Berichte von der Keilerkompanie - Das Ende eines Banners

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Harzklamm, Albumin, Efferd 1048

Nebelschwaden lagen über den dunklen Tannen, als der kleine Zug von Norden her nach Harzklamm ritt, aber am Himmel kündigte goldenes Licht einen klaren Herbsttag an. Die Sonne war kaum über die Berge gestiegen, und doch war der Burghof bereits erfüllt von Stimmen, Hufgetrappel und dem Schlagen von Äxten, denn der Ausbau der Feste war in vollem Gange. Maurer, Schmiede, Zimmerleute – sie alle arbeiteten unter der wachsamen Aufsicht des alten Kastellan Grimhold Schwarzacker, der selbst den Fürstensohn nicht ohne Stirnrunzeln willkommen hieß.

Erlan vom Eberstamm stieg vom Pferd, klopfte sich den Staub der Reise von der Weste und sah sich einen Moment still um. Neben ihm warteten Baerwin von Hartsteig, Alrune vom Rosenschloss und Yolande von Sindelsaum auf weitere Befehle. Die letzten Tage hatten sie nicht nur mit dem Aufspüren von Verrätern und Fahnenflüchtigen verbracht, sondern auch mit der schwierigen Aufgabe, eine zerschlagene Einheit neu zu formen. Die Vardocker Spießgesellen waren Geschichte – doch nach Erlans Willen sollten die Söldner nun als Soldaten unter dem Banner des Fürstensohns marschieren.

Nachdem Stallknechte die Pferde weggeführt hatten, trat Viburn von Rohenforsten an den Prinzen heran, gefolgt von Trest von Mackenstein, der einen Sack hielt. „Es ist alles vorbereitet, Eure Durchlaucht.“

Der Fürstensohn nickte und schritt schnellen Schrittes Richtung Wehrturm, gefolgt von seiner Ritterschaft und dem Soldaten. Baerwin sagte leise: „Wir hätten’s auch einfach verbrennen können.“ Alrune zuckte mit den Schultern.

Auf einem Hinterhof, zwischen alten Gärten und dem verwitterten Brunnen, hatte man eine kleine Grube ausgehoben – einen Halbschritt tief.

Etwa dreißig Soldaten standen in lockerer Reihe um die Grube. Kastellan Schwarzacker stellte sich unauffällig in die Nähe unter einen alten Dachbalken, die Arme verschränkt, sein Gesicht ausdruckslos, wie aus Granit gemeißelt.

Einige Soldaten trugen noch Reste ihrer alten Rüstung, andere bereits neue Wappenröcke. Die meisten schwiegen. Einige blickten abwartend um sich. Nur der narbenübersäte Veteran Gero Eisenbrecht konnte wieder mal nicht an sich halten und murrte laut: „Na endlich geht’s los. Wir haben schließlich Besseres zu tun!“

Nachdem sich das aufkommende Gemurmel gelegt hatte, trat Prinz Erlan vom Eberstamm vor und sprach:

„Die Vardocker Spießgesellen sind aufgelöst. Ihre Hauptleute sind tot. Das Banner wird nicht mehr geführt.“

Er deutete in Richtung des alten Wehrgangs. Dort standen mehrere Pranger, grob gezimmert aus Balken und Eisenringen, an die Männer und Frauen gekettet waren – einige in Rüstteilen der Spießgesellen, andere in zerrissener Bauernkleidung. Ihre Gesichter waren blutig, zugeschwollen, kaum noch zu erkennen. Manche lagen kraftlos in den Fesseln, als warteten sie nur noch auf das Ende. „Diese Leute wussten von den Gesprächen mit dem Borrewaldbund. Sie haben geschwiegen.“ Seine Stimme blieb ruhig. „Wer sich gegen das Fürstentum stellt, teilt ihr Schicksal.“ Einen Moment ließ er die Stille wirken – nur unterbrochen vom dumpfen Keuchen der Geschlagenen –, dann streckte er die Hand aus, und Trest reichte ihm einen blau-weißen Stoff aus dem Sack.

„Dieses Banner steht nicht für Tapferkeit, sondern für Verrat. Wer ihm diente, ist künftig Soldat des Fürstentums – oder nichts mehr.“

Er warf das Banner wie einen alten Fetzen in die Grube. „Wir begraben hier die Treulosigkeit – und ein Stück Vergangenheit, das niemand vermissen wird. Merkt euch diesen Fleck Erde. Wer sich wieder vom Weg abwendet, landet tiefer – und ohne Banner.“

Dann ging er.

Viburn von Rohenforsten stand neben der Grube und rief die ehemaligen Söldner zu sich. Einer nach dem anderen traten die Soldaten vor, er drückte jedem eine kleine Schaufel in die Hand. Sie holte ein wenig Erde vom Rand und warf sie in die Grube, auf das zerknitterte Blau-Weiß, das bald nicht mehr zu sehen war.

Als auch der letzte gegangen war, blieb nur eine kleine Erhöhung zurück.

Schwarzacker beobachtete schweigend. Als Yolande, Baerwin und Alrune an ihm vorbeigingen, sagte er leise:

„Hoffentlich wird das neue Banner nicht so schnell faul wie das letzte. Wir hier oben haben gute Nasen.“

Niemand antwortete.

Später, nach dem Mittagsmahl, als der Hof wieder vom Lärm des Aufbaus erfüllt war, berief Erlan die Hauptleute zu sich. Listen wurden besprochen. Die ehemaligen Söldner wurden einzelnen Lanzen zugewiesen. Drei Männer fehlten, man vermutete Deserteure.

Trest von Mackenstein bekam das Kommando über die 1. Lanze, die direkt im Gefolge des Prinzen ritt und mit den besten Reitern der Kompanie besetzt war.

Als der Fürstensohn dies verkündete, straffte Trest sichtbar die Schultern, hob stolz das Kinn und ein selbstzufriedenes Grinsen stahl sich auf sein wettergegerbtes Gesicht – man sah ihm an, dass er sich für diese Ehre längst auserkoren gefühlt hatte.

Baerwin bekam das Kommando über den 4. Zug, in dem sich vor allem Fußsoldaten seiner eigenen Ritterlanze sowie aus Twergentrutz fanden. Er nickte zufrieden.

Yolande wurde die 4. Lanze überantwortet. Sie nahm es ausdruckslos zur Kenntnis. Alrune erhielt das Kommando über die 5. und letzte Lanze – jene Einheit, in der man die Überzähligen sammelte: Taugenichtse, Zuchtlose, Versager. Altersschwache und Grünschnäbel. Auch Gero Eisenbrecht, dessen Ruf ihm vorausging wie ein finsterer Schatten, wurde ihr unterstellt. Alrune sagte nichts, als man ihr die Namen verlas, doch ihre Miene verhärtete sich, und für einen Moment wich der Glanz aus ihren Augen.

Nach der Versammlung gesellte sich Baerwin von Hartsteig zu Alrune, die Hände lässig in den Gürtel gestemmt. „Nicht schlecht, Alrune“, meinte er mit einem schiefen Grinsen. „Die letzte Lanze – lauter Originale. Wenn du die heil durch den ersten Marsch bringst, baust du dir damit ein Denkmal.“ Er beugte sich ein wenig näher und senkte die Stimme: „Und Gero Eisenbrecht gleich mit drin – ein Geschenk der Götter. Vielleicht bringt er euch das Marschieren bei. Oder das Menschenfressen.“ Alrune verzog keine Miene, aber Baerwin sah das Zucken an ihrem Mundwinkel. Er grinste zufrieden. „Wird schon. Du machst das. Irgendwie …“

Am Abend dieses Tages, als Nebel aus den Mulden der Berge stieg, ließ Viburn von Rohenforsten - der alte und neue Kommandant der Einheit – die Kompanie vollständig vor dem Wehrturm antreten, verkündete die Neuigkeiten und verlas die Listen mit den Zuteilungen.

Einige Soldaten lachten erleichtert. Andere blickten betrübt. Wieder andere schulterten einfach ihr Gepäck und warteten, wohin man sie nun schickte. Männer und Frauen, die einst in einer rauen Kameradschaft verbunden waren, wurden nun wie lose Steine aus einer Mauer gebrochen und neu gesetzt. Der Prinz ließ neue Truppenteile bilden, aus dem, was übrig war. Verdiente Ritter wurden ihnen vorgesetzt. Manche gerecht. Manche ehrgeizig. Manche mit lächelnden Masken, hinter denen dieselbe Gier loderte wie einst bei den alten Hauptmännern.