Von den Folgen eines Lanzenstoßes

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Ausgabe Nummer 76 - Efferd 1046 BF

Von den Folgen eines Lanzenstoßes

Baronin Derya von Uztrutz nach Turnierunfall invalid

UZTRUTZ, Praios 1046 BF. Wie sich manch ein aufmerksamer Leser noch erinnern kann, wurde Baronin Derya von Uztrutz beim Tsatagsturnier des Fürsten im Jahr 1044 BF durch einen unrondrianischen Lanzenstoß des Baronets Halmar von Sindelsaum schwer verletzt. Der Aufruhr war damals groß und Halmar war gar zu einer Pilgerreise nach Donnerbach und einer Strafzahlung verurteilt worden. Die weitaus schwereren Folgen hatte jedoch die Uztrutzer Baronin zu tragen. Nach dem Vorfall wurde Derya sogleich in das Meister-Aldur-Spital eingeliefert, dann wurde es ruhig um sie.

Ich erkundigte mich von Zeit zu Zeit nach ihrem Befinden, doch die Therbûniten wollten mir nie mehr sagen, als dass sie nach wie vor bei ihnen in Obhut sei. Es dauerte wohl sieben Monate, bis Derya von Uztrutz das Spital verlassen konnte. Natürlich wollte ich herausfinden, wie es der Baronin ging, darum schrieb ich an den Uztrutzer Hof, doch der Hofschreiber Reineke von Falkenhag-Zandor würdigte mich keiner Antwort. (Erst später stellte sich heraus, dass er verstorben war.) Also richtete ich einen Brief an eine mir bekannte Heilerin namens Doride in Uztrutz, doch auch sie konnte mir nicht weiterhelfen. In der Stadt selbst hatte man die Baronin seit dem Turnier nicht mehr gesehen. Doride kündigte mir stattdessen andere Neuigkeiten an, die sie aber einem Brief nicht anvertrauen könne.

Ich wollte mich sogleich auf den Weg in den Schetzeneck machen, beschlich mich doch der Verdacht, dass der Turnierunfall bleibenden Schaden angerichtet hatte. Doch leider verhinderten einige Umstände meine sofortige Abreise, und es ging etwas Zeit ins Land. Einer dieser Umstände waren die vielfältigen Aufträge, die ich für den KOSCH-KURIER wahrnahm, gibt es doch zu wenige Schreiberlinge, um all das Berichtenswerte niederzuschreiben. Mit Freude kann ich aber verkünden, dass sich dann mit Kunrad Trutzschilfen ein neuen Schreiber für den KOSCH-KURIER fand. Gemeinsam machten wir uns auf den Weg nach Uztrutz.

Die Reise war angesichts des Wetters äußerst angenehm, allerdings wurden wir kurz vor unserem Ziel zweimal von Uztrutzer Eisenhüten (barönlichen Gardisten) schikaniert, die mir unter diversen Vorwänden ansehnliche Wegzölle abknöpften. Als wir schließlich ankamen, mussten wir uns weiter in Geduld üben, denn es dauerte eine ganze Woche, bis wir zur Baronin vorgelassen wurden.

Die Burghauptfrau, Perdita von Steinklos, führte mich schließlich in ein Audienzzimmer. Auf dem einzigen Stuhl im ganzen Raum saß Baronin Derya. Sie hatte sich stark verändert, seit ich sie beim Turnier habe reiten sehen. Sie wirkte um wenigstens ein Jahrzehnt gealtert und hatte einiges an Gewicht zugenommen. Wir hatten auch das Gefühl, dass sie eine recht große „Delle“ in ihrem Schädel hatte. Mein neuer Kollege fand die Worte, dass der ganze Kopf der Baronin „unrund“ wirkte.

„Du bist also der Schreiberling, der so unbedingt wissen will, wie es mir nach dem Turnier ergangen ist?“

Ich verbeugte mich vor der Baronin, und bevor ich wieder aufrecht stand, fuhr sie bereits fort. Da ich die Baronin von früheren Treffen kannte, fiel mir gleich auf, dass auch ihre Stimme einen anderen Klang hatte als früher. Sie war undeutlich und schwer verständlich.

„Jetzt siehst du es ja. Ich kann kaum vom Bett zum Schrank humpeln. Reiten ist mir nicht mehr möglich, meine Rüstung werde ich nie mehr tragen. Mein Ehegatte, der Tunichtgut, ist mir auch keine wirkliche Hilfe. Das könnt ihr also den Lesern des KOSCH-KURIERS sagen. Halmar von Sindelsaum“, sie spuckte den Namen förmlich aus, „hat mich zum Krüppel gemacht.“

Die Baronin schien noch fortfahren zu wollen, fasste sich aber mit schmerzerfülltem Gesicht an die Stirn und ließ sich nach hinten fallen. In diesem Moment erschien ein Bediensteter mit einem kleinen Mädchen. „Hochgeboren, Eure Tochter …”, fing er an. Rüde unterbrach die Baronin den Bediensteten. „Jetzt nicht! Hinaus!”, rief sie.

Sobald sie geendet hatte, gab sie ein weiteres Zeichen, und wir wurden hinausgeführt. Zwar hatten wir herausgefunden, was aus Baronin Derya geworden war, doch ich empfand nur Trauer für den schlimmen Lauf, den das Leben Ihrer Hochgeboren nun genommen hatte. Aber auch Halmar von Sindelsaum beneidete ich nicht darum, mit der Gewissheit leben zu müssen, dass ein vermutlich unbedachter oder gar unbeabsichtigter schlimmer Lanzenstoß so viel Leid angerichtet hat. Immerhin, der Tochter der Baronin, der kleinen Vieska, schien es gut zu gehen.

Auf dem Burghof ereilte uns dann die nächste Überraschung. Wie selbstverständlich trat plötzlich niemand Geringeres auf uns zu als der ehemalige Baron Metzel d. J. Zur allgemeinen Erinnerung sei noch einmal erwähnt, dass eben jener der Vorgänger von Derya von Uztrutz auf dem Baronsthron war und erstgeborener Nachfahre des bekannten Barons Ontho von Uztrutz. Metzel verlor im Peraine 1038 BF bei einem tragischen Unglück bei der Überfahrt über den Großen Fluss seine Frau und beide Kinder. Von Trauer zermürbt gab, er die Baronswürde ab und verschwand kurze Zeit später aus dem Fürstentum. Dies tat er so nachhaltig, dass manche ihn schon für tot gehalten haben, auch wenn die Familie, zu Recht offenbar, dies immer bestritt. Er konnte oder wollte in diesem Moment nicht viel erklären, sondern bat nur darum, dass einer von uns im Ort Unterkunft nähme. Er würde dann in ein paar Tagen, höchstens ein bis zwei Wochen Kontakt aufnehmen. Bis dahin müsste sich die Lage etwas beruhigen, und er würde für ein längeres Gespräch bereitstehen.

Ich einigte mich mit Kunrad, dass er vorerst in Uztrutz bleiben würde, und machte mich selbst auf den Weg zurück zur Schreibstube in Steinbrücken.

Garubold Topfler, Kunrad Trutzschilfen