Berichte von der Keilerkompanie - Willkommen in Wengenholm

Rondrasdank, Wengenholmer Grafenland, Rondra 1048
Baerwin von Hartsteig stöhnte genervt. Meister Phex’ Glück war nicht mit ihnen. Kaum hatten seine neue Ritterlanze und er das heimische Hartsteiger Thal verlassen, da begann es bereits zu stürmen und zu regnen. Den ganzen Weg über bis Rondrasdank war es nicht viel besser geworden, so dass die Pfade verschlammt und aufgeweicht waren. Nun hatten seine Hose, seine Stiefel und seine Gewandung mehr Schlammspritzer abbekommen, als er es sich hätte vorstellen können. Den ganzen gestrigen Tag war er dabei gewesen, seine Klamotten zu waschen und zu reinigen. Doch prächtig sahen die guten Stücke nicht mehr aus. Siedend heiß fiel ihm wieder ein, wie sein Großvater darauf gepocht hatte, ja einen guten ersten Eindruck auf Prinz Erlan zu machen. Doch das würde er jetzt wohl nur mit seinem Auftreten bewerkstelligen müssen, denn mit dem Aussehen alleine hatte er wohl keine Chance mehr. Kaum hatte er diesen Gedanken beendet, als Arnhelm bereits die Tür öffnete und meinte: „Ein großer Trupp mit dem Keilerbanner nähert sich aus Praios.“ Das konnte dann nur der Fürstensohn sein. Baerwin zog sich rasch an und eilte dann nach draußen, um am Eingang der Siedlung den Prinzen zu erwarten. Hinter sich hatte er Rigolosch, Cildariel und Arnhelm aufgereiht. Alle drei sahen nicht wesentlich besser aus als er, vor allem Rigolosch hatte nur mit Mühe überredet werden können, seine Klamotten ordentlich zu säubern. Der Schlamm auf seiner Kleidung und seinen Schuhen hatte den Angroscho nicht sonderlich gestört, nur die Nässe mochte er überhaupt nicht, daher war er dem grummelnd und schimpfend doch nachgekommen.
Als sie zum Eingang des Dorfes traten, erkannte Baerwin noch zwei andere Gruppen, die sich ebenfalls zur Begrüßung des hohen Besuches eingefunden hatten. Die eine Gruppe kam direkt aus Rondrasdank und umfasste die örtliche Sendrin Lorine Bartelbank sowie den hiesigen Rondra-Geweihten mit einer kleinen Delegation aus Novizen. Die andere Gruppe umfasste Wengenholmer Rekruten und Arbeiter, die hier ebenfalls Zwischenrast gemacht hatten, um sich dem Zug des Fürstensohnes anzuschließen. Keiner von ihnen stach besonders heraus, was Baerwin etwas beruhigte. Doch auch der Zug des jungen Erlan wirkte nicht mehr so prächtig wie wohl noch bei seinem Auszug aus Angbar. Die Strapazen des Weges, das raue Wetter und die schlechten Straßen schienen ihren Tribut gefordert zu haben.
Neugierig musterte Baerwin die hochgehaltenen Banner und Fahnen. Dank dem Kosch-Kurier hatte er ja schon einen gewissen Überblick erhalten, welche Häuser sich anschließen würden, und so erkannte er neben dem Eberstammer Wappen mit dem schwarzen Keilerkopf auf Grün auch das Banner von Haus Treublatt mit dem silbernen Rüden und dem goldenen Blatt, die rote Tanne mit der schwarzen Axt des Hauses Rohenforsten, die roten Panzerhandschuhe und gekreuzten Dolche der Vardocker sowie die Farben der Häuser Mackenstein und Marking. Dann erblickte er den schwarz-weißen Dachskopf auf grünem Grund der Sindelsaumer, was seine Stimmung gleich hob. Ihre Familien hatten in letzter Zeit gute Beziehungen zueinander geknüpft und er hoffte, dass er sie weiter vertiefen könnte. Als er jedoch Yolande unter dem Banner reiten sah, da verflog etwas seine Vorfreude, denn er hatte auf jemand anderes als die trink- und spielfreudige Ritterin gehofft. Sie unterhielt sich gerade mit einer weiteren, kurzhaarigen Reiterin unter einem Banner mit einer Rose. Dieses war Baerwin überhaupt nicht geläufig, aber das musste auch nichts heißen. Er zweifelte daran, dass sein eigenes Banner hier auch nur irgendjemand erkannte. Als der Trupp mit dem Tross heran war, da traten der Geweihte, die Sendrin und Baerwin nach vorne und alle drei verbeugten sich tief. „Seid willkommen in unserem schönen Rondrasdank, Prinz Erlan“, begann Lorine behutsam. „Die Herrin Rondra sieht wohlwollend auf Euch und Eure tapferen Gefährten herab. Möge die Sturmherrin Euch segnen!“, verkündete der Geweihte feierlich.
Der Prinz sah in Baerwins Augen etwas mitgenommen aus. Seine Wangen waren etwas blass und er hatte einen dicken Mantel um sich geschlungen. So viel Wind und Regen im Rondramond schien er nicht gewohnt zu sein, genauso wenig wie eine solch lange Strecke im Pferdesattel. Der Prinz schien von dieser kleinen, schlichten Begrüßung nicht wirklich angetan und man konnte ihm ansehen, dass er gerne rasch einen bequemen Sessel und ein schmackhaftes Essen wünschte. Dennoch blieb er höflich und erwiderte diese Begrüßung mit der passenden Etikette, die er trefflich beherrschte. Dann fiel sein Blick auf Baerwin und er meinte: „Ich kenne leider Euer Banner nicht, Herr Ritter, aber ich nehme an, Ihr seid der Ritter von Hartstein mit den tapferen Wengenholmern, die sich uns hier anschließen wollen?“
Bevor Baerwin darauf etwas erwidern oder auch nur seinen Namen berichtigen konnte, ertönte eine Stimme hinter ihm. „Prinz Erlan!“ Zum Erstaunen der meisten trat nun ein kecker Kerl mit einem knappen Schnauzer und einem gewinnenden Lächeln nach vorne. Baerwin erkannte den Mann, es war Kuniswart Bocksbart, Sohn der Sendrin von Adlergang. Was konnte dieser Schwurbündler nur von dem Fürstensohn wollen? Breitbeinig baute er sich vor dem Pferd des jungen Eberstammers auf und meinte mit angriffslustig vorgestrecktem Kinn: „Willkommen im Wengenholmer Grafenland. Ich wollte Euch hier begrüßen und Euch auch gleich etwas mitteilen“, meinte er und sein Lächeln reichte nicht bis zu seinen Augen. „Die Gründung dieser neuen Truppe und der Schutz meiner Heimat ehrt Euch, mein Prinz. Doch wisset, dass wir in Wengenholm unsere eigenen Regeln haben. Wir sind hier alle freie Leute und freie Schwurbündler folgen nur verdienten Rängen, nicht ererbten Titeln. Daher seid ihr hier erst mal nur ein Knappe und braucht nicht meinen, dass ihr uns einfach herumkommandieren könnt, wie es euch beliebt.“ Baerwin hielt den Atem an und betrachtete die Reaktion des fürstlichen Gefolges. Viburn von Rohenforsten hatte die Hand am Griff seines Schwertes, während Trest von Mackenstein bereits mit hochrotem Kopf die Klinge halb gezogen hatte. Kurz fragte sich Baerwin, ob es nicht das Beste sein würde, den jungen Kuniswart einfach niederzuschlagen.
Doch dann durchbrach ein helles Lachen die dröhnende Stille. Der Fürstensohn hatte den Kopf zurückgelegt und lachte herzhaft. Alle blickten ihn überrascht an und dann ging Erlans Blick wieder zu Kuniswart. „Wacker gesprochen, guter Schwurbündler. So etwas Ähnliches hat mir meine Mutter bereits erzählt. Darum hört her, ihr Wengenholmer und auch ihr eingeschworenen Männer meines Vaters. Ich respektiere die Gepflogenheiten dieser Grafschaft sehr, deren halber Sohn auch ich bin. Daher sollt ihr eure Anführer zu Anfang selbst wählen, wenn dies euer Wunsch ist. Was Pflicht und Gehorsam betrifft, erwarte ich, dass ihr dies genau so handhabt, wie es gute Koscher Tradition ist und den Statuten des Reichsheers entspricht. Dies hier ist mein erster Feldeinsatz und darum bin ich dankbar, dass ich nur der Knappe des guten Herrn Viburn bin und hier hoffentlich viel von ihm lernen kann. Ich verspreche euch daher, niemanden aus Lust und Laune herumzukommandieren und euren Rang als Freie zu respektieren, mein Herr …?“ Seine Frage hing etwas in der Luft, bevor der junge Adlerganger antwortete: „Kuniswart, mein Prinz. Kuniswart Bocksbart, Sohn der Ulwide Bocksbart, eine der ersten Sendrinnen von Wengenholm und gewählte Anführerin einer der sieben Urgemeinden des Schwurbundes, zu Euren Diensten.“ Erlan nickte feierlich und meinte: „Ich freue mich schon, mit Euch zusammenzuarbeiten, Herr Kuniswart. Und nun wenn ihr verzeiht, ich habe großen Hunger, denn die Reise war lang. Von Hartstein, bitte zeigt uns eine vernünftige Wirtschaft, in der wir uns stärken können.“ Baerwin nickte perplex, das ging ihm gerade alles etwas zu schnell. „Hier entlang, mein Prinz, das Gasthaus Traviahilf ist dafür wohl am besten geeignet.“ Als er voranging, konnte er noch aus den Augenwinkeln Kuniswarts hämisches Grinsen erkennen, welches zweifellos ihm galt. Die Rivalitäten der beiden Twergentrutzer Familien schien sich hier wohl fortzusetzen. Das konnte ja noch was werden.