Worte, Windeln und ein Wunder

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Ausgabe Nummer 86 - Phex 1048 BF

Neues vom Hesindekind: Worte, Windeln und ein Wunder

Einbruch im Hesindekonvent nimmt ein gutes Ende

SALMINGEN, Phex 1048 BF. Gut behütet und bewacht wächst das Hesindekind auf Schloss Salmingen auf und zeigt bereits, dass es die großen Erwartungen gewiss dereinst erfüllen wird. Dass der Segen der Göttin der Weisheit auf dem Mädchen liegt, erwies sich jüngst, als Gefahr im Verzug schien.

Über zwei Jahre sind es bereits, dass die kleine Pergrima, wie prophezeit, unter mysteriösen Umständen auf die Welt kam. Genährt von einer Amme und umsorgt von den Geweihten der Hesinde, ist sie zu einem sanften, aber lebhaften und neugierigen Mädchen herangewachsen, wie dem KOSCH-KURIER eine Gewährsperson aus dem Salminger Tempel berichtet hat. Dem Charme ihrer dunklen Augen und ihrer glockenhellen Stimme könne man sich kaum entziehen. Zu sprechen begann das Hesindekind bereits im ersten Lebensjahr. Das erste Wort, das Hochwürden Sephira Birninger eines Morgens von ihr hörte, war „ogutige“, womit sie die Hochgeweihte aufforderte, ihr wie jeden Morgen das Gebet „O gütige Herrin Hesinde“ vorzusingen. Zur Amme soll sie aber bereits zuvor „Mama“ sowie „Brei“ und „Apfel“ gesagt haben.

Dieses idyllisch anmutende Heranwachsen ist nicht selbstverständlich, gab es doch mehrfach Hinweise, dass die Feinde der Götter dem Kind zu schaden trachten. Daher wird es schwer bewacht durch Gardisten und Draconiter. In den letzten Monaten zeigte sich allerdings keine Bedrohung – bis zum Abend des 3. Phex. Da erreichte Hochwürden Birninger die Meldung, dass die Wachen eine Frau geschnappt hatten beim Versuch, sich in die Wohnräume Pergrimas zu schleichen. Die Person scheine auf den ersten Blick harmlos, hieß es, doch ist ja bekannt, dass der Feind sich aufs Täuschen versteht. Hochwürden ließ sogleich Experten der Kirche herbeirufen, die in magischer Analyse und Menschenkenntnis bewandert sind. Erst als diese bestätigten, dass die Festgenommene durchwegs unmagisch sei und auch keinerlei Beherrschung unterliege, wurde sie vor die Leitung des Hesindekonvents gebracht.

Dort plapperte die junge Frau sogleich ungefragt los. „Ich wollte doch nichts Böses, Hochwürden, es war doch der Traum, und die Bediensteten hatten mich weggewiesen, die wollten mir gar nicht zuhören …“

Wie Sephira Birninger die Angst und Verwirrung der Frau wahrnahm, wurde sie sogleich sanft gestimmt und sprach zu ihr: „Nun, wir hören dir zu, mein Kind, doch fange in Hesindes Namen am Anfang an: Wer bist du überhaupt?“ Da stellte sie sich als Gunelde vor, Stallmagd im Hotel Haus Salm, Gattin eines Holzfällerknechts und Mutter eines kleinen Jungen. „Um den Ardo geht es ja, Hochwürden, er ist ja schon vier und hat noch nie ein Wort gesprochen, und seine Gnaden Grabenhub meinte auch, als wir ihm den Jungen vorzeigten letztes Jahr, dass die Herrin Hesinde ihn nur kümmerlich beschenkt habe und es wohl sein Leben lang so bleiben werde …“

Die arme Frau wurde von einem Weinkrampf geschüttelt. „Und jetzt …“, ermutigte sie Hochwürden zum Weiterreden. „Und jetzt ist er mir eben im Traum erschienen! Also nicht der Ardo, sondern ein Diener der Herrin Hesinde, er sah aus wie ein Drache auf zwei Beinen! Und er sagte mir: ‚Dein Sohn wird die Sprache finden, wenn du ihn in die Windeln des Hesindekinds wickelst.‘ Zuerst wollte ich ja anständig fragen, ob ich die Windeln nicht einen Moment ausleihen dürfe. Aber es hörte mir eben keiner zu! Ich fragte die Schlosswachen und die Bediensteten, die Einkäufe brachten. Aber die scheuchten mich alle fort, einige beschimpften mich gar sehr bösartig …“

Wieder verfiel die Frau in heftiges Schluchzen. Da habe sie sich eben hineingeschlichen ins Schloss, fuhr sie fort, habe getan, als gehöre sie zur Dienerschaft oder auf günstige Momente gewartet, wenn Wachen abgelenkt waren. „Ich war schon fast gewiss, dass die Göttin selbst mir beistand, wie ich es bis in den Wohntrakt des Palas geschafft hatte, doch dann haben mich die Herren Draconiten bemerkt …“

Den Zeugen dieser Erzählung blieb kein Zweifel, dass die arme Magd die Wahrheit sprach. Aber was war von ihrem Traum zu halten? Man ließ Gunelde von den Wachen in die Küche zu einer kleinen Stärkung bringen und begann dann einen intensiven Disput.

Hatte tatsächlich die Göttin eine Botschaft geschickt? Ließ sich der zweibeinige Drache als Alveraniar identifizieren? Hatte jemand die Träume Guneldes manipuliert, konnte das in ihrer Untersuchung verborgen geblieben sein? Oder handelte es sich nur um das Wunschdenken einer besorgten Mutter, das sich in ihrem Schlaf manifestiert hatte? Schließlich setzte sich die Kusliker Erzmagisterin Gyldurine Thirindar durch mit ihrem Vorschlag: Warum nicht einfach den Versuch wagen? Was konnte schon Schlimmes geschehen, wenn man dem Jungen eine Windel anlegte, die das Hesindekind getragen hatte?

Man ließ den kleinen Ardo also holen und zusammen mit Gunelde in die Kammer von Pergrimas Amme bringen. An der Hand seiner Mutter stand er da und starrte wortlos auf die versammelten Geweihten. Nur ein „Ah - ah - ah“ kam hin und wieder über seine Lippen. Die kräftige Amme, übrigens eine Tulamidin, über deren dunkle Haut Ardo große Augen machte, hob den Jungen auf einen Tisch, zog ihm geschwind die Hose aus und wickelte dann die Windel um seinen Unterleib. Als sie fertig war, drängten sich die Priester heran. „Möchtest du uns etwas sagen?“, fragte Hochwürden Birninger, und dann prasselten Fragen aller Art auf den Kleinen, der sich nur stumm ans Bein seiner Mutter klammerte. „Möchtest du nach Hause, Ardo?“, flüsterte diese ihm zu, doch aus seinem Mund kam wieder nur ein „Ah“.

Da erklang mit einem Mal eine glockenhelle Stimme. „He, du!“ Es war Pergrima, die unbemerkt in die Kammer gekommen war. „Du hast meine Windeln an!“ – „Sind jetzt meine!“, antwortete der Knabe trotzig – und schien gar nicht zu verstehen, warum seine Mutter in Tränen ausbrach und die Priesterschaft in Jubel. So wurde die Szene dem KOSCH-KURIER von Seiner Gnaden Halmdahl von der Wiesen geschildert.

Was genau passiert ist – ob sich der Traum erfüllt hat, ob Pergrima ein Wunder vollbracht oder gar einen Zauber gewirkt hat, darüber schweigen sich die Diener der Herrin Hesinde noch aus (wie über so Vieles, was das gesegnete Kind betrifft). Was wir aber wissen, ist, dass Gunelde Nerbuscher jetzt als Stallmagd im Salminger Schloss arbeitet und der kleine Ardo Pergrima öfter zum Spielen besuchen darf.

Stordian Mönchlinger