gehört, mit denen er seinerzeit um Burg Albumin gefochten habe. Damals sei Herr Salfridjes jedoch Cuano Einehand gerufen worden.

Der Angeklagte hingegen erwiderte, er wisse nicht, dies getan zu haben. Er erinnere sich zwar gewisser Kämpfe, doch seien die Erinnerungen viel zu verschwommen. Es erübrigt sich mitzuteilen, daß Salfridjes auch keine Antwort auf die Frage geben konnte, was ihn, einen Edelmann, denn in die Arme des Schurken Ulfing getrieben habe. Auch die Vernehmung einiger Dörfler aus dem Wengenholmschen brachte keine Klärung bezüglich der Motive oder des Geisteszustandes des Angeklagten.

Zusammen mit einigen Dokumenten, die Vogt Ulfert von Drabenburg-Berg im Auftrag der Alt-Gräfin Ilma sowie des Cantzlers antrugen, brachte dies allerdings Gewißheit über den Punkt, was Herr Conrad nach der Zerschlagung der Jergenquell-Bande getrieben hat. Er gehörte zu einer sechsköpfigen Räuberbande, die in den Jahren 26 und 27 Hal im nördlichen Kosch und im westlichen Greifenfurt mit Vorliebe wehrlose Bauersleut ausplünderte. Dabei, heißt es, habe er auch ohne viel Federlesens drei brave Landsassen erschlagen.

Ob es sich bei seinen fünf Spießgesellen um ehemalige Mitstreiter Ulfings handelte, blieb jedoch ungeklärt, denn die Schurken sind seit des Barons Unfall (der Kosch-Kurier Nr. 18 berichtete) nicht wieder aufgetaucht. Über das Verhalten des Barons wußten die Überfallenen zu berichten, er habe nie auch nur ein Wort gesagt oder gar eine Gefühlsäußerung gezeigt. Einer der Bauern äußerte seine Betroffenheit darüber, daß er den den Eindruck gehabt habe, den Herren gingen die Untaten gar nichts an. „Ör haat ein’ unserer Knecht’ niedergeströckt und öck hab’ mir hingekniet, um zu sehn, ob das noch was zu holen wärt. Nix wor. Da hab ich aufgeguuckt und in de Ogen vonne Härrn geschot. Ihr künnt mir kloben, werter Cantzler, ik könne vieler Leut“ (Lachen im Saal ob des hinterwäldlerischen Wengenholmers) „aber so viel Leid und dabei so viel Gleichgültigkeit hab nimmer sehn. So als sein hoooher Heerr verhext.“

Dies war auch Thema des Vernehmung des Kuniswart vom Reifenwasser — seit der Ermordung Nostrianus Eisenkobers kommissarischer Ordensmeister der Wächter Rohals. Als Ergebnis seiner Expertise mußte er jedoch jene des von seinem Orden so wenig geschätzten ehemaligen Vinansamter Hofmagus Baranoir Mi Taer bestätigen: Auch nach eingehender Analyse seien keine Hinweise auf eine Einwirkung magischer Kräfte zu finden.

„Aber es ist schwierig zu verifizieren, läßt doch die die Aura stetig nach, wenn die Kraft erst gebrochen“, setzte er aus ausführlichen Erläuterung des Phänomens der magischen Kraftlinien an, doch pochte Graf Growin schon bald ungeduldig mit seinem Hammer auf den Tisch, und gestattete dem Cantzler, die nächste Zeugin hereinzurufen: Angina Perske, ihres Zeichens Noionitenschwester.

Wie erkläre es sich die junge Boroni denn, daß dem Barone sein Gedächtnis im Noionitenkloster wiedergegeben worden sei, obwohl er es doch zuvor nach wenigstens zwei Mal — nach seiner Begegnung mit dem Lindwurme und nach der mit dem Dachbalken — verloren habe? Den zweiten Gedächtnisverlust wußte das Fräulein recht gut zu begründen, und keinem der Anweisenden fiel es schwer, zu verstehen, welche Auswirkungen von einem auf jemanden niedergehenden Dachbalken ausgehen zu können. Einzig der erste bereite ihr, wie die Geweihte gestand, noch immer Kopfzerbrechen, scheine es doch, als habe der Baron dadurch nicht bloß seine Erinnerungen verloren, sondern sei zu einem völlig neuen Menschen geworden. „Ich war selbst sehr verwundert, als ich ihm das erste Mal begegnete, nachdem ihm Borons Gnade zuteil ward. Er wirkte immer so willenlos, doch an jenen Tage war‘s, als sie ihm etwas wiedergegeben. Etwas, ja, auch etwas Hoffnung. Er fragte mich, was mit ihm geschehen sei, und ich berichte ihm, was ich wußte. Als ich geendet hatte, sah er mich aus leeren Augen traurig an und sprach „Wieviel Jahr’ sind ins Land gezogen, seit Brin Prinzregent wurd’?

Ich antworte ihm und er sprach: „So sind denn vier Götterläufe vergangen. Wißt Ihr, wer ich vordem war?“ Ich schaute verwundert zu ihm auf, doch er lächelte nur bitter und bat, allein gelassen zu werden. Erst Tage später bat er mich, nach Seiner Hochgeboren, Baron Stoia, zu schicken. Er sei niemand anders als der Baron von Rohalssteg.“

Der Cantzler sprach darauf: „Das ist ja schön und gut, doch beantwortet mir dies: Spektabilität vom Reifenwasser erklärte, es gebe keine Hinweise auf magische Einflüsse bezüglich des Gedächtnisverlusts Seiner Hochgeboren. Also kommen doch wohl, wenn ich so sagen darf, nur mechanische in Frage, denn eine Krankheit oder etwas ähnliches ist ja auszuschließen. Sind Euch denn nun andere Fälle bekannt, in denen eine solche mechanische Auswirkung dazu geführt hat, daß ein Mensch oder Zwerg nicht nur sein Gedächtnis verloren hat, sondern auch — ich habe Euch wohl recht verstanden — seine Persönlichkeit?“

„Nein, aber …“ „Danke, das genügt. In diesem Punkte kann vielleicht jemand anderes zur Klärung beitragen: Herr Berman Silberling, würdet Ihr uns bitte zur Verfügung stehen.“ Ein Raunen erhob sich, als der gefürchtete Bannstrahler und Inquisitor der Grafschaft Ferdok aufgerufen wurde.

„Meister Silberling, Ihr habt durch Eure langjährige Erfahrung als Mitglied der hiesigen Inquisition ein profundes Wissen über die Abarten menschlicher Verfehlungen erlangt. Ist es Eurer Meinung nach möglich, daß der Angeklagte seinen vorgeblichen Zustand ohne Einwirkung schwarzer Magie erlangt haben kann?“ „Mit Verlaub, Euer Exzellenz, wir müßten schon Namenloses zugrunde legen, um diese Frage zu bejahen.“ Ein siegesbewußtes Lächeln strahlte darob in den Augen der anwesenden Mitglieder der Praioskirche, und es schien auch, als sei der Baron selbst bei diesen Worten zusammengezuckt. Doch lenkte sich mit einem Mal die Aufmerksamkeit des Publikums einem lauthals zur Tür hereinpolternden Mann zu. Herein stürmte, trotz Gehstocks und leichter Leibesfülle (denn die vielen Götterläufe seiner Herrschaft hatten ihre Spuren gelassen, im Guten wie im Schlechten) der rüstige Herr Roban von Treublatt!

„Was nimmt dieser Hund mir mein Stimmrecht!“ fauchte der Vogt zu Fürstenhort den Burgsassen Kuniswart auf der Richterbank an. Der sprang sogleich auf und bat den vorsitzenden Grafen, dem geschätzten Herrn von Treublatt über seinen offensichtlichen Irrtum aufzuklären — doch die fest den Gürtel umklammernde Schwerthand verriet seine Anspannung. Einen Moment lang herrschte arge Verwirrung im Saale, stritten doch nun Burgsaß und Vogt der Feste Fürstenhort um ihre Stimme, die doch das Papier so eindeutig in einer Person vereint sieht. Schließlich entschied Graf Growin, daß, da man sie beide ja nicht einer Person vereinen könne, ihre Stimme geteilt werden müsse — womit der Graf die Lacher auf seiner Seite hatte. Die Streithähne aber nahmen mit hochroten Köpfen an den entgegengesetzten Enden der Schöffenbank Platz.

Die Stunde der Richter

Die Befragung der Zeugen qard abgeschlossen, und der Cantzler gab das Wort an die Schöffen — ob sie denn noch Fragen an den Angeklagten hätten. Der Seniorität nach gebührte das Fragerecht zunächst Vogt Roban: „Habt Ihr nun drei Leute erschlagen oder nicht?“ „Da es mir berichtet wurde, wird es sich auch so zugetragen haben.“ Mehr wollte der alte Fuchs Treublatt nicht wissen: „Na also, das reicht ja wohl — bei Praios!“

Der wackere Baron Alderan war der nächste: „Baron, mir ist eines bisher unklar geblieben. Zogt Ihr damals wirtlich mit den besten Absichten, den Drachen zu vernichten, aus?“ „Gewiß.“ „Nun, wir alle und bei uns droben im Wengenholmschen insbesondere wissen, daß es ein gefährlich’ Los ist, so zu tun und für einen Herrn, der seine Lehnsleute zu beschützen gedenkt, eine schwere Pflicht, die ihm wohl zur Ehr’ angerechnet werden sollt’. Und kann man wissen, was einem darob geschieht, so der Drache einen nicht in seinen Fängen zerfleischt? Ich danke.“

Alsdann richtete Burgsaß Kuniswart das Wort an den Angeklagten: „Euer Hochgeboren, könnt Ihr Euch wirklich an keines der Geschehnisse der besagten fünf Jahre mit Sicherheit erinnern?“ „Nein.“ — „Was habt Ihr vor Augen, wenn Ihr dieser Zeiten gedenkt?“ — „Bilder, Bilder von Kämpfen, Bilder von Wanderungen, von Lagerfeuern. Doch vermag ich diese nicht in eine Reihenfolge zu bringen oder gar Personen oder Orte zu nennen. Es sind fast rauschhafte Bilder, Ich weiß nicht, was ich getan habe noch warum, lediglich, daß ich etwas getan habe, glaube ich zu wissen.“

„Glaubt Ihr also, verhext worden zu sein?“ Nein“, antwortete der Angeklagte. „Was dann?“ „Es tut mit leid, aber ich weiß es nicht.“ Der Burgsaß des Fürsten gab sich zufrieden.

Als nächste sprach die Junkerin. „Euer Hochgeboren, könnt Ihr Euch erinnern, was vor Eurem Zustand der Verwirrung geschah? Traft Ihr ungewöhnliche Personen oder geschahen merkwürdige Dinge?“ „Nein, ungewöhnliche Leute traf ich nicht, jedenfalls niemanden, der mir unangenehm aufgefallen wäre“, antwortete Conrad.

„Etwas merkwürdiges geschah hingegen fürwahr. Als ich auf meinem Pferde saß, um dem Drachen Greing entgegenzureiten, sah ich vor mir einen Raben, die’s dorten ja zuhaufe hat, einen Falken erschlagen, was mich arg verwundert hat, ist doch der Falke der Stärkere und Schnellere. Auch war es ja nicht winters, so stark kann sein Hunger nicht gewesen sein. Doch beschäftigten mich andere Dinge, und so gab ich nicht viel darauf. Als mir dann aber die Erinnerung wiedergegeben war, war’s das erste, das mich durchzuckte, und ich möcht’ schwören, der Rab’ hatte rote Augen.“ „Und wie könnt Ihr Euch doch so sicher eine, daß Ihr nicht verhext wurdet?“ hakte die Jungfer nach. „Fünf Jahre verhext? Gut wahrscheinlich will ich es eher nicht glauben…“

Der letzte (weil jüngste) der Richter war der Geweihte Jerodian von Nadoret: „Ich muß gestehen, Euer Hochgeboren: Die Mär von dem Raben hat mich nachdenklich gestimmt. Wo es doch heißt, Ihr seiet nicht verhext und eine mechanische Einwirkung könne nicht zu Eurem Zustande geführt haben — war es vielleicht gar eine göttliches Urteil? Sprecht also: Habt Ihr je die Götter gefehlt?“

„Nein, ich …“ „Dann tut Ihr es nun, denn ein Lügner müßt Ihr sein. Wie sonst ist zu erklären, was mit Euch geschah?“ „Dann mögt Ihr mich einen Lügner nennen, Euer Gnaden, so es Euch gefällt, Menschen Lügner zu nennen, wenn Ihr nicht versteht, was ihnen widerfuhr.“ Doch nicht zu beirren fuhr Jerodian Hal mit machtvoller Stimme fort: „So müßt Ihr denn während all der Zeit gewußt haben, was Ihr tatet und seit dafür denn auch zu bestrafen.“

Schwer wogen die Worte des jungen Geweihten, da meldete sich der Vorsitzende des Gerichts zu Wort: „Mein lieber Sohn,“ begann der Graf (und wer es wußte, raunte seinem Nachbarn zu, daß die beiden im Answin-Jahr Seit’ an Seit’ gefochten hatten und mit ihnen Herr Merwerd, Herr Nottr und all die Tapferen des Königs). „Auch mich piekt noch eine Sache. Ich will dir gern glauben, daß Du unwissend warst in dem, was du tatest, denn ich kann — wie mich dünkt, im Gegensatz zu unserem Diener des Götterfürsten.“ (Und jetzt raunten sie, daß der Graf mit den Praiospfaffen nie gut Freund gewesen war und mit dem Hause Nadoret noch weniger.)

„Ich kann nicht einsehen, warum Du dies alles getan gaben solltest, wenn Dein Geiste klar gewesen wär’, herumzustreifen mit Banditen, wo daheim ein liebes Weib und eine prachtvolle Baronie deiner harrten. Aber auch mir bleibt unklar, was Dir die Sinne raubte. Drum frage ich dich noch einmal, und ich bitte dich: Antworte mir bei allem, was dir heilig ist — hast du je die Götter so gefehlt, daß sie dir zürnen mögen?“ „Nein, Väterchen, das gewißlich nicht“, sprach der Baron frei heraus.

„Ich danke dir, mein Sohn“, entgegnete der Graf und schlug mit dem Richterhammer auf seinen Tisch — dreimal, zum Zeichen, daß die Verhandlung beendet sei.

Das Wort ging ein letztes Mal an den Ankläger. „Wie wir nun alle vernommen haben, ist’s jedenfalls nicht leicht zu sagen, ob den Herrn Salfridjes nun Schuld an dem Vorgefallenen trifft oder nicht. Die Klärung dieser Frage bleibet den Schöffen dieses Gerichts überlassen. So zu dem Ergebnisse der Unschuld gelangt wird, hat der Baron in jedem Falle eine Pilgerfahrt zum Boten des Lichts zu geloben und die durch ihn zu Schaden gekommenen in angemeß’ner Weis’ zu entschädigen. Seine Kinder …“

In diesem Momente fuhr der Angeklagte auf: „Welche Kinder?“ „Ihr habt deren zwei. Euer Weib gebar sie in der Ferne, nachdem Ihr verschwunden wart.“ Ein aufgeregtes Murmeln ging durch die Menge, und allein der Graf blieb ruhig sitzen und lächelte. Man erinnerte sich, daß vor einigen Tagen eine tiefverschleierte Dame bei ihm um Audienz gebeten hatte und ihr ein langes Gespräch gewährt worden war, woraufhin sie in der Residenz Quartier bezog. Man maß dem jedoch keine übermäßige Bedeutung bei, hat seine Hochwohlgeborenen doch Vertraute in aller Herren Länder.

Aber der Cantzler beendete das Gemurmel forsche: „ Ruhe! Ruhe! Seine Kinder werden Zöglinge aufrechter Adeliger werden, auf daß ihre zwölfgöttliche Gesinnung gewiß. Seine Hochgeborenen Graphiel von Stragon-Lacara erbot sich bereits, sich um die Tochter zu kümmern. Kommt aber das Gericht zu dem Schlusse, ihn treffe die volle Schuld, so werde Conrad Salfridjes seines Besitzes entledigt, gehe seiner Baronswürde verlustig und verlasse das Lande auf ewig zu verlassen. Die Schöffen mögen sich zur Beratung zurückziehen. Praios mit ihnen.“

Doch die Spannung, die sonst in solchen Momenten im Saale herrschte, wollte nicht aufkommen. Zu groß war das Wohlwollen in des Grafen Stimme während seiner letzen Worte an den Baron erklungen, zu sehr hatte man die Wohlgesonnenheit Baron Alderans gespürt und und auch von der „unbescholtenen Koscherin“, Jungfer Efferdane, glaubte niemand ein „schuldig“ zu hören. Vom Burgsassen Kuniswart schon eher — doch kaum, wenn schon Vogt Roban so stimmte. Und so kam es denn auch: Mit der Mehrheit von dreien und einer halben Stimme urteilt das Gericht milde über Conrad Salfridjes: Ihn treffe keine wirkliche Schuld an den unerklärlichen Geschehnissen.

Statt aber wie erwartet die Glückwünsche entgegenzunehmen, schritt der Freigesprochene schnurstracks auf Graf Growin zu, ergriff den verdutzten Zwergen an der Hand und verschwand mit ihm durch eine Hintertür. Am Abend berichtete der Graf in kleinem Kreise, Herr Salfridjes wolle sich für sein Benehmen entschuldigen, stünde aber für Gespräche nicht zur Verfügung. denn er habe mit seiner wiedergefundenen Gemahlin von ihm zwei Pferde erbeten und sei bisher nicht zurückgekehrt.

Man munkelt, Conrad habe gelobt, solange im Boronkloster Garrensand in Klausur zu gehen, bis ihm der Rabengott Einsicht in das offensichtliche Omen gewähre.

Angbart Götterfried