Ein Verbannter kehrt zurück

Aus KoschWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen


Kosch-Kurier8-35.gif

Ausgabe Nummer 27 - Travia 1023 BF

Ein Verbannter kehrt zurück

Von Liebe, Zwist und Traumgesichten

Ein wunderschöner Sommer morgen war’s, mit Praiossonnenschein und Wolken wie auf einer tobrischen Weide... da saßen der gemütliche Vogt Nirwulf und sein Bruder Nirdamon im Hofe ihrer Lieblingsschänke, dem „Goldenen Eber“ zu Angbar, und feierten gemeinsam mit ihrem alten Freunde Ubarosch Silberhaar die Übergabe des Zeremonienschwertes an den Rondratempel.

Man war eben erst beim zweiten Humpen angelangt, als sich mit einem Mal der alte Waffenschmied erhob. Aber nicht, um die Gefährten zu verlassen — schneeweiß wie der Götterfirst im Firunsmond stand er da und starrte auf den sonnenüberfluteten Platz. Dort näherte sich eine Gestalt – ein Angroscho — in vollem Rüstzeug, eine Streitaxt auf der Schulter; Haar und Bart jedoch wallten frei und in silbernen Locken auf Nacken und Brust, ebenso wie dem alten Ubarosch, der nicht von ungefähr seinen Beinamen hat.

Da blieb nun auch die andere Gestalt wie angewurzelt stehen und faßte den greisen Zwergen ins Auge. Fast gleichzeitig stießen beide einen Schrei aus, der eine ließ den Krug, der andere die Axt fallen, sie eilten aufeinander zu und fielen sich in die Arme, klopften sich mit den mächtigen Pranken vielmals auf den Rücken und riefen immer wieder auf Rogolan: „Rogar mon! Oi rogar mon!“ (Auf gut Koscher: „Mein Seelenbruder! O mein Seelenbruder!“)

Erstaunt kamen der Hügelvogt und manch andere herbei; und sie erfuhren zu ihrem Staunen: Der Fremde war Ubaroschs Zwillingsbruder Ulaman, den er seit nunmehr über einhundert Jahren nicht mehr gesehen hatte!

„Damals, in der kaiserlosen Zeit“, so begann Ubarosch, „waren wir Söldner und traten in die Dienste des Grafen Porquid, um seine Stadt zu verteidigen. Doch schon bald ahnte ich, daß der falsche Ferdoker böse Pläne schmiedete, und so kehrte ich zurück in mein geliebtes Angbar.“

„Ich jedoch“, setzte Ulaman die Erzählung fort, „war von der Aussicht auf Ehre und Gold geblendet und blieb unter dem Banner des Grafen. Dann marschierte er gegen Angbar, und ich zog mit, gegen die eigne Heimat! Die Zitadelle ward gestürmt, die Stadt ergab sich, wir brausten durch die Straßen. Da auf einmal bist du, Bruder, mir entgegengetreten, waffenlos, und hast gesagt...“

„… gesagt hab’ ich: Hier, stoß zu, Ulaman, stoß den Spieß ins Bruderherz, wenn du schon die Heimat verrätst!“

„Da erst begriff ich, welchen Verbrechens ich teilhaftig geworden, und in Scham und Schande floh ich der Väter Land. Nie mehr wollte ich zurückkehren, nie mehr auszutilgen dünkte mich die schwere Schmach — doch dank ich dem Allvater Angrosch, daß ich nicht auch noch am Tode des Fürsten Alphak schuldig wurde und am Verrat auf Fürstenhort! Dieses nicht, bei allen Göttern!“

Und so hast du hundert Jahr’ in der Fremde zugebracht, Bruder, ohne die Heimat zu schauen?“ fragte der alte Silberhaar.

Der andere entgegnete: „Immerzu durchquerte ich das Reich auf allen Straßen. Wie viele Male stand ich in Garetien am Strand des Großen Flusses und blickte hinüber auf die Hügel der Heimat, sah Ferdoks Banner wehen; wie viele Male stand ich auf der Höhe des Greifenpasses und schaute hinab auf die glücklichen Täler, sah Rauch aus den Dörfern aufsteigen ... doch nie mehr setzte ich den Fuß auf Koscher Erde, ein Verbannter durch eigenen Richtspruch...“

„Was aber“, fragte Silberhaar noch, „ließ dich nun endlich heimkehren?“

„Ein Traumbild war’s, ein wunderbares Traumbild! Du, Bruder, du erschienst mir im Traum, und du sprachst nur drei Worte, doch nie habe ich Herrlicheres vernommen: Komm nach Hause, sprachst du zu mir. Über hundert Jahre waren vergangen, über hundert Jahre hatte ich gebüßt, daß ich das Schwert gegen die Heimat erhoben! Nicht einmal für unser Geschlecht ist diese Zeit zu ertragen...“ Und es rannen dem greisen Zwergen bei seinen Worten die Tränen über die runzeligen Wangen und füllten den silbernen Bart mit schillerndem Tau der Rührung. Nicht anders erging es dem Bruder, nicht anders dem weisen Nirdamon und dem wackeren Nirwulf, nicht anders allen, die sich umher versammelt hatten.

Endlich aber schlug’s vom Haus der Zünfte und allen Tempeln die Mittagsstunde, und bei diesem herrlichsten Klange der Heimat lösten sich die beiden voneinander. Ulaman trocknete beschämt die Augen und rief aus: „Aber nun bringt mir ein Albuminer Allerlei und einen blauen Angbarsch und Koschammernzungen, dazu sieben Krüge helles Bier — wie hab’ ich das alles so lange nicht mehr gekostet!“

„Alles kannst Du haben, Bruder! Heut’ soll Festtag sein!“ jubelte Silberhaar wie ein junger Zwergling und hieß den Wirt des „Ebers“, drei Fässer Bier anzuschlagen und an jedermann freizügig auszuschenken. Im Nu war eine muntere Feier entstanden, und es kamen neugierig Leute herbei und fragten nach dem Grund und staunten, als sie die Mär vernahmen. Besorgt eilten die tüchtigen Angbarer Büttel im Laufschritt heran, um nach dem Tumult zu schauen. Doch Nirdamon (der ja Hauptmann der bergköniglichen Garde ist) reichte ihnen eigenhändig einen Humpen, und da vergaßen selbst diese unbestechlichen Ordnungshüter für eine Weile ihren Dienst.

In der ganzen Stadt machte das Gerücht die Runde und drang schließlich bis in den Hof der Thalessia, wo’s die Stallburschen den Mägden am Brunnen erzählten, und diese den Köchen, die wiederum den Kammerdienern, von denen’s am Ende Seine Durchlaucht selbst erfuhr. Wie war der alte Fürst da gerührt von der Geschichte, und er begehrte, diese beiden Augenzeugen solch alter und schrecklicher Ereignisse selbst zu sehen und aus ihrem eigenen Mund zu erfahren, wie sich damals alles zugetragen unter seinem Ahnherrn Alphak und dem tapferen Holdwin. Noch am selben Abend wurden Ubarosch Silberhaar und sein Bruder Ulaman zur Feste geleitet, und es heißt, der Fürst habe bis zu der Sterne Untergang ihren Worten gelauscht und jedem von ihnen zum Dank eine silberne Kette umgehängt.

Karolus Linneger