Ankunft in Moorbrück - Burg Birkendamm: Unterschied zwischen den Versionen

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<br>Der Vogt erklärte: „Wir befinden uns etwas nordöstlich von [[Grantelweiher]]. Gemeinsam mit Kundigen des Sumpfes wurden nach langen Beratungen sechs Orte am Rand des Moorgebietes ausfindig gemacht, die für eine Siedlung tauglich sein sollten. Wir haben sie mit den Zahlen markiert. Wir umzingeln gewissermaßen den Sumpf und legen ihn von seinen Rändern her nach und nach trocken. Ich schlage vor, dass wir diese Standorte der Reihe nach selbst in Augenschein nehmen. Vor Ort können wir auch entscheiden, wer sich für den jeweiligen Standort entscheidet.“<br>Der Vogt wartete einen Moment auf Zustimmung oder Gegenvorschläge.<br>„Beeindruckend eurer Gnaden, ich finde ihr leistet bis heute hervorragend Arbeit, es würde mich glücklich stimmen, wenn wir auch weiterhin auf euch zählen können. Auch wenn die Karte nur einen groben Überblick gewährt, so scheinen mir die Siedlungsplätze III und noch mehr VI doch etwas fragwürdig. Verzeiht, aber sie liegen recht weit von Waldgebiet entfernt, und Holz wird unser wichtigstes Baumaterial sein. Oder ist mir auf der Karte etwas entgangen, was für diese Siedlungsplätze spricht?“<br>Der Vogt antwortete lächelnd.<br>„Nun, Nummer VI befindet sich zwischen [[Dunkelwald]] und [[Narehals Wald]] – da sollte es doch möglich sein, genug Holz zu schlagen, vor allem soll dort Granit gebrochen werden können – es taugt zwar nicht als Baumaterial, aber auch die Nähe zur Baronie [[Herbonia]] könnte von Vorteil sein, was den Bezug von Wolle, Stoffen und Kräutern angeht. Und was die Nummer III betrifft: Ihr müsst über den Rand der Karte hinaus denken. Dieser kleine Zipfel Wald nordöstlich setzt sich noch weit in die angrenzende Baronie [[Hammerschlag (Baronie)|Hammerschlag]] fort, und auch [[Bragahn]] ist nicht weit. Am Ufer des Flusses [[Warna]] im Süden findet sich zudem etwas Lehm, der zu Ziegeln gebrannt werden könnte, wovon vor allem die Standorte I, II und III profitieren könnten. Insgesamt dürfte jeder der sechs Standorte seinen Vorzug haben, vielleicht auch seine Tücken ... doch all das werden wir am besten vor Ort erkennen können. Ich denke, dass die kundigen Leute, neben Beratern am Grafenhof unter anderem unser Freund Bolzer Spatenschwingh, den ihr ja schon kennenlernen konntet, gute Arbeit bei der Standortsuche geleistet haben. Manchmal täuscht der erste Eindruck.“<br>Vielleicht wäre Standort III ja etwas für Edelbrecht von Borking, dachte Boromil. Er hat ja Freunde bei den Zwergen, da sollte ihm der Kontakt am leichtesten fallen.<br>„Veritas. Ihr habt Recht, Ritter von Tarnelfurt. Diese beiden Orte scheinen auf den ersten Vista schon sehr unpässlich zu liegen. Jedoch wohl von Nöten, soll der Sumpf komplett umschlossen werden.“<br>Rainfried erhob sich wieder von seinem Stuhl, ging zu der Karte auf dem Sims und ließ seinen Blick nachdenklich darüber schweifen, an einer Stelle im speziellen hängenbleibend.<br>„Aber sagt, geschätzter Vogt. Was verbirgt sich hinter diesem Ort [[Nebelhain]] gen [[Firun]] und Rahja von hier?“<br>Sein Finger zeigte auf den zuvor mit den Augen fixierten Blick.<br>„Wer lebt dort?“<br>Sein Blick wanderte zur großen Tafel zurück.<br>„Oder kennt einer der anderen anwesenden Damen und Herren diesen Ort genauer?“<br>Roban schüttelte den Kopf.<br>„Nie gehört – klingt aber sehr nach einer windigen Ecke! Zumindest ist es ein großer Fortschritt, eine Karte zu haben, denn damit lässt sich, sobald wir die ersten Aufgaben auf unseren Ländern erledigt haben, eine Suche besser koordinieren, als wenn man blindlings und, verzeiht den angesichts von Baron Darians Ende etwas unpassenden Ausdruck, kopflos durch den Sumpf irrt. Sofern die Karte verlässlich ist!“<br>Er zog die Brauen hoch, als zweifle er daran, dass die Angaben über den Sumpf selbst den Tatsachen entsprachen – sie waren ohnehin dürftig genug.<br>„Vordringlichstes Problem dürfte ohnehin der Transport der Baumaterialien werden. Ich denke mit leichtem Schauder an den Weg nach Burg Birkendamm – es gleicht einem Wunder, Herr von Grimsau, dass es Euch gelang, ein ganzes Fuhrwerk in einem Stück hier herauf zu bringen. Da wage ich zu bezweifeln, dass die Wege in den Sumpf von besserer Qualität sein werden, falls es dort überhaupt so etwas gibt!“<br>„Verzeiht Vogt, aber bei dem Gelände durch welches das geschlagene Holz transportiert werden muss, sind schon einige Meilen vielleicht zu viel. Ich weiß was, Kaltblüter leisten können, aber sie können keine Bäume über Meilen schleppen. Ich war eh davon ausgegangen, dass wir unsere Siedlungen am Rand und somit noch auf halbwegs festem Untergrund errichten werden, um dann dem Moor Monat um Monat, Jahr um Jahr Land abzutrotzen, zu bepflanzen und zu bebauen. Oder hattet ihr im Sinne, dass wir quasi Pfahldörfer errichten?“<br>Reto betrachte die Karte neben Ritter Rainfried genauer.<br>„Ist die Karte maßstabsgetreu und welchen Maßstab könnte man wohl anlegen für einen Spann Karte?“<br>Dann flüsterte Reto dem Ritter neben sich noch etwas zu, aber so leise, dass es kein anderer im Raum hörte. Der Finger des Grimsauers wanderte kurz über die Karte, um dann erneut auf dem Ort Nebelhain zu verweilen.<br>„Ich kenne mich nicht gut genug in der Kunst der Cartografia aus, um zu beurteilen wie exakt diese Aufsicht ist. Aber bei den Mittel, die unserem Vogt zur Verfügung stehen, würde ich zumindest eine sehr gute Übereinstimmung vermuten.“<br>Vogt Gerling entging das Getuschel des Tarnelfurters durchaus nicht.<br>„Wollt Ihr unsere Runde an Eurer Ergänzung teilhaben lassen, werter Ritter Reto? Vielleicht ist sie von Nutzen für unsere weitere Beratung.“<br>„Vogt, bei allem gebotenen Respekt, aber wenn die Herren etwas für sich besprechen wollen, so sollte keiner von uns sie davon abhalten“, knurrte Roban Grobhand drohend. Mochte der Vogt auch Lehnsherr sein, er war kein Praiostags-Lehrer, der das Getuschel seiner Zöglinge unterbinden musste.<br>„Möglicherweise war die Äußerung gar von privater Natur – die Herren Ritter werden schon selbst entscheiden können, welche Äußerungen für uns von Wert sind und welche nicht!“<br>Er musterte den Vogt eindringlich und verbarg dabei nicht, dass er nicht besonders viel von Leuten mit der Figur eines Angbarer Fleischbällchens hielt.<br>Vogt Gerling musterte Roban einen Moment mit seinen runden Augen, auf seiner Stirn bildete sich eine lange Falte, wendete sich dann jedoch an den Grimsauer.<br>„Es wäre gefährlich, sich blindlinks auf die Karte zu verlassen. Eine völlig genaue Karte des Sumpfes zu erstellen, ist in der Tat leider noch keinem Kartographen gelungen. Für den Gang durch das Moor haben wir die Ortskundigen – Bolzer Spatenschwingh und eure Führerin aus [[Grantelweiher]].“ <br>Die Zeit war inzwischen schon deutlich vorangeschritten, und die Praiosscheibe so tief gesunken, dass Devota bereits einige Kerzenleuchter aufgestellt und die Kerzen daran entzündet hatte, um etwas mehr Licht den Raum erhellen zu lassen. Von draußen hörte man das Prasseln von Tropfen, die auf die Holzdecken und die Laden der Fenster niederregneten. Das Wetter in Moorbrück zeigte sich von seiner gastlichsten Seite. Wenigstens der Nebel würde sich etwas aufgelöst haben.<br>Edelbrecht musste unwillkürlich grinsen, als er die Worte Grobhands vernahm. Sollte es in der Tat noch jemanden geben, den Gerling innerhalb kürzester Zeit mit seinem Verhalten düpiert hatte, so sollte es nicht schwer werden, den „Lehnsherrn“ in einem fort in Frage zu stellen. Eine erstaunliche Leistung stellte diese Karte jedoch auf alle Fälle dar. Noch einmal musterte Edelbrecht alle seine Gefährten.<br>Mit Roban würde ein Auskommen – trotz dessen zwielichtiger Familiengeschichte – wohl am ehesten möglich sein. Auch Ritter Boromil schien ein aufrechter Streiter zu sein, wäre da nur nicht seine Affinität zur Magie gewesen. Nicht schlau wollte er hingegen aus dem Grimsauer werden und über seine Haltung gegenüber dem von Tarnelfurt konnte es wohl keine Zweifel geben.<br>„Wie dem auch sei, meine Herren“, ergriff er das Wort, „angesichts der fortgeschrittenen Tageszeit wäre es von Bedeutung zu erfahren, ob seine Hochgeboren uns noch etwas mitzuteilen gedenkt. Sollte dem nicht so sein, stünde es uns allen gut zu Gesicht, noch etwas zu speisen und zeitig das Nachtlager aufzusuchen, damit wir morgen mit dem ersten Hahnenschrei aufbrechen und die in Frage kommenden Gebiete inspizieren können, wobei ich meine Präferenz gegenüber dem Standort VI nicht verschweigen möchte, denn auch ich halte von Geheimniskrämerei und Kabalen in unserer derzeitigen Situation überhaupt nichts.“<br>Herausfordernd blickte er bei seinen letzten Worten Reto und Rainfried an. Boromil hatte die Karte aufmerksam studiert und war völlig in Gedanken gewesen. Plötzlich unterbrach er die anderen.<br>„[[Narehals Wald]] - was ist das für ein Gehölz? Ist der Wald eher unheimlich oder durchquerbar? Immerhin ist er nach Rohals Schüler benannt. Und wie verhält es sich mit dem [[Birkenhain]]?“<br>Er hatte ein Auge auf Standort V geworfen. Er lag zwar im Vergleich zu den anderen mitten im Sumpf und hatte keinen der Vorteile, die Morwald Gerling soeben genannt hatte, aber Eisenkobers Wacht war nicht weit – sofern man einen Weg direkt durch den Wald nehmen konnte. Das mochte entscheidend sein, wenn man Hilfe bräuchte. Außerdem war er im Gegensatz zu Edelbrecht, der Magie rundaus ablehnte, und Roban, der sie etwas zwiespältig betrachtete, magischem Beistand sehr aufgeschlossen. Seine Familie hatte schon immer ungewöhnlich viele Magier in ihren Reihen, von denen viele Mitglieder der Wächter Rohals geworden waren. Er würde ihnen jedenfalls ein guter Nachbar sein.<br>Was ihn zum nächsten Punkt brachte, den er allerdings nicht offen aussprechen wollte. Eine wichtige Qualität der Standorte war nicht auf der Karte zu sehen. Auch die Aufteilung unter den Rittern war entscheidend. Es hatte sich am heutigen Tag bereits herauskristallisiert, dass Edelbrecht etwas hitzköpfig und Roban etwas stur war. Vielleicht sollte man ersteren nicht direkt neben Reto siedeln lassen, weil sonst Streit absehbar war? Um Rainfried machte er sich weniger Sorgen – der wirkte tüchtig und würde sich schon mit den anderen zurechtfinden. Ein Fragezeichen war Grimm Goldmund von Koschtal. Wie würde dieser sich verhalten? Sollte er nicht mehr eintreffen, bevor die Besichtigung der Siedlungsplätze begann – würde er sich damit abfinden, das zu nehmen, was übrig blieb?<br>Vogt Morwalds Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen, seine Augenbrauen formten den traurigen Blick eines dicken Hundes.<br>„Um offen zu sein, werter Ritter vom Kargen Land: das hiesige Volk kennt wohl zu jedem Stein und jedem Busch eine eigene Geschichte. Das scheint nicht auszubleiben, wenn man über Generationen an einem Sumpf aus den Magierkriegen haust. Ein Grund mehr, dies endlich zu beenden.<br>So gibt es auch zu Narehals Wald die eine oder andere Mär von [[wikav:Einhorn|Einhörnern]], [[wikav:Waldschrat|Baumschraten]] und dergleichen. Wahrscheinlich auch vom Birkenhain, wenngleich ich dazu erstaunlicherweise noch keine kenne. ... doch undurchquerbar sind beide Gehölze sicher nicht. Überhaupt verweise ich das Geschwätz in die Welt des Aberglaubens. Umso offener stimme ich dem Vorschlag des Herren von Borking zu, dass wir den Abend mit einem Essen ausklingen und uns zur Ruhe begeben sollten – damit wir uns ab morgen früh ein eigenes Bild von der Lage machen können. Fernab von Vorurteilen und Aberglaube.“<br>Als Devota schon losgehen wollte, um das Abendmahl aufzutischen, gebot Gerling ihr, noch einen Moment einzuhalten.<br>„Einen abschließenden Punkt, der die versammelte Ritterschaft sicher noch interessieren wird, wollte ich zuvor zumindest noch angesprochen haben... die fürstliche Hilfe für den Aufbau. Seine Durchlaucht gewährt jedem für seine Neusiedlung folgende großzügige Hilfen.“<br>Gerling entrollte ein Pergament und begann zu lesen.<br><br>'''„Punkt Eins: Fürst Blasius vom Eberstamm finanziert die Errichtung eines Schreines zu Ehren einer der Zwölfe, auf dass die neue Siedlung unter gutem Schutze stehe. Die Wahl der Gottheit sei jedem Ritter freigestellt. '''<br>'''Punkt Zwei: Weiterhin gewährt der Fürst eine Wagenladung besten [[Angbar]]er Werkzeuges und jeweils drei Wagenladungen Stein aus [[Fürstenhort]]er Brüchen für die Fundamente. Darunter ein Grundstein mit dem fürstlichen Wappen als Zeichen, dass diese Siedlung unter fürstlichem Schirm stehe.'''<br>'''Punkt Drei: Jeder Ritter erhält für seine Siedlung 500 Dukaten, um diese für den Aufbau der Siedlung zu verwenden.'''<br>'''Punkt Vier: Der Fürst gewährt den Rittern das Recht, ihrer Siedlung und damit ihrem Lehen einen ehrbaren Namen zu geben und diesen Namen dann auch selbst im Zusammenklange mit dem Rittertitel zu tragen.'''<br>'''Punkt Fünf: Der Fürst gewährt den Rittern und allen Siedlern, so sie ehrbar sind und nicht unrechtmäßig aus Unfreiheit geflohen sein mögen, auf göttergefällige zwölf Götterläufe vom Momente der ersten Grundsteinlegung des Ortes an die Freiheit von der Kopfsteuer. Die Kaisersteuer übernimmt der Fürst während dieser Zeit in seiner Gnade und Großzügigkeit selbst.'''<br>'''Als Bindeglied zwischen Seiner Durchlaucht, dem Fürsten des Kosch, und der Ritterschaft diene, auf Empfehlung von Graf [[Growin Sohn des Gorbosch]], der Vogt von Moorbrück, Morwald Gerling. Er verwalte und behüte die fürstlichen Gaben und vermittle mit den ehrbaren koscher Handelshäusern. '''<br>'''Verfasst und gesiegelt im Namen von Blasius vom Eberstamm, Fürst von Kosch. [[Devota Lichterlohe]], fürstliche Hofsecretaria“ '''<br><br>Boromil war mit den Ausführen Morwalds bezüglich der Standorte zufrieden. Aberglauben konnte jemanden aus seiner Familie nun gar nicht beeindrucken. Dann wäre tatsächlich Standort V ein Kandidat, den er besonders prüfen müsste. Selbst wenn der etwas ungestüme Edelbrecht von Borking an Position VI siedeln würde - das wäre kein Argument dagegen, im Gegenteil: Siedlungsplatz VI lag relativ weit von den anderen entfernt, der nächste Neusiedler würde er, Boromil, werden - womit eben der ungünstig erscheinende Fall ausgeschlossen würde, dass Reto von Tarnelfurt und Edelbrecht von Borking direkte Nachbarn würden.<br>Und was nun dessen Abneigung gegenüber Magie betraf: Es hatte aus Erfahrung keinen Zweck, mit verschlossenen Leuten zu diskutieren. Außerdem würden nun Taten zählen, und der junge Herr machte nun wirklich nicht den Eindruck, am liebsten den ganzen Tag faul herumzusitzen. Boromil begann, sich weitere Vorteile dieser Aufteilung vor Augen zu halten: Von Borking wirkte entschlossen und trotzig. Das könnte einem Ritter, der von den anderen entfernt siedelte, sogar zugute kommen - es würde viel Willenskraft bedürfen. Einen besseren Schwertkämpfer als ihn selbst in unmittelbarer Nachbarschaft zu haben, war ohnehin nicht verkehrt.<br>Direkt nachdem der Vogt geendet hatte, sprang Reto auf.<br>„Verzeiht, Vogt Gerling, aber ich würde zu zwei eurer fünf Punkten gerne noch ein paar Fragen stellen, ihr gestattet dies doch sicherlich?“<br>Reto fuhr jedoch, ohne auf eine Antwort zu warten, fort.<br>“Die unter Punkt zwei genannten Güter werden doch sicherlich vom Fürstlichen Fuhrpark angeliefert, denn wer verfügt schon über vier Fuhrwerke. Wie werden wir die unter Punkt drei genannten Dukaten ausgehändigt bekommen? Bar, [[wikav:Nordlandbank|Nordlandbank]]-Schuldscheine, Gutschriften für Fürstliche Lieferanten? Ich hoffe, ich habe mich kurz genug gefasst, nicht dass unser Essen kalt wird.“<br>Reto setzte sich wieder mit einer leichten, demütig wirkenden Verbeugung in Richtung Gerling.<br>„Nun, dann will auch ich mich so kurz wie möglich fassen und Eure berechtigen Fragen beantworten... Zum einen werden die Wagenladungen selbstverständlich in fürstlichem Auftrag geliefert – wir erwarten die ersten in etwa einer Woche. Die Dukaten lagern derzeit in fürstlicher Obhut ... inwieweit es nötig sein wird, diese wertvolle Fracht in Teilen hierher zu transportieren, wird im Einzelfall zu klären sein. Ich vermute jedoch, dass man mit Waren oder Mannen deutlich mehr anfangen kann als mit Gold – hier im Sumpf. Daher haben verschiedene Handelshäuser – etwa die [[Familie Neisbeck|Neisbecks]] aus [[Ferdok (Stadt)|Ferdok]] und die [[Haus Stippwitz|Stippwitzens]] aus [[Angbar]] – bereits angeboten, unser Vorhaben zu unterstützen“, der Vogt grinste verschmitzt und beugte sich etwas nach vorne, als er etwas leiser hinzufügte, „das Händlervolk hat erstaunlich schnell vom fürstlichen Plan erfahren und reißt sich regelrecht darum, mit uns Geschäfte zu machen. Sie unterbieten sich gegenseitig – und das soll nicht unser Nachteil sein. Ich kenne diese Leute und werde mein möglichstes tun, um gute Preise zu erhandeln. Sie werden die Bezahlung zudem direkt beim Fürsten abholen, wenn es nicht ausdrücklich anders gewünscht wird. Das erscheint mir eine einfache und kluge Lösung zu sein. Unsere Leute werden wir für andere Dinge besser brauchen können als zum Bewachen von Schätzen“, führte der Vogt aus, blinzelte verschwörerisch und wies Devota nun endlich an das Abendmahl aufzutragen.<br>Während Reto seine Fragen stellte, versank Roban Grobhand bereits in tiefes Grübeln. Die Wahl des Standortes war ihm nahezu gleich – jeder der Orte würde seine Vorteile und Widrigkeiten haben, ein Stück Land mitten im Morast. Mehr Kopfzerbrechen bereitete ihm der Name – nicht zu hochtrabend, nicht zu anmaßend, einfach und passend. Namen wie Rondrasfelden, Grobhandsheim oder Schlammenberg hatte er bereits als unpassend verworfen. Noch mehr Kopfschmerzen machte ihm aber die Finanzen. Das Rechnen hatte er zwar erlernt, aber niemals wirklich beherrscht, und er hasste die Zahlendreherei, mit der wohl mancher Pfeffersack einen anständigen Rittersmann hinters Licht führen konnte.<br>Beinahe neidisch warf er einen Seitenblick auf Boromil vom Kargen Land, der eher ein Mann des Geistes zu sein schien und garantiert auch mit Zahlen und Steuerlisten umgehen konnte. Er würde dringend noch einmal nach Hause schreiben und seinen Vater um einen ehrlichen und zuverlässigen Verwalter beknien müssen – die kommenden Wochen würde er wohl viel schreiben und reisen müssen.<br>Die blonde Dienerin riss Roban aus seinen Gedanken, als sie ihm ein Brett mit Brot, [[Schetzeneck]]er Käse und Räucherwurst auftischte. Ihr etwas trauriger Blick wollte nicht zu den Köstlichkeiten passen, die sie darbot. Schließlich goss sie etwas [[Ferdoker Bier|Ferdoker]] aus einer großen Kanne in seinen Kelch. Diese Prozedur wiederholte sie nach und nach bei allen Anwesenden.<br>Der Ritter vom Kargen Land schaute nachdenklich der Dienerin hinterher. Was sie wohl hatte, dass sie so traurig schaute? Er kam jedoch nicht dazu, sie zu fragen, denn dann nutzte Morwald Gerling die Gelegenheit, um mit vollem Kelch erneut auf den Erfolg der gemeinsamen Unternehmung anzustoßen. Nun machten sich alle über die deftigen Köstlichkeiten her. Ein solides Mahl, wie es sich ein echter Koscher nur wünschen konnte. Eine Weile aßen alle schweigend und hingen ihren eigenen Gedanken nach.<br>Die Erläuterungen des Vogtes zur Hilfe des Fürsten hatten Boromil nicht allzu sehr in Erstaunen gebracht. Das hatte ihm Gerling schließlich schon persönlich unterbreitet, als er [[Valpos Horn]], das Gut seiner Familie am [[Angbarer See]], besucht hatte. Allerdings rief ihm das eine andere Frage ins Gedächtnis, die er seinen Mitstreitern nun beim Essen stellen wollte.<br>„Ich habe noch eine Frage und einen Vorschlag, den ich an die anwesenden Ritter richten möchte. Wisst Ihr schon, welcher Gottheit Ihr Euren Schrein weihen wollt? Bei Euch, Rainfried, wird es wohl Rahja sein, während Ihr, Reto, anbetracht Eurer Begleitung Peraine wählen werdet. Was haltet Ihr von dem Vorschlag, jeweils einen anderen der Zwölfgötter auszuwählen, damit möglichst viele von ihnen im Sumpf einen besonderen Ort der Verehrung bekommen?“<br>„Nun werter Boromil, ich erlaube mir mal euch mit eurem Vornamen anzusprechen, so wie ihr es tatet, ihr habt Recht ich hätte auch einen Perainetempel errichten lassen, wenn der Fürst nicht dafür aufgekommen wäre.“<br>Reto richtet den Blick zu Morwald.<br>“Richtet dafür dem Fürst meinen untertänlichsten Dank aus, werter Vogt.“<br>Morwald nickte stumm, während er einen großen Bissen Käse zu sich nahm. Reto wandte sich wieder Boromil zu.<br>„Doch ich denke, es sollte keine Verhandlungssache sein, welchem der Zwölfe man ein Obdach errichtet. Dies muss jeder für sich selbst und nach seinem Herzen entscheiden. Wir für unseren Teil würden es begrüßen, wenn man sich für einen [[Tsa]]- und [[Travia]]-Tempel entscheiden könnte. Ich habe nämlich bereits weiter reichende Pläne, welche die Errichtung eines Klosters betreffen, was natürlich mit drei Gründern einfacher vonstatten gehen könnte.“<br>Reto wandte sich Gerling zu.<br>„Es wurde doch in den letzten Jahren kein Kloster „[[Dreischwesternorden|der drei Schwestern]]“ oder zu Ehren Peraines in der näheren Umgebung gegründet, euer Gnaden? Nicht, dass ich hier falsch informiert bin. Außerdem eine weise Entscheidung, das Geld beim Fürsten zu belassen und sich von den Kaufleuten schon mal Angebote machen zu lassen. Ich hoffe, Pferdezüchter und Wagenmacher haben sich angeboten beziehungsweise hoffentlich auch schon unterboten.“<br>Mit einem phexischen Lächeln nahm Reto einen Schluck des kühlen Gerstensaftes.<br>„Die einzige Niederlassung des Dreischwesterordens befindet sich, soweit ich informiert bin, in [[Gôrmel]], unweit von Ritter Boromils Heimat [[Valpurg]]. Dort hingegen ist der gesamte Ort dem Kloster Untertan und dient einzig dazu, es zu ernähren. Ich nehme an, dass ich Euch richtig verstehe, dass Ihr klein mit einem Schrein oder kleinen Tempel anfangen wollt und das Vorhaben gemeinsam mit der Siedlung wachsen lasst. Eine Klostergründung ist ein teures Wagnis und braucht eine gute Grundlage oder wohlwollende Gönner. Vor allem erfordert es Verzicht, denn was dem Kloster als Eigenland gegeben wird, kann schon nicht Eures und der Siedler sein. Ich bewundere jeden um seine Frömmigkeit, der dies tut – doch verstehe gleichwohl jeden, der zunächst an den Aufbau der eigenen Domäne denkt“, gab Gerling zur Antwort. Er fragte sich, ob alle Ritter bemerkt hatten, dass in der Urkunde des Fürsten ausdrücklich von einem Schrein die Rede war ... nicht von einem Tempel mit Geweihtenunterkunft oder gar einem Kloster mit mehreren, vielleicht gar einem Dutzend Geweihten. Wer gleich zu Beginn mehr als einen Schrein sein Eigen nennen wollte, würde die Mehrkosten selbst tragen müssen.<br>Edelbrecht verdrehte angesichts der Worte Tarnelfurts belustigt die Augen und ließ sich zwischen zwei Brotscheiben, die er sich rasch einverleibt hatte, vernehmen: „Wo des Handwerkers Wille Gerüste zimmert und der Maurer seine Kelle schwingt, um einen Neuanfang in diesem Sumpf zu wagen und die Grundsteine für eine neue Siedlung zu legen, da darf der Schutz INGERIMMS nicht fehlen und so, werter Boromil, seid versichert, dass ich mir mit der ersten Kolonne aus Waldwacht einen ANGROSCHgeweihten kommen lassen werde, obgleich mir, wie ich gerne an dieser Stelle eingestehe, an dem Schutz des Schutzgottes unserer Familie – [[Firun|FIRUN]] – ebenfalls äußerst gelegen wäre. In der Tat finde ich es – anders als Wohlgeboren von Tarnelfurt – durchaus einleuchtend, was ihr über den verstärkten Schutz der Götter sagtet. Neben FIRUN und INGERIMM sollten daher früher oder später auch PRAIOS und [[Rondra|RONDRA]] Einzug in meinem neuen Lehen halten.“<br>Mit einem selbstzufriedenen Gähnen beendete der junge Borking seine Rede und streckte sich der Tischplatte entgegen, um eine weitere Brotscheibe zu erhaschen.<br>„Verzeiht, dass ich mich zu Wort melde“, Bruder Perainfried sah schon während der Klosterpläne des Tarnelfurters so aus, als würde er sich gerne zu Wort melden – nun konnte er seine Sorgen nicht mehr innehalten, „ich will Euren frommen Eifer wahrlich nicht bremsen, denn jede der unteilbaren Zwölfe hat ihren Tempel oder gar ihr Kloster verdient. Doch es hat sich in der Vergangenheit als ratsam erwiesen, ein Werk – in diesem Fall eine neue Siedlung – jeweils EINEM der Zwölfe anzuvertrauen. Die [[Vieska von Wengenholm|Heilige Vieska]] soll einmal gesagt haben: »Die zwölfgöttlichen Geschwister sind gütig und allweise, doch manchmal neiden sie einander und zanken wie [[Wengenholm|wengenholmer]] Waldbauernbrüder.« ... es gibt gute Gründe, warum in kleinen Orten oft kein Tempel oder höchstens ein einzelner Tempel steht – und jedes Götterhaus stets nur einem der Zwölfe geweiht wird. Zumal ich mich frage, ob der Tempelzehnt oder das Eigenland des Tempels einer neu gegründeten Siedlung mehr als einen Geweihten ernähren können wird.“<br>„Wenn dem so ist, Herr von Borking“, schmatzte Roban vernehmlich, als speise er nicht an einer herrschaftlichen Tafel sondern, im Stall bei den Pferdeknechten, „dann werde ich meinen Schrein der alveranischen Leuin weihen lassen. Auch wenn ich bei so manchem der Zwölfe noch Schulden offen habe – immerhin bin ich gesund und bei klarem Verstand heimgekehrt -, so will ich doch zuvorderst Rondra um jenen Schutz bitten, den sie mir an der Grenze zu den Schwarzen Landen so manches Mal gewährt hat. Und wenn wir uns auf die verschiedenen Tugenden der Götter besinnen, so soll es doch mit dem Namenlosen zugehen, wenn wir keinen Erfolg haben sollten!“<br>Er spülte den letzten Bissen mit dem Rest Bier hinab und schien Devota nach Nachschub winken zu wollen, als er den betrübten Blick der Bediensteten bemerkte. Mit einem unbehaglichen Räuspern stellte er den Krug so leise ab, als könne das kleinste Geräusch schon zu laut sein.<br>Boromil hatte den Ausführungen der anderen aufmerksam zugehört und manches Mal genickt. Damit wären es also voraussichtlich Peraine, Rahja, Ingerimm und Rondra. Bis jetzt erschien ihm dies als eine sehr gute Wahl, zumal drei Götter dabei waren, die bei den bodenständigen Koschern sehr geschätzt wurden. So blieben denn, sofern man wirklich sechs verschiedenen Göttern einen Schrein errichten wollte, zwei aus acht auszusuchen.<br>Der junge von Borking hatte angesprochen, was Boromil ebenfalls bereits bedacht hatte und was ihn überhaupt erst so lange hatte grübeln lassen. Natürlich wäre der Hausgott der Familie naheliegend - was jedoch, wenn die einfachen Leute lieber an eine freundlichere Gottheit als Firun - wie beim Ritter von Borking - ihr Gebet richten wollten?<br>[[Hesinde]]s Name wurde in seiner Familie hochgehalten, doch war die Göttin der Magie nicht gerade beim normalen Volk im Kosch beliebt. Sollten zudem noch Zwerge zu Hilfe geholt oder gar als Siedler angeworben werden, so würde eine Gottheit mit einer Schlange als Tier mitunter Probleme bereiten.<br>Deswegen war auch Tsa als Göttin des Neuanfangs, was ja durchaus sympathisch war und bei einer Neusiedlung passen würde, zwiespältig zu sehen: Eine Eidechse galt ebenso als Verwandte der [[Drachen]], der uralten Feinde der Angroschim.<br>Praios schied für ihn persönlich aus. Der Götterfürst war kein Freund der Magie. Vielleicht wäre der Gott der Gerechtigkeit und der Sonne jedoch der Favorit von Grimm Goldmund von Koschtal. Zu schade, dass dieser bisher nicht erschienen war, was hätte man nicht alles bereits bereden können! <br>Boron war - ähnlich wie Firun - vielleicht zu grimmig an einem Ort wie dem Sumpf.<br>[[Efferd]] als Gott des Wassers und des Regens wäre sicherlich den Bauern zu vermitteln. Zudem könnte sein Segen helfen, leichter Trinkwasser zu finden und die Moorgewässer in Seen umzuwandeln. Da im Kosch [[Hügelzwerge]] sogar mit Boten über den [[Angbarer See]] fuhren, würde man diese Angroschim, falls man sie als Siedler gewänne, nicht mit dieser Wahl befremden.<br>Phex, der Gott des Glücks und des Handels, würde gleich zwei Aspekte befriedigen. Glück konnte er, Boromil, nur allzu gut gebrauchen, und ehrbarer Handel wäre notwendig, um die Neusiedlung zu einem Ort zu machen, der von fahrenden Händlern aufgesucht würde.<br>Die gütige Mutter Travia schließlich, Göttin des Herdfeuers, erschien ihm besonders naheliegend. Jeder schätzte sie im Kosch; die Neusiedler würden sicherlich oft um die Gnade einer sicheren Heimstatt bitten. Aber vielleicht wäre genau das ein Grund für Grimm Goldmund von Koschtal, sie zu wählen. Es bliebe also abzuwarten, was er sagen würde!<br>Leider würde das Geld am Anfang wohl kaum reichen, um gleich mehrere Schreine oder gar einen ganzen Tempel zu errichten, da hatte Bruder Perainfried wohl völlig recht. Selbst die größten Städte Aventuriens hatten nicht für alle Zwölfgötter ein geweihtes Haus.<br>Rainfried aß in der Zwischenzeit schweigend das Brot, den Käse und die Wurst, die ihm dargereicht wurden, sein Blick über die Versammlung schweifend, nur beiläufig der Diskussion, welchen der Zwölfe man wohl wählen sollte, lauschend. Wohl wissend, dass sein Lehen in den guten Händen der schönen Göttin und ihrer Dienerin Madalein sein würde, und was die Finanzen betraf, konnte kaum jemand seiner Großmutter Brodlind den [[wikav:Yaquir|Yaquir]] abgraben. Sie hatte über Jahre das wenige Geld vortrefflich verwaltet. Wenn jemand einen guten Preis aushandeln konnte für das Notwendigste, dann sie.<br>Nachdenklich blieb sein Blick an der Bediensteten des Vogtes hängen. Was wohl der Grund für ihre Bedrückung war? Ein Blick zu Madalein und ihr Nicken zeigten ihm, dass auch sie es bemerkt hatte.<br>„Verzeiht, gute Frau“, sein Blick fixierte die Augen Devotas, „aber ihr wirkt schwermütig. Wäre es vermessen, zu fragen, was der Grund dafür ist?“<br>Devota zuckte kurz ob des Angesprochenwerdens zusammen, blickte kurz, als wäre sie bei einer Schandtat ertappt worden, und bemühte sich, ein Lächeln aufzusetzen, das jedoch keineswegs überzeugend wirkte.<br>„Es ist nichts, Wohlgeboren! Verzeiht!“, auf ihren blassen Wangen bildeten sich rosige Flecken während sie sich wenig überzeugend bemühte, fortan eine hellere Mine zu zeigen und sich etwas in den Hintergrund der Tafel zurückzog.<br>Nachdem er sich etwa ein Dutzend satt belegte Brotscheiben einverleibt hatte, streckte Edelbrecht sich noch einmal und stand auf.<br>„Nun denn, wenn es nichts von allgemeinen Interesse mehr zu besprechen gibt, so würde ich mich gern zurückziehen. Der Ritt von [[Borking]] bis hierhin war alles andere als komfortabel und immerhin werden auf uns morgen schon gewaltige Aufgaben warten, wenn ich mich nicht irre. Meine Herren, ich wünsche allerseits noch einen schönen Abend!“<br>Dann verbeugte er sich – vor allem ehrerbietig gegenüber Boromil und Roban, wohingegen seine Gunstbezeugungen gegenüber Vogt Gerling und den anderen deutlich knapper ausfiel – und deutete Devota an, ihm zu folgen.<br>Als sie die Saaltür hinter sich schloss, ergriff der Jüngling ein weiteres Mal das Wort.<br>„Wohlan, möge sie mir mein Quartier zeigen. Auf dem Weg schütte sie ihr Herz aus und erzähle, warum sie derart betrübte Mine zeigte, während die anderen Anwesenden auf eine so großartige Unternehmung anstießen. Ist Euch etwas Unschönes widerfahren, war einer der Herren grob zu Euch oder vermisst Ihr etwas? Zu mir könnt ihr, gänzlich ohne die wachsamen Augen und Ohren des Vogtes offen sprechen – ist es etwa er, der Euch die Tränen in die hübschen Augen getrieben hat?“<br>„Es ist alles meine Schuld...“, sprach sie und schilderte dem Borkinger den Grund ihrer Anwesenheit im von ihr offenbar ungeliebten Moorbrück.<br>Roban hatte den Abschied des Ritters von Borking mit hochgezogenen Augenbrauen quittiert. Sicher, ihn und den Herrn Edelbrecht verbanden wohl einige Dinge, andererseits war er noch nicht schlüssig, ob er allzu engen Kontakt mit dem bärengleichen Recken wirklich wünschte. Allzu offen war zutage getreten, dass dieser gegenüber dem Vogt eine offene Aversion hegte. Derlei Zank war aber nicht gerade das, was Roban unter einem gemeinsamen Vorgehen verstand – und genau das würden sie, ebenso wie den Beistand der Götter, bitter nötig haben, wollte man dem Moorbrücker Sumpf mit Erfolg zu Leibe rücken.<br>„Sagt, Vogt“, meinte er schließlich, nachdem sich die Tür hinter von Borking und Devota geschlossen hatte, „ist Eurer Dienerin unwohl, oder plagt sie möglicherweise eine Sorge? Man könnte fast meinen, dass sie sich um einen von uns sorgt – oder gar um uns alle!“<br>Vogt Gerling schmunzelte.<br>„Die gute trauert wohl ihrem guten Leben am Fürstenhof nach. Bis vor wenigen Wochen war sie Hofschreiberin unseres geliebten Fürsten Blasius“, er nahm den fragenden Blick Robans wahr und wurde deutlicher, „vielleicht ist dem einen oder anderen das Datum auf der Urkunde aufgefallen, mit der Ihr in den Ritterstand von Moorbrück erhoben wurdet. Bei allzu vielen stand dort irgendwas mit [[1029]] nach [[wikav:Bosparan|Bosparans]] Fall... und das mitten im Jahr 1032. Die Gute hatte offenbar zuvor den einen oder anderen Weinkelch zuviel ausgeleert und die Urkunden kurzerhand falsch datiert.“<br>Gerling prustete los, sein Bierkelch schwappte etwas über.<br>„Bemerkt wurde es erst, als die Urkunden Euch schon übergeben worden waren. Freilich peinlich für eine Schreiberin ... der [[Jast Gorsam vom Großen Fluss|Herzog der Nordmarken]] hätte sie wahrscheinlich irgendwo auf den Zinnen seiner Burg aufspießen lassen oder in den Graben geworfen. Doch Seine Durchlaucht ist für seine Milde bekannt und hat sie lediglich aus ihrem Amt verwiesen und bestimmt, dass sie sich als Wiedergutmachung hier in Moorbrück nützlich machen solle. Nun steht sie in meinen Diensten und geht mir zur Hand.“<br>Am Rande gab Reto von Tarnelfurt derweil dem Perainegeweihten eine Antwort auf seine fast verklungene Frage.<br>„Nun werter Perainfried, ihr könnt euch sicher sein, dass genug der Neusiedler ihren Frondienst für euch und euren Tempel verrichten werden. Ich dachte, dass hätte ich auch euch gegenüber erwähnt oder war es doch nur seine Eminenz, dem ich dies versichert habe? Wenn niemand mehr noch etwas einbringen möchte was uns alle betrifft, dann würde auch ich mich freuen, meine Unterkunft zugewiesen zu bekommen. Habt Dank für das zünftige und reichliche Mahl, mein Lehnsherr, und ich wünsche allen einen geschützten, erholsamen und erholsamen Schlaf.“<br>Reto und seine Begleiter zogen sich dann zurück. Rainfried erhob sich erneut von seinem Platz.<br>„Lamentabel, dass sich die werten Ritter bereits so zeitig in [[wikav:Bishdariel|Bishdariels]] Schwingen begeben. Eigentlich wäre mir noch nach etwas Musik, um den Tag ausklingen zu lassen.“<br>Er wandte sich dem Vogt zu.<br>„Wenn ihr gestattet, Hochgeboren? Gonzalo ist ein Virtuose auf der [[wikav:Vihuela|Vihuela]]. Es wäre doch schade, das gute Instrument bei der Nässe auf dem Fuhrwagen zu belassen.“<br>Der Vogt nickte Rainfried zu mit den Worten „Etwas Zerstreuung vor der Nachtruhe kann nicht schaden.“<br>Auf eine kurze Bestätigung des sich wieder setzenden Rainfrieds eilte Gonzalo nach draußen, bemerkte dabei den Ritter von Borking und Devota, und so diskret wie möglich ging er zum Wagen, holte die schlankhalsige Vihuela und eine Schellentrommel und beeilte sich, um bei dem stärker gewordenen Regen so schnell wie möglich zurück in den Saal zu kommen.<br>Er übergab die Schellentrommel an die Rahjageweihte und setzte sich nach Aufforderung des Vogtes auf einen Stuhl nahe des Kamins und begann zu spielen. Eine leise, melancholische Melodie erfüllte den Raum. Eine Melodie, die von Wehmut, von verlorener Heimat erzählte. Dem Gefühl, alleine in der Fremde zu sein.<br>Madalein erhob sich und begann mit geschlossenen Augen zur Musik zu tanzen und mit der Schellentrommel den Takt vorzugeben. Ihre Bewegungen waren geschmeidig, in Perfektion auf die Musik eingestimmt, gleich einer Visualisierung der einzelnen Töne. Und das Gefühl wurde durch sie noch weiter verstärkt. Gonzalo spielte lauter, den Rhythmus schneller. Und die Verzweiflung, die aus dem Tanz und der Melodie herausklang, immer intensiver. Immer fordernder, immer durchdringender.<br>Als die Musik endete, klang der letzte Ton der Vihuela noch lange nach. Niemand wollte etwas sagen. Jeder hing seinen zutiefst eigenen, traurigen Gedanken nach. Der Grimsauer erhob sich.<br>„Ich wünsche den Anwesenden noch eine angenehme Nacht. Ich werde mich ebenfalls zurückziehen.“<br>Seine Stimme war zitternd. Mit einem letzten Blick zu der noch immer mit geschlossenen Augen dastehenden Madalein und danach zum Vogt drehte sich Rainfried um, und verließ den Saal.<br>So sehr sich Rainfried auch bemüht hatte, es zu verbergen, dem Vogt waren die Tränen in den Augen des Grimsauers nicht entgangen. Und dessen Blick, der zuvor Madalein zugedacht war, hatte von innigster Zuneigung gesprochen… und tiefstem Verlust.<br>Falls es in der Absicht der Rahja-Geweihten gelegen hatte, starke Gefühle bei Boromil zu erzeugen, so hatte sie vollen Erfolg gehabt. Allerdings war er nicht angenehm ergriffen oder berauscht vom Tanz der Schönen und der wahrlich beeindruckenden Musik, sondern fühlte sich wieder besonders daran erinnert, dass er allein war und keine Gefährtin an seiner Seite wusste, mit der er sich die trübsinnigen Gedanken vertreiben konnte. Sein älterer Bruder, der Strahlemann, hatte selbstverständlich keine Probleme dieser Art - Erbe des Hauses, verheiratet, mehrere Kinder...<br>Die traurige Weise bedrückte Boromil noch zusätzlich. So etwas wurde aus gutem Grund selten gespielt auf Valpos Horn, denn die Umgebung war bereits düster genug. Moorbrück war in dieser Hinsicht nicht gerade besser.<br>Allmählich begann sich der Ritter vom Kargen Land über sich selbst zu ärgern. Da brachte Rainfried von Grimsau eine Rahja-Geweihte aus Almada mit, und Boromil hatte nichts besseres zu tun, als die hervorragende Darbietung mit solchen Gedanken zu quittieren! Er sollte froh sein, solche Kunst präsentiert zu bekommen, noch dazu hier, wo die Menschen jede Art von Zerstreuung bitter nötig hatten!<br>Es musste am Alkohol liegen, von dem er noch nie viel vertragen hatte, dass er diesen doch recht vielversprechenden Tag beinahe mit so einer Stimmung beendet hätte. Aber natürlich, erst der Gewürzwein, dann das Bier, das konnte ja nicht gutgehen! Diese Misslaune hatte er sich selbst zuzuschreiben. Daher wäre es wohl an der Zeit, sich ebenfalls zurückzuziehen. Hieß es nicht, der Morgen sei klüger als der Abend?<br>Für gewöhnlich folgte er diesem Gebot nicht, da er ohne Probleme bis spät in die Nacht lesen konnte. Doch der nächste Tag würde seine Aufmerksamkeit verlangen. Nicht nur galt es sein Pferd sicher durch den Sumpf zu lenken, auch waren die sechs Siedlungsplätze genauestens zu besichtigen.<br>„Mit Verlaub, werte Anwesende, es ist schon spät, und morgen wollen wir alle in den Sumpf. Boron schenke Euch einen erholsamen Schlaf und angenehme Träume!“<br>Mit diesen Worten ging Boromil vom Kargen Land hinaus.<br><br>Als Devota ihre Erzählung mit tränenerstickter Stimme zu Ende und Edelbrecht in sein Quartier gebracht hatte, in dem bereits ein gemütliches Kaminfeuer prasselte, schüttelte der junge Borking den Kopf.<br>„Ich erinnere mich, auch meine Urkunde war auf das Jahr 1029 BF datiert, und wenn schon…“<br>Edelbrecht hielt kurz inne und überlegte. Schon immer hatte er ein Ohr für das „gewöhnliche Volk“ gehabt, anders als sein Vater oder etwa sein jüngerer Bruder, von [[Gerbald von Borking|Gerbald]], dem künftigen Stammhalter des Hauses Borking, ganz zu schweigen. Ihn verwunderte es nicht, dass eine junge Frau in der Blüte ihrer Jahre stehend keine große Neigung verspürte, auf Burg Birkendamm an der Seite Vogt Gerlings aushalten zu müssen.<br>Er betrachtete die junge Frau aufmerksam und verspürte eine tiefe Neigung ihr behilflich zu sein.<br>„Na, na, ich bitte Euch, wer wird denn gleich weinen?“ versuchte er ein wenig hilflos, sie zu trösten.<br>„Nun trocknet schon eure Tränen, sie wollen so gar nicht zu euren bezaubernden blauen Augen passen. Schaut mich einmal an – schaut her, es wird sich schon alles richten lassen; ich verspreche es euch. Gleich morgen werde ich mich an den Vogt wenden. Ich habe Euch zwar auch keinen Fürstenhof zu bieten, soviel ist schon einmal gewiss – nichts desto weniger würde ich Eure Hilfe gern in Anspruch nehmen, wenn ihr es euch gefallen lasst, so dass ihr Birkendamm verlassen könnt. Eine fleißige Schreiberin könnte ich an meiner neuen Wirkungsstätte durchaus gut gebrauchen und wir können gegebenenfalls in den Schreiben die Daten wegfallen lassen.“<br>Devotas Mundwinkel, die sich ob der aufmunternden Worte des Adeligen ein wenig aufgerichtet hatten, zogen sich erneut nach unten und während ihre Lippen bebten, konnte sie nur mühsam neue Tränen zurückhalten.<br>„Halt, nein, bitte, es war doch nur ein Scherz, verzeiht mir“, warf Edelbrecht ein, als er sah, was er mit seinen unbedarften Worten angerichtet hatte und um Devota abzulenken, bat er sie, jetzt gleich noch einen Brief für ihn zu schreiben.<br>Geraume Zeit später hatte die Schreiberin die Gedanken des Ritters zu Papier gebracht und Edelbrecht hatte das Kuvert versiegelt, so dass der Brief am nächsten Morgen direkt nach [[Tosch Mur|Waldwacht]] abgehen konnte. Nun schlummerte die Dienerin, dicht an den jungen Borking geschmiegt, auf seinem Nachtlager. Edelbrecht lag auf dem Rücken und starrte an die Zimmerdecke, während das Feuer im Kamin allmählich runterbrannte. Gleich morgen würde er sich den Vogt zur Brust nehmen, Devota zu sich holen, Standort VI belegen und… und…<br>Endlich fielen auch ihm die Augen zu und er fiel in einen tiefen glücklichen Schlaf.
 
<br>Der Vogt erklärte: „Wir befinden uns etwas nordöstlich von [[Grantelweiher]]. Gemeinsam mit Kundigen des Sumpfes wurden nach langen Beratungen sechs Orte am Rand des Moorgebietes ausfindig gemacht, die für eine Siedlung tauglich sein sollten. Wir haben sie mit den Zahlen markiert. Wir umzingeln gewissermaßen den Sumpf und legen ihn von seinen Rändern her nach und nach trocken. Ich schlage vor, dass wir diese Standorte der Reihe nach selbst in Augenschein nehmen. Vor Ort können wir auch entscheiden, wer sich für den jeweiligen Standort entscheidet.“<br>Der Vogt wartete einen Moment auf Zustimmung oder Gegenvorschläge.<br>„Beeindruckend eurer Gnaden, ich finde ihr leistet bis heute hervorragend Arbeit, es würde mich glücklich stimmen, wenn wir auch weiterhin auf euch zählen können. Auch wenn die Karte nur einen groben Überblick gewährt, so scheinen mir die Siedlungsplätze III und noch mehr VI doch etwas fragwürdig. Verzeiht, aber sie liegen recht weit von Waldgebiet entfernt, und Holz wird unser wichtigstes Baumaterial sein. Oder ist mir auf der Karte etwas entgangen, was für diese Siedlungsplätze spricht?“<br>Der Vogt antwortete lächelnd.<br>„Nun, Nummer VI befindet sich zwischen [[Dunkelwald]] und [[Narehals Wald]] – da sollte es doch möglich sein, genug Holz zu schlagen, vor allem soll dort Granit gebrochen werden können – es taugt zwar nicht als Baumaterial, aber auch die Nähe zur Baronie [[Herbonia]] könnte von Vorteil sein, was den Bezug von Wolle, Stoffen und Kräutern angeht. Und was die Nummer III betrifft: Ihr müsst über den Rand der Karte hinaus denken. Dieser kleine Zipfel Wald nordöstlich setzt sich noch weit in die angrenzende Baronie [[Hammerschlag (Baronie)|Hammerschlag]] fort, und auch [[Bragahn]] ist nicht weit. Am Ufer des Flusses [[Warna]] im Süden findet sich zudem etwas Lehm, der zu Ziegeln gebrannt werden könnte, wovon vor allem die Standorte I, II und III profitieren könnten. Insgesamt dürfte jeder der sechs Standorte seinen Vorzug haben, vielleicht auch seine Tücken ... doch all das werden wir am besten vor Ort erkennen können. Ich denke, dass die kundigen Leute, neben Beratern am Grafenhof unter anderem unser Freund Bolzer Spatenschwingh, den ihr ja schon kennenlernen konntet, gute Arbeit bei der Standortsuche geleistet haben. Manchmal täuscht der erste Eindruck.“<br>Vielleicht wäre Standort III ja etwas für Edelbrecht von Borking, dachte Boromil. Er hat ja Freunde bei den Zwergen, da sollte ihm der Kontakt am leichtesten fallen.<br>„Veritas. Ihr habt Recht, Ritter von Tarnelfurt. Diese beiden Orte scheinen auf den ersten Vista schon sehr unpässlich zu liegen. Jedoch wohl von Nöten, soll der Sumpf komplett umschlossen werden.“<br>Rainfried erhob sich wieder von seinem Stuhl, ging zu der Karte auf dem Sims und ließ seinen Blick nachdenklich darüber schweifen, an einer Stelle im speziellen hängenbleibend.<br>„Aber sagt, geschätzter Vogt. Was verbirgt sich hinter diesem Ort [[Nebelhain]] gen [[Firun]] und Rahja von hier?“<br>Sein Finger zeigte auf den zuvor mit den Augen fixierten Blick.<br>„Wer lebt dort?“<br>Sein Blick wanderte zur großen Tafel zurück.<br>„Oder kennt einer der anderen anwesenden Damen und Herren diesen Ort genauer?“<br>Roban schüttelte den Kopf.<br>„Nie gehört – klingt aber sehr nach einer windigen Ecke! Zumindest ist es ein großer Fortschritt, eine Karte zu haben, denn damit lässt sich, sobald wir die ersten Aufgaben auf unseren Ländern erledigt haben, eine Suche besser koordinieren, als wenn man blindlings und, verzeiht den angesichts von Baron Darians Ende etwas unpassenden Ausdruck, kopflos durch den Sumpf irrt. Sofern die Karte verlässlich ist!“<br>Er zog die Brauen hoch, als zweifle er daran, dass die Angaben über den Sumpf selbst den Tatsachen entsprachen – sie waren ohnehin dürftig genug.<br>„Vordringlichstes Problem dürfte ohnehin der Transport der Baumaterialien werden. Ich denke mit leichtem Schauder an den Weg nach Burg Birkendamm – es gleicht einem Wunder, Herr von Grimsau, dass es Euch gelang, ein ganzes Fuhrwerk in einem Stück hier herauf zu bringen. Da wage ich zu bezweifeln, dass die Wege in den Sumpf von besserer Qualität sein werden, falls es dort überhaupt so etwas gibt!“<br>„Verzeiht Vogt, aber bei dem Gelände durch welches das geschlagene Holz transportiert werden muss, sind schon einige Meilen vielleicht zu viel. Ich weiß was, Kaltblüter leisten können, aber sie können keine Bäume über Meilen schleppen. Ich war eh davon ausgegangen, dass wir unsere Siedlungen am Rand und somit noch auf halbwegs festem Untergrund errichten werden, um dann dem Moor Monat um Monat, Jahr um Jahr Land abzutrotzen, zu bepflanzen und zu bebauen. Oder hattet ihr im Sinne, dass wir quasi Pfahldörfer errichten?“<br>Reto betrachte die Karte neben Ritter Rainfried genauer.<br>„Ist die Karte maßstabsgetreu und welchen Maßstab könnte man wohl anlegen für einen Spann Karte?“<br>Dann flüsterte Reto dem Ritter neben sich noch etwas zu, aber so leise, dass es kein anderer im Raum hörte. Der Finger des Grimsauers wanderte kurz über die Karte, um dann erneut auf dem Ort Nebelhain zu verweilen.<br>„Ich kenne mich nicht gut genug in der Kunst der Cartografia aus, um zu beurteilen wie exakt diese Aufsicht ist. Aber bei den Mittel, die unserem Vogt zur Verfügung stehen, würde ich zumindest eine sehr gute Übereinstimmung vermuten.“<br>Vogt Gerling entging das Getuschel des Tarnelfurters durchaus nicht.<br>„Wollt Ihr unsere Runde an Eurer Ergänzung teilhaben lassen, werter Ritter Reto? Vielleicht ist sie von Nutzen für unsere weitere Beratung.“<br>„Vogt, bei allem gebotenen Respekt, aber wenn die Herren etwas für sich besprechen wollen, so sollte keiner von uns sie davon abhalten“, knurrte Roban Grobhand drohend. Mochte der Vogt auch Lehnsherr sein, er war kein Praiostags-Lehrer, der das Getuschel seiner Zöglinge unterbinden musste.<br>„Möglicherweise war die Äußerung gar von privater Natur – die Herren Ritter werden schon selbst entscheiden können, welche Äußerungen für uns von Wert sind und welche nicht!“<br>Er musterte den Vogt eindringlich und verbarg dabei nicht, dass er nicht besonders viel von Leuten mit der Figur eines Angbarer Fleischbällchens hielt.<br>Vogt Gerling musterte Roban einen Moment mit seinen runden Augen, auf seiner Stirn bildete sich eine lange Falte, wendete sich dann jedoch an den Grimsauer.<br>„Es wäre gefährlich, sich blindlinks auf die Karte zu verlassen. Eine völlig genaue Karte des Sumpfes zu erstellen, ist in der Tat leider noch keinem Kartographen gelungen. Für den Gang durch das Moor haben wir die Ortskundigen – Bolzer Spatenschwingh und eure Führerin aus [[Grantelweiher]].“ <br>Die Zeit war inzwischen schon deutlich vorangeschritten, und die Praiosscheibe so tief gesunken, dass Devota bereits einige Kerzenleuchter aufgestellt und die Kerzen daran entzündet hatte, um etwas mehr Licht den Raum erhellen zu lassen. Von draußen hörte man das Prasseln von Tropfen, die auf die Holzdecken und die Laden der Fenster niederregneten. Das Wetter in Moorbrück zeigte sich von seiner gastlichsten Seite. Wenigstens der Nebel würde sich etwas aufgelöst haben.<br>Edelbrecht musste unwillkürlich grinsen, als er die Worte Grobhands vernahm. Sollte es in der Tat noch jemanden geben, den Gerling innerhalb kürzester Zeit mit seinem Verhalten düpiert hatte, so sollte es nicht schwer werden, den „Lehnsherrn“ in einem fort in Frage zu stellen. Eine erstaunliche Leistung stellte diese Karte jedoch auf alle Fälle dar. Noch einmal musterte Edelbrecht alle seine Gefährten.<br>Mit Roban würde ein Auskommen – trotz dessen zwielichtiger Familiengeschichte – wohl am ehesten möglich sein. Auch Ritter Boromil schien ein aufrechter Streiter zu sein, wäre da nur nicht seine Affinität zur Magie gewesen. Nicht schlau wollte er hingegen aus dem Grimsauer werden und über seine Haltung gegenüber dem von Tarnelfurt konnte es wohl keine Zweifel geben.<br>„Wie dem auch sei, meine Herren“, ergriff er das Wort, „angesichts der fortgeschrittenen Tageszeit wäre es von Bedeutung zu erfahren, ob seine Hochgeboren uns noch etwas mitzuteilen gedenkt. Sollte dem nicht so sein, stünde es uns allen gut zu Gesicht, noch etwas zu speisen und zeitig das Nachtlager aufzusuchen, damit wir morgen mit dem ersten Hahnenschrei aufbrechen und die in Frage kommenden Gebiete inspizieren können, wobei ich meine Präferenz gegenüber dem Standort VI nicht verschweigen möchte, denn auch ich halte von Geheimniskrämerei und Kabalen in unserer derzeitigen Situation überhaupt nichts.“<br>Herausfordernd blickte er bei seinen letzten Worten Reto und Rainfried an. Boromil hatte die Karte aufmerksam studiert und war völlig in Gedanken gewesen. Plötzlich unterbrach er die anderen.<br>„[[Narehals Wald]] - was ist das für ein Gehölz? Ist der Wald eher unheimlich oder durchquerbar? Immerhin ist er nach Rohals Schüler benannt. Und wie verhält es sich mit dem [[Birkenhain]]?“<br>Er hatte ein Auge auf Standort V geworfen. Er lag zwar im Vergleich zu den anderen mitten im Sumpf und hatte keinen der Vorteile, die Morwald Gerling soeben genannt hatte, aber Eisenkobers Wacht war nicht weit – sofern man einen Weg direkt durch den Wald nehmen konnte. Das mochte entscheidend sein, wenn man Hilfe bräuchte. Außerdem war er im Gegensatz zu Edelbrecht, der Magie rundaus ablehnte, und Roban, der sie etwas zwiespältig betrachtete, magischem Beistand sehr aufgeschlossen. Seine Familie hatte schon immer ungewöhnlich viele Magier in ihren Reihen, von denen viele Mitglieder der Wächter Rohals geworden waren. Er würde ihnen jedenfalls ein guter Nachbar sein.<br>Was ihn zum nächsten Punkt brachte, den er allerdings nicht offen aussprechen wollte. Eine wichtige Qualität der Standorte war nicht auf der Karte zu sehen. Auch die Aufteilung unter den Rittern war entscheidend. Es hatte sich am heutigen Tag bereits herauskristallisiert, dass Edelbrecht etwas hitzköpfig und Roban etwas stur war. Vielleicht sollte man ersteren nicht direkt neben Reto siedeln lassen, weil sonst Streit absehbar war? Um Rainfried machte er sich weniger Sorgen – der wirkte tüchtig und würde sich schon mit den anderen zurechtfinden. Ein Fragezeichen war Grimm Goldmund von Koschtal. Wie würde dieser sich verhalten? Sollte er nicht mehr eintreffen, bevor die Besichtigung der Siedlungsplätze begann – würde er sich damit abfinden, das zu nehmen, was übrig blieb?<br>Vogt Morwalds Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen, seine Augenbrauen formten den traurigen Blick eines dicken Hundes.<br>„Um offen zu sein, werter Ritter vom Kargen Land: das hiesige Volk kennt wohl zu jedem Stein und jedem Busch eine eigene Geschichte. Das scheint nicht auszubleiben, wenn man über Generationen an einem Sumpf aus den Magierkriegen haust. Ein Grund mehr, dies endlich zu beenden.<br>So gibt es auch zu Narehals Wald die eine oder andere Mär von [[wikav:Einhorn|Einhörnern]], [[wikav:Waldschrat|Baumschraten]] und dergleichen. Wahrscheinlich auch vom Birkenhain, wenngleich ich dazu erstaunlicherweise noch keine kenne. ... doch undurchquerbar sind beide Gehölze sicher nicht. Überhaupt verweise ich das Geschwätz in die Welt des Aberglaubens. Umso offener stimme ich dem Vorschlag des Herren von Borking zu, dass wir den Abend mit einem Essen ausklingen und uns zur Ruhe begeben sollten – damit wir uns ab morgen früh ein eigenes Bild von der Lage machen können. Fernab von Vorurteilen und Aberglaube.“<br>Als Devota schon losgehen wollte, um das Abendmahl aufzutischen, gebot Gerling ihr, noch einen Moment einzuhalten.<br>„Einen abschließenden Punkt, der die versammelte Ritterschaft sicher noch interessieren wird, wollte ich zuvor zumindest noch angesprochen haben... die fürstliche Hilfe für den Aufbau. Seine Durchlaucht gewährt jedem für seine Neusiedlung folgende großzügige Hilfen.“<br>Gerling entrollte ein Pergament und begann zu lesen.<br><br>'''„Punkt Eins: Fürst Blasius vom Eberstamm finanziert die Errichtung eines Schreines zu Ehren einer der Zwölfe, auf dass die neue Siedlung unter gutem Schutze stehe. Die Wahl der Gottheit sei jedem Ritter freigestellt. '''<br>'''Punkt Zwei: Weiterhin gewährt der Fürst eine Wagenladung besten [[Angbar]]er Werkzeuges und jeweils drei Wagenladungen Stein aus [[Fürstenhort]]er Brüchen für die Fundamente. Darunter ein Grundstein mit dem fürstlichen Wappen als Zeichen, dass diese Siedlung unter fürstlichem Schirm stehe.'''<br>'''Punkt Drei: Jeder Ritter erhält für seine Siedlung 500 Dukaten, um diese für den Aufbau der Siedlung zu verwenden.'''<br>'''Punkt Vier: Der Fürst gewährt den Rittern das Recht, ihrer Siedlung und damit ihrem Lehen einen ehrbaren Namen zu geben und diesen Namen dann auch selbst im Zusammenklange mit dem Rittertitel zu tragen.'''<br>'''Punkt Fünf: Der Fürst gewährt den Rittern und allen Siedlern, so sie ehrbar sind und nicht unrechtmäßig aus Unfreiheit geflohen sein mögen, auf göttergefällige zwölf Götterläufe vom Momente der ersten Grundsteinlegung des Ortes an die Freiheit von der Kopfsteuer. Die Kaisersteuer übernimmt der Fürst während dieser Zeit in seiner Gnade und Großzügigkeit selbst.'''<br>'''Als Bindeglied zwischen Seiner Durchlaucht, dem Fürsten des Kosch, und der Ritterschaft diene, auf Empfehlung von Graf [[Growin Sohn des Gorbosch]], der Vogt von Moorbrück, Morwald Gerling. Er verwalte und behüte die fürstlichen Gaben und vermittle mit den ehrbaren koscher Handelshäusern. '''<br>'''Verfasst und gesiegelt im Namen von Blasius vom Eberstamm, Fürst von Kosch. [[Devota Lichterlohe]], fürstliche Hofsecretaria“ '''<br><br>Boromil war mit den Ausführen Morwalds bezüglich der Standorte zufrieden. Aberglauben konnte jemanden aus seiner Familie nun gar nicht beeindrucken. Dann wäre tatsächlich Standort V ein Kandidat, den er besonders prüfen müsste. Selbst wenn der etwas ungestüme Edelbrecht von Borking an Position VI siedeln würde - das wäre kein Argument dagegen, im Gegenteil: Siedlungsplatz VI lag relativ weit von den anderen entfernt, der nächste Neusiedler würde er, Boromil, werden - womit eben der ungünstig erscheinende Fall ausgeschlossen würde, dass Reto von Tarnelfurt und Edelbrecht von Borking direkte Nachbarn würden.<br>Und was nun dessen Abneigung gegenüber Magie betraf: Es hatte aus Erfahrung keinen Zweck, mit verschlossenen Leuten zu diskutieren. Außerdem würden nun Taten zählen, und der junge Herr machte nun wirklich nicht den Eindruck, am liebsten den ganzen Tag faul herumzusitzen. Boromil begann, sich weitere Vorteile dieser Aufteilung vor Augen zu halten: Von Borking wirkte entschlossen und trotzig. Das könnte einem Ritter, der von den anderen entfernt siedelte, sogar zugute kommen - es würde viel Willenskraft bedürfen. Einen besseren Schwertkämpfer als ihn selbst in unmittelbarer Nachbarschaft zu haben, war ohnehin nicht verkehrt.<br>Direkt nachdem der Vogt geendet hatte, sprang Reto auf.<br>„Verzeiht, Vogt Gerling, aber ich würde zu zwei eurer fünf Punkten gerne noch ein paar Fragen stellen, ihr gestattet dies doch sicherlich?“<br>Reto fuhr jedoch, ohne auf eine Antwort zu warten, fort.<br>“Die unter Punkt zwei genannten Güter werden doch sicherlich vom Fürstlichen Fuhrpark angeliefert, denn wer verfügt schon über vier Fuhrwerke. Wie werden wir die unter Punkt drei genannten Dukaten ausgehändigt bekommen? Bar, [[wikav:Nordlandbank|Nordlandbank]]-Schuldscheine, Gutschriften für Fürstliche Lieferanten? Ich hoffe, ich habe mich kurz genug gefasst, nicht dass unser Essen kalt wird.“<br>Reto setzte sich wieder mit einer leichten, demütig wirkenden Verbeugung in Richtung Gerling.<br>„Nun, dann will auch ich mich so kurz wie möglich fassen und Eure berechtigen Fragen beantworten... Zum einen werden die Wagenladungen selbstverständlich in fürstlichem Auftrag geliefert – wir erwarten die ersten in etwa einer Woche. Die Dukaten lagern derzeit in fürstlicher Obhut ... inwieweit es nötig sein wird, diese wertvolle Fracht in Teilen hierher zu transportieren, wird im Einzelfall zu klären sein. Ich vermute jedoch, dass man mit Waren oder Mannen deutlich mehr anfangen kann als mit Gold – hier im Sumpf. Daher haben verschiedene Handelshäuser – etwa die [[Familie Neisbeck|Neisbecks]] aus [[Ferdok (Stadt)|Ferdok]] und die [[Haus Stippwitz|Stippwitzens]] aus [[Angbar]] – bereits angeboten, unser Vorhaben zu unterstützen“, der Vogt grinste verschmitzt und beugte sich etwas nach vorne, als er etwas leiser hinzufügte, „das Händlervolk hat erstaunlich schnell vom fürstlichen Plan erfahren und reißt sich regelrecht darum, mit uns Geschäfte zu machen. Sie unterbieten sich gegenseitig – und das soll nicht unser Nachteil sein. Ich kenne diese Leute und werde mein möglichstes tun, um gute Preise zu erhandeln. Sie werden die Bezahlung zudem direkt beim Fürsten abholen, wenn es nicht ausdrücklich anders gewünscht wird. Das erscheint mir eine einfache und kluge Lösung zu sein. Unsere Leute werden wir für andere Dinge besser brauchen können als zum Bewachen von Schätzen“, führte der Vogt aus, blinzelte verschwörerisch und wies Devota nun endlich an das Abendmahl aufzutragen.<br>Während Reto seine Fragen stellte, versank Roban Grobhand bereits in tiefes Grübeln. Die Wahl des Standortes war ihm nahezu gleich – jeder der Orte würde seine Vorteile und Widrigkeiten haben, ein Stück Land mitten im Morast. Mehr Kopfzerbrechen bereitete ihm der Name – nicht zu hochtrabend, nicht zu anmaßend, einfach und passend. Namen wie Rondrasfelden, Grobhandsheim oder Schlammenberg hatte er bereits als unpassend verworfen. Noch mehr Kopfschmerzen machte ihm aber die Finanzen. Das Rechnen hatte er zwar erlernt, aber niemals wirklich beherrscht, und er hasste die Zahlendreherei, mit der wohl mancher Pfeffersack einen anständigen Rittersmann hinters Licht führen konnte.<br>Beinahe neidisch warf er einen Seitenblick auf Boromil vom Kargen Land, der eher ein Mann des Geistes zu sein schien und garantiert auch mit Zahlen und Steuerlisten umgehen konnte. Er würde dringend noch einmal nach Hause schreiben und seinen Vater um einen ehrlichen und zuverlässigen Verwalter beknien müssen – die kommenden Wochen würde er wohl viel schreiben und reisen müssen.<br>Die blonde Dienerin riss Roban aus seinen Gedanken, als sie ihm ein Brett mit Brot, [[Schetzeneck]]er Käse und Räucherwurst auftischte. Ihr etwas trauriger Blick wollte nicht zu den Köstlichkeiten passen, die sie darbot. Schließlich goss sie etwas [[Ferdoker Bier|Ferdoker]] aus einer großen Kanne in seinen Kelch. Diese Prozedur wiederholte sie nach und nach bei allen Anwesenden.<br>Der Ritter vom Kargen Land schaute nachdenklich der Dienerin hinterher. Was sie wohl hatte, dass sie so traurig schaute? Er kam jedoch nicht dazu, sie zu fragen, denn dann nutzte Morwald Gerling die Gelegenheit, um mit vollem Kelch erneut auf den Erfolg der gemeinsamen Unternehmung anzustoßen. Nun machten sich alle über die deftigen Köstlichkeiten her. Ein solides Mahl, wie es sich ein echter Koscher nur wünschen konnte. Eine Weile aßen alle schweigend und hingen ihren eigenen Gedanken nach.<br>Die Erläuterungen des Vogtes zur Hilfe des Fürsten hatten Boromil nicht allzu sehr in Erstaunen gebracht. Das hatte ihm Gerling schließlich schon persönlich unterbreitet, als er [[Valpos Horn]], das Gut seiner Familie am [[Angbarer See]], besucht hatte. Allerdings rief ihm das eine andere Frage ins Gedächtnis, die er seinen Mitstreitern nun beim Essen stellen wollte.<br>„Ich habe noch eine Frage und einen Vorschlag, den ich an die anwesenden Ritter richten möchte. Wisst Ihr schon, welcher Gottheit Ihr Euren Schrein weihen wollt? Bei Euch, Rainfried, wird es wohl Rahja sein, während Ihr, Reto, anbetracht Eurer Begleitung Peraine wählen werdet. Was haltet Ihr von dem Vorschlag, jeweils einen anderen der Zwölfgötter auszuwählen, damit möglichst viele von ihnen im Sumpf einen besonderen Ort der Verehrung bekommen?“<br>„Nun werter Boromil, ich erlaube mir mal euch mit eurem Vornamen anzusprechen, so wie ihr es tatet, ihr habt Recht ich hätte auch einen Perainetempel errichten lassen, wenn der Fürst nicht dafür aufgekommen wäre.“<br>Reto richtet den Blick zu Morwald.<br>“Richtet dafür dem Fürst meinen untertänlichsten Dank aus, werter Vogt.“<br>Morwald nickte stumm, während er einen großen Bissen Käse zu sich nahm. Reto wandte sich wieder Boromil zu.<br>„Doch ich denke, es sollte keine Verhandlungssache sein, welchem der Zwölfe man ein Obdach errichtet. Dies muss jeder für sich selbst und nach seinem Herzen entscheiden. Wir für unseren Teil würden es begrüßen, wenn man sich für einen [[Tsa]]- und [[Travia]]-Tempel entscheiden könnte. Ich habe nämlich bereits weiter reichende Pläne, welche die Errichtung eines Klosters betreffen, was natürlich mit drei Gründern einfacher vonstatten gehen könnte.“<br>Reto wandte sich Gerling zu.<br>„Es wurde doch in den letzten Jahren kein Kloster „[[Dreischwesternorden|der drei Schwestern]]“ oder zu Ehren Peraines in der näheren Umgebung gegründet, euer Gnaden? Nicht, dass ich hier falsch informiert bin. Außerdem eine weise Entscheidung, das Geld beim Fürsten zu belassen und sich von den Kaufleuten schon mal Angebote machen zu lassen. Ich hoffe, Pferdezüchter und Wagenmacher haben sich angeboten beziehungsweise hoffentlich auch schon unterboten.“<br>Mit einem phexischen Lächeln nahm Reto einen Schluck des kühlen Gerstensaftes.<br>„Die einzige Niederlassung des Dreischwesterordens befindet sich, soweit ich informiert bin, in [[Gôrmel]], unweit von Ritter Boromils Heimat [[Valpurg]]. Dort hingegen ist der gesamte Ort dem Kloster Untertan und dient einzig dazu, es zu ernähren. Ich nehme an, dass ich Euch richtig verstehe, dass Ihr klein mit einem Schrein oder kleinen Tempel anfangen wollt und das Vorhaben gemeinsam mit der Siedlung wachsen lasst. Eine Klostergründung ist ein teures Wagnis und braucht eine gute Grundlage oder wohlwollende Gönner. Vor allem erfordert es Verzicht, denn was dem Kloster als Eigenland gegeben wird, kann schon nicht Eures und der Siedler sein. Ich bewundere jeden um seine Frömmigkeit, der dies tut – doch verstehe gleichwohl jeden, der zunächst an den Aufbau der eigenen Domäne denkt“, gab Gerling zur Antwort. Er fragte sich, ob alle Ritter bemerkt hatten, dass in der Urkunde des Fürsten ausdrücklich von einem Schrein die Rede war ... nicht von einem Tempel mit Geweihtenunterkunft oder gar einem Kloster mit mehreren, vielleicht gar einem Dutzend Geweihten. Wer gleich zu Beginn mehr als einen Schrein sein Eigen nennen wollte, würde die Mehrkosten selbst tragen müssen.<br>Edelbrecht verdrehte angesichts der Worte Tarnelfurts belustigt die Augen und ließ sich zwischen zwei Brotscheiben, die er sich rasch einverleibt hatte, vernehmen: „Wo des Handwerkers Wille Gerüste zimmert und der Maurer seine Kelle schwingt, um einen Neuanfang in diesem Sumpf zu wagen und die Grundsteine für eine neue Siedlung zu legen, da darf der Schutz INGERIMMS nicht fehlen und so, werter Boromil, seid versichert, dass ich mir mit der ersten Kolonne aus Waldwacht einen ANGROSCHgeweihten kommen lassen werde, obgleich mir, wie ich gerne an dieser Stelle eingestehe, an dem Schutz des Schutzgottes unserer Familie – [[Firun|FIRUN]] – ebenfalls äußerst gelegen wäre. In der Tat finde ich es – anders als Wohlgeboren von Tarnelfurt – durchaus einleuchtend, was ihr über den verstärkten Schutz der Götter sagtet. Neben FIRUN und INGERIMM sollten daher früher oder später auch PRAIOS und [[Rondra|RONDRA]] Einzug in meinem neuen Lehen halten.“<br>Mit einem selbstzufriedenen Gähnen beendete der junge Borking seine Rede und streckte sich der Tischplatte entgegen, um eine weitere Brotscheibe zu erhaschen.<br>„Verzeiht, dass ich mich zu Wort melde“, Bruder Perainfried sah schon während der Klosterpläne des Tarnelfurters so aus, als würde er sich gerne zu Wort melden – nun konnte er seine Sorgen nicht mehr innehalten, „ich will Euren frommen Eifer wahrlich nicht bremsen, denn jede der unteilbaren Zwölfe hat ihren Tempel oder gar ihr Kloster verdient. Doch es hat sich in der Vergangenheit als ratsam erwiesen, ein Werk – in diesem Fall eine neue Siedlung – jeweils EINEM der Zwölfe anzuvertrauen. Die [[Vieska von Wengenholm|Heilige Vieska]] soll einmal gesagt haben: »Die zwölfgöttlichen Geschwister sind gütig und allweise, doch manchmal neiden sie einander und zanken wie [[Wengenholm|wengenholmer]] Waldbauernbrüder.« ... es gibt gute Gründe, warum in kleinen Orten oft kein Tempel oder höchstens ein einzelner Tempel steht – und jedes Götterhaus stets nur einem der Zwölfe geweiht wird. Zumal ich mich frage, ob der Tempelzehnt oder das Eigenland des Tempels einer neu gegründeten Siedlung mehr als einen Geweihten ernähren können wird.“<br>„Wenn dem so ist, Herr von Borking“, schmatzte Roban vernehmlich, als speise er nicht an einer herrschaftlichen Tafel sondern, im Stall bei den Pferdeknechten, „dann werde ich meinen Schrein der alveranischen Leuin weihen lassen. Auch wenn ich bei so manchem der Zwölfe noch Schulden offen habe – immerhin bin ich gesund und bei klarem Verstand heimgekehrt -, so will ich doch zuvorderst Rondra um jenen Schutz bitten, den sie mir an der Grenze zu den Schwarzen Landen so manches Mal gewährt hat. Und wenn wir uns auf die verschiedenen Tugenden der Götter besinnen, so soll es doch mit dem Namenlosen zugehen, wenn wir keinen Erfolg haben sollten!“<br>Er spülte den letzten Bissen mit dem Rest Bier hinab und schien Devota nach Nachschub winken zu wollen, als er den betrübten Blick der Bediensteten bemerkte. Mit einem unbehaglichen Räuspern stellte er den Krug so leise ab, als könne das kleinste Geräusch schon zu laut sein.<br>Boromil hatte den Ausführungen der anderen aufmerksam zugehört und manches Mal genickt. Damit wären es also voraussichtlich Peraine, Rahja, Ingerimm und Rondra. Bis jetzt erschien ihm dies als eine sehr gute Wahl, zumal drei Götter dabei waren, die bei den bodenständigen Koschern sehr geschätzt wurden. So blieben denn, sofern man wirklich sechs verschiedenen Göttern einen Schrein errichten wollte, zwei aus acht auszusuchen.<br>Der junge von Borking hatte angesprochen, was Boromil ebenfalls bereits bedacht hatte und was ihn überhaupt erst so lange hatte grübeln lassen. Natürlich wäre der Hausgott der Familie naheliegend - was jedoch, wenn die einfachen Leute lieber an eine freundlichere Gottheit als Firun - wie beim Ritter von Borking - ihr Gebet richten wollten?<br>[[Hesinde]]s Name wurde in seiner Familie hochgehalten, doch war die Göttin der Magie nicht gerade beim normalen Volk im Kosch beliebt. Sollten zudem noch Zwerge zu Hilfe geholt oder gar als Siedler angeworben werden, so würde eine Gottheit mit einer Schlange als Tier mitunter Probleme bereiten.<br>Deswegen war auch Tsa als Göttin des Neuanfangs, was ja durchaus sympathisch war und bei einer Neusiedlung passen würde, zwiespältig zu sehen: Eine Eidechse galt ebenso als Verwandte der [[Drachen]], der uralten Feinde der Angroschim.<br>Praios schied für ihn persönlich aus. Der Götterfürst war kein Freund der Magie. Vielleicht wäre der Gott der Gerechtigkeit und der Sonne jedoch der Favorit von Grimm Goldmund von Koschtal. Zu schade, dass dieser bisher nicht erschienen war, was hätte man nicht alles bereits bereden können! <br>Boron war - ähnlich wie Firun - vielleicht zu grimmig an einem Ort wie dem Sumpf.<br>[[Efferd]] als Gott des Wassers und des Regens wäre sicherlich den Bauern zu vermitteln. Zudem könnte sein Segen helfen, leichter Trinkwasser zu finden und die Moorgewässer in Seen umzuwandeln. Da im Kosch [[Hügelzwerge]] sogar mit Boten über den [[Angbarer See]] fuhren, würde man diese Angroschim, falls man sie als Siedler gewänne, nicht mit dieser Wahl befremden.<br>Phex, der Gott des Glücks und des Handels, würde gleich zwei Aspekte befriedigen. Glück konnte er, Boromil, nur allzu gut gebrauchen, und ehrbarer Handel wäre notwendig, um die Neusiedlung zu einem Ort zu machen, der von fahrenden Händlern aufgesucht würde.<br>Die gütige Mutter Travia schließlich, Göttin des Herdfeuers, erschien ihm besonders naheliegend. Jeder schätzte sie im Kosch; die Neusiedler würden sicherlich oft um die Gnade einer sicheren Heimstatt bitten. Aber vielleicht wäre genau das ein Grund für Grimm Goldmund von Koschtal, sie zu wählen. Es bliebe also abzuwarten, was er sagen würde!<br>Leider würde das Geld am Anfang wohl kaum reichen, um gleich mehrere Schreine oder gar einen ganzen Tempel zu errichten, da hatte Bruder Perainfried wohl völlig recht. Selbst die größten Städte Aventuriens hatten nicht für alle Zwölfgötter ein geweihtes Haus.<br>Rainfried aß in der Zwischenzeit schweigend das Brot, den Käse und die Wurst, die ihm dargereicht wurden, sein Blick über die Versammlung schweifend, nur beiläufig der Diskussion, welchen der Zwölfe man wohl wählen sollte, lauschend. Wohl wissend, dass sein Lehen in den guten Händen der schönen Göttin und ihrer Dienerin Madalein sein würde, und was die Finanzen betraf, konnte kaum jemand seiner Großmutter Brodlind den [[wikav:Yaquir|Yaquir]] abgraben. Sie hatte über Jahre das wenige Geld vortrefflich verwaltet. Wenn jemand einen guten Preis aushandeln konnte für das Notwendigste, dann sie.<br>Nachdenklich blieb sein Blick an der Bediensteten des Vogtes hängen. Was wohl der Grund für ihre Bedrückung war? Ein Blick zu Madalein und ihr Nicken zeigten ihm, dass auch sie es bemerkt hatte.<br>„Verzeiht, gute Frau“, sein Blick fixierte die Augen Devotas, „aber ihr wirkt schwermütig. Wäre es vermessen, zu fragen, was der Grund dafür ist?“<br>Devota zuckte kurz ob des Angesprochenwerdens zusammen, blickte kurz, als wäre sie bei einer Schandtat ertappt worden, und bemühte sich, ein Lächeln aufzusetzen, das jedoch keineswegs überzeugend wirkte.<br>„Es ist nichts, Wohlgeboren! Verzeiht!“, auf ihren blassen Wangen bildeten sich rosige Flecken während sie sich wenig überzeugend bemühte, fortan eine hellere Mine zu zeigen und sich etwas in den Hintergrund der Tafel zurückzog.<br>Nachdem er sich etwa ein Dutzend satt belegte Brotscheiben einverleibt hatte, streckte Edelbrecht sich noch einmal und stand auf.<br>„Nun denn, wenn es nichts von allgemeinen Interesse mehr zu besprechen gibt, so würde ich mich gern zurückziehen. Der Ritt von [[Borking]] bis hierhin war alles andere als komfortabel und immerhin werden auf uns morgen schon gewaltige Aufgaben warten, wenn ich mich nicht irre. Meine Herren, ich wünsche allerseits noch einen schönen Abend!“<br>Dann verbeugte er sich – vor allem ehrerbietig gegenüber Boromil und Roban, wohingegen seine Gunstbezeugungen gegenüber Vogt Gerling und den anderen deutlich knapper ausfiel – und deutete Devota an, ihm zu folgen.<br>Als sie die Saaltür hinter sich schloss, ergriff der Jüngling ein weiteres Mal das Wort.<br>„Wohlan, möge sie mir mein Quartier zeigen. Auf dem Weg schütte sie ihr Herz aus und erzähle, warum sie derart betrübte Mine zeigte, während die anderen Anwesenden auf eine so großartige Unternehmung anstießen. Ist Euch etwas Unschönes widerfahren, war einer der Herren grob zu Euch oder vermisst Ihr etwas? Zu mir könnt ihr, gänzlich ohne die wachsamen Augen und Ohren des Vogtes offen sprechen – ist es etwa er, der Euch die Tränen in die hübschen Augen getrieben hat?“<br>„Es ist alles meine Schuld...“, sprach sie und schilderte dem Borkinger den Grund ihrer Anwesenheit im von ihr offenbar ungeliebten Moorbrück.<br>Roban hatte den Abschied des Ritters von Borking mit hochgezogenen Augenbrauen quittiert. Sicher, ihn und den Herrn Edelbrecht verbanden wohl einige Dinge, andererseits war er noch nicht schlüssig, ob er allzu engen Kontakt mit dem bärengleichen Recken wirklich wünschte. Allzu offen war zutage getreten, dass dieser gegenüber dem Vogt eine offene Aversion hegte. Derlei Zank war aber nicht gerade das, was Roban unter einem gemeinsamen Vorgehen verstand – und genau das würden sie, ebenso wie den Beistand der Götter, bitter nötig haben, wollte man dem Moorbrücker Sumpf mit Erfolg zu Leibe rücken.<br>„Sagt, Vogt“, meinte er schließlich, nachdem sich die Tür hinter von Borking und Devota geschlossen hatte, „ist Eurer Dienerin unwohl, oder plagt sie möglicherweise eine Sorge? Man könnte fast meinen, dass sie sich um einen von uns sorgt – oder gar um uns alle!“<br>Vogt Gerling schmunzelte.<br>„Die gute trauert wohl ihrem guten Leben am Fürstenhof nach. Bis vor wenigen Wochen war sie Hofschreiberin unseres geliebten Fürsten Blasius“, er nahm den fragenden Blick Robans wahr und wurde deutlicher, „vielleicht ist dem einen oder anderen das Datum auf der Urkunde aufgefallen, mit der Ihr in den Ritterstand von Moorbrück erhoben wurdet. Bei allzu vielen stand dort irgendwas mit [[1029]] nach [[wikav:Bosparan|Bosparans]] Fall... und das mitten im Jahr 1032. Die Gute hatte offenbar zuvor den einen oder anderen Weinkelch zuviel ausgeleert und die Urkunden kurzerhand falsch datiert.“<br>Gerling prustete los, sein Bierkelch schwappte etwas über.<br>„Bemerkt wurde es erst, als die Urkunden Euch schon übergeben worden waren. Freilich peinlich für eine Schreiberin ... der [[Jast Gorsam vom Großen Fluss|Herzog der Nordmarken]] hätte sie wahrscheinlich irgendwo auf den Zinnen seiner Burg aufspießen lassen oder in den Graben geworfen. Doch Seine Durchlaucht ist für seine Milde bekannt und hat sie lediglich aus ihrem Amt verwiesen und bestimmt, dass sie sich als Wiedergutmachung hier in Moorbrück nützlich machen solle. Nun steht sie in meinen Diensten und geht mir zur Hand.“<br>Am Rande gab Reto von Tarnelfurt derweil dem Perainegeweihten eine Antwort auf seine fast verklungene Frage.<br>„Nun werter Perainfried, ihr könnt euch sicher sein, dass genug der Neusiedler ihren Frondienst für euch und euren Tempel verrichten werden. Ich dachte, dass hätte ich auch euch gegenüber erwähnt oder war es doch nur seine Eminenz, dem ich dies versichert habe? Wenn niemand mehr noch etwas einbringen möchte was uns alle betrifft, dann würde auch ich mich freuen, meine Unterkunft zugewiesen zu bekommen. Habt Dank für das zünftige und reichliche Mahl, mein Lehnsherr, und ich wünsche allen einen geschützten, erholsamen und erholsamen Schlaf.“<br>Reto und seine Begleiter zogen sich dann zurück. Rainfried erhob sich erneut von seinem Platz.<br>„Lamentabel, dass sich die werten Ritter bereits so zeitig in [[wikav:Bishdariel|Bishdariels]] Schwingen begeben. Eigentlich wäre mir noch nach etwas Musik, um den Tag ausklingen zu lassen.“<br>Er wandte sich dem Vogt zu.<br>„Wenn ihr gestattet, Hochgeboren? Gonzalo ist ein Virtuose auf der [[wikav:Vihuela|Vihuela]]. Es wäre doch schade, das gute Instrument bei der Nässe auf dem Fuhrwagen zu belassen.“<br>Der Vogt nickte Rainfried zu mit den Worten „Etwas Zerstreuung vor der Nachtruhe kann nicht schaden.“<br>Auf eine kurze Bestätigung des sich wieder setzenden Rainfrieds eilte Gonzalo nach draußen, bemerkte dabei den Ritter von Borking und Devota, und so diskret wie möglich ging er zum Wagen, holte die schlankhalsige Vihuela und eine Schellentrommel und beeilte sich, um bei dem stärker gewordenen Regen so schnell wie möglich zurück in den Saal zu kommen.<br>Er übergab die Schellentrommel an die Rahjageweihte und setzte sich nach Aufforderung des Vogtes auf einen Stuhl nahe des Kamins und begann zu spielen. Eine leise, melancholische Melodie erfüllte den Raum. Eine Melodie, die von Wehmut, von verlorener Heimat erzählte. Dem Gefühl, alleine in der Fremde zu sein.<br>Madalein erhob sich und begann mit geschlossenen Augen zur Musik zu tanzen und mit der Schellentrommel den Takt vorzugeben. Ihre Bewegungen waren geschmeidig, in Perfektion auf die Musik eingestimmt, gleich einer Visualisierung der einzelnen Töne. Und das Gefühl wurde durch sie noch weiter verstärkt. Gonzalo spielte lauter, den Rhythmus schneller. Und die Verzweiflung, die aus dem Tanz und der Melodie herausklang, immer intensiver. Immer fordernder, immer durchdringender.<br>Als die Musik endete, klang der letzte Ton der Vihuela noch lange nach. Niemand wollte etwas sagen. Jeder hing seinen zutiefst eigenen, traurigen Gedanken nach. Der Grimsauer erhob sich.<br>„Ich wünsche den Anwesenden noch eine angenehme Nacht. Ich werde mich ebenfalls zurückziehen.“<br>Seine Stimme war zitternd. Mit einem letzten Blick zu der noch immer mit geschlossenen Augen dastehenden Madalein und danach zum Vogt drehte sich Rainfried um, und verließ den Saal.<br>So sehr sich Rainfried auch bemüht hatte, es zu verbergen, dem Vogt waren die Tränen in den Augen des Grimsauers nicht entgangen. Und dessen Blick, der zuvor Madalein zugedacht war, hatte von innigster Zuneigung gesprochen… und tiefstem Verlust.<br>Falls es in der Absicht der Rahja-Geweihten gelegen hatte, starke Gefühle bei Boromil zu erzeugen, so hatte sie vollen Erfolg gehabt. Allerdings war er nicht angenehm ergriffen oder berauscht vom Tanz der Schönen und der wahrlich beeindruckenden Musik, sondern fühlte sich wieder besonders daran erinnert, dass er allein war und keine Gefährtin an seiner Seite wusste, mit der er sich die trübsinnigen Gedanken vertreiben konnte. Sein älterer Bruder, der Strahlemann, hatte selbstverständlich keine Probleme dieser Art - Erbe des Hauses, verheiratet, mehrere Kinder...<br>Die traurige Weise bedrückte Boromil noch zusätzlich. So etwas wurde aus gutem Grund selten gespielt auf Valpos Horn, denn die Umgebung war bereits düster genug. Moorbrück war in dieser Hinsicht nicht gerade besser.<br>Allmählich begann sich der Ritter vom Kargen Land über sich selbst zu ärgern. Da brachte Rainfried von Grimsau eine Rahja-Geweihte aus Almada mit, und Boromil hatte nichts besseres zu tun, als die hervorragende Darbietung mit solchen Gedanken zu quittieren! Er sollte froh sein, solche Kunst präsentiert zu bekommen, noch dazu hier, wo die Menschen jede Art von Zerstreuung bitter nötig hatten!<br>Es musste am Alkohol liegen, von dem er noch nie viel vertragen hatte, dass er diesen doch recht vielversprechenden Tag beinahe mit so einer Stimmung beendet hätte. Aber natürlich, erst der Gewürzwein, dann das Bier, das konnte ja nicht gutgehen! Diese Misslaune hatte er sich selbst zuzuschreiben. Daher wäre es wohl an der Zeit, sich ebenfalls zurückzuziehen. Hieß es nicht, der Morgen sei klüger als der Abend?<br>Für gewöhnlich folgte er diesem Gebot nicht, da er ohne Probleme bis spät in die Nacht lesen konnte. Doch der nächste Tag würde seine Aufmerksamkeit verlangen. Nicht nur galt es sein Pferd sicher durch den Sumpf zu lenken, auch waren die sechs Siedlungsplätze genauestens zu besichtigen.<br>„Mit Verlaub, werte Anwesende, es ist schon spät, und morgen wollen wir alle in den Sumpf. Boron schenke Euch einen erholsamen Schlaf und angenehme Träume!“<br>Mit diesen Worten ging Boromil vom Kargen Land hinaus.<br><br>Als Devota ihre Erzählung mit tränenerstickter Stimme zu Ende und Edelbrecht in sein Quartier gebracht hatte, in dem bereits ein gemütliches Kaminfeuer prasselte, schüttelte der junge Borking den Kopf.<br>„Ich erinnere mich, auch meine Urkunde war auf das Jahr 1029 BF datiert, und wenn schon…“<br>Edelbrecht hielt kurz inne und überlegte. Schon immer hatte er ein Ohr für das „gewöhnliche Volk“ gehabt, anders als sein Vater oder etwa sein jüngerer Bruder, von [[Gerbald von Borking|Gerbald]], dem künftigen Stammhalter des Hauses Borking, ganz zu schweigen. Ihn verwunderte es nicht, dass eine junge Frau in der Blüte ihrer Jahre stehend keine große Neigung verspürte, auf Burg Birkendamm an der Seite Vogt Gerlings aushalten zu müssen.<br>Er betrachtete die junge Frau aufmerksam und verspürte eine tiefe Neigung ihr behilflich zu sein.<br>„Na, na, ich bitte Euch, wer wird denn gleich weinen?“ versuchte er ein wenig hilflos, sie zu trösten.<br>„Nun trocknet schon eure Tränen, sie wollen so gar nicht zu euren bezaubernden blauen Augen passen. Schaut mich einmal an – schaut her, es wird sich schon alles richten lassen; ich verspreche es euch. Gleich morgen werde ich mich an den Vogt wenden. Ich habe Euch zwar auch keinen Fürstenhof zu bieten, soviel ist schon einmal gewiss – nichts desto weniger würde ich Eure Hilfe gern in Anspruch nehmen, wenn ihr es euch gefallen lasst, so dass ihr Birkendamm verlassen könnt. Eine fleißige Schreiberin könnte ich an meiner neuen Wirkungsstätte durchaus gut gebrauchen und wir können gegebenenfalls in den Schreiben die Daten wegfallen lassen.“<br>Devotas Mundwinkel, die sich ob der aufmunternden Worte des Adeligen ein wenig aufgerichtet hatten, zogen sich erneut nach unten und während ihre Lippen bebten, konnte sie nur mühsam neue Tränen zurückhalten.<br>„Halt, nein, bitte, es war doch nur ein Scherz, verzeiht mir“, warf Edelbrecht ein, als er sah, was er mit seinen unbedarften Worten angerichtet hatte und um Devota abzulenken, bat er sie, jetzt gleich noch einen Brief für ihn zu schreiben.<br>Geraume Zeit später hatte die Schreiberin die Gedanken des Ritters zu Papier gebracht und Edelbrecht hatte das Kuvert versiegelt, so dass der Brief am nächsten Morgen direkt nach [[Tosch Mur|Waldwacht]] abgehen konnte. Nun schlummerte die Dienerin, dicht an den jungen Borking geschmiegt, auf seinem Nachtlager. Edelbrecht lag auf dem Rücken und starrte an die Zimmerdecke, während das Feuer im Kamin allmählich runterbrannte. Gleich morgen würde er sich den Vogt zur Brust nehmen, Devota zu sich holen, Standort VI belegen und… und…<br>Endlich fielen auch ihm die Augen zu und er fiel in einen tiefen glücklichen Schlaf.
 
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Version vom 8. Mai 2017, 09:22 Uhr

Teil 2 der Briefspielgeschichte: Ankunft in Moorbrück