Berichte von der Keilerkompanie - Eine Botin und ein Angebot
Es war ein ruhiger Tag im Hartsteiger Thal. Das Praiosmal stand hoch am Himmel und schenkte wohltuende Wärme für jedermann. Beschäftigt ging fast jeder im Dorf Angersteig seinem üblichen Tagwerk nach. Auch Ritter Baerwin war gerade beschäftigt, denn er besserte ein Teilstück der hölzernen Stallwand aus, in dem das Vieh seiner Familie im Winter untergebracht wurde. Er dachte dabei an nichts Besonderes, als plötzlich eine Stimme hinter ihm ertönte. „Ritter, Euer Lehnsherr ruft Euch!“ Erschrocken wirbelte der Mann herum und erkannte vor sich eine mittelalte Frau in Lederkleidung mit zwei langen Zöpfen, die ihn frech anlächelte. Der Ritter war einigermaßen überrascht, doch dann bekam er wieder ihren Namen heraus. „Mathild, Mathild Gerbaum? Was machst du denn hier?“ Das Lächeln der Frau wurde breiter und keck meinte sie: „Hab ich Euch etwa überrumpelt? Ich dachte, ein echter Ritter muss immer auf alles vorbereitet sein, und doch sehe ich Euch hier nur mit einem Hammer und ein paar Nägeln. Wollt Ihr Euch etwa so verteidigen?“ Baerwin wusste darauf hin keine rechte Antwort, doch fiel ihm ein, dass er ihr so etwas Ähnliches schon einmal vorgeworfen hatte, als sie gemeinsam das Dorf Wintrang in der Auersbrücker Fehde beschützt hatten. Ertappt steckte er den Hammer in den Gürtel und meinte: „In der Tat, das klingt wie etwas, das ich schon mal gesagt habe.“ Mit einer angedeuteten Verbeugung überreichte die Spurenleserin der Wengenholmer Grafenschar dem jungen Ritter eine Nachricht, auf der groß das Siegel des Fürstenhauses, der schwarze Keilerkopf, prangte. „Ich wollte Euch nur etwas ärgern. Aber der Grund meiner Anwesenheit ist natürlich diese Nachricht. Wie Ihr vielleicht mitbekommen habt, hat der junge Fürstensohn, Erlan vom Eberstamm, seinen durchlauchten Herrn Vater bedrängt, eine weitere Truppe zum Schutz des nördlichen Wengenholms aufzustellen. Daher ergingen einige Einladungen an fähige Streiter und Streiterinnen des Kosch. Weitere Aufforderung ging an die jeweiligen Grafen, auf dass sie fähige Gefolgsleute benennen mögen. Und Graf Jallik hat unter anderen euren Namen genannt.“ Jetzt war Baerwin völlig überrascht. „Mein Name auch?“ Mathild nickte und meinte: „Euer Einsatz, vor allem bei der Belagerung von Burg Bärenstieg, hat wohl dafür gesorgt, dass der Graf Euren Namen nicht vergessen hat. Daher überbringe ich nun dieses Schreiben aus der Kanzlei des Fürsten und …“
In diesem Moment hörte man einen deftigen Fluch und ein weiterer Mann trat hinzu. „Baerli, weißt du vielleicht, wo diese niederhöllische Mistgabel wieder hin ist?“ Hierbei handelte es sich um Baerwins Großvater, Rodhelm von Hartsteig, der, gewandet in einem groben Arbeitskittel und mit einem einfachen Strohhut auf dem Kopf, so gar nicht das Bild wiedergab, das man sonst von dem standesbewussten Ritter gewohnt war. Als er dann ebenfalls Mathild erblickte, wurden seine Augen erst groß, dann gefährlich schmal. „Frau Gerbaum, was für eine Freude, Euch zu sehen. Euer Besuch war uns nicht angekündigt. Hat Euch der Graf geschickt?“ Freundlich verbeugte sich die Frau. „In der Tat, Herr von Hartsteig. Es handelt sich um einen dringlichen Besuch, daher konnte ich mich nicht vorher ankündigen. Ich hoffe, Ihr verzeiht mir mein Eindringen.“ Rodhelm machte kurz einen finsteren Blick und sah zu dem Wachturm des Dorfes. Der Person, die aktuell gerade Wache stand, würde bald ein großes Donnerwetter bevorstehen, soweit konnte Baerwin den Blick seines Großvaters deuten. Er hasste solche Art von Überraschungen, dennoch blieb er ausgesprochen höflich und seine Gesichtszüge entspannten sich wieder. „Falls Ihr eine Erfrischung benötigt …“ Doch Mathild schüttelte nur den Kopf. „Ich muss so bald wie möglich wieder an den gräflichen Hof, um Eure Antwort zu überbringen, Ritter Baerwin.“ Der junge Mann brach nun das Siegel, jedoch hatte sein Großvater das Symbol darauf schon erkannt, denn er begab sich sofort an dessen Seite, um mitzulesen:
Geehrter Lehnsmann Baerwin von Hartsteig,
der Kosch braucht Euch! Im Namen seiner Durchlaucht Fürst Anshold vom Eberstamm, Herr des Kosch, Baron von Fürstenhort usw. usw. wurdet Ihr benannt, um seinem Sohn und Erben Erlan Waldemar Edelbrecht auf einer rondragerechten Queste zum Schutz des nördlichen Wengenholms beizustehen.
Erscheint daher gerüstet mit Wehr, Brünne und Waffen am zwanzigsten Tag des Monats Rondra im Marktdorf Rondrasdank im Wengenholmer Grafenland. Hier werdet Ihr im Tempel der himmlischen Leuin auf den Prinzen vereidigt und dann Teil der neuen fürstlichen Truppe Halmdahl der Keiler. Von dort aus geht es weiter zum Grenzturm Harzklamm, wo der zukünftige Standort der neuen Einheit sein wird.
Sobald Ihr auf das Haus vom Eberstamm vereidigt seid, gehört Ihr zum direktem Gefolge des Prinzen und habt damit die seltene Ehre, den zukünftigen Fürsten unterstützen zu können, was als Zeichen Eurer Treue und Heimatverbundenheit angesehen wird.
Wir freuen uns auf Euer Erscheinen.
Gezeichnet und gesiegelt durch die Wehrmeisterin des Kosch
Baerwin war einigermaßen überrascht, was er hier gelesen hatte. Zwar hatte er von dieser neuen Einheit bereits durch den Kosch Kurier gehört, doch sein Großvater hatte gemeint, dass dies zu gut klang, um wahr zu sein. Er hatte eher vermutet, dass dies nur viel heiße Luft um eine reine Paradetruppe des Prinzen war, die nicht mal bis ins Wengenholmer Land kommen würde. In dieser Nachricht nun zu lesen, dass man offensichtlich Nägel mit Köpfen gemacht und nicht viel Zeit vertrödelt hatte, erstaunte doch beide Ritter sehr. „Das ist eine zu große Ehre für mich“, verkündete Baerwin zögernd, „Ich bin nicht fähig genug, dass …“ Er brach ab, denn sein Großvater hatte ihm versteckt zwei Finger zwischen die Rippen gestoßen, so dass er erst wieder Luft schnappen musste. „Was mein Enkel damit meint, ist, dass er noch immer um Worte ringt angesichts dieser Wertschätzung. Da er ausgewählt wurde, wird er seine Pflicht nur allzu gerne für Fürst und Vaterland erfüllen“, meinte Rodhelm und strahlte nun Mathild an. „Dann darf ich das so dem Grafen ausrichten?“, fragte die Fährtensucherin irritiert und Baerwin keuchte: „Jawohl!“
Als sich Mathild wieder auf den Rückweg gemacht hatte, packte Rodhelm seinen Enkel an der Schulter und zog ihn stürmisch mit sich. „Komm, Junge, das muss gefeiert werden. Heute gibt es wieder helles Ferdoker.“ Baerwin hob erstaunt die Augenbraue, denn normalerweise wachte sein Großvater streng über die Bierreserven, welche nicht das heimische Gebräu umfassten. „Aber Großvater, ist es nicht etwas anmaßend von mir, in eine Truppe einzutreten, die von niemand Geringerem als dem jungen Fürsten angeführt werden soll?“ Das Grinsen auf dem Gesicht seines Großvaters verschwand und er meinte: „Anmaßend? Anmaßend ist, dass wir Adlige uns im Wengenholmer Land mit gemeinen Leuten auf dieselbe Stufe stellen sollen. Anmaßend ist, dass man die Verdienste von tausend Rittern vor uns einfach so über den Haufen wirft und einen Schwurbund aus der Taufe hebt, der sich bisher genau einmal richtig vor Angbar bewiesen hat und das war auch nur mit unserer Unterstützung.“ Baerwin erkannte, dass er sich hier bei seinem Großvater auf gefährliches Terrain bewegt hatte, und fragte lieber das, was ihm schon die ganze Zeit auf den Magen schlug. „Was ist, wenn ich versage?“ Mittlerweile waren sie im Lissahof und sein Großvater drängte Baerwin, sich auf eine Holzbank am Essenstisch zu setzen. Dann holte er zwei Krüge und schenkte ein. „Weißt du, Junge,“ begann er, „ich habe in meinem Leben nie die Möglichkeit gekriegt, mich zu beweisen, wie du jetzt die Chance hast. Du hast Angst zu versagen und du tust Recht daran, Angst davor zu haben. Aber weißt du, was noch schlimmer ist?“ Nun waren Rodhelms Augen direkt auf Baerwin gerichtet und der junge Ritter kannte diesen stechenden Blick. „Nie auch nur die Möglichkeit zu bekommen, sich vor höheren Herrschaften zu präsentieren und zu beweisen. Daher sei ohne Furcht. Selbst wenn du versagst, hast du es wenigstens versucht. Ich werde dir dafür niemals böse sein. Aber wenn du nicht einmal den Versuch unternimmst, dann wäre ich enttäuscht. Es ist schließlich keine Schande, im Turnier vom Pferd gestoßen zu werden. Aber auf dem Boden zu bleiben, bevor man nicht sein Bestes gegeben und wenigstens einmal angeritten ist, das ist durchaus schändlich.“ Der junge Ritter seufzte, denn jetzt hatte es sein Opa wieder geschafft und ihn richtig angepackt, sodass er lediglich nickte.
Rodhelm nahm einen guten Schluck und meinte: „Ich erwarte auch keine Heldentaten von dir. Aber Erlan wird, so es die Götter denn erlauben, einmal der nächste Fürst des Kosch. Wenn er sich daher auch nur halbwegs deinen Namen merkt, kann dir das zukünftig sehr nützlich sein, vor allem wenn irgendwann eine Meute ungewaschener Sendleute vor deinem Tor steht und dich von dem Heim deiner Ahnen vertreiben will.“ Dann nahm er grummelnd einen weiteren großen Schluck und wollte wohl noch etwas weiter über den Schwurbund schimpfen, doch hier kam ihm Baerwin zuvor. „Aber was soll ich dann mit meinem Amt als gräflicher Schürfgreve machen?“ Zur Antwort stupste ihn sein Opa nur mit dem Zeigefinger gegen die Brust. „Du bist von Adel, also handle auch so. Benenne einfach einen Vertreter dafür und sobald du wieder daheim bist, kannst du das Amt wieder aufnehmen. Wichtiger ist jetzt, dass du baldmöglichst Rigolosch und den Rest deiner potentiellen ritterlichen Lanze informierst. Schließlich brauchst du ein Gefolge, um nicht allzu abgerissen vor dem Fürstensohn zu erscheinen. Auch den großen Hund solltest du mitnehmen. Der frisst uns noch die Haare vom Kopf und somit ist er dann das Problem der fürstlichen Kasse.“ Überrascht sah ihn Baerwin an. Daran hatte er noch gar nicht gedacht. Aber das machte durchaus Sinn, wenn der Fürst die Truppe aufstellte, dann würde er auch für sie bezahlen. Dies würde ihm gelegen kommen, so war er für seine Familie keine finanzielle Belastung mehr und könnte sich gleichzeitig auch etwas hinzuverdienen. Erfreut hob er seinen Krug, während in seinem Kopf schon einige Pläne reiften. „Prost Junge, auf den zukünftigen fürstlichen Ritter“, meinte sein Opa gut gelaunt und beide stießen schwungvoll an.