Von altem Schrot und Korn

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Steenback, 1032 BF

Es ist Herbst im Kosch. Über dem Angbarer See wabern dichte Nebelschwaden, die an die Geister längst geschlagener Schlachten erinnern. Die Boote der Boronis durchpflügen als einzige die kalten Wasser des Sees, um den sich so viele Legenden ranken. In Steenback ist die Ernte eingebracht und die Einwohner feiern und preisen die guten Damen PERaine und TRAvia, wie sie es seit jeher gelernt haben.
Es ist Herbst im Kosch und das „ist auch gut so!", wie der alte Ritter Stordan Steener von Steenback zu sagen pflegt. Hektik und Trubel, wie man sie in Ferdok oder Gareth findet, kann er so gar nicht leiden. Überhaupt sind die beschwerlichen Überlandreisen und die Aufenthalte in den Städten des Reiches oder darüber hinaus seit langer Zeit nicht mehr seine Welt.
Damals, als die Oger die Welt im Osten verheerten, da stand Stordan noch in Saft und Kraft und zahlte seinen Blutzoll an die Krone und die Herrin RONdra an der Trollpforte!
Auch mit dem Schwarzpelz lieferte sich der Ritter von Steenback manches Gefecht. Sei es vor Greifenfurt oder auf den Silkwiesen: Stordan Steener von Steenback war an allen wichtigen Schlachten im Norden und Osten des Reiches beteiligt! Er kämpfte treu für Fürst, Krone und Vaterland, ehrte die Herrin RONdra und ihre elf Geschwister.
Allein um welchen Preis? Als strahlender Held vieler Schlachten kam er zurück in den Kosch, bewundert von den Armen, beneidet von den Reichen. Als junger Ritter hatte er die Wahl zwischen der Aventüre und der RAHjagefälligen Leidenschaft. Und beides kostete er bis an die Grenzen aus!
Als dann im Jahre 1000 BF sein erster Sohn Kariel Bosper geboren wurde, schien die Welt vollkommen zu sein. Zwar war die Mutter eine Bürgerliche, Magd dazu, im nahen Lutzenstrand! Doch Kariel sollte ein Sohn ganz nach Stordans Geschmack werden! Verlobt mit Khele von Lutzenstrand, Karriere am Hofe von Angbar, das alles klang nach einer ruhmreichen Zukunft für das Geschlecht derer von Steenback!
Kariels Tod im Jahre 1020 BF änderte jedoch alles. Ruhm und Ehre vergangener Tage waren nur noch die schale Erinnerung an eine Vergangenheit, die längst keine Bedeutung mehr hatte angesichts der anstehenden Bedrohung durch den Dämonenmeister. Stordan war alt und verbittert geworden, und selbst auf dem eigenen Familiengut mehrte sich der Unmut über die phlegmatische Art, wie der Ritter sein Lehen verwaltete.
Erst 1025 entschloss sich Stordan, die Amtsgeschäfte einem fremden Schulzen mit Namen Korsten zu übergeben. Der Flüchtling und ehemalige Amtmann eines Dorfes in Tobrien, entpuppte sich als überaus fleißig und begabt, und so blühte das Rittergut bald wieder in neuem Glanze.
Stordan hingegen konnte oder wollte das nicht sehen und lebte zurückgezogen im Gutshaus von Gut Steenback. Allein die militärischen Nachrichten aus dem Osten erregten sein Interesse, und er sammelte alle Schlachtenberichte und Lagepläne, die er bekommen konnte, um sie am Kartentisch nachzuspielen und die Taktiken der beteiligten Heere zu studieren. Mit der Zeit wandelte sich seine Leidenschaft für vergangene Schlachten zur Manie, und Stordan investierte viel Geld und einen Großteil seiner Zeit in das Studium der Militärwissenschaft und die Andachten an die Herrin des Krieges. Nun ja, dies konnte noch mit Fug und Recht als das PRAiosgefällige und verbriefte Recht eines Adligen der Raulschen Krone angesehen werden, doch etwas anderes erwies sich als fatal.
Angelockt durch Ritter Stordans Sammelwut nach Devotionalien der Schlachten der jüngeren aventurischen Geschichte kamen mehr und mehr Händler und Herumtreiber in die Gegend von Steenback, um dem alten Stordan Altertümer und Überreste bedeutender Schlachten zu verkaufen. Neben einigen wirklich wertvollen Artefakten aus den Khomkriegen und den Schlachten um Maraskan besitzt Stordan nun auch etliche Waffen und Pläne zweifelhafter Herkunft. Der Preis ist ein heruntergekommener Gutshof, dessen einzig wirklich gut gepflegter und gesicherter Raum die unterirdische Asservatenkammer ist.
Mittlerweile genießt der Ritter auf Gut Steenback bei seinem Gesinde des Ruf eines kauzigen und eigenbrötlerischen Herrschers, den man vor sich selbst beschützen muss. Und so werden die meisten Händler und Abenteurer, die vom Ruf des Ritters angelockt in Steenback erscheinen, von den Bewohnern unter vorgeschobenen Gründen wieder fortgeschickt. Eine Audienz bei Ritter Stordan bekommen solche Subjekte nur noch, wenn es ihnen gelingt, zu ihm selbst vorzudringen.
Es ist nicht schwer zu erraten, dass die selbst gewählte Abschottung von der Außenwelt den Beziehungen Steenbacks zu den Nachbargütern nicht besonders gut getan hat. Die „diplomatischen" Kontakte laufen weitgehend über den Dorfschulzen Korsten, und dieser hat seine Stellung in den letzten Jahren kontinuierlich ausgebaut und seinen Wohlstand auf Kosten des Gutes gemehrt. Es gibt darob nicht wenige in Steenback, die Korsten deswegen seine Stellung neiden und diesen bei jeder sich bietenden Gelegenheit beim Ritter schlecht machen. Andere hingegen haben sich Korsten angedient und wollen von dessen Macht und Wohlstand profitieren und so stehen sich die traditionalistischen Steenbacker auf der einen und die progressiven um Korsten auf der anderen Seite zunehmend reserviert gegenüber.
All die Spleenigkeit und die selbstgewählte Einsamkeit dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Ritter Stordan ein im Kosch bekannter und im Reich geschätzter Vertreter des echten Rittertums ist, der wichtige Freunde und Verbündete in der Reichsverwaltung, den Provinzen und den Kirchen der RONdra, TRAvia, PERaine und des PRAios hat. Seine gradlinige und ehrliche Art haben ihn über Jahrzehnte zu einem beliebten, hilfsbereiten und wertvollen Freund und Helfer gemacht, der die ritterlichen Ideale im Herzen des Reiches hochhält, wie man es sonst höchstens noch aus den Schildlanden kennt.
Es scheint ganz, als ob es eines wirklich würdigen Anlasses bedürfte, um Ritter Stordan Steener von Steenback aus seiner Lethargie zu reißen und seine alte Kraft und Leidenschaft zu reaktivieren und in neue Bahnen zu lenken. Und so schmieden die Bewohner Steenbacks abends am Lagerfeuer oder in der Taverne des Gutshofes eifrig Pläne, um „ihren" Ritter erneut in eine glückliche Zukunft reiten zu lassen. Nur hinter vorgehaltener Hand wird hingegen gemunkelt, dass Stordan Steener von Steenback über ´nen spitzen Stein gestolpert sei und darüber seinen Verstand verloren habe.
So ging die Zeit dahin und nach dem Herbst kam der Winter und nach dem Winter eilte der Frühling mit großen Schritten an den Angbarer See. Dieses Spiel der Jahreszeiten hätte nach Stordans Willen ohne große Unterbrechung gerne so weitergehen können, doch es sollte anders kommen...

"Siegelt die Einladungsschreiben und sendet eines davon an Ritter Stordan", sprach der alte Junker Ermst vom See.
"Zum alten Steenbacker? ... meint ihr wirklich, dass er kommen wird? ... er soll wunderlich geworden sein, in seinem Alter."
Auf der Stirn des grauhaarigen Junkers bildete sich eine steile Zornesfalte, bei diesen respektlosen Worten seines Dieners.
"Wir sind uns bekannt seit Jugend an - Stordan wird eine Einladung auf unsere Burg Ibeck nicht ausschlagen. Es weiß, wenn ich ihm schreibe, geht es um das Schicksal des Hauses derer vom See ... dem Haus seines Grafen!"
Angesichts der unerwartet schroffen Worte wurde dem Diener bewusst, dass er seine Zweifel lieber nicht ausgesprochen hätte. Er straffte sich und verbeugte sich tief um seine Reue zu zeigen, ehe er das Pergament an sich nahm und zum Boot eilte, das ihn ans Ufer bei Steenback bringen würde.

Nottel zitterte vor Aufregung. Der junge Page hielt die gesiegelte Depesche mit dem Wappen derer vom See in den schwieligen Händen und sah dem Reiter nach, der sie gebracht hatte. Warum hatte dieser es nur wieder so eilig, das Gestüt Steenback zu verlassen?
Nottel zuckte mit den Schultern und schloss die schwere, blutbraune Eichentür mit den abgewetzten Intarsienarbeiten, die mythische Seeungeheuer zeigten. Im Innern der pompösen, muffigen Empfangshalle musste er kurz inne halten, um seine Augen wieder an die Dunkelheit zu gewöhnen. Von der Kellertreppe her hörte er ein Scheppern! Etwas kam langsam die Treppe hoch! Im Zwielicht, das durch die schmalen, schießschartenartigen Fensteröffnungen hereindämmerte, sah er eine ungelenkte, grobschlächtige und riesige Gestalt aus dem Gang herauswachsen. Scheppernd schleppte sich der Riese mit dem quadratischen Kopf direkt auf ihn zu!
Nottel blieb fast das Herz stehen, als das eiserne Ungetüm seine gewaltigen gepanzerten Arme hob und einen riesigen geflämmten Bidenhänder in die Luft hob!
Unter dem Stahlschädel tönte es dumpf: "Sieh doch nur, Nottel! Ich habe ihn gefunden!"
Der Page mit dem leichenblassen Teint und dem kräftigen Körperbau hinkte auf die Gestalt zu.
"Aber Herr, ihr sollt doch nicht allein in dieser Gestechrüstung die Treppen hochgehen! Der Doktor hat es euch doch verboten!"
Besorgt nahm Nottel dem Ritter Stordan den Andergaster aus der Hand.
"Weißt du, wo ich ihn gefunden habe? Direkt hinter der Thorwal-Sammlung stand er!" erwiderte Stordan, ohne auf Nottels Vorwurf einzugehen. Mit einem Ächzen nahm er sich den klobigen bornischen Topfhelm vom Kopf und verschnaufte kurz. Dann erblickte er die Depesche in Nottels Gürtel.
"Nanu, ein Brief? Nottel, zeige er her, was er dort hat!"
Immer wenn Ritter Stordan diesen Ton anschlug, war Vorsicht geboten und so überreichte der Page das Schreiben mit einer kleinen Verbeugung und zog sich dann, samt Zweihänder und Topfhelm in den Keller zurück, um die Artefakte einer gründlichen Politur zu unterziehen. Der alte Ritter blieb in das Schreiben versunken in der dunklen Empfangshalle zurück und überflog mit den Augen eines Adlers den Inhalt. Wer den alten Kämpen jetzt hätte sehen könnte, hätte gesehen, wie sich seine Miene zu einem entschlossenen Lächeln verzogen hatte.
"Ja, mein alter Freund. Für dich werde ich noch einmal in den Sattel steigen! Bei Rondra und Famerlor, verlass dich drauf!" murmelte er.
Und laut schallend durchbrach dann seine Stimme die stille Finsternis des Hauses: "Nottel, zu mir! Sattel meine treue Jolante, es geht auf große Heer-Fahrt!"

inhaltliche Fortsetzung im Briefspiel Nisper Gewisper