Die Rückkehr der Questritter

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Ausgabe Nummer 29 - Peraine 1023 BF

Die Rückkehr der Questritter

Der Flug der Falken — Questen um des Prinzen Heil

Des Wartens banger Herzschlag

Der Himmel über Angbar war grau und trübe, ganz so wie die Stimmung auf der Thalessia in diesen Tagen. Immer wieder trat der Herr Blasius an den Erker, um übers weite, noch verschneite Land zu spähen, ob sich nicht die dunkle Gestalt eines Reiters zeige, der hoffnungsvolle Kunde heimbrächte.

Freilich, so schnell konnten die Ritter nicht zurück sein, denn wo sollte ihre Suche beginnen, wo sollte sie enden? Aber diese Gedanken waren kein Trost für den Monarchen, ebensowenig die Scharen von Reisenden und Händlern, die trotz widriger Zeit in seine Stadt kamen, über welcher friedlich der Rauch aus den Kaminen stieg.

Doch dann — es mochte nicht einmal zwei Wochen nach Auszug der Edlen sein — ertönte der Hornruf des Türmers, und alsbald sprengte einer der Ritter mit dem Falkenamulett in den Hof der Thalessia.

Wehenden Mantels eilte ihm der Herr des Schlosses selbst entgegen und sprach ihm sein Willkomm aus: der andergaster Recke Eichhardt von Eichroden-Waldtreu war’s, der so zeitig zurückkehrte. Im Dunkelforst sei er gewesen und habe dort von einer Hex’ die folgende Weisung erhalten: „Trinkt der Prinz von seines Bruders Blut, so heilt die Wunde, und alles wird gut.“

Da erhob sich entrüstetes Geraune, und es sprach der Herr vom Eberstamm mit steilen Falten in der Stirne: „Solch orksche Bräuche scheinen mir nicht rechtens, und desto weniger, wenn sie von Hexen stammen!“

„Herr Vater, zürnet dem Ritter nicht!“ sagte da ein Mann in den Farben Hesindes. „Wir wollen nichts unversucht lassen!“ Der so sprach, war Prinz Idamil, der Zwillingsbruder des Kranken, der lange schon im Tempel zu Gareth weilte, wo er unlängst die Weihen empfangen hatte. Doch die Sorge um seinen Bruder hatte ihn nicht ruhen lassen — denn nichts schlägt vertrauter als die Herzen zweier, die zur selben Stunde aus einem Mutterleib geboren wurden, und die Zwerge glauben ohnedies, daß Zwillinge sich eine Seele teilen. Also ließ sich Herr Idamil vom Bader den Unterarm ritzen wie zum Aderlasse, und einige Tropfen fürstlichen Blutes wurden mit rotem Weine vermengt, welchen man dem Kranken zu trinken gab. Allein, weder an diesem noch den nächsten Tagen besserte sich sein Zustand, so daß man weiter harren mußte.

Lange dauerte es, bis der nächste Questenritter eintraf. Es war die wackere Albernierin Macha Ni Grainne, und schwer trug die junge Frau an den Erlebnissen der letzten Tage. Ein Tor zur Anderswelt war ihr offenbart worden, wo sie im Kampfe mit dem dortigen Wächter ein heilendes Moos errungen hatte. „Doch dieses, o Fürst, gab ich aus Mitleid zur Rettung einer Bauersfamilie hin, und nichts anderes kann ich Euch bringen als die Mär eines alten Kräuterweibes, das von einer heilenden Quelle irgendwo im Norden berichtet.“

„Für einen Bauern gibt’s wohl Heilung, nur nicht für den Sohn des koscher Fürsten!“ schnaubte der sorgende Vater ungnädig und maß die Frau mit strengem Blick, obgleich er im Innersten ihre Milde mit den Schwachen durchaus ehrte. Seine Miene aber hellte sich erst wieder auf, als die Rückkehr seines Großneffen gemeldet wurde: der wackere Halwart vom Eberstamm hatte den Süden des Landes bereist und etliche Aventiuren bestanden.

Eine Salbe in einem goldenen Tiegel brachte er mit, das Brauwerk eines Wanderheilers. Sie enthalte zwei Unzen gemahlenen Koschbasalts, das Muß einer Alraunwurz, den dreifach gepreßten Sud aus Wirselkraut und allerlei andere seltene Zutaten. Und siehe, dieses Mittel schien der Wunde auch gut zu tun — bis sie am dritten Tage danach wieder aufbrauch und schlimmer war als je zuvor! Da ließ der Fürst in höchster Sorge in jeglichem Tempel der Stadt die Glokken läuten und Messen halten, und zahlreich strömten die Untertanen herbei und flehten zu den gütigen Göttern, ihren Prinzen zu bewahren.

Wehret den Dämonen!

Unter solchem Geläute war es, daß der Maraskaner Praiodan Ehrwald zurückkehrte und hoffnungsvolle Kunde brachte: die Waffe, welche den Prinzen schlug, müsse im Feuer vergehen, daß auch der Brand in der Wunde vergehe. So habe es ihm im Schetzenecker Land eine weise Frau kundgetan.

„Dies wird doch möglich sein!“ meinten die in der Thalessia versammelten Edlen und Hofleute des Fürsten. „Ist nicht Marnwulf von Blaubinge, welcher den Prinzen verwundete, vom Banne des Dämonenkaisers befreit und wieder Herr seiner Sinne? So wird er sich gewiß nicht sträuben, den unheilvollen Stahl in Ingerimms Flammen zu werfen!“ Und noch zur selben Stunde der eiligste Reiter gen Mitternacht ausgesandt. Doch würde es manche Wochen dauern, bis er sein Ziel erreichte und man den Erfolg des Mittels sehen könne.

Dennoch, die Eberstammer und mit ihnen der Hof und ganz Angbar waren froheren Mutes als in all den Wochen zuvor, bis ein weiterer Questritter eintraf mit einer Nachricht, die wie schwarzes Regengewölk hereinbricht am heiteren Praiostage: Axar-Hluthar von den Wolven war in nächtelangen, furchtbaren Träumen eine Erkenntnis zuteil geworden, die selbst die Tapfersten erschauern machte.

„Alles deutet darauf hin“, so sprach er, „daß ein Dämon vom Prinzen Besitz ergriffen hat, um nach und nach seine Lebenskräfte in sich aufzusaugen. Wenn ihm dies gelingt, ist die Seele Edelbrechts verloren, und der Dämon nimmt Gestalt in dieser Welt an. Nur ein Zweikampf mit dem Wesen kann dies verhindern.“ Und er fügte noch einige Bedingungen hinzu, unter denen dieser Streit alleine und einzig zu gewinnen sei. Der rechte Zeitpunkt sei wahrscheinlich der dritte Namenlose Tag — was noch fast ein halbes Jahr vorauslag!

„So lange können wir nicht warten“, bestimmte der Herr Blasius und suchte voller Sorge seinen kranken Sohn auf. Der lag schweißgebadet und vor Schmerzen stöhnend auf den blutgetränkten Laken, die Blicke fieberflackernd, die Wangen hohl, die Finger vor lauter Pein ins eigne Fleisch gekrallt. Nicht der Ärmste aller Bettler wollte um alles Gold in Stippwitz’ Truhen mit dem Sohne seines Fürsten getauscht haben!

„Wo sind meine Ritter!“ hallte da die Stimme des Monarchen durch das ganze Schloß. „Was säumen sie so lange? Hat sie der Mut und Wille verlassen? Hilfe haben sie versprochen, doch keiner hat mir etwas Nützliches gebracht!“ Und im Zorne, der einzig seiner väterlichen Liebe entsprang und darum zu verzeihen ist, stieß er einen Kerzenhalter um, daß dieser polternd auf die Eichenbohlen fiel. Da schlug der Prinz erschreckt die Augen auf und hauchte ein schwaches: „Vater!“ Dieser bereute sein Ungestüm sofort und ergriff die Hand des Kranken und drückte sie sanft: „Wirst sehen, Edelbrecht, die Ritter bringen dir Heilung! Noch weilen viele in der Ferne, und einer, zumindest einer, wird das rechte Mittel finden!“

Da flog ein friedvolles Leuchten über das Antlitz des Kranken, und er verfiel für Stunden in ruhigen Schlummer. Doch wann immer er wach war und bei klaren Sinnen, da ließ er die schon eingetroffenen Questritter zu sich kommen und von ihren Erlebnissen berichten. Bei diesen Gesprächen war stets ein Schreiber zugegen, der all die Erlebnisse der Recken getreulich aufzeichnete, auf daß sie dereinst gesammelt den Angbarer Archiven übergeben würden und jedem offenstünden.

Ein helles Licht in düstern Tagen

Immer mehr Ritter kehrten zurück in den folgenden Tagen und Wochen, und auf die eine oder andere Weise waren sie alle fündig geworden. Doch so manches mühsam erworbene Wissen stellte sich als nutzlos heraus; zu schwach waren die Mittel, zu ungenau die Rezepte. Und nicht einmal das Pulver eines echten Karfunkelsteines, welches der Herr Feron von Nadoret in wackerem Kampf mit einem Drachen gewonnen hatte, besaß die ihm zugesprochene Wirkung! Auffallend war jedoch, daß viele auf ihren Questen von einer heilsamen Quelle vernommen hatten, ähnlich wie es das Märchen der Frau Macha berichtete. Allein, den genauen Ort des Lebensborns wußte keiner zu melden.

Dann kam ein Tag der Freude. Es war noch frühe, und gerade eben waren die Tore geöffnet, da bahnte sich der Ritter Wolfhart Leon Sigiswald von Aarenfels seinen Weg über den Ingerimmsmarkt zum Schlosse, und frohe Botschaft brachte er mit! Ein Traumbild hatte die Ritter auf ihre Questen ausgeschickt, und ein Traum, so schien es, sollte nun auch das Heilmittel verraten; in einer Höhle in den Wengenholmer Bergen, fernab von allen Wegen und Dörfern, hatte der borongläubige Edle eine nächtliche Vision gehabt: vier Geweihte des Schweigsamen Gottes sah er, die den Herrn Edelbrecht in schwarzes Tuch gehüllt auf einer Bahre in das Haus der Tsa trugen, aus dem der Prinz geheilt wieder hervortrat.

Einige Vorsichtige gaben zu bedenken, daß dieser Traum vielleicht nur symbolisch zu verstehen sei wie der von den Falken: auf der Schwelle des Todes werde der Prinz zu neuem Leben gebracht, und manche versuchten, die Zahl der schwarzen Geweihten mit der Zahl der Leidensmonde gleichzusetzen. Doch der Fürst wollte nichts unversucht lassen, zumal in Angbar Tempel beider Götter stehen. Man tat also, wie in besagtem Traum beschrieben.

Der Prinz, der gerade in neuerlichem Fieberwahne lag, zitterte und schrie, als ihn die ernsten Männer in den schwarzen Kutten holten und noch dazu mit einem nachtfarbenen Tuche bedeckten. Golgaris Schwingen rauschten ihm in den Ohren, und er stammelte wirr von Marbos bleichem Antlitz und Rhetons schweren Schalen. Den Freunden und Anverwandten wurde es so bang ums Herz, daß sie am liebsten abgelassen hätten von dieser Seelenqual, doch vielleicht mußte der Prinz ja diese Todesschrecken durchleiden, um erlöst daraus hervorzugehen!

Erst als ihn die frohfarbenen Mauern des Tsatempels umfingen, endigten sich die Schauer, und er ward ruhiger. Gestützt auf die Arme zweier Priesterinnen taumelte er aus dem Portal hervor. Die Wunde war noch immer nicht geheilt, doch war zumindest der schwerste Anfall vorüber und sein Geist von einer seltenen stillfriedlichen Verklärtheit und Zuversicht erfüllt.

Reiner Quellen stille Kraft

In diesem Zustand ließ es sich der Prinz nicht nehmen, wenigstens einmal am Tage sein Krankenbett zu verlassen, um an den Mahlzeiten der Fürstenfamilie teilzunehmen oder auf einem Balkone in der frischen Luft über die Lande zu schauen. Es war an einem Rohalstagsmorgen, die Praiosscheibe stand am klaren Winterhimmel und spiegelte sich unterhalb der Schloßmauern in den Wellen des Sees, da zeigte der Prinz mit freudiger Miene auf die Straße, die von Süden herbeiführte. Dort blitzte das Sonnenlicht in hellen Strahlen von Metall, daß man den nahenden Reiter von weitem schon erkennen konnte. Wenig später war drunten im Hofe Hufgeklapper zu vernehmen und laute Rufe, dann eilte jemand raschen Schrittes die Treppe hinan. Sogleich wurde der Ankömmling vor den Kranken und seinen Vater geleitet.

„Kavallier!“ rief der Fürst dem Liebfelder Rondriguez Peraldo entgegen, der eilenden Fußes den Saal durchmaß und sich verneigte, „was bringt Ihr mir? Was Gutes, so steht’s in Eurem Blick geschrieben!“

Der Horasier bejahte und holte eine irdene Flasche hervor, von deren Inhalt er eine lange und wundersame Märe zu erzählen wußte. Von der efferdgegebenen Wunderkraft aller Ströme an ihrem Ursprungsort sprach er, und wie er nach langer Suche im hohen Amboß an einen Ort aus uralter Vorzeit gelangt sei, wo ein geheimer Quell entspringe.

Er selbst, sprach der Ritter, habe durch ihr Wasser Heilung an Leib und Seele erfahren, und von diesem Trunke bringe er nun dem Prinzen. Groß war das Staunen, und man entkorkte die irdene Flasche und wollte die Flüssigkeit in eine kristallene Schale gießen.

Doch weh! Kein einziger Tropfen entrann dem Gefäß — trocken war es wie die Kehle eines Angroscho nach vielen Arbeitsstunden an der Esse. Erschrocken besah sich der Cavalliere die Flasche, ob da nicht irgendwo ein Riß oder eine undichte Stelle klaffte, aber nichts deutete darauf hin, daß jenes kostbare Naß auf derischem Weg entwichen sein konnte.

In höchster Bestürzung versicherte der Horasier den Fürsten, daß seine Erzählung der Wahrheit entspräche und er tatsächlich jene Quelle gefunden habe, doch konnte er sich weder an den genauen Ort erinnern noch den Weg dorthin auf einer Karte näher zeigen — ganz wie ein Traum in wunderlichen Farben schien ihm die Erinnerung. Und fast wäre der Cavalliere samt den übrigen Rittern auf neuerliche Queste gen Süden aufgebrochen, um nochmals nach dem Lebensborn zu suchen, wären da nicht am selbigen Abend noch andere Helden eingetroffen.

„Wohl gibt es eine solche Quelle in diesem Lande“, verkündete Lissmene von Mönchbach, als sie die Geschichte vernahm. „Doch liegt sie wohl nicht im Süden. Ingerimms Orakel in der Höhle Malmarzrom wies mich gen Firun, und nach manchen Gefahren kam ich schließlich nach Gormel ins Kloster der Frau Peraine. Die Äbtissin dort erzählte mir von einer Heilsquelle irgendwo im Norden.“ Ähnliches wußte auch die Weidnerin Torja von Donnerhall zu melden.

„Was heißt irgendwo im Norden? In Weiden, Thorwal, oder gar in Firuns Einöde?“ fragte man sie, doch darauf konnten sie keine Antwort geben. Ein anderer vermochte es, nämlich der Herr Bragon Mandarvawin, der auf seiner Quest viele Wochen durchs Ferdoker Land geritten war.

„Ich folgte den Spuren der Sage vom Helden Argamon, der einst, wie es heißt, in einem Lebensborne Heilung fand. Ich stieß in einer Ruine auf sein Schwert, bewacht von zwei geisterhaften Raubkatzen. In die Klinge war folgender Spruch graviert: Man sagt, im Wengenholmer Land, / In eines Berges dunkler Halle, / Dort finden Rast und Labung alle / Durch Efferds gnadenreiche Hand. / Wenn sie in diesem Urquell baden, / Der sich ins stille Tal ergießt, / Nach Süden, West und Norden fließt, / Gereicht’s zum Heile, nicht zum Schaden .“ – so tat der Weidner vom Erfahrenen kund.

„Welcher Strom fließt denn nach Süden, West und Norden?“ fragte der Fürst stirnrunzelnd. „Daß sich aus einer Quelle gleich drei Ströme ergießen, habe ich noch nie gehört.“

„Damit kann nur der Große Fluß gemeint sein!“ rief der Herr Idamil aus, der von scharfem Verstand ist, wie es sich seinem Stande geziemt. „Erst fließt er südwärts, wobei er die Grenze zu Garetien bildet, dann westwärts entlang des Amboß und schließlich nördlich, dem Meer und Havena zu!“

„Und einer der beiden Quellflüsse ist die Ange, die in Wengenholm entspringt“, ergänzte der Ritter von Aarenfels, der aus jener Gegend stammte. „Doch wo genau der Ursprung liegt, das ist seit jeher ein Geheimnis.“

Da erhob der Herr Siegrondrian Luchsenhain, der bislang geschwiegen hatte, das Wort. Noch haftete der Staub der Reise an seinen Kleidern, und die Müdigkeit der langen Queste war ihm ins Gesicht geschrieben, aber was er zu melden hatte, fügte sich so gut in diese Erzählungen wie der Hopfen zum Malz. „Mein Fürst“, so sprach er, „Seltsames ist mir widerfahren. Auf meiner Reise traf ich einen Gnomen oder Kobold, den ich aus einer Falle befreite. Darob mag sein Versprechen nicht nur Schabernack sein wie sonst bei diesem Volke, sondern echter Dankbarkeit entspringen. Kurzum: auch er wies mich zu den streng gehüteten Quellen des Großen Flusses und sagte, er wolle den Flußvater bitten, sie uns zu offenbaren.“

„Hört hört“, murmelten die Umstehenden, die in den vergangenen Wochen schon so mancherlei Sonderbares vernommen hatten. Doch dieses klang für die biederen Gemüter ganz wie ein Märchen, das die Mütterchen abends am Rade spinnen. Der Fürst aber blickte in die Runde und musterte die Ritter allesamt. Dann sagte er: „Zwar sind noch nicht alle Gesandten zurückgekehrt — vor allem zwei meiner Koscher, den treuen Odur von Eichental und den Sänger von der Wiesen, vermisse ich noch... doch den Zwölfen befohlen! Mir scheint, wir sollten’s indessen wagen und meinen lieben Sohn zum Angenquell geleiten.“

Geschenkte und geteilte Leben

Das Schicksal des wackeren Eichentalers sollte sich jedoch klären, kurz bevor man aufbrach. Unten am Tore traf ein fremder Reiter ein, den die Wache zunächst nicht passieren lassen wollte. Als sich aber herausstellte, daß der Fremde den schwer verwundeten Edlen von Eichental heimbrachte, ließ ihm der Profoß Grimbart eilends die Pforte geöffnet.

„Aus den Fängen eines Dämons habe ich den Mann gerettet“, berichtete er.

„Wie konnte Euch dies gelingen, wenn der tapfere Odur unterlag?“ mußte er sich fragen lassen.

„Nun, einige Gegner hatte der Ritter schon bezwungen und dabei manche Wunde davon getragen“, sagte der Fremde. „Auch verfüge ich über besondere Mittel.“ Und er schüttelte die Haare, daß man die spitzen Ohrmuscheln darunter erkennen konnte. Der Elf hieß Yariel mit Namen und überreichte nun auch ein versiegeltes Behältnis, das er bei dem Hilflosen gefunden hatte. Es enthielt eine eiskühle, klare Flüssigkeit.

Lange versuchte man, den Herrn Odur zu wecken und ihn nach der Art und Herkunft des Trankes zu fragen. Endlich schlug er die Augen auf, und mit matter Stimme erzählte er, wie er mitten im Winter — Götter! welch Wahnsinn! — den Firunszapfen bestiegen hatten. Durch eine Höhle sei er in ein Sommertal gelangt, das nicht von dieser Welt war. Der Trank sei geschmolzener Schnee vom höchsten Gletscher der Berge, dies habe ihm die Herrin des Tales als Heilmittel anvertraut. „Doch für das Leben des Prinzen mußte ich mein eignes tauschen. Auf dem Heimweg fiel ich zum Opfer schwarzer Dämonen, und diesen Wunden werde ich erliegen“, hauchte der Recke.

Dem jungen Edelbrecht, der zugegen war, standen Tränen in den Augen, und er faßte die Hand des Ritters. „Du edler Mann!“ rief er klagend. „Muß denn Blut mit Blut vergolten sein? Schon übergroß steh’ ich in der Schuld all dieser Ritter hier — und nun noch das Leben eines solch getreuen Helden?“

„Nehmt es, mein Prinz, es ist ein altes, fast verbrauchtes Leben — und so findet es zumindest ein ruhmvolles Ende. Laßt mich sterben in der Hoffnung, die grünen Triebe des Hauses Eberstamm erhalten zu haben“, erwiderte der graue Recke und ward von einem Hustenkrampf geschüttelt.

„Und was ist mit dem trutzigen Stamm Eures Baumes, der Eiche?“ fragte ihn der Prinz. „Laßt uns den Wundertrank, den Ihr brachtet, brüderlich teilen.“

„Für beide wird er nicht reichen, mein Prinz!“

„Das muß er nicht!“ rief jener in fieberhafter Begeisterung. „Höret mich an: Heilung wurde mir verhießen durch den Urquell des Großen Flusses, ganz nahe Eurer Heimat! Herrn Efferds Wellen werden auch für einen so edlen Geist fließen wie den Euren. Gemeinsam wollen wir dort neues Leben trinken. Doch braucht’s Kraft und Stärke für den Weg.“

Und mit diesen Worten nahm er die Flasche und goß die Hälfte des Inhalts auf Herrn Odurs spröde Lippen, die andere aber auf die seinen. Und siehe! Farbe gewann die Haut, rosige Frische die Wangen, und beide fühlten neue Kräfte in sich wachsen.

Die Umstehenden, Ritter wie Hofleute, sahen’s mit Staunen, denn solches Denken waren sie nicht gewohnt von dem sonst so ungestümen Prinzen; doch mochte ihn die lange Krankheit auch im Geiste verändert haben, und man sagte bewundernd: „Wahrlich, das ist Fürstengröße!“

Nach Wengenholm, zum Angenquell!

Nun konnte man endlich aufbrechen, und es wurde ein langer Zug nach Wengenholm. Der Fürst selbst und die Questritter bildeten das Geleit für den Prinzen. Dem Rat der Geweihten folgend, verzichtete man auf Pracht und Pomp — in schlichte Gewänder gehüllt, als ging’s zu einer Büßerfahrt, zog man gen Norden. Nach Wengenholm, zum Angenquell! so hieß die hoffnugsvolle Losung. Der Prinz ward in einer Sänfte getragen, und trotz des Wundertrankes brauchte sein schwacher Leib des öfteren eine Rast. So dauerte es vielmals länger als ein einzelner schneller Reiter benötigt hätte, die Angenburg zu erreichen.

Auf dem Wege kamen sie in Geistmark am Efferdsgnadenturm vorüber, welcher am Knie der Ange steht. Dort gedachten sie zu rasten und dem Herrn Efferd ein Opfer darzubringen. Unweit des Ortes sahen sie jedoch am nebelverhüllten Flußufer eine Gestalt: ein Reiter, der abgestiegen war und neben seine Rosse auf der feuchten Erde kniete, ins Gebet versunken.

„Wer mag das sein?“ fragte der Fürst. „Nach seiner Tracht ein Ritter“, entgegnete Herr Anshold (der um seines Bruders willen die Mühen die Reise in der Luft der Berge unter Kurzatmigkeit leidet). Beim Näherkommen aber riefen sie erstaunt: „Herr Wolfhardt! Ihr? Wir glaubten Euch schon verloren!“

Der Angesprochene erhob sich und sah ihnen entgegen, mit verklärtem Blicke. Dann sank er vor Herrn Blasius auf die Knie: „Mein Fürst! Seit Ihr mich aussandtet, bin ich auf der Suche. Doch falschen Spuren folgte ich. Nicht der Herr Ingerimm wird Eurem Sohne Heilung schenken, wie ich lange glaubte, sondern der Herr Efferd. Noch weiß ich nicht wie, aber ich werde es erfahren!“

„Ruht Euch aus, Herr Wolfhardt, das Mittel ist gefunden. Folgt uns zum Angenquell. Sein heilges Wasser wird den Prinzen retten.“ Sie nahmen den lange vermißten Freund in ihre Mitte, vollzogen die Riten des Blauen Gottes an seinem heiligen Orte und zogen weiter. Die Schar der Ritter war nun beinahe vollständig — einzig der Andergaster Baldur Celebrata war verschollen und sollte es auch bleiben.

Sie kamen zur Angenburg, wo der Graf Jallik herrscht, an Alter fast dem jungen Prinzen gleich. Frohen Mutes schloß er sich der Schar an und führte sie, als sie ins Gebirge ritten, dem immer schmaler werdenden Lauf der Ange folgend.

Schroff und felsig stiegen die Hänge zu beiden Seiten immer steiler an, bis sie fast lotrecht standen und kaum mehr einen Strahl der Praiosscheibe hinabließen in die finstre Klamm.

Unheimlich hallte der Hufschlag von den Wänden. Dann kamen sie ans Ende der Schlucht, dort schießt das Wasser in drei Dutzend Schritten den Hang herab in tausenderlei Kaskaden, und es ist ein Tosen und Dröhnen und Brausen allumher im Tale. Doch kein Pfad führt hinauf zu jener Höhe, aus der sich die Wasser von ihrem Ursprung ergießen, und himmelhoch ragen die Felsen.

„Flußvater!“ rief da der Fürst, „Flußvater! Hast doch immer die Lande Baduars beschirmt jahraus jahrein, hast unsre Felder gespeist und unsre Schiffe willig getragen! So wehre nun nicht einem Vater, seinen Sohn zu retten!“

Da ertönte ein Lachen, das sich hell an den Steinen brach, und bald darauf eine Stimme: „Nun, Fürst, wozu die Sorge? Ihr habt doch wackre Ritter an Eurer Seit’! Die werden schon helfen.“

„Wer bist du?“ rief der Fürst des Kosch ins Ungewisse, da sich niemand zeigte. „Und was treibst du solchen Spott mit mir? Lanze und Schwert vermögen doch nichts gegen Felsen!“

„Und doch haben deine Ritter dir geholfen. Einer zumindest. Der Herr Siron Luchsenhain hat eine Schuld einzufordern bei mir, und hier bezahl’ ich sie nun!“ rief die Stimme, und in diesem Augenblikke erschien ein kleines Männlein auf einer Klippe hoch über den Köpfen der Ritter.

„Das ist der Kobold, von dem ich sprach“, sagte der genannte Ritter Siron. „Nun, kleiner Mann, hast du beim Flußvater vorgesprochen? Wird er uns zu seiner Quelle lassen?“

„Oh ja, er wird. Ihr dürft sogar die Treppe nehmen“, kicherte das Männlein und zeigte auf den eben noch blanken, unbehauenen Felsen. Dort sahen sie nun Stufen, die sich bis in die Höhe zum Ursprung des Wasserfalles zogen.

Staunend stiegen sie ab und nahmen den Prinzen und Herrn Odur aus der Sänfte. Vorsichtig trugen sie die beiden Kranken hinauf und fanden den Eingang zu einer Grotte, die sie schweigend betraten.

Vieldutzend Schritte mißt die Halle Seiner Quelle, Tropfstein ragt von der Decke, die Wände sind mit Moos und mild leuchtenden Flechten überzogen. In der Mitte jedoch, aus den Tiefen von Sumus Leib, sprudelt hervor ein silberner Quell, schießt mehr denn drei Manneslängen in die Höhe und sammelt sich in einem stillen Becken, bevor er den Berg verläßt. Das Wasser ist von kristallener Helle und Klarheit. Sein Rauschen klingt wie die süßeste Melodie in den Ohren, ein Lied vom Urgrund der Welt, lieblich wie Kinderlachen und doch von der Weisheit einer Greisenstimme.

Ehrfurchtsvoll nähern sich die Ritter diesem Brunnen und umringen ihn. Man entkleidet den Prinzen, er schlägt das Zeichen des Efferd. Dann steigt er in das Becken und läßt sich ganz ins Wasser sinken. Von oben herab strömt es nach, prasselt auf seine Glieder, Perlen schillern in seinen Haaren. Er badet und schlürft in großen Zügen. Seine Augen glänzen, zum ersten Mal seit Monden fallen Leid und Schmerz und Pein von seinem Antlitz ab, die Wunde schließt sich ganz, und keine Narbe bleibt zurück. O Wunder! Geheilt, gerettet und gekräftigt entsteigt er dem Bade. Desgleichen geschieht mit dem Edlen von Eichental.

In ehrfürchtigem Schweigen verlassen sie Herrn Efferds Halle, doch draußen brechen sie in gewaltigen Jubel aus, fallen auf die Knie und danken in endlosen, inbrünstigen Gebeten.

„Einen goldenen Altar will ich dir weihen!“ ruft Edelbrecht mit ausgebreiteten Armen. „Und in Deinem Tempel zu Havena sieben runde Perlen spenden!“

Heimkehr, in Heil & Glück & Jubel

Dann kehren sie heim. In der Angenburg wartet der stattliche Troß, und nun zeigen sich die Eberstammer als die großen Fürsten uralten Geschlechts, die sie sind. Das Pilgergewand legt man ab, die Festtagsmäntel umschließen mit goldenen Spangen die Schultern. So geht es südwärts, durch Städte und Dörfer: voran der Herold Hernobert von Falkenhag mit Ondifalors, dem Schlachtenbanner des Herrscherhauses. Dahinter Fürst Blasius, seinen gesunden Sohn zur Seite, daneben sein Zwilling Idamil und Anshold, der ältere Bruder, und hinterdrein die ganze große Schar der edlen Questenritter.

Die Wimpel und Banner der Grafschaften, Baronien und stolzen Geschlechter flattern im Winde, und Fahnen wehnen über allen Türmen und Toren, die sie durchreiten. Wie jubelt Angbar beim Anblick des Herrn Edelbrecht, der nun auf seinem Schimmel tollkühn vorausreitet, bald grüßend die Hand hebt, bald sie seinen Rettern zum Danke reicht.

Doch sie bleiben nur kurz in Angbar, weiter nach Fürstenhort ziehen sie, auf die Stammburg des Geschlechts, wo der glückliche Herrscher die Questenritter zu einem rauschenden Fest einlädt, ganz nach Art des Koscherlandes. Und reiche Gaben, Waffen, Rüstzeug, schnelle Pferde, verteilt er an jene, die mit dem Falkenamulett geritten sind. Als höchste Ehre aber nimmt er sie auf in die Runde der Zweiundvierzig, den Kreis der Fürstlichen Ritterschaft.

Karolus Linneger