Altenteil statt Aufstieg

Aus KoschWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen


Der Frühling hatte den weitläufigen Garten des herrschaftlichen Gutshofes in sattes Grün und erste strahlende Farben gekleidet, so wie der Herr des Hauses es gern hatte: lebendig, farbenfroh, geschmackvoll und wohl gepflegt. Es war sogar so geschmackvoll, dass jeder Besucher des Hauses und des Gartens sofort sah, wie viel geldliche Mittel aufgewendet worden sind, um es so aussehen zu lassen, als wären wenig geldliche Mittel aufgenommen worden.

Inmitten eines prächtigen Fliederhaines, dessen Zentrum ein Pavillon aus weiß gestrichenem Holz und ein beruhigend plätschernder Springbrunnen bildeten, standen die beiden Leibwächter des Hausherrn mit aufmerksamen Blicken ein wenig abseits desselben, der sich mit seinem Sohn zum Gespräch hierher begeben hatte. Die Ingerimmssonne schien, doch trotz der warmen Strahlen der mittäglichen Praiosscheibe hatte der alte Gobrom zu Stippwitz eine Decke über seine alten Beine gebreitet, die er rechts und links in die Lehnen des Rollstuhls geklemmt hatte, mit dem sein Sohn Garbo ihn hierher geschoben hatte.

„Schön hier“, eröffnete Garbo das Gespräch, die Gobrom sogleich seufzen ließ.

„Warum seufzest du, Vater?“

„Garbo. Deine ersten beiden Worte verraten dich: Du weißt nicht, was du sagen sollst, und sagst etwas Dummes. Zum ersten ist es offensichtlich, dass es hier schön ist. Zweitens: Was heißt denn schön? Dass es dir gefällt, mir gefällt oder jedem gefallen muss? Ist es eine messbare Aussage? Etwas Überprüfbares? Da du weißt, dass ich dich wegen der vermurksten Wahl habe herkommen lasen, eröffnest du das ernste Gespräch mit einer Flucht zur Seite. Du offenbarst damit deine Unsicherheit, dein Schuldgefühl und deine tiefe Enttäuschung über den Ausgang der Wahl.“ Mehrfach hatte Gobrom mit herrischer Geste unterbunden, dass ein Sohn ihn zornig unterbrach. Jetzt hingegen lud die offene Hand des Alten ihn ein, endlich zu sprechen.

„Vater, ich bin kein dummer Hinterkoscher Kaufmann, den du einfach so vorführen kannst! Was fällt dir ein?“

„Habe ich doch gerade.“

Garbo schwieg kurz verdutzt, dann atmete er durch und versuchte sich zu beruhigen. „Was soll das? Ich bin dein Sohn und Erbe. Ich führe des Handelshaus jetzt sogar länger schon, als du es getan hast. Ich weiß, was ich tue und bin nicht sicher, ob du es noch weißt.“

„Ich weiß viel. Zum Beispiel, wer das Handelshaus führt. Führen muss, weil du unbedingt Reichsvogt werden wolltest.“

„Natürlich! Angbar wird von Ewigkeit zu Ewigkeit von einem Stippwitz regiert!“ Garbo sprang auf, die beiden Leibwächter traten wachsam einen Schritt näher heran.

„Einem Stippwitz, Garbo, einem. Das heißt irgendeinem, weil es uns egal ist, welcher Stippwitz unter uns, den Handelsherren, die Stadt regiert. Aber doch nicht der Stippwitz, der das Handelshaus lenkt. Garbo. Ich bin froh, dass du gegen Vieska Markwardt unterlegen bist.“

„Froh? Dass dein Sohn diese Niederlage erleben musste?“

„Musste, ganz recht. Musste. Ich bin auch froh, dass du unterlegen ist, ehe du im Amt hättest scheitern können. Es mag zwar möglich sein, deine Sauftouren, die durchzechten Nächte und Tage, das ganze verlorene Hurengeld irgendwie innerhalb des Handelshauses zu regeln. Aber ein öffentliches Scheitern an der Spitze der Stadtregierung – das ist nicht leicht zu vertuschen.“

„Warum denkst du, dass ich gescheitert wäre, Vater?“

„Du kannst doch nicht beides lenken wollen – den Rat und das Handelshaus! Schon jetzt nimmt dein Sohn aus der Kasse, was er kriegen kann, ohne dass du es merkst.“

„Moment, Vater. Hier geht es also um mehr als nur die vermurkste Wahl? Willst du mir sagen, dass du hier mit mir abrechnen willst und mit meinem Sohn gleich mit? Glaubst du, das lasse ich mir bieten?“

Gobrom blinzelte kurz ostentativ zu den beiden Leibwächtern, senkte dann den Blick auf seine verschränkten Finger. Als er seinem Sohn direkt in die Augen sah, glitzerten die Augen feucht.

„Garbo, setz dich.“ Der tat, wie ihm geheißen. „Du bist jetzt 65 Jahre alt. Kein Mann in mittleren Jahren mehr, sondern an der Schwelle zum Greisentum. Bleib ruhig … ich weiß, wovon ich rede. Es ist so oder so an der Zeit, dass du deine Nachfolge regelst.“

„Du meinst, es ist an der Zeit, dass du meine Nachfolge regelst?“

„Ja.“

Garbo schwieg und sah seinen Vater lange an. Der alte Gobrom hatte zusammen mit seinem Bruder Tiftal ein bedeutendes Handelshaus übernommen, aber erst als ‚Handelshaus Gebrüder Stippwitz‘ hatte es seinen Einfluss so weit ausgedehnt, dass der Stippwitz’sche Reichtum sprichwörtlich wurde, dass Kontore in fernen Ländern eingerichtet wurden, dass das Bienenwappen der Familie über mancher Karavelle wehte, die auf dem Perlenmeer oder der Meer der Sieben Winde kreuzte, um Lieferanten, Kunden und das Handelshaus gleichermaßen glücklich zu machen. Tiftals Südmeerabenteuer mit der Brakem-Compagnie hatte dem Handelshaus mehr genützt als geschadet, auch weil Gobrom nach Tiftals Tod die Fäden sortiert und straff gezogen hatte. Wenn Garbo ehrlich war – und das war er zu sich selbst viel seltener als zum Rest der Welt –, dann hatte Gobrom das Handelshaus auch in den ersten Jahren geführt, die Garbo ihm nominell vorgestanden hatte. Und ja, nachdem die Trauer über den Tod der Mutter abgeklungen war, hatte Gobrom sich wöchentliche Berichte abstatten lassen - von ihm, aber gewiss auch von anderen Zuträgern. Als Garbo schwieg und seinen Vater betrachtete, wurde ihm klar, dass er keine Verhandlungsposition besaß, um aus diesem Konflikt siegreich hervorzugehen. Gobrom hatte gewonnen, jetzt musste Garbo seinen Schaden begrenzen, seine Anteile retten, seine Erträge festsetzen.

Nach einer langen Pause fragte er: „Wer?“

„Wen würdest du wählen?“, fragte sein Vater ruhig.

„Als Vater – Beregond. Er ist ehrgeizig und fleißig. Allerdings ist er auch leichtsinnig, impulsiv, leicht abzulenken. Er kann auch Praiodane nicht viel entgegensetzen.“

„Dem stimme ich zu.“

„Als Leiter des Handelshauses – Savertin. Er hat in den letzten Jahren an Ernsthaftigkeit gewonnen. Er lässt sich beraten, entscheidet stets überlegt, handelt im langfristigen Interesse des Handelshauses und der Familie.“

„Dem stimme ich ebenfalls zu.“

„Also: Wen hast Du ausgewählt?“

„Meine erste Wahl war Laudine …“

„Laudine? Wieso denn das?“, platze Garbo heraus.

„Sie ist klug, hält sich im Hintergrund, kennt alles, weiß alles, vergisst nichts. Sie kann rechnen und sie kann Menschen einschätzen. Sie ist vertrauensvoll- sogar die Angroschim vertrauen ihr. Und sie kann mit Praiodane umgehen.“

„Aber?“

„Sie will nicht. Deshalb wird es Savertin, beraten von mir, von seiner Mutter, von Praiodane – damit sie eingebunden ist und nicht mehr stört – und von Dir.“

„Und Beregond?“

„Beregond übernimmt das Kontor in Havena. Es ist unser zweitwichtigstes, da kann er sich als Kopf des Ganzen fühlen, ohne jeden Tag mit ansehen zu müssen, wie sein Vetter das Geschäft in die Hand nimmt.“

Garbo senkte den Kopf. Ihm war insgeheim schon vorher klar gewesen, dass er mit seiner verrückten Kandidatur für das Amt des Reichsvogtes das Unvermeidliche nur beschleunigt hatte. Vielleicht hatte sein Vater recht, und es war gut, dass die Wahl mit dem Sieg der Markwardt ausgegangen war. Altenteil statt Aufstieg? Es sei.

Er seufzte.

Sein Vater beschloss: „Schön hier.“