Hartsteiger Berggschicht`n - Gemeinsame Runde

Im Wengenholmer Berge, Ende Peraine 1047 BF
Fünf Tage später blickte Rigolosch unsicher zum Himmel und beobachtete die grauen Wolken, die immer zahlreicher zu werden schienen. „Was meinst du Steigschreiter? Kriegen wir ein Gewitter?“ Wirolf atmete tief ein, so dass man glauben konnte, er würde die Luft abschmecken. Dann schnüffelte er etwas herum, um kurz darauf nur mit den Schultern zu zucken. „Ich kann es dir leider nicht sicher sagen.“ Brummend meinte der junge Adlerganger Kuniswart Bocksbart, „Ihr seit mir ja schöne Bergführer, wenn ihr nicht sagen könnt ob ein Gewitter kommt oder nicht.“ Dadurch sah sich Rigolosch in seiner Ehre gekränkt und erwiderte „Das Wetter in den Bergen genau abschätzen zu wollen, ist genau so sinnlos wie die Steine am Grund eines Sees zu zählen. Viel zu schnell kann sich etwas ändern und es genügt meistens nur ein starker Windstoß um es in einem Tal regnen und im anderen Tal die Sonne scheinen zu lassen.“
Baerwin nickte angesichts Rigolosch Worte, während er auch gen Himmel sah. Diese Wolken dort könnten auf sie herabregnen, oder auch weiterziehen, genaues wusste hier keiner. Es gab nur einige Indizien, anhand derer man das Wetter in den Bergen abschätzen konnte, mehr aber auch nicht, denn zu schnell war alles der Göttin Tsas Wandel unterworfen. Bisher waren Sie gut vorangekommen, vor allem dank den milden Temperaturen. Sie waren jetzt schon einige Tage in den Bergen und bisher hatten sie noch keine Probleme gehabt. Die Sonne schien, zwar noch schwach, aber meistens war sie frei am Himmel und die bisherigen Wolken hingen einfach nur über ihnen, bis sie der noch immer starke Wind weiter trieb. Aber Baerwin machte sich nichts vor, bei einem Gewitter im Gebirgen zu sein, war lebensgefährlich, vor allem ohne Schutz vor den Elementen. Der Angroscho war nun zu einer Entscheidung gekommen. „Wir sollten uns einen Unterstand suchen und erst mal abwarten. Besser auf Nummer sicher gehen.“ Und damit sollte er Recht behalten.
Die Gruppe war noch nicht weit gekommen, als es plötzlich donnerte und leichter Regen auf sie niederging. Zuerst nur ein paar Tropfen, dann jedoch ergoss sich immer mehr Regen auf sie. Der Wind schien derweil immer kühler zu werden und brauste unangenehm über sie hinweg. Jede noch so kleine Lücke in ihrer Kleidung fand er und verbiss sich darin, so dass zuerst die anwesenden Frauen und dann auch bald der Rest mit den Zähnen klapperten, wegen der Kälte. Baerwin konnte mittlerweile nichts mehr richtig sehen, denn immer mehr Wasser kam in seine Augen und sorgte dafür, dass sein Blickfeld verschwamm. Aber er wusste so gut wie alle hier, dass anhalten und rasten keine Option war. Schließlich erspähte Rigolosch doch noch etwas. „Da Vorne! Eine Art Höhle. Wir können darin vielleicht ein Lager aufschlagen.“
Baerwin war heilfroh, dass sie nun nicht länger halbblind im Regen gehen mussten. Wie der Angroscho erkannt hatte, war hier eine kleine Öffnung in der Felswand, die etwas ins Innere des Berges führte und genug Raum bot, so dass ihre Gruppe zumindest gebückt und eng nebeneinander darin Platz finden konnte. Mit geübten Händen machten sich nun alle aus der Gruppe daran, ein provisorisches Lager aufzubauen. Wirolf und Rigolosch gaben sich Mühe ein Feuer in Gang zu bringen, die Sarindelgruber-Schwester, Hasmut, Baerwin, Kuniswart und Trada Wengenpflug begannen mit ihren Zeltplanen die Öffnung so gut wie möglich abzudichten, indem sie die Zeltheringe in den Fels und in den Boden trieben, während sich Balbine und Arnhelm um die Maultiere kümmerten. Vitus der Hund hatte sich auch im Inneren niedergelassen und beobachtete neugierig wie das Lager aufgebaut wurde.
Schließlich war das schlichte Feuer entzündet und mit einem Kreis von Steinen umgeben. Die Zeltplanen hingen mehr schlecht als recht, aber zumindest verhinderten sie, dass der Wind sie mit voller Kraft anblasen konnte. Auch die beiden Maultiere standen nun etwas entspannt unter einem großen Felsvorsprung, ganz in der Nähe. Immer wieder ging einer aus der Gruppe nach draußen um die Tiere abwechselnd zu füttern und zu tränken. „So ein verdammtes Efferdwetter!“ brummte Kuniswart ungehalten. „Sagt guter Angroscho, habt ihr denn nicht früher bemerkt, dass es noch so regnen wird?“ Doch bevor Rigolosch zu einer, wohl barschen Erwiderung ansetzen konnte, fiel ihm Baerwin ins Wort. „Ich denke niemand von uns hätte abschätzen können, dass es noch so schlimm wird.“ meinte der junge Ritter. „Doch nun haben wir wenigstens einen trockenen Unterstand und können abwarten bis der Regen aufhört. Der junge Adlerganger spuckte aus, „Das regnet heute sicherlich noch den ganzen Abend durch. Ich fürchte, wir dürfen heute alle auf dem harten Stein schlafen.“ Trada und Balbine musterten den harten Boden kritisch, doch keine sagte etwas dazu. „Keine Angst liebe Trada, ihr dürft euch die Nacht über an mich kuscheln.“ meinte Kuniswart mit einem lockeren Augenaufschlag. Die so Angesprochene hob nur die Augenbraue und meinte „Bevor ich das tue, schlafe ich lieber draußen im Regen.“
Dann wandte sie sich an Baerwin und verkündete „Vielleicht ist das ein Zeichen euer Wohlgeboren. Bisher sind wir nur zäh vorwärts gekommen. Und gefunden haben wir auch nichts. Sollten wir nicht besser umkehren?“ Alle Blicke gingen nun zu dem Ritter, der sich sichtlich unwohl in seiner Haut zu fühlen schien. „Das steht absolut außer Frage.“ meinte er nach einem Moment des Schweigens. „Wir haben bisher nur einen Teil des Gebiets überprüft, für das ich verantwortlich bin. Es stehen noch einige Berghänge und kleine Täler offen, die wir ebenfalls inspizieren müssen.“ Trada verzog etwas das Gesicht und meinte „Aber wir marschieren jetzt schon einige Tage lang durch sehr unwegsames Gelände. Glaubt ihr wirklich, dass jemand Anderes hier her gelangen kann?“ Nun antwortete Rigolosch, „Das ist sogar sehr gut möglich. Als Baerwin und ich das erste Mal eine Gruppe von illegalen Schürfern vorfanden, war dies auch an einem Platz, wo man meinte, dass niemand sich dort hin verirren würde. Bedenkt, dass die Leute, die hier Raubbau betrieben, dies nicht an einer gut einsehbaren Stelle tun werden.“
„Aber…“, begann Trada doch nun hatte der Ritter genug. „Der Weg ist festgelegt. Bedenkt gute Trada, dass ihr bereits mein Geld genommen habt. Damit habt ihr euch mir verpflichtet und Ende.“ Die Frau blickte grimmig zu ihm, senkte aber nach einem Moment wieder den Blick und meinte „Wie ihr befehlt, Wohlgeboren.“ Dann kam Vitus hinzu, legte sich an der Seite der Frau nieder und sie begann ihn mit ruhiger Hand zu streicheln. Cildaril hatte derweil mithilfe ihres Bruders eine einfache Suppe aus Dörrfleisch und Zwiebeln zubereitet, die sie nun austeilte. Schweigend aß die Gruppe, doch nach dem einfachen Mahl begannen erneut die Gespräche.
„Sagt einmal guter Weitwurf,“ begann die umgängliche Balbine „warum seit ihr denn hier auf dieser Reise. Ich meine mich erinnern zu können, dass die Weitwurffamilie eine recht wohlhabende Familie in Twergentrutz ist.“ Hasmut nahm einen tiefen Schluss aus seinem Trinkschlauch bevor er antwortete, „Das waren wir vielleicht mal, aber im Moment ist davon nicht mehr viel übrig. Mein Bruder und ich hatten einst eine gutgehende Wirtschaft in Twergentrutz, doch im Jahrhundertwinter von 1038 haben wir arg gelitten. Das Ende war, dass er einen seiner Söhne und ich meine Frau verlor, weil wir am Schluss keine Vorräte mehr übrig hatten. Meine beiden Jungs waren damals in einem Alter, wo sie noch keine schwere Arbeit verrichten konnten, aber schon wie Erwachsene aßen. Da mein Bruder auch seine eigene Familie zu versorgen hatte, wir aber nicht genug für zwei Familien besaßen, war die Entscheidung schließlich nicht schwer. Nach alter Tradition hier in den Bergen, werden Alte und überflüssige Esser oft zum Nahrungssammeln in das Gebirge geschickt, wenn die Zeiten wirklich hart sind.“ Baerwin hob überrascht die Augenbraue, denn er hatte geglaubt, dass dieser Brauch schon lange aufgegeben worden war, doch Wirolf nickte lediglich. „Die Wahl fiel schnell auf mich, doch ich hatte großes Glück“ fuhr Hasmut fort „und überlebte in der Wildnis. Seitdem arbeite ich als Mietkämpfer und schicke so viel Geld wie möglich heim. Irgendwann werde ich hoffentlich wieder zurückkehren, aber im Moment möchte ich noch mehr Geld verdienen. Meinen beiden Kindern soll es mal besser gehen.“
Dann blickte er zu Balbine und meinte schlicht „Jetzt seit ihr dran.“ Die freundliche Frau grinste schief und meinte, „Bei mir ist es eine ziemlich gewöhnliche Geschichte beginnend damit, dass ich das fünfte Kind in einer gewöhnlichen Waldbauernfamilie war. Mein Vater gab mir daher später zwei Möglichkeiten. Gut zu heiraten, oder mein eigenes Geld zu verdienen. Ich war damals noch keine 17 Jahre alt, also könnt ihr euch ja denken für was ich mich entschieden habe. Ein Bekannter meiner Mutter war ein reisender Krambold, der mich dann als Lehrling mitnahm. Dabei fand ich heraus, dass ich ganz gut feilschen und mit Geld einigermaßen umgehen kann. So wurde ich bald selbst eine Kramboldin und bin ziemlich herumgereist. Allerdings hatte ich bei meiner letzten Reise Pech und mein Esel wurde von einem großen Bären gerissen. Auch der Großteil meiner Waren war dadurch verloren und jetzt spare ich Geld denn eine Händlerin ohne Waren kann nur schwerlich wieder auf die Füße kommen.“
Die Versammelten brummten zustimmend und nun wandte sich Hasmut an die beiden Geschwister. „Und bei euch?“ Arnhelm sah zu seiner Schwester und begann dann stockend zu erzählen. “Ihr habt sicherlich schon bemerkt, dass meine Schwester und ich unterschiedliche Väter haben. Unsere Mutter besaß einen kleinen Hof in der Pfalzgrafschaft Koschgau, in der Nähe des Sarindelwaldes, daher auch unser Name.“ Bei der Erwähnung des Waldes bemerkte Baerwin, wie Hasmut und Balbine verstohlen eine Art von Schutzzeichen schlugen. Dieser Wald hatte wahrlich keinen guten Ruf. „Meine Schwester wurde zur Ausbildung weggeschickt, kaum dass Sie im richtigen Alter war und ich musste auf dem Hof helfen. Es war ein hartes Leben aber wir waren zufrieden. Dann trafen uns in rascher Folge einige Schicksalsschläge. Zuerst starb mein Vater durch den Angriff eines wilden Ebers und anschließend wurde meine Mutter schwer krank. Ich versuchte alles um ihr zu helfen und bezahlte sogar einen reisenden Bader, welcher für meine Mutter eine Medizin nannte.“ Die Halbelfe schnaubte und alle Blicke gingen nun zu Ihr. „Die Medizin war vor allem teuer, aber gebracht hat Sie fast nichts, das weiß ich nun.“ Arnhelm stimmte ihr zu und meinte „Mutter starb vor ungefähr einem Jahr und zu diesem Zeitpunkt war unser Hof wegen der Kosten für die Medizin bereits hoch verschuldet. Schließlich kam ein Vertreter des Pfalzgrafens mit den Bütteln wegen der Pacht und da wir nicht bezahlen konnten, beschlagnahmte er den Hof. Nun versuchen meine Schwester und ich genug Geld zu verdienen, damit wir ihn vielleicht eines Tages wieder zurückkaufen können. Schließlich ist dort das Grab unserer Eltern.“
Baerwin schluckte etwas, denn das war eine recht trübselige Geschichte. Rigolosch aber blickte die Beiden abwägend an und da kam Baerwin, dass die Erzählung der Geschwister auch genau so gut erlogen sein konnte. Er wollte ihnen gerne glauben, aber es war wirklich leichtsinnig, sich nur vom Hörensagen leiten zu lassen. Wirolf half ihm aus der Patsche denn dieser wandte sich nun an Trada. „Und was ist mit euch gute Trada?“ Die Frau, die vorher noch stumm Vitus gestreichelt hatte, schrak auf und sah sich um. „Wie meinen?“ Wirolf wiederholte seine Frage, doch nun winkte sie ab und meinte „Ein Andermal vielleicht. Momentan fühle ich mich nicht in Stimmung über meine Vergangenheit zu reden.“ Das war zwar nicht gerade die höfliche Art, doch es gab auch keinen guten Grund sie dazu zu zwingen von sich zu erzählen.
Also war Kuniswart aus Adlergang der Nächste. „Nun, wenn die gute Trada nicht von sich erzählen will, so soll sie zumindest meine heroische Geschichte hören.“ Er begann nun eine äußerst unterhaltsame aber in Baerwins Augen vollkommen erfundene Geschichte zu erzählen, wie er einen Angriff von Rotpelze auf sein Dorf abgewehrt und den Goblinhäuptling im rondragefälligen Zweikampf zurückgeschlagen hatte. Daraufhin hätten die Rotpelze Rache geschworen und er müsse sich bestmöglichst wappnen, wenn diese zurückkommen würden, damit er sein Dorf auch weiterhin vor ihrem gierigen Zugriff beschützen könne. Als er so erzählte, hoben sich Rigoloschs Augenbrauen immer mehr, während die Anderen verstohlen kicherten. Als Kuniswart geendet hatte, warf er Baerwin einen grimmigen Blick zu, sprach aber nichts. Dann meinte die Halbelfe Cildaril freundlich. Eine ausgezeichnete Geschichte Meister Bocksbart, hat sie denn auch einen wahren Kern?“ Der Schalk blitzte kurz in seinem Gesicht und er antwortete „Es liegt an euch zu beurteilen was davon wahr und was absolut wahr ist, meine Liebe.“
Wirolf schnaubte etwas, aber erwiderte nichts weiter. Arnhelm stand auf, ging zum Eingang der Höhle, schob die Zeltplane weg und blickte nach draußen. „Es regnet immer noch.“ meinte er enttäuscht. „Außerdem wird es wohl bald Nacht.“ Das machte Baerwin die Entscheidung leicht, hier den restlichen Tag zu verbringen. Mittlerweile waren ihre Sachen auch wieder einigermaßen trocken, so dass es angenehmer zu schlafen sein würde. Allerdings gegen den harten Boden konnte niemand etwas tun. Das Feuer wurde jetzt gelöscht und die Zeltplane kurz geöffnet, damit ordentlich durchgelüftet wurde. Baerwin teilte dann die Wachen ein, bevor er sich ebenfalls in seinem Schlafsack zur Ruhe bettete. Er lag nun fast Rücken an Rücken mit Rigolosch und Wirolf, aber mehr Platz hatte Keiner. Müde schloss er die Augen und war innerhalb kurzer Zeit in Borons Traumhallen gelandet. Es war ein anstrengender Tag gewesen.