Versuchungen direkt hinter der Grenze

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Versuchungen direkt hinter der Grenze | ▻ |
Lacuna in der Mark Ferdok, Praios 1042 BF
Staunend standen die drei Kaufleute vor dem Tsatempel. Das Gebäude wirkte verlassen, aber die Eidechse in allen Farben des Regenbogens musste erst kürzlich an die Wand gemalt worden sein – oder zumindest erneuert. "Also, so etwas hätte ich hier im Kosch ja nicht erwartet", meinte einer von ihnen.
"Noch dazu ausgerechnet an diesem bodenständigen Ort, nicht wahr?", erklang eine ruhige Stimme einige Schritte entfernt. Die drei drehten sich um und sahen einen freundlich dreinblickenden Mann. "Gestattet, dass ich mich vorstelle: Bosper Hopfenwart, Händler aus dem Kosch und so wie Ihr auf der Reise." Er deutete eine Verneigung an und kam dann näher. "Wenn ich mich nicht täusche, seid Ihr Handelsreisende von außerhalb." "Das habt Ihr wohl erkannt", bestätigte die Frau in der Gruppe. Die drei stellten sich nun ebenfalls vor und erwähnten, dass sie mit ihren Waren den Großen Fluss hinauf reisten.
Sie hatten edle Stoffe, Wein und Duftwässerchen geladen und waren nach Garetien unterwegs. Die angekündigte Vermählung zwischen Niope vom See und Odilbert von Hartsteen versprach guten Absatz. Auch viele, die nicht zur Schar der Hochzeitsgäste zählten, aber es sich leisten konnten, würden die Gelegenheit nutzen, um sich etwas zu gönnen. So eine prunkvolle Hochzeit, zudem zwischen Grafenhäusern aus benachbarten Provinzen, gab es nicht häufig.
Bosper Hopfenwart lachte leise, als ihm der Plan erzählt wurde. "Ja, da wird manch einer neidisch sein ... und reiche Bürger können ebenso süchtig nach Genuss und Vergnügen sein wie der Adel. Sehr schlau, das auszunutzen!" Kurz blickten sich die Händler um. "Keine Sorge, ich werde es schon nicht Mutter Herdinger vom hiesigen Traviatempel erzählen." Jetzt mussten die drei auswärtigen Händler grinsen. Da hatten sie wohl einen Gleichgesinnten getroffen! "Ich reise den Fluss hinunter nach Moorbrück. Da gibt es ein Dorf namens Neuvaloor, in dem ich immer einen guten Schnitt mache. Ich kenne die Mark Ferdok und den Koscher Abschnitt des Großen Flusses recht gut."
"Wir sind heute in Lacuna eingetroffen und wollten die Ortschaft erkundigen." "Nun, die Besichtigung kann für Außenstehende leicht enttäuschend ausfallen. Da ist der Tsatempel noch das Spannendste!" Hopfenwart hob jetzt beschwichtigend die Hände. "Naja, nichts gegen traviagefällige Gastfreundschaft!" Er setzte ein gewinnendes Lächeln auf. "Aber im Übermaß kann das schnell ein wenig bieder werden ... und langweilig." Die Kaufleute sahen sich vorsichtig um, doch ansonsten war gerade niemand in der Nähe zu sehen. "Nun ja, also, in Wallerheim war mehr los. Da gab es sogar ein ..." Der Mann stutzte kurz. "Ja, ja, ich weiß schon, was Ihr meint", zwinkerte Hopfenwart ihnen zu. "Das Etablissement Wogende Wellen ist kein Geheimnis. Und seien wir mal ehrlich: Gegen so ein wenig Vergnügen ist doch nichts einzuwenden." Die Bemerkung zauberte auch der Frau ein Lächeln ins Gesicht.
"Ich sehe schon, da sind wir an den Richtigen geraten!", kommentierte der andere Mann. "Vielleicht könnt Ihr uns ja noch einige Empfehlungen für die Weiterreise geben, wenn hier schon nichts los ist." "Aber, aber! Das wäre doch gegen den Willen des Herrn Phex, solche Tipps kostenlos anzugeben!", zwinkerte Bosper den Reisenden zu. "Na, wenn's nur darum geht – daran soll's nicht scheitern." Mit diesen Worten steckte der erste Mann etwas belustigt Hopfenwart eine Münze zu. "Habt vielen Dank! Ich werde die symbolische Gabe dem nächsten Diener des Fuchses geben, es sei versprochen!" Danach erzählte Hopfenwart einiges über Ferdok und die dortigen Gelegenheiten, sich zu amüsieren.
"Aber in so einer großen Stadt ist es natürlich keine große Kunst, einen Weg zu finden, mal richtig einen draufzumachen. Interessanter wird es außerhalb davon ... Wie sehen denn die weiteren Reisepläne aus? Reist Ihr direkt auf der Reichsstraße VI weiter?" "Ja, genau, es soll ohne Umweg nach Garetien gehen", bestätigte der zweite Mann. "Alles klar – dann macht Ihr am besten in Rakulbruck direkt vor der Grenze Station. Dort habt Ihr ein letztes Mal Gelegenheit, Ferdoker zu niedrigen Preisen zu genießen. Auch das lokale Bier, das Rakulbrucker Weizen, ist nicht zu verachten. Und wenn Euch mehr nach anderem der Sinn steht ..." Bosper musterte die drei und legte eine dramaturgische Pause ein. "Im Zwei Mondnächte weiß man auch Frauen zu beglücken. Dort kehren regelmäßig die Ferdoker Reiterinnen ein. Und falls Ihr beim Rausch auf besonderen Geschmack und Stil Wert legt: Es gibt auch in Rakulbruck einen Tempel, der eher ungewöhnlich für den Kosch ist ... einen der Rahja." Die Händlerin musste schmunzeln. "Das werde ich mir merken! Das gibt's viel zu selten."
"Worauf habt Ihr sonst Lust, wenn Ihr tatsächlich Rakulbruck als Halt einplant?", fragte Hopfenwart nun freundlich. "Was für Gasthäuser könnt Ihr uns empfehlen?", fragte der erste der Händler. "In der Taverne Zur Brücke geht es für gewöhnlich hoch her. Die Schänke Grillenruh ist eher gemütlich. Nun, was die Unterkunft angeht: Die Herberge Rad- & Achsenbruch hat Betten verschiedener Preisklassen. Eine Alternative ist das Gasthaus 40 Meilen, das am westlichen Ende des Ortes liegt – vielleicht praktisch, wenn Ihr spät ankommt. Auch im Wirtshaus Zum Kleiber läßt sich übernachten. Es ist vor allem für die ordentlichen Portionen beim Essen bekannt. Falls Ihr sehr auf den Kreuzer achtet, könnt Ihr auch im Gasthaus Zum geizigen Grimmbart nächtigen. Allerdings ..." Bosper kniff ein wenig die Augen zusammen und wiegelte ein wenig ab. "Na, was denn?", fragte der zweite Händler. "Ist etwas mit dem Gasthaus nicht in Ordnung?" "Ach, naja, im Kosch-Kurier war vor einigen Jahren zu lesen, dort gebe es einen geheimen Nandustempel, nachdem die Kirche in Garetien verboten worden war. Aber das ist natürlich Unsinn, denn so einen Tempel würde man wohl kaum bekannt geben! Der Wirt Sauertopf hat das immer abgestritten. Es wäre schon seltsam, wenn die Leute sich aufgrund von reinem Hörensagen über die Grenze begäben in der Hoffnung, hier einem Halbgott zu huldigen." Die Händlerin blickte ihre beiden Reisegefährten kurz an. Dann wandte sie sich schnell an ihren Koscher Kollegen. "Nun gut, in jedem Fall scheint dieses Rakulbruck einiges an Vergnügungsmöglichkeiten zu bieten. Also, ich freue mich schon darauf." "Genießt es! Versucht nur, zu vermeiden, bei den Badilakanern um Ulfried Ulmentreu negativ aufzufallen. Sie sehen es nicht gerne, wenn sich die Leute so amüsieren." "Danke für die Warnung!", lachte die Händlerin. "Natürlich werden wir auch im Traviatempel eine kleine Spende hinterlassen für eine gute Reise. Mutter Travia wollen wir ehren." Danach verabschiedeten sich die drei Reisenden von Bosper Hopfenwart.
Einige Zeit, nachdem die Praiosscheibe untergegangen war, betete Meister Phexgnade unter freiem Himmel. Er war hochzufrieden. Ein weiteres Mal mal war das Gerücht gestreut worden und würde nach Garetien weiterreisen. Ob Tempel oder nicht: Allein die Information über einen Versammlungsort, an dem man willkommen war, würde das Gasthaus zu einem logischen Kandidaten für einen Treffpunkt machen. Ein sicherer Ort, um die versprengten Gläubigen zusammenzuführen, würde der Nanduskirche Garetiens helfen, weiterzubestehen – auch wenn dieser für die Garetier außerhalb der eigenen Provinz lag. "Göttlicher Fuchs, Dein Sohn soll nicht vergessen sein!"