Ankunft in Moorbrück - Der dritte Siedlungsplatz

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1032 BF, Moorbrück

Das Madamal hatte mittlerweile seinen halb gefüllten Kelch über die Köpfe der stummen Karawane erhoben. Die Gespräche waren mehr und mehr verstummt, bis nur noch gelegentliche leise Flüche zu hören waren. Manchem der Siedler wurde erst jetzt so richtig bewusst, was für ein unwirtlicher Ort dieses Moor war.
Die Orte am Rand schienen in der frischen Erinnerung fast wie saftige Weiden im Vergleich zum stinkenden Morast, der sie nun umgab. Hinzu kam eine Kälte, die nun, ohne die wärmenden Strahlen der Sonne, von unten heraufkroch und in die Glieder fuhr. Sumpfeulen sangen ihr Klagelied in weiter Ferne. Eisige Schauer krochen über den Rücken der Ritter - ja, dies war verfluchtes Land. Wie mächtig mochte der Zauber gewesen sein, der dieser Gegend derartiges Leid zufügte...
„’n Hügel“, ein knapp gebrummtes Wort des Torfstechers Bolzer durchbrach nach endlos scheinender Reise die gespenstisch nachdenkliche Stille. Seine blasse Hand wies auf eine schwarze Rundung, die sich wie der Rücken eines gewaltigen Drachen in der Nähe vom Horizont abhob, an dem mittlerweile nur noch ein schmaler dunkelbrauner Streifen von den letzten Anzeichen des Tageslichts kündete.
Auf gewundenem Weg fanden die beiden Einheimischen einen Weg hinauf - und je mehr man sich der Erhebung näherte, desto fester wurde der Boden. Stampfend entledigten sich die Ritter nach und nach des Schlamms, der sich bis an die Waden an ihren Stiefeln festgebacken hatte und jeden Schritt beschwerlich mache. Man machte erst Halt, als man den Gipfel des Hügels erklommen und eine alte Weide erreicht hatte.
Soweit man in der mittlerweile vollends hereingebrochenen Nacht erkennen und erfühlen konnte, wuchs hier Gras. Erst jetzt, als man zur Ruhe kommen und die Strapazen des strammen Marsches hinter sich lassen konnte, wurde den Ankömmlingen der ungewöhnliche Anblick offenkundig, der sich an diesem Standort bot.
Reto und Perainfried waren die ersten, die ihre Blicke ungläubig umherschweifen ließen, doch bald gesellten sich auch die anderen staunend hinzu. Hunderte von kleinen Feuern schienen in der Ebene zu leuchten, glommen in blassblauem Licht und tanzten über dem Sumpf - sie auf dem Hügel, wie auf einer Insel inmitten eines unwirklichen Meeres.
"Und so übernachten wir doch im Sumpf."
Die leise Stimme des Grimsauers klang niedergeschlagen. Das leise Klatschen von Hand auf Haut war neben dem Quaken von unzähligen Fröschen zu hören, als er eine Mücke, die sich an seinem Hals bereits festgesaugt hatte, erschlug. Sein Blick wanderte über die Lichter.
"Mich beschleicht ein ungutes Gefühl, so als ob wir hier nicht sein dürften. Wir sollten heute Nacht hier auf diesem Hügel bleiben, und niemand sollte alleine wach sein."
Nervosität schwang in den Worten mit.
"Was sind das für Lichter? Sind es die Nebelfeuer aus den Legenden, arme Seelen, die Ihren Tod im Sumpf fanden, und nun rastlos umherziehen? Herr Boron, sei mit uns."
Er langte mit der Hand auf den Boden, nahm etwas der schwarzen Erde auf und zeichnete ein Boronsrad als Schutz auf seine Stirn. Es mochte ein Aberglauben sein, aber so manches Brauchtum hatte einen sehr wahren Kern.
"Versuchen wir, ein Feuer zu entzünden. Wer hilft mir?"
Boromil musste nicht lange überlegen.
"Ich bin dabei. Dann haben wir wenigstens Licht und Wärme."
Auch Edelbrecht von Borking war offensichtlich alles lieber, als dumm herumzustehen und zu warten, dass die anderen etwas machten. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie genügend trockenes Holz für ein spärliches Feuer beisammen hatten. Ohne Bolzer, der mit ihnen ein wenig die unmittelbare Umgebung erkundet hatte, wären sie nicht weit gekommen. Dies rief den Rittern ins Gedächtnis, wie wichtig es sein würde, gute Leute anzuwerben, die den Sumpf nicht fürchteten.
Boromil war trotz der Aussicht, hier übernachten zu müssen, nicht unglücklich. Sie hatten heute die geheimnisvolle Schatulle in Sicherheit gebracht und von Borking war noch nicht einmal ausgerastet bei den Magiern.
Währenddessen holten Roban und Reto Decken und Rationen von den Packsatteln der Pferde. Alma war sichtlich unbehaglich zumute, und erst durch gutes Zureden der beiden und den Hinweis, dass sie fünf bewaffnete Ritter als Wache hatte, fühlte sie sich etwas sicherer.
Der Vogt schluckte seinen Ärger über die bevorstehende ungemütliche Nacht im Freien herunter und ermahnte sich selbst, nicht laut zu schimpfen. Immerhin würden die jungen Herren bald hier wohnen, da konnte er als ihr Vogt nicht so tun, als sei es hier kaum auszuhalten. Wenigstens hatten sie heute zwei Standorte besichtigt. Als alle wieder beisammen waren, nutzte er die Gelegenheit, um auf Rainfrieds Bemerkung anzugehen. Derweil wurden einige Würste und Brotscheiben langsam im Feuer warm und begannen zu duften.
"Vor diesen Lichtern braucht sich niemand zu fürchten", erklärte er lächelnd, "das sind meistens nur kleine leuchtende Käfer. Es gibt natürlich Gerüchte über Irrlichter, doch sollten sich eine so große Gruppe von solchem Geschwätz nicht beeindrucken lassen."
Boromil nickte nur stumm, während er Käse und wenig Obst auspackte. Aberglauben würde ihm keine Angst machen! Schließlich ließ er sich doch zu einer Bemerkung hinreißen.
"Na, Herr Grobhand von Koschtal, da habt Ihr Euren Hügel."
Der angesprochene lächelte zurück und erwiderte: "Ja, auch wenn ich ihn lieber bei Tageslicht sehe."
Das sorgte für ein wenig Heiterkeit bei Reto und Edelbrecht.
Roban hatte auf dem Weg noch ein wenig geschmollt über den Spott, den er für seine Pläne geerntet hatte, sich aber schon längst wieder beruhigt. Gut, würde halt jeder seinen Weg gehen, und die Götter sollten urteilen, welcher der beste und erfolgreichste war.
„Die Irrlichter solltet Ihr nicht einfach als Geschwätz abtun“, wandte er sich an Boromil, als dieser weiteres Holz auf das Feuer legte.
„So manch Unvorsichtiger wurde für den tanzenden Lichtern schon ins Verderben gelockt. Man sagt ihnen sogar nach, den Geist ihrer Opfer verwirren zu können. Es ist wohl besser, etwas zu vorsichtig als etwas zu leichtsinnig zu sein!“
Der Ritter vom Kargen Land legte zwar kurz die Stirn in Falten, erwiderte aber nichts, immerhin konnte man wirklich nur mutmaßen, woher das Leuchten ringsherum stammte und warum es diesen Hügel mied wie der Gehörnte das Weihwasser.
Roban stopfte seine Pfeife, entzündete sie mit einem glühenden Stück Holz und stieß einige dicke Qualmwolken in die Nachtluft, das half ihm beim Nachdenken und hielt die Blutsauger fern, die ab sofort größtenteils einen Bogen um ihn machten. Noch einmal ließ er seinen Blick in die Dunkelheit schweifen.
„Aber der Hügel gefällt mir“, meinte er dann und erntete wieder kurzes Gelächter.
„Man hat vermutlich einen guten Rundblick über den Sumpf, kann mögliche Gefahren und Feinde schon von weitem ausmachen, der Boden ist relativ trocken, zumindest trockener als in der Umgebung“, demonstrativ klopfte er Lehmreste von den Stiefeln, „wäre nur die Frage, ob der Boden auch fruchtbar ist. Und natürlich bräuchte man einen vernünftigen Weg hierher, dieses Vorantasten durch den Morast kann ja kein Dauerzustand sein, wenn man sich hier niederlässt. Wie ist das eigentlich, Bolzer“, der Angesprochene zuckte kurz zusammen und rang sich ein unsicheres Lächeln ab, „bleiben die trockenen Pfade eigentlich gleich oder verändern sie sich?“
„Kommt drauf an, Herr“, Bolzer schien die Frage - wie generell fast alle Fragen zum Sumpf - zu beunruhigen.
„An manch´n Stellen bleibt´s gleich, woanders isses ma´ so, ma´ so! Wirklich verlassen kann man sich hier auf nix!“
Roban nickte, schürzte die Lippen und biss auf der Pfeife herum, als müsse diese für alle Unbill des Tages büßen.
„Wir sollten die Wachen einteilen“, schlug er schließlich vor.
„Heute Abend können wir ja ohnehin nichts weiter tun, also sollten wir uns möglichst bald zur Ruhe begeben. Ich übernehme freiwillig die Hundswache, falls niemand anders will.“
„Ich will die Stimmung ja nicht trüben, aber dies ist der dritte Bauplatz? Der Hügel mag ja guten Baugrund abgeben, aber was will man sonst hier anpflanzen, wie soll hier ein Fuhrwerk herkommen? Eine Knüppeldamm bis hierher zu errichten würde sicher Monate dauern und das ganze Holz dafür müsste von Siedlungsplatz II oder IV kommen, hier gibt es ja weit und breit kein geeignetes Holz,“ Retos Blick ging zu Roban, “ meinen allergrößten Respekt für euch Roban, wenn ihr es hier mit einer Siedlung versuchen möchtet!“
Reto wandte sich dem Vogt mit einem fast flehentlichen Blick zu.
“Ich aber würde Eurer Gnaden Morwald bitten, diesen Siedlungsplatz noch einmal zu überdenken.“
Morwald konnte Retos Bedenken durchaus verstehen, doch wollte sich das nicht zu sehr anmerken lassen, denn er fürchtete, dass es kaum traumhafte Bauplätze geben würde. Die Kundigen hatten lange überlegt, bevor sie sich für diese sechs Standorte entschieden.
Schließlich schlug er vor: „Wir sollten zunächst unseren Rundgang zu allen sechs Siedlungsplätzen abschließen. Vielleicht finden wir unterwegs selbst noch einen besseren Platz.“
So zuversichtlich, wie der Vogt erscheinen wollte, war er hingegen nicht.
„Ausgebaute Landstraßen werdet Ihr hier jedoch nicht erwarten können. Jedenfalls noch nicht ... es wird sicher eine der ersten Herausforderungen, hinreichende Knüppeldämme zu errichten und zu erhalten. Dies ist nicht der einzige Standort, der mitten im Sumpf liegt“, fuhr Gerling fort.
Bolzer raunte kleinlaut im Hintergrund: „Donken liecht auch mitten im Sumpf ... da führt nich’ mal ein mickriger Pfad hin ... weiß der Henker wie die ihre Häuser dort gebaut ham’. Mancher meint, die fliegen auf Nachtwinden hin und her.“
„Gewiss werden meine Worte gleich wieder missverstanden“, bemerkte Edelbrecht mit einem Seitenblick auf Madalein und fuhr dann in zweideutigem Tonfall fort, „doch zeigt sich doch hier die ganze Weisheit Seiner Gnaden, wenn er diesen beschaulichen Ort zum Siedlungsplatz erkoren hat. Ich kann dem künftigen Siedler hier nur raten, ebenfalls die Zwerge zur Hilfe zu nehmen und den Hügel beispielsweise mit Stollen zu versehen - so hätten zumindest die Angroschim eine halbwegs angenehme Unterkunft.“
‚Seiner Gnaden...?’, für einen Moment blickte Gerling zu Perainfried, bis ihm klar wurde, dass diese Bemerkung des etikettearmen Borkingers vermutlich mal wieder ihm galt.
„Fein, ich verstehe das als offene Bewerbung für diesen Siedlungsplatz, Wohlgeboren!“, gab der Vogt in seiner ‚ganzen Weisheit’ trocken als Antwort auf diesen spitzen Kommentar und ergänzte: „Eine kluge Wahl - die Baronie Hammerschlag liegt nicht weit, irgendwo dort hinten im Osten, wo die Frösche am lautesten quaken. Dort soll es sehr fähige Angroschim geben, die Euch sicher helfen werden, wenn Ihr sie überzeugen könnt. Ich kann Euch gerne helfen Kontakt zu Erbvogt Thorben von Hammerschlag aufzunehmen ... und auch Baron Barytoc von Bragahn, selbst ein Zwerg, mag Euch vielleicht behilflich sein.“
Edelbrecht errötete.
„Mitnichten, Hochwohlgeboren, ich habe ja bereits mehrfach meine Präferenz für den Standort VI geltend gemacht, und habe lediglich erlaubt zu bemerken, dass dies ein Fall für Zwerge, insbesondere Hügelzwerge sein könnte. Habt aber vielfältigen Dank für Euer Hilfsangebot. An Standort VI würde ich gerne darauf zurückgreifen sofern ich sie benötigen sollte.“
Verunsichert sah Edelbrecht sich um und blickte auf seine skeptisch wirkenden Gefährten. Ihm wurde klar, dass er es nicht allein mit Gerling würde aufnehmen können, er würde Verbündete benötigen. Der Vogt setzte eben zu einer Entgegnung an, um den Ritter von Borking genüsslich über die wahre Lage des Dinge aufzuklären. Edelbrecht von Borking hatte zwar, als bisher einziger der Ritter, offen seine Präferenz bekundet, doch versprochen war nichts, zumal die anderen Ritter ein ebenso großes Anrecht auf Standort VI hatten. Wenn auch nur einer der anderen fünf sich ebenso für diesen Standort bewerben würde, hätte er als Vogt das Recht im Auftrag des Fürsten über die Vergabe zu entscheiden. Gut standen die Karten für den ungestümen Jungritter nach dessen offenen Sticheleien dann kaum. Jedenfalls wenn nicht noch ein Wunder zu dessen Gunsten geschah.
Gerling war wütend. Ursprünglich hatte er nicht vor, einen der Ritter gegen sich aufzubringen, weil ein allzu offenes Gegeneinander den Erfolg dieser Mission nur gefährden würde. Doch gerade deshalb würde er schon bald gezwungen sein, dem Borkinger Einhalt zu gebieten. Noch eine Provokation würde Gerling nicht erdulden können, ohne an Ansehen zu verlieren. Zumal ein Nichtstun zunehmend einer Beleidigung der anderen Ritter gleichkäme, die sich bisher sehr loyal zeigten.
Doch noch war es zu früh - die Plätze würden letztlich erst verteilt, wenn alle Standorte betrachtet worden wären. So behielt der Vogt die auf seiner Zunge liegenden Worte für sich, zumal in diesem Moment Erborn mit zwei etwa anderthalb Schritt langen Stöcken lautstark ans kleine Lagerfeuer zurückkehrte.
„Unterkunft ist ein gutes Stichwort, verzeiht, aber hat niemand der Ritter ein Zelt dabei?“
Reto schaute anerkennend zu Erborn.
„Ich hätte ja nicht gedacht, das du hier zwei brauchbare Zeltstangen findest, aber auf dich ist eben Verlass.“
Erborn grinste und nickte Reto dankend zu.
„Nur, allein weiß ich nicht, ob es angemessen ist unser kleines Zelt aufzuschlagen, wenn alle anderen hier im Freien nächtigen werden?“
Reto überlegte kurz.
„Das Zelt bietet Platz für zwei bis drei Personen, falls niemand sonst zumindest eine Plane oder ähnliches dabei hat, würde ich Schwester Madalein und Bruder Perainfried sowie Vogt Gerling das Zelt überlassen. Nimmt die Dame und der Herr das Angebot an?“
Erborn war schon dabei, das kleine Zelt, welches nur aus eine größeren Leinenplane mit zwei verstärkten Löchern und den beiden geschlagen Zeltstangen bestand, aufzubauen.
"Wenn niemand anderes den Schutz des Zeltes dringender benötigt, so nehme ich gerne an."
Sie blickte in die Runde, und nachdem niemand ein Widerwort einlegte, ging sie, nachdem das Zelt vollends aufgebaut war, mit den Worten "Habt Dank, Ritter von Tarnelfurt" zu eben diesem und küsste ihn auf die Wange.
"Ich wünsche den Herren eine gute Nacht, ich werde mich dann zurückziehen."
Auch der Vogt lächelte in freudiger Überraschung.
„Habt Dank, Wohlgeboren Tarnelfurt. Dieses Angebot ehrt euch, ich nehme es gerne an.“
„Ich bin das Schlafen im Freien ohnehin gewohnt“, meinte Roban und zog die Wolldecke vom Pferderücken.
„Immerhin ist der Boden trocken, besser, als irgendwo im Morast zu nächtigen. Ob er fruchtbar ist“, er hob in einer etwas hilflos wirkenden Geste die Schultern, „weiß ich nicht zu sagen. Vermutlich sollte ich mich in Fragen des Ackerbaus auf das Urteil kundiger Leute verlassen!“
Er grinste Reto breit an, der sich nicht sicher war, ob das freundlich oder spöttisch gemeint war.
„Und wo gerade die Knüppeldämme zur Sprache kamen - wäre es nicht möglich, statt dieser einige breitere Entwässerungsgräben anzulegen? Breit und tief genug, um kleine Nachen tragen zu können. Gräben wird man wohl ohnehin ziehen müssen, warum sie nicht auch als Verkehrswege nutzen? Sie auszuheben macht vermutlich mehr Arbeit, dafür sind sie leichter und auch für große Lasten passierbar, müssen kaum instand gehalten werden und können auch im Winter benutzt werden!“
Roban blickte kurz in die Runde - nach dem erlittenen Spott schien er nicht sicher zu sein, wie die anderen Ritter auf diesen Vorschlag reagieren würden.
"Gräben zur Entwässerung sind eine Notwendigkeit in diesem feuchten Boden."
Der Ritter von Grimsau hatte eine Decke aus Rosshaar unter sich und nahe des Feuers ausgebreitet, und sich selber danach in eine weitere, grobe Decke eingewickelt.
"Doch ob sie soviel Wasser tragen werden, dass sie, und sei es nur mit kleinen Booten, befahrbar sind, kann ich nicht beurteilen. Das käme auf den Versuch an."
"Ich würde nichts ausschließen. Warum nicht Gräben ziehen und Zwerge zu Hilfe holen?"
Boromil nickte zustimmend.
Rainfrieds Blick wanderte immer wieder zwischen den Lichtern im tiefer gelegenen Sumpf und dem Zelt, aus dem leiser Gesang kam, hin und her. Vogt Gerling und Bruder Perainfried warteten noch vor dem Zelt darauf, dass Madalein ihnen ein Zeichen gab, ebenfalls ihr Nachtlager unter dem Schutz der Plane aus grobem Leinen aufschlagen zu können.
"Sagt, Hochgeboren", der Grimsauer wandte sich erneut an den Vogt, "könnt Ihr erzählen, was es mit diesem Standort auf sich hat? Ein kleiner Hügel mitten im Sumpf? Des Nachts umgeben von Hunderten von seltsamen Lichtern? Ich kann mir kaum vorstellen, dass es keine Mär gibt, die diesen Ort zum Inhalt hat."
"Ach, da gibt es nicht viel zu erzählen", antwortete Morwald. "Es ist einfach ein etwas höher gelegenes Stück Land nahe der Grenze zur Baronie Hammerschlag. Wie ich schon sagte: Jedes Stück Landschaft hier wird von der Bevölkerung mit manch schauerlicher Geschichte bedacht, aber das meiste ist purer Aberglauben!"
Unterdessen hatte auch Boromil seine Decke in die Nähe des Feuers gelegt, sich jedoch noch nicht hingelegt. Er hatte sich bereit erklärt, die erste Wache zu übernehmen.
Roban klopfte seine Pfeife über dem Feuer aus und ließ sie wieder in der Tasche verschwinden, ehe er sich wieder an Boromil wandte.
„Nur für alle Fälle, Herr vom Kargen Land: solltet Ihr heute Nacht glauben, leisen Gesang zu hören, so tut Ihr gut daran, ihm nicht nachzugehen!“
Boromil zog die Stirn kraus angesichts dieser Warnung, und Roban grinste schief und deutete hinaus in den Sumpf, wo noch immer unzählige Lichter den Hügel umtanzten.
„Mag sein, dass Ihr nicht an Irrlichter glauben wollt“, erklärte er mit eindringlicher Stimme, „aber möglicherweise glauben die Irrlichter an Euch! Wir wären wohl nicht die ersten, die von ihrem Gesang ins Verderben gelockt werden. Also, seid lieber ein wenig zu vorsichtig als ein wenig zu mutig!“
Der Koschtaler rollte sich in seine Decke ein, schob sich den gefalteten Reitmantel unter den Kopf und schnarchte schon nach wenigen Minuten leise vor sich hin.
Reto und Erborn machten sich es so gut es ging auf ihren Decken gemütlich, und nachdem der Vogt und Perainfried sich im Zelt niedergelegt hatten, schliefen sie auch schnell ein. Von einer Rahjageweihten in den Schlaf geküsst, dachte Reto, wenn er das seinem alten Oheim in Weiden erzählen würde. Reto lächelte zufrieden im Schlaf.
Edelbrecht konnte sich nicht dazu durchringen, sich zur Ruhe zu begeben, obgleich die Müdigkeit allmählich in seine Glieder fuhr - zu unheimlich war ihm beim Anblick der vielen schaurig umherfliegenden Irrlichter zumute und so schickte er sich an, Boromil noch ein wenig Gesellschaft zu leisten. Seit ihrer gemeinsamen Mission, die sie nach Eisenkobers Wacht geführt hatte, empfand er eine gehörige Portion Respekt und Sympathie für den Ritter vom Kargen Land. Während die anderen ihre Lager aufsuchten und schon bald in tiefen Schlaf versunken waren, trat von Borking auf seinen Gefährten zu und klopfte ihm anerkennend auf die Schulter.
„Alle Achtung, Hochgeboren - es war ein anstrengender Tag und wir haben einen aufregenden Ausflug hinter uns. Dass Ihr Euch dennoch zur ersten Wache eingefunden habt, nötigt mir den größten Respekt ab.“
Boromil zog überrascht die Augenbrauen hoch. Hatte er sich verhört oder gab es tatsächlich einmal etwas Positives, was dieses lange Elend von sich geben konnte?
„Nun denn, Ritter von Borking, Wohlgeboren genügt völlig“, Boromil zwinkerte, erst jetzt wurde ihm klar, dass die falschen Titulierungen für den Vogt vielleicht keine kalkulierten Beleidigungen waren, sondern schlicht Zeichen von Unerfahrenheit und mangelnder Etikettekenntnis des jungen Borkingers ... der Ritter vom Kargen Land befürchtete, dass Vogt Gerling eher ersteres annahm.
„Einer muss es ja tun und die anderen schienen mir auch nicht mehr bei Kräften zu sein als ich. Aber Ihr, warum legt Ihr Euch nicht hin?“
„Ähm, na ja, wenn ich ehrlich sein sollte, so war mir nach einer vertrauensvollen Unterhaltung mit Euch. Wenn Ihr gestattet, wollen wir diese dämliche Etikette nicht beiseite lassen? Ich heiße Edelbrecht“, sprachs und hielt Boromil erwartungsvoll seine Rechte entgegen.
Boromil war einen Moment verblüfft, doch dann drückte er mit Freude die angebotene Hand.
"Und ich bin Boromil."
„Darf ich ehrlich zu Dir sein?“ auffordernd blickte Edelbrecht Boromil von der Seite an.
„Natürlich, spuck aus, wo drückt dich der Stiefel?“
„Nun Boromil, Du scheinst mir ein Mann zu sein, der ein ehrliches Wort zu schätzen weiß, und mich drängt es danach, mein Verhalten der letzten Tage zu erläutern. Wenn Du gestattest?“
Boromil nickte und als Edelbrecht erst einmal angefangen hatte, war er nicht mehr zu bremsen.
„Es ist so, dass Du sicherlich bereits gemerkt hast, dass ich auf unseren werten Vogt alles andere als gut zu sprechen bin. Reto von Tarnelfurt scheint allein diesen Umstand schon für ein todeswürdiges Verbrechen zu halten und in der Tat wurmt es mich, alleine deswegen von allen anderen vermutlich als ungehobelter Klotz betrachtet zu werden. Sei’s drum, ich habe meine Gründe. Wirklich mir liegen für gewöhnlich höfische Gerüchte und Intrigen fern, aber in diesem Fall… "
Der Ritter vom Kargen Land öffnete erstaunt seine Augen ein wenig mehr, sagte aber nichts. Wer hätte gedacht, dass von Borking noch so auftauen würde - und ausgerechnet ihm gegenüber, dem Magiefreund? Nun galt es, aufmerksam zuzuhören - denn mit Sicherheit würde er hier etwas Bedeutendes erfahren, wenn Edelbrecht, der doch sonst kein Blatt vor den Mund nahm, es nur jemandem gegenüber äußerte, dem er vertraute.
Dieser fuhr fort: "Mein Vater Junker Damian von Borking, ist ein gern gesehener Gast bei Graf Growin in Ferdok, in dessen Diensten Morwald bis vor kurzem ja noch stand. Lassen wir seine jüngsten Verdienste einmal außen vor. Tatsächlich ist er auch befreundet mit der Baronin Neralda Cella von Nadoret, die dir nicht persönlich bekannt sein wird als jemanden, der nicht aus Nadoret stammt. Es ist jedenfalls so, dass die Nadorets seit der Entscheidung Kaiser Hals, Growin zum Grafen von Ferdok zu ernennen, eifersüchtig auf den wackeren Angroschim sind und danach streben, selbst die Grafenwürde zu erlangen. Kein Wunder, dass sie seinerzeit sogar zu dem Reichsverräter Answin von Rabenmund überliefen. Den Zwölfen sei Dank ist es ihnen bis auf den heutigen Tag nicht gelungen, sich auf den Grafenthron zu setzen, es wäre nur zum Schaden der Grafschaft.
Dass Gerling nun als enger Freund der Nadorets am Grafenhof weilte, machte uns Borkings stutzig. Vermutlich sollte er dort nur herumschnüffeln, sagten wir uns und darin sahen wir auch die Begründung dafür, dass der Graf ihn letztlich entfernt hat. Das wird der wahre Grund für die Ernennung zum Vogt durch den Fürsten sein. Warum sonst sollte so ein unfähiger Dilettant wie Morwald Gerling in eine so verantwortliche Position kommen? Ich hatte das Gefühl, dass auch Du Dich gestern maßlos über die brüske und ruppige Art des Vogts geärgert hast und ihn immer skeptischer betrachtest, und wollte Dich um Deinen Beistand bitten, wenn es dereinst ernst werden sollte und wir uns zwischen dem Grafen und dem Vogt werden entscheiden müssen. Was sagst Du dazu?“
Boromil seufzte. Da lag also der Hase im Pfeffer!
Er setzte vorsichtig an: "Hast Du Beweise dafür, dass Gerling insgeheim der von Nadoret dient?"
"Das nicht, aber ich weiß mit Gewissheit, dass er Verbindungen zu ihr pflegt."
"Das tut er angeblich zu vielen Seiten."
"Aber es werden nur wenige seiner Verbündeten so skrupellos und intrigant sein!"
"Das mag sein, aber gerade deswegen heißt es, vorsichtig zu sein. Ein guter Intrigant wird nie so plump vorgehen, dass seine Absichten offen zutage treten - außer natürlich, er ist kurz vor dem Ziel. Und soweit scheint es hier ja nun nicht gerade zu sein."
"Was meinst Du also?"
"Wer eine Verschwörung aufdecken will, muss aufpassen, dass er sich nicht selbst zum Werkzeug der Drahtzieher macht. Fangen wir also ganz vorne an mit unseren Überlegungen. Was wissen wir über Morwald?"
Während Boromil bei dieser Methode des Ergründens ganz in seinem Element war, ging es Edelbrecht nicht schnell genug.
"Er sieht aus wie ein eitler Stutzer und hat nicht gerade den Körperbau eines Kämpfers!"
"Das ist eine Seite. Gleichzeitig hat er den Grafen, der sich als Zwerg wohl kaum so leicht einlullen lassen wird, davon überzeugt, ihn als Berater zu nehmen. In letzter Zeit hat er dazu einige Meriten erworben. Liegt es da nicht nahe, ihn hier als Vogt einzusetzen?"
"Aber er ist doch offensichtlich kein Mann für die grobe Arbeit und das Land! Er passt an Höfe, aber nicht in diese rauhe Gegend!"
"Vielleicht ist das gerade ein Vorteil. Er muss für die Neusiedlung viel herumreisen und bei vielen Leuten um Unterstützung werben. Die Aufbauarbeit vor Ort fällt ohnehin in unsere Hände."
"Du glaubst also nicht, dass Graf Growin einen Hintergedanken hatte, als er Morwald hierhin versetzt hat?"
"Wenn es zwei Erklärungen für eine Sache gibt, dann sollte man die einfachere als wahrscheinlicher annehmen. Doch gehen wir einen Moment davon aus, dass Deine Theorie stimmt. Warum sollte Growin jemanden, der ein Komplott gegen ihn schmiedet, mit so einer Aufgabe betreuen? Sicher, er ist nun weit entfernt vom Grafenhof - doch gerade deswegen umso unkontrollierbarer! Dazu kommt: Es würde Gerlings Ruf nützen, wenn er diese große Aufgabe bewältigen würde, und ihm schaden, wenn nicht. Wenn der Graf einen falschen Verbündeten also abkanzeln will, hieße das doch, dass er möchte, dass wir keinen Erfolg haben! Kannst Du Dir das vorstellen?"
"Es fällt mir schwer, das zu denken. Dennoch..."
"Und einmal weiter gedacht. Wenn der Graf Mittel des Fürsten einsetzen kann und trotzdem scheitert, steht er doch selbst schlecht dar! Und da die Leute wohl eher gegen uns wetten werden, würde es heißen: Das war doch abzusehen, da ist Growin tölpelhaft vorgegangen!"
"Hm..."
Das leuchtete zwar ein, aber Edelbrecht konnte doch nicht Morwald trauen!
"Dann die Benennung der sechs Neusiedler. Warum hätte man ausgerechnet jemanden aus Deiner Familie dazu bestimmt, wenn doch abzusehen war, dass jemand so Misstrauisches wie Du es sein wird? Solche Unwägbarkeiten würde doch ein schlauer Geist ausschließen wollen."
"Ich... das wird mir zu kompliziert. Wie soll ich dem Vogt unvoreingenommen gegenüber treten, wenn ich doch über seinen Hintergrund weiß?"
"Niemand verlangt von Dir, dass er Dein bester Freund wird. Aber offene Ablehnung ist auch kein Weg. Wenn Du nämlich recht hättest, wäre er nun gewarnt. Er könnte Dich als Schuldigen benutzen, falls es nichts wird mit der Besiedlung. Außerdem gehe ich nach wie vor davon aus, dass er keine Hintergedanken hat, was den Grafenthron betrifft. Was würde dem Grafen mehr schaden, als einen seiner Ratgeber lächerlich zu machen?"
"Was schlägst Du also vor?"
"Versuche, Dich ein wenig zurückzuhalten dem Vogt gegenüber. Es ist Dir nicht verboten, Deine Augen offenzuhalten. Ein wacher Verstand ist immer noch das beste Mittel gegen feiges Hintergehen!"
"Das wird schwierig, Du weißt ja, so ein Abwägen ist nicht meine Sache... ich habe es lieber klar und direkt."
"Ich mache Dir ein Angebot: Wir besuchen uns gegenseitig auf unseren Gütern und setzen dieses Gespräch von Zeit zu Zeit fort."
"Einverstanden. Doch Du hast meine Frage noch nicht beantwortet: Wem würdest Du treu zur Seite stehen, dem Vogt oder dem Grafen?"
"Ich bete zu den Göttern, dass der Tag niemals kommt, an dem ich diese Entscheidung treffen muss!", sagte Boromil schließlich ernst und entschlossen. Die Leichtigkeit, mit der er trotz des Themas bisher geredet hatte, war aus seiner Stimme und seinen Zügen verschwunden. Edelbrecht begriff, dass er nicht nachbohren sollte.
Inzwischen war das Feuer heruntergebrannt; sie legten neue Scheite auf. Schließlich weckte Boromil Erborn, der sich für eine der nächsten Wachen angeboten hatte. Der lange Tag forderte schließlich seinen Tribut und Boromil schlief in seine Decke gehüllt neben dem Feuer ein.
Die Nacht war klar und kühl. Die Lichter über dem Sumpf schienen wie in einem See die Sterne am Himmel wiederzuspiegeln. Das stetige Konzert der Frösche untermalte die eigentümliche Stimmung an diesem Ort.
Erborn saß reglos da und zog seinen Mantel enger. Er starrte auf die Äste der uralten Weide, die sich schwarz vor dem tiefen Blaugrau des Firmaments abzeichneten. Knorrig und verwachsen sahen ihre Umrisse aus wie erstarrte Kobolde. Hatten sie sich bewegt?
Erborn zuckte einen Moment zusammen, bis ihm klar wurde, dass nur der Wind mit dem Ästen spielte. Ein Frösteln lief über seinen Rücken. Er schüttelte den Kopf um die Trugbilder aus seinen Gedanken zu vertreiben, als ein anderer Schattenriss seinen Blick fesselte ... eines der Rösser hatte sich offenbar losgemacht und trottete langsam und stetig den Hügel hinab. Erborn hielt auch dies für einen Moment für ein Traumbild, denn das Pferd verhielt sich irgendwie merkwürdig.
Erst langsam wurde ihm klar, woran das lag - das Tier sah nicht links und nicht rechts, bewegte den Kopf kaum, sondern lief stetig nach vorne starrend weiter - so als liefe es auf etwas Verlockendes zu. Er reckte seinen Hals auf der Suche nach einem lohnenden Ziel, nach einer saftigen Weide oder einer Tränke ... aber er sah nur Sumpf.
Robans Schlaf war nicht besonders tief gewesen. Zwar blieb er von Alpträumen verschont, dennoch wachte er immer wieder zwischendurch für einige Sekunden auf, wälzte sich dann auf die andere Seite und brauchte ein paar Minuten, um erneut einzuschlafen.
Auch jetzt drehte er sich mit einem leisen Fluch herum, als er Schritte hörte und kurz die Augen öffnete. Vermutlich würde die Wache nur neuen Reisig auf das Feuer werfen, oder jemand musste mal austreten.
Einige Schritt von ihm entfernt ging Erborn den Hügel hinab, wobei er sich mehr und mehr vom Lager entfernte.
„Erborn?“ rief Roban leise, um niemanden zu wecken, doch der Diener reagierte nicht, beschleunigte seinen Schritt vielmehr und war schon fast in der Dunkelheit verschwunden.
„Orkdreck!“ fluchte Roban, sprang aus der Decke, griff nach Schwert und Hammer und weckte in aller Eile die anderen Ritter, ehe er nach einer knappen Erklärung dem Diener nachjagte, der schon nicht mehr in der Dunkelheit zu sehen war. Nur schemenhaft erkannte Roban dessen Fährte auf dem Boden, und noch eine zweite, wie von einem Pferd.
„Erborn!“ rief er, jetzt mit voller Lautstärke, in die Dunkelheit. Keine Antwort. Hoffentlich hatte der Diener noch nicht den Rand des Sumpfes erreicht, denn offenbar war er nicht mehr Herr seiner Sinne, sonst hätte er niemals allein und mitten in der Nacht das schützende Lager verlassen.
Auch Reto war nach Robans Alarmschrei blitzschnell auf den Beinen, „Was ist mit Erborn?“ rief er leicht verwirrt.
„Er ist den Hügel hinab wohl einem Pferd hinterher…“ hörte er Robans Stimme aus dem Dunkel. Verdammt dachte sich Reto, schnappte sich gleich zwei Fackeln, blies das Feuer kurz an und entzündete die Fackeln.
„Erborn melde dich, Roban, wo seid ihr?“
Mit den beiden brennenden Fackeln in einer Hand und einem kurzen Seil in der anderen ging er den Hügel hinab, von wo er Robans Stimme gehört hatte.
, „Firun steh uns bei" und" Bolzer, komm endlich auf die Beine!“ war das letzte, was man Reto hörte, bevor er zu Roban aufschloss.
Im fahlen Mondlicht erkannten sie in einiger Entfernung Erborn, der verzweifelt versuchte, das bereits mit den Vorderbeinen eingesunkene Ross an seinem Zügel aus dem Sumpf zu ziehen. Doch das Tier war ungleich stärker und schritt weiter - immer tiefer ins Wasser und zog Erborn mit sich, der selbst nur noch einen Schritt davor entfernt war zu versinken.
„Erborn!“ Robans Stimme überschlug sich beinahe, als er das ungleiche Tauziehen erblickte. Mit einigen Sätzen war er bei dem Diener angelangt, stieß ihn zur Seite, griff selbst zu den Zügeln. Erst jetzt erkannte er Girte, seine eigene Tralloperstute, die stur wie ein Angroscho weiter lief, langsam, aber unaufhaltsam.
„Girte - elender Zossen, halt!“ brüllte er vor Wut und Angst, denn jetzt war er es, der wie ein lästiges Anhängsel in den Sumpf gezogen wurde. Ihm würden allenfalls noch Sekunden bleiben, bis er sein Leben in einem mit Brackwasser gefüllten Loch aushauchte.
„Wir müssen sie aufhalten!“
Erborn sprang ihm zur Seite, mit Schlamm bespritzt und durchnässt wie eine neugeborene Katze, und griff erneut in die Zügel, aber auch zu zweit konnten sie das mannshohe Tier allenfalls bremsen, aber keinesfalls aufhalten.
„Sie ist verhext!“ keuchte Roban. Er hörte die Stimmen der anderen Ritter, die Erborns und seinen Namen in Dunkelheit und Nebel riefen, sah in der Ferne bläulich-schimmernde Lichter tanzen.
„Hierher!“ gellte sein Ruf in die Nacht, während er das Schwert zog. Erborn wurde blass, als der Ritter die Klinge zog, dann wurde er zum zweiten Mal fortgestoßen. Roban schlug zu, fügte der Stute einen flachen Schnitt auf der Kruppe zu und konnte gerade noch ausweichen, als diese mit einem schmerzerfüllten Wiehern auskeilte.
Der Ritter rappelte sich wieder hoch. Keine Handbreit vor seinem Gesicht war der eisenbeschlagene Huf wie ein tödliches Geschoss vorbei gefegt, aber immerhin schien Girte aus ihrem Bann erwacht zu sein, denn jetzt wollte sie wieder raus aus dem Sumpf, war aber schon zu tief eingesunken.
Erneut griff Roban nach dem Zügel, erneut griff jemand zu - diesmal aber nicht Erborn, sondern Edelbrecht, der baumlange Ritter von Borking.
„Wir brauchen hier zwei Pferde! Rasch!“ brüllte er Erborn an, der sich aufrappelte, aber eilfertig nickte.
Erborn und Reto stürmten davon und kehrten kurz darauf mit ihren beiden Pferden und ein paar Seilen zurück. Erborn und Reto befestigten die Seile an ihren Pferden und warfen Roban und Edelbrecht die anderen Enden zu. Gemeinsam konnte man Robans Pferd nach einer guten halben Stunde aus dem Moor befreien.
„ Was immer dein Pferd ins Moor gelockt haben mag, vielleicht sollten wir unseren Tieren besser die Augen verbinden?“, warf Reto in die Runde, als man den Hügel zurück zum Lager erklomm.
Roban nickte knapp. „Nicht nur die Tiere - was mit Girte geschehen ist, könnte auch einen von uns treffen, wenn es die Gelegenheit bekommt! Ich werde auf jeden Fall die Augen offen halten - bin sowieso mit Wachen dran!“
Er grinste etwas schief und blickte in die Runde der vom Fackelschein beleuchteten Gesichter.
„Und ich will Euch allen danken - ohne Eure Hilfe würde ich jetzt wohl ohne Pferd unsere Erkundung fortsetzen! Und ich denke, die alte Girte“, er tästschelte der Stute den schlammbespritzten Hals, „ist Euch ebenso dankbar!“