Ein Besuch in Hartsteig - Zwei Familienoberhäupter treffen zusammen
◅ | Ein hoher Gast im Hartsteiger Thal |
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Rückreise | ▻ |
Ende Rondra 1047 BF, Sendschaft Twergentrutz
Wie Altbaron Erlan von Sindelsaum befürchtet hatte, wurde er vom Herrn des dortigen Tals in dessen Gutshof auf einer Flanke des Berges Isnasot empfangen. Der Aufstieg war wie erwartet beschwerlich und er sah mit Bewunderung zu, wie die ältere Dame Linde von Hartsteig den Weg ohne große Probleme meisterte. Als sie dann oben ankamen, erblickte Erlan ein trutziges Gebäude aus festem Stein, das ohne jeden Zweifel von den Erzzwergen errichtet worden war. In seinen Augen fehlte dem Gebäude die Eleganz und die Behaglichkeit, die von einem Gebäude der Hügelzwerge ausging. Dieses Bauwerk wirkte hart und abweisend so wie wohl seine Erbauer. Alles daran war funktionell ohne große Verzierungen oder bauliche Schönheit. Allerdings konnte dieser Hof wohl mühelos einem harten Sturm oder sogar einer Belagerung widerstehen, so dick wie die Mauern und das Dach wirkten.
Sie betraten den Hof durch eine schwere Tür aus Eichenholz und kamen in einen einfachen Vorraum, wo sie ihre Umhänge ablegen konnten. Danach führte sie Baerwin in einen länglichen Raum, der wohl Wohn-, Ess- und Versammlungsraum in einem darstellte. Der Boden war mit Holzbrettern ausgelegt und auch die dort stehenden Bänke, Tische und Stühle waren alle aus Holz gefertigt. An den steinernen Wänden hingen ein paar eiserne Halterungen für Feuerschalen oder Kerzen, sowie grob gewobene Wandgobelins. Am Ende des Raumes befand sich eine kleine hölzerne Erhebung, auf der eine lange Tafel und einige Sitze mit hohen Lehnen standen. Hinter diesen befand sich eine gemauerte Feuerstelle mit Kamin, welche Wärme und Licht schenkte. An der Rückwand hingen einige Waffen und mehrere Banner neben dem des Hauses. Interessiert musterte Erlan die Waffen, denn er meinte darunter einen orkischen Arbach und ein Kurzschwert, welches wohl aus den Nordmarken stammte, zu erkennen. Dies waren anscheinend die erbeuteten Prunkwaffen des Hauses von Hartsteig, doch die meisten schienen schon vor einiger Zeit dort angebracht worden zu sein. Die hier hängenden Banner waren ebenfalls schon von älterer Machart, denn ihre Farben waren bereits arg ausgeblichen. Der Altbaron meinte ein Banner aus der Landgrafschaft Gratenfels zu erkennen, aber da es mittlerweile so verblichen war, konnte er es nicht mehr mit Bestimmtheit sagen.
In diesem Moment trat eine etwas untersetzte, festere Dame mit zu einem Zopf geflochtenen Haar aus der Tür am Ende der Halle heraus. Man erkannte sogleich, dass die Frau aus der Familie Hartsteig kam, denn die Ähnlichkeit mit Linde und zu Teilen auch mit Baerwin war nicht von der Hand zu weisen. Sie stellte sich als Celissa von Hartsteig vor und bat Erlan, Idamil sowie den Rest, sich doch zu setzen. Der Herr des Hauses würde gleich zu ihnen kommen, aber er wollte sich davor noch rasch umziehen. Als besonderer Gast erhielt Erlan natürlich den Ehrenplatz an der Tafel, sein Page direkt neben ihm. Man reichte ihm eine eiserne Schüssel mit Wasser, wo er sich die Hände waschen konnte. Dann brachte ein kräftiger Diener mit Glatze und einigen Narben ein paar hölzerne Krüge mit Bier für die Gäste. Erfreut ergriff Erlan den gereichten Krug und wollte, durstig wie er war, sofort mit allen anstoßen, um dann trinken zu können. Da ergriff Celissa wieder das Wort. „Dies, Euer Hochgeboren Erlan, ist eine Spezialität des Hartsteiger Thals, das Pilzbräu. Es wird, wie der Name vermuten lässt, aus Pilzen von unserer zwergischen Brauerin hergestellt. Der Geschmack ist … nun ja, etwas besonders, daher solltet ihr zuerst nur ein wenig davon kosten.“
Erlan hob verwundert die Augenbraue, denn er war zwergische Braukunst durchaus gewohnt. Als sie angestoßen hatten, nahm er aber nur einen kleinen Schluck. Diese Vorsicht sollte sich für ihn auszahlen, denn das Bier war in seinem Geschmack unglaublich bitter. Der Altbaron konnte sich noch einigermaßen zusammenreißen, denn es war ja nur ein Probeschluck gewesen. Sein Page allerdings verzog sein Gesicht so dermaßen, dass die restlichen Anwesenden grinsen mussten. „Ja, der Geschmack ist etwas einzigartig. Man muss es wohl schon öfter getrunken haben, denn sonst geht es wohl jedem wie Eurem Pagen.“ Diese feste Stimme gehörte zu einem breitschultrigen, bereits älteren Mann, der einen buschigen, etwas ergrauten Backenbart trug, welcher über der Lippe miteinander verbunden war. Auf dem Kopf hatte er keine Haare mehr, wahrscheinlich hatte er diese bereits verloren. Er trug ein Wams, auf dem das Wappen des Hauses Hartsteig eingestickt war und ein wuchtiges Schwert an der Seite. Die Augen des Mannes blitzten hell und Erlan erkannte gleich, dass dies nur Ritter Rodhelm von Hartsteig sein konnte. Nachdem die üblichen, höflichen Begrüßungen ausgetauscht worden waren, verkündete der Ritter, dass nun ein Mahl zur Feier der Gäste gereicht werden sollte. Außerdem gab er Befehl, ein frisches Fässchen Ferdoker Helles anzustechen, was den meisten hier augenscheinlich sehr zusagte.
Rodhelm musterte den Altbaron von Sindelsaum durchdringend. Er wusste nicht so ganz, was er von dem Mann halten sollte. Einerseits hatte es ihm enorm imponiert, dass ein früherer Baron in sein Haus zu Besuch gekommen war. Er hatte bereits ein paar Geschichten über Erlan gehört und erwartete daher, dass der Altbaron einige Dinge mit ihm besprechen wollte, vor allem über die politische Entwicklung im Wengenholmer Land. Aber dieser Mann hier vor ihm schien mehr an der genauen Zubereitung des Hirschfleisches und der Pilze interessiert zu sein als an Gesprächen, wie sie Rodhelm erhofft hatte. Erlan wiederum ging es ähnlich. Zwar hatte auch er ein wenig vom Haus Hartsteig gehört, aber er hatte nicht vermutet, hier in eine politischen Diskussion verwickelt zu werden. Diese Tage lagen hinter ihm. Wie Fechter standen sie sich gegenüber, der Herr des Hartsteiger Thals und der ehemalige Baron von Sindelsaum, wobei der Wengenholmer mehr die Position des Angreifers und der Hügelländer die des Verteidigers inne hatte. Stich um Stich versuchte Rodhelm, den Altbaron zu einer Aussage über gewisse Themen zu verleiten, doch eloquent und geschickt parierte Erlan jeglichen Versuch hierzu.
Stattdessen lenkte er die Fragen des Ritters geschickt zu unbedeutenden Themen um. Man konnte klar erkennen, dass der Aufenthalt am Hof des Fürsten und bei verschiedenen diplomatischen Missionen Erlans Zunge geschärft und seine rhetorischen Winkelzüge kreativer gemacht hatten. Der Hartsteiger war dem nicht gewachsen. Er wusste zwar, was er wollte, hatte aber keine Ahnung, wie er dies so eindeutig machen sollte, ohne zu direkt oder zu grob zu werden. Er dachte, dass er den Altbaron vielleicht auf gewisse Themen festnageln konnte, wenn die Mahlzeit getätigt war, doch da grätschte seine Tochter dazwischen und reichte dem Altbaron eine rettende Hand. Celissa hatte schnell erkannt, dass der Sindelsaumer nicht an politischen Debatten interessiert war und je mehr ihr Vater drängte, desto unangenehmer wurde ihr das Ganze. Daher erzählte sie nun etwas über einen besonderen Honigkuchen, welchen Erlan sich natürlich nicht entgehen lassen wollte. Jetzt diskutierte er, anstatt über die aktuelle Situation hinsichtlich dem wengenholmer Schwurbundes zu reden, mit Rodhelms Schwester und Tochter über die richtige Rezeptur und Zubereitung für Kuchen.
Aber der Ritter würde es noch einmal versuchen. „Geschätzter Erlan, was ich mich gerade frage, ist, ob Ihr vielleicht etwas zur Lage in Auersbrück sagen wollt?“ Celissa riss leicht fassungslos ihre Augen auf, doch Erlan blickte den Ritter des Tals freundlich an und erwiderte formvollendet: „Eine ärgerliche Angelegenheit, doch ich bin mir sicher, dass Fürst und Graf hierfür eine Lösung finden werden. Wir sollten sie daher nach Kräften unterstützen. Aber zu angenehmeren, jetzt, wo ich Euer schönes Tal so gut kennen gelernt habe, würde ich vielleicht hin und wieder zu Besuch vorbei kommen. Vor allem, wenn ich dann auch gleich meinen Honig abholen kann.“ Rodhelm verzog sein Gesicht, denn das war keine Antwort, die er sich erhofft hatte. Mit leicht gefrusteter Stimme meinte er_ „Habt ihr denn keinen Ehrgeiz mehr, der über eure Senfmühle hinaus reicht?“ Der Altbaron betrachtete den Ritter einen langen Moment aufmerksam und er verstand, was diesen antrieb. Einst hatte ihn das gleiche angetrieben. Rodhelm wollte Ruhm und Reichtum für sein Haus erringen, weil es gleichzeitig etwas wichtiges beinhalten würde. Nämlich Sicherheit und Schutz für die Seinigen. Aber Erlan hatte mit der eigenen Familie erleben müssen, wohin übermäßiger Ehrgeiz alles führen konnte. Sein Halbbruder Japert und seine Tochter Ifirnia waren im Krieg gegen den Daimoinenmeister gefallen, seine Schwester Selissa Salina war in der Sindelfehde zu Rondra gegangen und seine andere Tochter Yolande war durch ihre unglückliche Heirat und den Alkohol beinahe eine gebrochene Frau. Er wollte dies jeder anderen Familie ersparen.
Anstatt nun direkt eine Erwiderung zu formulieren, nahm sich Erlan noch ein Stück von dem Honigkuchen und meinte laut schmatzend: „Wisst Ihr, Ritter Rodhelm, dass mit dem Ehrgeiz ist immer so eine Sache. Er kann einen antreiben, aber es passiert auch oft …“ Dann unterbrach er seinen Satz mit einem gespielten Hustenanfall. Sein Page eilte sofort an seine Seite und schlug ihm mehrere Male auf den Rücken. Nach einigen Momenten beruhigte sich Erlan zum Schein wieder und als er einen tiefen Schluck genommen hatte, beendete er sein Argument mit den Worten „Seht Ihr, genau so ist es mit dem Ehrgeiz. Man darf es nicht übertreiben, denn sonst nimmt man einen zu großen Bissen, welchen man im Anschluss nicht mehr hinunterschlucken kann. Und dies kann dann böse Folgen haben.“ Die ganze Zeit über hatte der Altbaron mit ruhiger Stimme gesprochen, aber nun war in seinen Augen eine gewisse Härte zu erkennen, die jedoch lediglich Rodhelm bemerkte.
Der alte Bergritter war ohne große höfische Etikette ausgebildet worden. Aber sein Instinkt sagte ihm sofort, dass der Sindelsaumer ihm damit eine Warnung zukommen lassen wollte, an die er sich besser halten sollte. Also vertiefte er dieses Thema notgedrungen nicht weiter, sondern besprach stattdessen mit Erlan die Einzelheiten des Honiggeschäftes. Nachdem sie sich anschließend geeinigt hatten, reichten sie sich die Hände und der Vertrag war geschlossen. Erlan lächelte zufrieden, denn er hatte das, wofür er hergekommen war, erreicht. Zum Vertragsabschluss ließ der Hausherr ein gutes Tröpfchen Koschwasser auffahren. Sie tranken gemeinsam auf den Vertrag, doch dann kam Rodhelm noch einmal mit einem Anliegen auf ihn zu. „Wie Ihr ja bereits mehrfach betont habt, seit Ihr nun kein Baron mehr und in die Angelegenheiten der Baronie nur noch am Rande involviert. Allerdings verfügt Ihr doch sicherlich noch über gute Kontakte. Ich hätte ein Anliegen, bei dem ich Eure Hilfe gebrachen könnte.“
Erlan blickte ihn neugierig an und Rodhelm fuhr fort. „Ich bin auf der Suche nach einem gestanden Ritter für meinen Enkel Arnulf. Der Junge ist schon einige Zeit mein Knappe und steht kurz vor seinem Ritterschlag. Allerdings ist er manchmal immer noch zu ungestüm. Kennt ihr jemanden, der ihn als Knappen annehmen und ihn etwas erden könnte?“ Der Sindelsaumer legte den Kopf schief und dachte kurz nach. Dabei fiel ihm auch der Gesichtsausdruck von Rodhelms Tochter auf. Sie schien mit sich zu ringen, denn offensichtlich wollte sie ihren Zweitgeborenen ungern hergeben. Andererseits schien sie in Erlan wohl einen Gleichgesinnten zu erkennen, daher gab sie keine Widerworte. Ihm würde dafür schon der ein oder andere vernünftige Ritter einfallen. „Der Junge ist ein hervorragender Kämpfer und wurde von Rondra mit einem starken Körper beschenkt. Doch dies lässt ihn oft übermütig werden. Ich bräuchte daher einen erfahrenen Kämpfer für ihn, der ihm zur Not Respekt einbläuen kann und ihm etwas Zurückhaltung beibringen könnte. Er kann dann auch gerne von diesem zum Ritter erhoben werden, das macht mir nichts aus.“, meinte Rodhelm. „Wenn Ihr ihm damit helfen könntet, wäre ich euch sehr verbunden. Ihr habt ja gesehen, wie abgelegen unser Tal ist. Unsere Familie kommt nur selten hier raus, auch wenn es uns öfter mal gut tun würde.“, meinte nun Celissa.
Erlan nahm noch ein Gläschen und erklärte: „Mir fällt da auf Anhieb durchaus jemand ein. Einer meiner früheren Gefolgsleute und einer der beste Kämpfer, die ich kenne. Er ist trotz seines fortgeschrittenen Alters noch immer sehr umtriebig. Sein Name ist Barthalm von Rohenforsten und er ist der Bannerträger der Baronie Sindelsaum. Ein Ritter von gutem altem Schrot und Korn.“ Rodhelms Augen blitzen auf. „Das würde uns durchaus gefallen, wenn er sich Arnulfs annehmen könnte.“ Erlans Gedanken kreisten rasch in seinem Kopf, doch ihm fiel kein vernünftiger Grund ein, der gegen seinen Freund sprach. Der Mann war zwar etwas ungehobelt und nicht immer ein angenehmer Zeitgenosse, aber er könnte eine Knappen durchaus noch das ein oder andere beibringen. Außerdem sollte der gute Barthalm es in Zukunft doch etwas langsamer angehen lassen. Da kam so ein kräftiger Knappe gerade recht für ihn. Erlan lächelte und meinte: „Sagt Eurem Jungen, dass ich ihn morgen mitnehmen werde. Dann bringe ich ihn auf meinen Rückweg zu Barthalm. Natürlich muss der Ritter selber noch entscheiden, ob er damit einverstanden ist, aber ich denke, dies sollte kein großes Problem sein.“ Celissa nickte erfreut und erhob sich, um ihrem Sohn sofort Bescheid zu geben. Der sonst eher grimmige Rodhelm wirkte jetzt äußerst gut gelaunt und schenkte Erlan nochmal ein großes Schlückchen Koschwasser ein.