Graf Orsinos langer Schatten - Eberhelms Triumph

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In der Nähe von Eichweiler, Baronie Zwischenwasser, Anfang Hesinde 1041

Eberhelm von Treublatt war guter Dinge. Das Gefühl der Demütigung, das bald zwei Monde an ihm nagte, würde bald vorübergehen. Endlich – endlich! – hatte er seine untreue Gattin in seiner Gewalt und befand sich auf dem Weg nach Grauensee, um sie der gräflichen Gerichtsbarkeit zu übergeben. Er würde sich von der Schmach, von der Frau und dem eigenen Lehnsherren hintergangen worden zu sein, reinwaschen – und zwar so, wie es sich gehörte, aus eigener Kraft und auf dem offiziellen Wege!

Dass die Sache am Ende doch mit Waffengewalt ausgetragen werden musste, bedauerte er. Birgon von Garnelhaun hätte nicht zu Boron gehen müssen! Doch diese sturen Entensteger hatten Anghild nicht herausgeben wollen, auch wenn es sein Recht gewesen war, das zu fordern, und trotz Unterzahl nicht eingesehen, als sie verloren hatten. Stattdessen hatten sie ihn und seine Leute auf der Reichsstraße angegriffen. Der Kampf und die Toten waren alleine ihre Schuld!

Ja, jetzt schluchzte auf einem Pferd hinter ihm die gefangene Junkerin Furgund um ihren zu Boron gegangenen Gemahl. Das hätte sie sich doch vorher überlegen sollen, wozu solch ein Starrsinn führen würde! Er würde die Entensteger samt und sonders dem Grafen übergeben. Der Bastard Bolzer hatte nicht mitgekämpft, musste aber mitkommen, um als sichtbarer Beweis herzuhalten, dass Graf Orsino für ein Kuckuckskind verantwortlich war.

Ohnehin war es klüger, alle Gefangenen mit sich zu führen. Eberhelm hatte nicht genug Leute , um sie auf Beilklamm zu bewachen, während er auf dem Weg nach Grauensee war, und wenn Furgunds Töchter einen Befreiungsversuch unternehmen wollten, dann mussten sie es jetzt tun. Aber was wollten sie schon machen? Eberhelm hatte die meisten ihrer Waffenknechte gefangengenommen und der klägliche Rest würde nicht einmal ausreichen, um die Burg zu bewachen, geschweige denn um seinen schlagkräftigen Haufen zu bezwingen. Zumal er einen gewaltigen Vorsprung hatte.

Jetzt zahlte es sich aus, dass ihn Asgrimm Angbarer rechtzeitig alarmiert hatte. Ferk von Alrichsbaum hatte recht behalten: Dieser Bursche war sein Geld wert gewesen! Eberhelm nahm sich vor, zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal mit dem berittenen Boten zu sprechen. Der schien ja für einiges zu taugen. Eberhelm hatte ihn nur deswegen jetzt nicht dabei, weil der Späher von seiner Mission völlig ausgelaugt nach Beilklamm zurückgekehrt war und auch das Pferd für den eiligen Aufbruch am nächsten Morgen nicht frisch genug gewesen wäre. So hatte Eberhelm ihn stattdessen am nächsten Tag nach Mistelstein geschickt, um Moribert Siebenschröter zurückzuholen. Der hätte es sowieso nicht rechtzeitig zurück zum Trupp geschafft; es musste ja schnell gehen und Mistelstein wäre für sie alle ein Umweg gewesen.

Den Söldner in Heimthal hatten sie hingegen unterwegs mühelos einsammeln können. Von dort aus waren sie an Angbar vorbei nördlich um den Angbarer See gereist. Soeben hatten sie die Ansiedlung Eichweiler passiert. Das Wetter war ihnen hold, so dass sie gut vorangekommen waren. Der leichte Schneefall hatte ihre Geschwindigkeit nicht eingeschränkt.

Grauensee, Anfang Hesinde 1041

Als sie auf Grauensee ankamen, schienen die Wachen zu staunen. Beim Grafen durften sie nicht vorsprechen, hatte dieser sich doch wegen dem Tod seines Großvaters und seiner Großtante zurückgezogen. So kam es Eberhelm gerade recht, dass der Richtgreve, Gero vom Kargen Land, auf Grauensee weilte. Einer der Ritter vom See wies das gemeine Gefolge an, im Hof zu warten, während er Eberhelm, Ferk von Alrichsbaum und die adeligen Gefangenen zum Richtgreven führte. Ein Trupp gräflicher Spießgesellen begleitete die Gruppe dabei.

Der Ritter vom Kargen Land ließ sich in knappen Worten schildern, was vorgefallen war. Da beide Seiten davon sprachen, dass es einen Kampf auf der Reichsstraße III gegeben hatte, rief er kurzerhand die Wachen und befahl, sämtliche Beteiligten zu verhaften. Er wolle sie allesamt hinter Schloss und Riegel halten, bis die Angelegenheit genauer untersucht werden konnte. Der Treublatter fiel aus allen Wolken. Das könne der Richtgreve doch nicht ernst meinen! Wenn er, Eberhelm, ein gemeiner Bandit und schuldig in der Sache wäre, wäre er doch kaum zum Grafenhof geritten und hätte seine Geschichte vorgetragen!

Gero vom Kargen Land entgegnete beherrscht, aber sichtlich verärgert, dass der Ritter besser nicht die Autorität des Gerichtes anzweifeln solle. Der Bruch des auf der Reichsstraße geltenden Kaiserfriedens und der gewaltsame Tod eines Adeligen seien alleine Grund genug, um intensive Untersuchungen anzustellen. Jeden weiteren Einwand, um die Sache abzukürzen, werde er als Schuldeingeständnis werten. Das brachte plötzliche Ruhe in die ganze Versammlung und auch Eberhelm ließ sich kleinlaut abführen.

Gero hingegen brach in hektische Aktivität aus. Zunächst befahl er, die Verwundeten zu versorgen. Dann ließ er nach einem Boroni aus Valpurg schicken, schließlich galt es, die Toten dem Willen Borons gemäß zeitig zu Grabe zu tragen. Er berichtete Fürst Anshold in einem Schreiben über das, was er bislang erfahren hatte, und bat Baron Erlan von Sindelsaum um Vorsprache, da sich die Taten in seiner Baronie zugetragen hatten und es sich um seine Lehnsleute handelte.


Fürstenhort, Anfang Hesinde 1041

Roban! Sie haben Eberhelm verhaftet!“

„Hmm... wer wagt es, einen Treublatt so zu behandeln?“

„Der gräfliche Richtgreve, Gero vom Kargen Land!“

„Vom Kargen Land? Soso… hatte sein Haus uns nicht auch in der Uztrutzer Angelegenheit zunächst Neutralität zugesagt und sich dann mit der anderen Seite verbündet?“

„Ja, genau!“

„Ich verstehe... wir sollten solches Verhalten nicht zur Gewohnheit werden lassen, sondern von nun an genau auf diese Familie achten… doch zurück zu Eberhelm. Was ist denn passiert?“

„Es geht es wohl um einen Kampf auf der Reichsstraße… Eberhelm mit seinen Leuten gegen die Entensteger. Er glaubt nämlich, dass Bolzer gar nicht sein Kind ist, sondern der Sohn von Graf Orsino!“

„Und?“

„Naja… also, es könnte etwas dran sein...“

„Bedauerlich. Höchst bedauerlich.“

„Ja, und Eberhelm wollte Anghild vor das gräflichen Gericht bringen und die Sache publik machen.“

„Das ist ihm wohl gelungen. Nur wird er seinen Triumph im Kerker wohl kaum genießen können...“

„Was machen wir denn jetzt?“

„Abwarten. Und genau das hätte Eberhelm auch tun sollen, anstatt so heißblütig zu handeln wie ein gekränkter Almadaner.“

„Ja, aber wenn sie ihn verurteilen?“

„Das werden sie nicht… ich habe mit „abwarten“ nur ein paar Tage gemeint, nicht die Wochen oder Monde bis zum Prozess. So, wie es aussieht, könnte mein guter Neffe den schließlich verlieren...“

Grauensee, Anfang bis Mitte Hesinde 1041

Die ersten Befragungen ergaben ein Bild, das für Gero vom Kargen Land viele strittige Fragen enthielt, die er mit seinem Wissen der Rechtskunde nicht zweifelsfrei beantworten konnte. Innerhalb der Provinzgrenzen wäre die Rechtslage des Konfliktes noch mit den fürstlichen Vertrauten zu klären gewesen, jedoch hatten sich die letzten Taten, um die es hier zuvorderst ging, auf einer Reichsstraße abgespielt. Fehden waren zwar wieder möglich, doch hatte hier niemand dem anderen offiziell die Fehde erklärt. Galt hier dennoch, insbesondere weil Ritter beteiligt waren, ein de-facto-Recht? Wem war außerdem der Bruch des Kaiserfriedens anzulasten, der auf der Reichsstraße galt? Was war als entscheidende Tat zu werten? Das Abpassen, das Verweigern der Herausgabe, die Drohung, der erste Schlag, das Ziehen einer tödlichen Waffe, das Eröffnen des Kampfes mit blanken Waffen, das Töten der Gegner? Jeder nächste Schritt war von der jeweils anderen Seite erfolgt – wenn er denn soweit die Wahrheit erfahren hatte. Wer war schlussendlich Angreifer, wer Verteidiger? Oder hatten sich beide Seiten schuldig gemacht, weil sie den Streit weiter entfacht hatten, anstatt etwa als gegnerische Parteien gemeinsam zum Grafenhof zu reiten? Oder wiegte gar der ritterlichde Kodex, die Ehre zu verteidigen, schwerer?

Gero kam in hesindegefälliger Demut zu dem Schluss, zu wissen, dass er nicht genug wusste, und bereitete eine Nachricht für die Reichskanzlei in Elenvina vor mit einem vorläufigen Bericht und einer Bitte um Rechtsberatung in einem Fall, der immerhin eine kaiserliche Straße tangierte. Der Bote würde allerdings einige Zeit brauchen: Da der Greifenpass zu dieser Jahreszeit dicht war, müsste er zunächst gen Süden reisen, um dann schließlich über den Großen Fluss zu fahren. Mit einer schnellen Antwort war nicht zu rechnen...

Der Richtgreve empfahl daher Graf Wilbur, die Sache beim nächsten Adelskonvent, zu dem die Kaiserin im Frühling in Rommilys geladen hatte, vortragen zu lassen. Wer wusste schon, wie lange es bis zum nächsten Zusammentreten des Reichsgerichtes dauern würde, und wie viele andere Fälle dort noch zu verhandeln wären? Es sei nicht sinnvoll, bislang verdiente Ritter auf unbestimmte Zeit in Haft zu lassen, und auch dem Rechtsempfinden nicht zuträglich, ein praiosgefälliges Urteils nicht mit allen Mitteln anzustreben. Eventuell ließe sich auch durch Ehrerklärungen und Hausarrest die Lage vorerst beruhigen, bis der Konflikt abschließend geklärt werden konnte.

Furgund von Entensteg durfte unter Aufsicht einiger Ritter vom See zum Begräbnis ihres Gatten. Als Birgon von Garnelhaun zu Grabe getragen wurde, war in ihrem Antlitz keine Spur mehr von Stolz zu sehen, nur noch Trauer...


Angbarer Allerlei oder es brodelt in der Gerüchteküche

Aus Tavernen-Gesprächen rund um den Angbarer See, Anfang bis Mitte Hesinde 1041:

„Der schöne Graf und ein Bastardkind? Na, das sieht ihm ähnlich!“ „Ja, das sieht ihm wirklich ähnlich! Wie aus dem Gesicht geschnitten!“

„Ich begreife den ganzen Aufruhr um Anghild nicht. Ist doch nicht die erste, die etwas mit Graf Orsino hatte!“ „Ich kann den Zorn verstehen, aber ein Angriff auf der Reichsstraße? Das geht zu weit!“

„Der vom Kargen Land wird die Entensteger sicher schonen, schließlich war einer seine Söhne Page bei ihnen!“ „Nein, der wird hart durchgreifen! Weißt Du noch, wie Angbart von Salzmarken-See ihm während der Sindelfehde Befangenheit vorwarf? Das wird er sich nicht noch einmal vorwerfen lassen wollen!“

„Ja, ja, da sieht man, wo es hinführt, wenn Grafen keinen ordentlichen Traviabund eingehen! Der alte Ermst hatte schon recht mit seinen Sorgen, Wilbur zeitig verheiraten zu wollen!“ „Ach, Quatsch, der fesche Falkenhager hätte auch so noch fleißig Bastarde gezeugt!“

„Also mal ehrlich, beim Anblick Bolzers mussten doch alle wissen, was Sache war. Wozu also diese Heimlichtuerei?“

„Sag mal, hat Deine Tochter nicht auch so schwarze Haare wie Orsino?“ „Halt den Mund!“