Berichte von der Keilerkompanie - Stolz wie die Rose, stark wie ihre Dornen

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Tarnelfurt, Herbonia, Rahja 1047

Alrune vom Rosenschloss stand auf dem staubigen Hauptplatz von Tarnelfurt, direkt vor dem „Baronssitz“ – dem alten Zunfthaus der Tuchmacher, aus dem sie vor wenigen Augenblicken getreten war. Ihre Hände waren zu Fäusten geballt, und der Wind trug das leise Getuschel der Dorfbewohner zu ihr, die den Platz wie eine Arena umsäumten.

Im Zentrum des Platzes standen ein Dutzend Männer in blau-weißen Wappenröcken, die zwei sich kreuzende, rote Messer zeigten – Söldner des Hauses Vardock, der Familie ihres Vaters. Sie waren bereits am Vortag angereist und hatten im ganzen Ort randaliert. Das Gasthaus „Zur Rose“ hatten sie okkupiert, die Wirtsfamilie drangsaliert, die Zeche geprellt und sich lautstark über das Haus Rosenschloss lustig gemacht. Sie nannten sie Bastarde, Feiglinge und weit Schlimmeres. Am Baronshof von Herbonia war allen sofort klar, dass Trest von Vardok hinter all dem steckte. Vor einigen Jahren war er unerwartet aufgetaucht und wollte Alrune und ihre Schwester mit sich nehmen und als Knappinnen ausbilden. Sie lehnten ab und traten stattdessen beim Haus Hirschingen in Knappschaft – den Feinden Vardocks. Seither hatte ihr Vater ihnen immer wieder Steine in den Weg gelegt. Doch dies war die Krönung seiner Schikanen.

Alrune stellte sich den Vardockern an diesem Morgen alleine entgegen, weil sie fest davon überzeugt war, dass sie der wahre Grund für deren Anwesenheit waren. Sie glaubte, dass ihr Vater in seiner krankhaften Art und Weise immer noch versuchte, Kontrolle über sie, ihre Schwester oder ihre Mutter auszuüben. Seit er sie verstoßen hatte, hatte er nie aufgehört, sie zu verfolgen – sei es durch Schikanen, Drohungen oder nun durch diese offene Provokation. Alrune wusste, dass er etwas von ihnen wollte, sei es Gehorsam, Unterwerfung oder einfach nur die Genugtuung, sie erneut zu demütigen. Doch sie war entschlossen, ihm keinen weiteren Sieg zu gönnen. Sie würde sich nicht verstecken, nicht kneifen und schon gar nicht zulassen, dass er ihre Familie weiter terrorisierte.

Der Älteste der Vardocker, ein breitschultriger Krieger mit grauem Bart und entstelltem Gesicht, war Eberhard von Vardock, der Anführer der Gruppe. Obwohl Alrune ihn noch nie gesehen hatte, erkannte sie ihn sofort an seiner Nase: „Schweinerüssel Eberhard!“ brüllte sie über den Platz. „Verschwinde mit deiner Saubande, oder ich mach dir Beine!“

Eberhard trat vor und spottete: „Na schau mal einer an, die kleine Bastardmaid vom Rosenschloss! Wie willst du mir denn Beine machen? Sieht nicht aus, als könntest du ein Schwert richtig halten. Wahrscheinlich hast du mehr Übung darin, im Dreck nach Almosen zu graben, als im Kampf!“

Er schnaubte verächtlich: „Ach, was rede ich – wahrscheinlich kennst du das Kämpfen nur aus Kinderspielen mit Holzschwertern. Oder vielleicht eher aus der Küche, wenn du Gemüse hackst?“ Gelächter brach unter den Vardockern aus. Alrune spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. Sie ballte die Fäuste.

„Aber vielleicht steckt ja doch ein Funken von Vardock-Blut in dir“, höhnte er weiter, „wenn auch verdünnt durch schwächliches Bastardblut.“ Er spuckte auf den Boden. „Oder willst du kneifen? Dann wissen wenigstens alle hier, dass du nur ein feiges, nutzloses Anhängsel bist!“

Ein Raunen ging durch die Menge. Alrune spürte die Blicke auf sich gerichtet. Ihre Tante, die Baronin Alvide von Herbonia, beobachtete sie von einem Fenster des Zunfthauses aus. Ihr Gesicht war regungslos, doch ihre Finger krallten sich in den Stoff ihres Kleides. Kneifen wäre gleichbedeutend mit Schande – für sie, für ihre Mutter, für das Haus Herbonia, dessen Ritterin Alrune war.

„Oder willst du dich etwa beweisen?“ höhnte Eberhard. “Willst du zeigen, dass du mehr bist als ein unerwünschter Rest, den der große Ritter Trest von Vardock mal von sich geworfen hat? Komm, Mädchen! Zeig, dass du ein Kriegerherz hast – oder verzieh dich zurück in die Stube, wo du hingehörst!“

Alrune ging einige Schritte auf ihn zu und spuckte auf den Boden. „Schweinerüssel Eberhard! Dein Gesicht sieht aus, als hätte es ein Pferd getreten und dann draufgeschissen! Du bist nichts weiter als ein stinkender Haufen Dung auf zwei Beinen!“

Alrune trat noch einen Schritt vor. „Ihr seid alle feige, sabbernde Hunde, die nur bellen, wenn sie in der Überzahl sind! Ihr habt so viel Ehre wie ein nasser Furz im Wind.“ Alrune fixierte Eberhard mit ihrem Blick: „Deine Mutter dreht sich im Grab vor Scham, wenn sie sieht, was für ein elender, feiger Wichser aus dir geworden ist!“

Die Vardocker Söldner starrten sie an, einige begannen unruhig zu murmeln.

Eberhard zog sein Schwert und zischte: „Eine Ehre, dir die Schwäche aus dem Leib zu prügeln, Mädchen.“

„Wie du mir, so ich dir!“ – Mit dem Wahlspruch der Vardocker auf den Lippen stürmte er auf Alrune zu.

Alrune griff nach ihrem Schwert und nahm Kampfstellung ein. Der Kampf begann mit einem gnadenlosen Angriff. Eberhard schwang sein Schwert mit solcher Wucht, dass sie nur mit Mühe ausweichen konnte. Sie ließ die Klinge an ihrem Lederwams vorbeizischen. Staub wirbelte auf. Die Menge hielt den Atem an.

Eberhard würde in diesem Kampf seine Kraft ausspielen, das war ihr nun klar. Kraft, die sie kaum würde parieren können – sie musste taktisch vorgehen. Die blanken Klingen blitzen in der Sonne hin und her.

Als er zu einem wuchtigen Überkopfhieb ausholte, nutzte sie seine Unachtsamkeit. Sie trat gegen sein Knie, brachte ihn aus dem Gleichgewicht und hielt ihm ihre Klinge an die Kehle. Eberhard keuchte, seine Augen weiteten sich. Dann, mit einem anerkennenden Lächeln, hob er die Hände. „Genug. Du hast gesiegt, Alrune vom Rosenschloss.“

Jubel brach aus. Die Vardocker Söldner nickten Alrune zu – nicht freundlich, aber mit Respekt. Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn. Sie hatte gesiegt.

Nachdem sich der Staub des Kampfes gelegt hatte und die Spannung auf dem Platz langsam verflogen war, trat der alte Kämpfer erneut auf Alrune zu. Diesmal hielt er einen versiegelten Brief in der Hand, den er ihr mit einer gewissen Feierlichkeit überreichte. Sein Gesicht war ernst, und das spöttische Grinsen, das ihn zuvor geprägt hatte, war verschwunden.

„Hier“, sagte er knapp und drückte ihr den Brief in die Hand. „Das ist nicht von mir. Es ist von der fürstlichen Wehrmeisterin Alvide von Eichental. Sie sucht Krieger. Du hast dich als würdig erwiesen, mit uns zu kämpfen.“

Alrune nahm den Brief, öffnete das Siegel und überflog die Zeilen. Die Wehrmeisterin suchte Krieger für eine Kompanie unter der Führung des Erbprinzen, die im Norden die Grenze sichern sollte. Doch der Gedanke, Seite an Seite mit den Vardockern zu kämpfen, die sie ihr ganzes Leben lang verachtet hatte, ließ ihr Blut erneut kochen.

„Ich werde nicht mit euch kämpfen“, sagte sie scharf und warf Eberhard einen eisigen Blick zu. „Nicht mit dir, nicht mit deiner Sippschaft, und schon gar nicht im Namen meines Vaters, der dich gewiss geschickt hat.“

Eberhard zuckte mit den Schultern, als hätte er ihre Reaktion erwartet. „Deine Entscheidung“, sagte er trocken. „Aber denk daran, Mädchen – manchmal führt der Weg nach vorne über Umwege.“

Später, in den Gemächern des alten Tuchmacherhauses, sprach sie mit ihrer Tante Alvide und ihrer Mutter Zelda. Die Baronin saß hinter ihrem schweren Eichentisch, die Hände gefaltet, während Zelda nervös hin und her ging.

„Alrune“, begann Alvide mit ruhiger Stimme, „ich verstehe deinen Zorn. Aber du musst die Situation nüchtern betrachten. Die Baronie steht vor finanziellen Schwierigkeiten. Die Bezahlung, welche die Wehrmeisterin anbietet, ist gutes Geld, das wir brauchen können.“

Alrune starrte ihre Tante an. „Ihr wollt, dass ich mich den Vardockern anschließe? Nach allem, was sie gerade aufgeführt haben?“

Zelda trat näher und legte eine Hand auf Alrunes Schulter. „Es geht nicht darum, dich ihnen anzuschließen, mein Kind. Es geht darum, deine Fähigkeiten zu nutzen, um uns allen zu helfen. Du hast heute gezeigt, dass du eine Kriegerin bist – eine, die Respekt verdient. Vielleicht ist dies deine Chance, nicht nur für Herbonia, sondern auch für dich selbst etwas zu erreichen.“

Alrune schwieg und blickte auf den Brief in ihrer Hand. Die Worte ihrer Mutter und ihrer Tante hallten in ihr nach. Sie hasste die Vorstellung, mit den Vardockern zusammenzuarbeiten, aber sie konnte die Not ihrer Familie nicht ignorieren. Schließlich seufzte sie tief und nickte langsam.

„Gut“, sagte sie mit fester Stimme. „Ich werde mich der Kompanie anschließen. Aber nicht für die Vardocker. Für meine Familie. Stolz wie die Rose, stark wie ihre Dornen!“