Dreizehn Taler für den Herrn Praios

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Ausgabe Nummer 34 - 1026 BF

Dreizehn Taler für den Herrn Praios

Von den Untaten eines Schurken und Flußpiraten, „der Rote Jast“ geheißen

Seit es Handel auf dem Großen Fluß gibt, gibt es auch die Flußpiraterie; und dieses Übel wird sich, efferdseisgeklagt, angesichts der unüberschaubaren Seitenarme, Nebenflüsse und Auwälder wohl niemals ganz bezwingen lassen. Seit einiger Zeit jedoch treibt ein Pirat auf besonders dreiste (und, wie man gestehen muß, erfolgreiche) Weise sein Unwesen.

Bekannt ist jener Halunke als der „Rote Jast“, wobei es zum Ursprung dieses Namens verschiedene Versionen gibt. Einige sagen, es handle sich um einen rothaarigen Hünen, wohl Thorwaler Herkunft; andere behaupten, die Gallionsfigur seines Schiffes stelle — welch Unverfrorenheit! — den Herzog der Nordmarken dar. Und wieder anderen zufolge habe sich der Rote Jast diesen Namen selbst gegeben, um Seine Hoheit Jast Gorsam zu verhöhnen.

Wie dem auch sein mag, fest steht, daß der Schurke vornehmlich die Gewässer zwischen Elenvina und Albenhus unsicher macht, zuweilen aber auch auf Ferdoker Gebiet und in der Gegend von Kyndoch zuschlägt. Seine Opfer sind vorwiegend die schwerfälligen und nur schlecht geschützten Lastkähne, aber auch Anlegestellen, Wegstationen und einsame Gehöfte in Ufernähe. Dabei scheint der Rote Jast recht gut informiert zu sein, wo sich ein Raubzug lohnt — was darauf schließen läßt, daß er den einen oder anderen Spitzel in den großen Hafenstädten haben mag. Bislang ist es weder den Truppen des Allwasservogtes noch der Thûrsteiner Wacht gelungen, ihn zur Strecke zu bringen.

Fast immer erreicht der Rote Jast sein Ziel durch List und Tücke statt mit offener Gewalt, und in dieser Hinsicht muß man ihn einen wahren Meister nennen! Das eine Mal täuscht er vor, sein Schiff habe Schaden genommen, und wenn ein hilfsbereiter Kapitän längsseits geht, wird seine Mannschaft rasch von den Piraten überrumpelt.

Ein anderes Mal heuert ein Mitglied seiner Bande als Lotse auf einem reich beladenen Frachter an und läßt diesen an einer vorher verabredeten Stelle auf eine Sandbank auflaufen, wo er leicht zur Beute der Piraten wird. Abgesehen von dem Schaden, der ehrbaren Händlern dadurch entsteht, führen derartige Täuschungen natürlich auch zu einem großen Mißtrauen unter den Flußfahrern.

Der einzige Trost ist, daß die Bande weniger blutrünstig vorgeht als viele andere ihres schurkischen „Gewerbes“: die Besatzungen der gekaperten Schiffe werden für gewöhnlich auf einer Insel im Strom oder am Ufer ausgesetzt. Dahinter steckt allerdings weniger Menschenfreundlichkeit als vielmehr kühle Berechnung. Der Rote Jast mag sich wohl sagen: Wer auf Milde hoffen kann, wird leichter seine Beute kampflos übergeben als jemand, der um Leib und Leben fürchten muß. Es kam auch schon vor, daß Passagieren und Reisenden nicht nur die wertvollen Habseligkeiten, sondern auch ihre Kleider genommen wurden; diese dienen den Piraten offenbar als Verkleidung, wenn sie in den Hafenstädten nach neuer Beute Ausschau halten.

Zwei ihrer jüngeren Taten sind so dreist, daß wir sie hier im Bericht der Augenzeugen und Betroffenen wiedergeben wollen. Der erste ist Alrich Tannenbruch, bis vor kurzem Kapitän der „Rabbatzmann“ aus Ferdok:

„Wir fuhren stromabwärts mit Fracht für Havena. Am Nachmittag passierten wir die Mündung des Hardelbaches und kamen nun also in den Engpaß zwischen Ingrakuppen und Eisenwald, wo’s nicht ganz ungefährlich ist. Zu allem Überfluß kam Nebel auf, der bald zu einer dicken Suppe wurde. Da waren wir froh, am rechten Ufer noch das Licht vom Oldeborshof zu sehen, eine der wenigen Anlegestellen weit und breit..

Wir gingen dort also an Land und betraten, recht durchgefroren, die Schenke. Ich wunderte mich, nicht wie gewohnt den alten Jergan hinterm Tresen zu sehen, sondern eine noch recht junge Frau; sie sei die Nichte vom Jergan, und ihr Onkel habe in die Stadt fahren müssen, sagte sie und hieß uns freundlich willkommen. Mir war’s recht, und meinen Leuten auch.

Wir bestellten wie immer von Jergans Dunkelbier und waren guter Stimmung. Aber schon nach einem halben Krug fühlte ich, wie mir das Gebräu in die Birne stieg, und dabei kann ich, bei Efferd, was vertragen! Auch Alvide, meine Rudergängerin, sah ganz beduselt aus, und die übrigen genauso. Was dann war, weiß ich nicht mehr — jedenfalls erwachten wir bei Tagesanbruch; alle waren einfach im Schankraum eingepennt.

Da schwante mir Übles, und wie ich zum Steg hinuntergeh’, da war die ‘Rabbatzmann’ verschwunden, und die beiden Bootswachen, der Ugdalf und die Efferdane, lagen gefesselt und geknebelt am Ufer. Wir fanden dann auch den Wirt, den alten Jergan, in seinem Keller eingesperrt. Der erzählte uns, was Sache war: die Bande vom Roten Jast war’s, die hatte ihn überfallen; und die vermeintliche Nichte, das war eine von den Piraten, die hatte uns wohl ein feines Pülverchen ins Bier gemischt, daß wir selig in Borons Armen lagen — da war’s dann ein Kinderspiel für die Halunken, mein schönes Schiff zu übernehmen. Mögen sie ersaufen!“

Nur eine Woche später schlug der Rote Jast erneut zu, diesmal auf der „Nixenfreund“, die vor allem Reisende den Fluß hinunter brachte. Praiodan Rätlinger, Adlatus Ihrer Hochwürden Gidiane von Durstein vom Praiostempel zu Drift, berichtet:

„Hochwürden von Durstein reisten in frommer Mission zur Heiligen Wehrhalle nach Elenvina. Wir hatten einen schnellen Flußsegler genommen, auf dem noch zahlreiche andere Passagiere waren, darunter auch ein gelehrter Herr aus Methumis — zumindest gab er sich als solcher aus und führte einige interessante Gespräche mit Hochwürden. Es war am vierten Tage unserer Reise, und die ganze Zeit bedachte uns Herr Efferd überreichlich mit seinem Gruß, so daß sich niemand aus dem Unterstand hervorwagte; entsprechend übel war die Stimmung.

Als nun ein Stück voraus eine Landzunge sichtbar wurde, trat jener Magister an den Kapitän heran und bat ihn, an dieser Stelle halt zu machen; es gäbe dort einen alten, kaum mehr gepflegten Altar des Launenhaften, wo man den Gott besänftigen könne. Der Kapitän hatte noch nichts von diesem Heiligtum gehört und sträubte sich zunächst, die Fahrt zu unterbrechen, doch Ihro Hochwürden und einige der anderen Reisenden unterstützten den frommen Wunsch. So ging man also an besagter Stelle vor Anker, und wir begaben uns mit den übrigen Reisenden an Land.

Der Magister führte uns ein Stück am Ufer entlang und bog dann um eine Felsenklippe. Ich wunderte mich freilich, woher er sich so gut in dieser Gegend auskenne und auf Anhieb den Weg zu finden wisse — ach, hätte ich nur damals nicht geschwiegen! So aber nahm das Übel seinen Lauf. Denn plötzlich fuhr sich der gelehrte Herr herum und zog aus seinem Spazierstock einen Degen! Da hatten auch zwei andere mit einem Male Waffen bei der Hand und drängten uns damit zusammen. Hilfe war nicht zu erwarten, denn das Schiff war außer Sicht- und Rufweite.

‘Und nun, meine Herrschaften’, sprach der falsche Magister in höhnischem Ton, ‘bitte ich darum, alle Eure Wertsachen freundlichst in diesen Beutel hier zu tun.’ Mit diesen Worten sammelte er Ringe, Dukatensäckel, alles ein; und er wußte wohl, daß die meisten ihre Reisekasse stets am Leibe oder in die Kleider eingenäht trugen und nicht an Bord herumliegen ließen!

Einzig Hochwürden blieben unbehelligt und unberaubt — viel mehr noch: Als der Räuber alles eingesammelt hatte, trat er an Hochwürden heran und zählte aus der Beute dreizehn, jawohl, dreizehn Silberstücke ab und gab sie Hochwürden mit den Worten: ‘Für den Herrn Praios. Als demütige Spende vom Roten Jast!’ Sprach’s und verschwand mit seinen Spießgesellen im Dickicht. Wir holte natürlich Verstärkung und machten uns an die Verfolgung der Halunken, doch verlor sich ihre Spur rasch im strömenden Regen.“

Diese Ereignisse haben den hinterkoscher Allwasservogt veranlaßt, das Kopfgeld auf den Roten Jast auf unglaublich 500 Dukaten zu erhöhen und die Patrouillen auf dem Wasser und am Ufer zu verstärken. Gebe es Herr Praios, daß der Schurke bald gefaßt wird!

Karolus Linneger