Neues aus Hohentrutz - Neues für Hohenbirn

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Ein Ritter sagte: „Wir taten nur, wozu uns der Lehnseid verpflichtet!“
Und sein Fürst antwortete: „Und das tatet ihr gut!“

Hohentrutz, im Efferd 1034 BF

„Wohlgeboren kehrt zurück!“
Rondreds Ruf war eine willkommene Unterbrechung der Arbeit. Durch den Nieselregen näherte sich der Ritter samt Pferd aus Richtung Hammerschlag, bei solchem Wetter der einzige Weg, der noch einigermaßen gangbar war. Die Siedler von Hohentrutz versammelten sich auch recht bald am Fuß des Hügels, um ihren Lehnsherren zu erwarten.
Nach der Begrüßung hob Roban kurz die Hand, um die aufkeimenden Gespräche zum Schweigen zu bringen, und räusperte sich einige Male.
„Hohentrutzer, ich habe Euch etwas zu sagen.“
Die Miene des Ritters verriet, dass er nach den rechten Worten suchte.
„Ihr wisst, dass Vogt Gerling mich nach Birkendamm bestellt hatte, und dies aus gutem Grund. Ich will nicht lang herumquatschen, daher das Wichtigste gleich zu Anfang.“
Erneutes Räuspern. Danja war nicht die Einzige, der die Unsicherheit des sonst so lautstarken Ritters auffiel. Offenbar war etwas sehr Wichtiges passiert, dass Roban bis ins Innerste aufgewühlt hatte.
Jetzt straffte sich seine Gestalt, er atmete einmal tief durch.
„Fürst Blasius vom Eberstamm hat Moorbrück besucht, um sich vom Fortgang der Neubesiedlung zu überzeugen“, sagte er dann in die enstandene Stille.
Weitere Sekunden sprachlosen Schweigens folgten. Mit offenem Mund starrten die Hohentrutzer den Ritter an, als wachse ihm gerade ein zweiter Kopf. Dann endlich überwand Salwine Zwingler als erste ihre Überraschung.
„Wird der Fürst hierher kommen?“ fragte sie atemlos.
„Ist der Weg nicht viel zu gefährlich für unseren guten Fürsten?“ wollte Rondred wissen.
„Is der Fürst echt so gütich, wie alle sag´n?“ Runkel Sackfold hatte beinahe ehrfürchtig den Hut abgenommen und drehte ihn jetzt nervös in den Händen.
„Hast du dich in Hammerschlag volllaufen lassen, so was zu erzählen, und wenn ja, hast du wenigstens was von dem Brannt mitgebracht?“ knurrte Thurescha.
„Werte Thurescha, wollt Ihr vielleicht meine Fortschritte bei der Zucht der neuen Herzpilze bewundern, die ich eigens für...Au!“ Ein Schlag in den Nacken beendete Jaloschs Frage, die nicht an den Ritter gerichtet war.
„Ist der Fürst so dick, wie man sagt?“ krähte Hamwide von unten, ehe ihr Vater sie davon scheuchen konnte.
„Habt Ihr Euch wenigstens einigermaßen betragen?“ fragte Danja besorgt. Roban in der Nähe eines Fürsten, da brauchte es schon göttlichen Beistand, damit es nicht zu einer Katastrophe kam!
„Haltet mal für ein paar Sekunden das Maul!“ übertönte dieser jetzt das Geplapper.
„Nein, der Fürst kommt nicht hierher. Ist ja auch nicht zumutbar, dass er sich hier durch den Morast arbeitet, mit Sack und Pack und Leibkoch! Der Weg ist zu beschwerlich, zu gefährlich, zu schlammig, einfach viel zu moorbrückisch für einen Fürsten! Er hat sich damit begnügt, Neuvaloor zu begutachten und sich bei den anderen Rittern nach dem Fortschreiten der Bauvorhaben zu erkundigen.“
Roban holte einmal tief Luft und versuchte sich, an die noch offenen Fragen zu erinnern.
„Wie gütig unser Fürst ist...Runkel, wenn der Erbprinz Anshold einst als Fürst nur halb so gütig sein wird wie sein Vater, dem die Götter hoffentlich noch manch gutes Jahr schenken mögen, dann wird der Kosch den mit Abstand gütigsten Provinzherren des Reiches haben! Und das ist eigentlich noch untertrieben!“
Zustimmendes und zufriedenes Lächeln allen Orten. Genauso sahen die Koscher ihren Fürsten, und dieses Bild aus dem Mund des Ritters bestätigt zu sehen war ein besonderes Glück.
„In Hammerschlag habe ich nicht gesoffen...naja, zumindest nicht viel, einen Schank zum Mittag, und den mitgebrachten Brannt gibt es heute Abend!“
Kurzer Jubel begleitete diese Ankündigung, und erneut musste Roban um Ruhe bitten.
„Und ja – mein Betragen war...meistens einwandfrei!“ versicherte er dann an Danja gewandt.
„Das Wichtigste: ich soll euch allen hier, den Bewohnern von Hohentrutz, den Dank und die Anerkennung seiner Durchlaucht, des Fürsten Blasius von Eberstamm, für die bisher geleistete Arbeit, für euren Mut und euer Durchhaltevermögen überbringen. Seine Durchlaucht ist zufrieden mit dem, was wir hier in seinem Namen vollbracht haben!“
Der zweite Jubelruf war sogar noch lauter als der Erste. Fast hätte man meinen können, die Hohentrutzer wären kollektiv in den Adelsstand erhoben worden mit diesen Worten, und Danja, deren Verhältnis zum Adel in ihrem Heimatland nicht gerade das Beste war, konnte die Freudentränen der Koscher kaum nachvollziehen.
„Heute Abend wir gefeiert“, erklärte Roban durch das Gejohle, „aber bis dahin: schert Euch wieder an die Arbeit, faules Gesindel! Ihr steht hier herum, als wäre der Fürst zufrieden mit Euch!“
Das breite Grinsen des Ritters strafte seine Worte Lügen, und niemand murrte, als Salwine mit ungewohnt sanftem Druck wieder zur Arbeit trieb. Auch Roban stiefelte davon, und Danja blickte ihm nach.
Irgendetwas hatte er noch nicht gesagt. Sie kannte ihn lang genug, um zu wissen, wann er etwas verschwieg. Und Roban ging auch nicht zu seinem Wassergraben, nachdem er Girte in Firundals Obhut übergeben hatte, er setzte sich auch nicht an den Hang des Hügels und schmauchte seine Pfeife, er verschwand im Haupthaus und kehrte nicht zurück.
Einige Minuten erging sie sich in fruchtloser Grübelei, dann folgte sie ihm, und war beinahe entsetzt von dem, was sie erblickte.
Roban saß am Tisch, kaute konzentriert am kalten Pfeifenstiel herum und – schrieb einen Brief! Bislang hatte er die Maga jedesmal bekniet, dass sie diese lästige Arbeit für ihn auf sich nahm, erst recht, nachdem sie sich seine Handschrift (oder was der Ritter als solche bezeichnete) angesehen hatte. Dieses Gekritzel, dass überdies durch ungezählte Fehler der Orthographie und Interpunktion entstellt wurde, konnte man niemandem zumuten.
„Hat es einen bestimmten Grund, warum du heute selbst zum Griffel greifst?“ fragte sie, als Roban nicht aufblickte.
„Ja“, gab dieser zurück, und hob den Blick nicht eine Sekunde lang.
„Wirst du mir diesen auch mitteilen?“ setzte sie fort.
„Nein“, erwiderte Roban im gleichen Tonfall wie zuvor.
„Und warum nicht? Danja war nicht gewillt, weiterhin in Unkenntnis gelassen zu werden, dafür war sie einfach zu neugierig. Jetzt endlich hob Roban den Kopf und sah sie an.
„Erstens, weil es dich und den Rest der Welt einen feuchten Käse angeht, was ich meiner Familie schreibe! Nimm´s nicht persönlich, aber das hier ist echt privat. Geht nur mich und meinen Vater was an. Und zweitens hat man mich zum Schweigen vergattert, also werde ich schweigen. Falls du also keinen Wert darauf legst, mit einem Tritt in deinen hübschen Hintern hinausgeworfen zu werden“, Roban hob den Kohlestift und deutete zur Tür, „da haben wir beim Hausbau ein Loch in der Wand gelassen!“
„Wie Wohlgeboren wünschen!“ antwortete Danja schnippisch, drehte sich um und ging.
Innerlich kochte sie. Natürlich hatte sie kein Recht darauf, den Inhalt des Briefes zu erfahren, aber sonst erzählte ihr Roban auch immer alles – warum also heute nicht? Und wer hatte ihn zum Schweigen verpflichtet?
Der Fürst? Unwahrscheinlich, fand sie. Welche großen Geheimnisse sollte der Fürst schon mit einem Kerl wie Roban teilen?
Aber was war es sonst, was Roban seinem Vater mitzuteilen hatte?

„Eine Nachricht, Wohlgeboren!“ rief der Bote schon von weitem, ehe er das Tor von Hohenbirn erreicht hatte. Ein Knecht eilte ins Haus in die Schreibkammer, wo Rondrolf über der Abrechnung der letzten Marktbesuche brütete.
„Ein Bote mit einer Nachricht, Wohlgeboren!“ keuchte der Knecht.
„Ich komme. Dank dir, Ettel“, Rondrolf legte die Listen zur Seite und ging zum Tor, wo er die Nachricht entgegen nahm. Überrascht hob er die Brauen.
Neues aus Hohentrutz hörte man hier eher selten – und noch seltener von seinem Bruder verfasste. Doch nur ein Mensch im Kosch nannte eine derartige Sauklaue sein Eigen, die war einfach unverkennbar.
Er gab dem Boten ein gutes Trinkgeld und kehrte ins Haus zurück, um die Nachricht dem eigentlichen Adressaten zu überreichen. Sein Vater war wie meistens bei der Obstpresse, seit man die ersten Früchte des Herbstes eingebracht hatte, doch die unerwartete Nachricht veranlasste ihn, in das Kaminzimmer zu wechseln und das Siegel zu brechen.
„Das fängt ja gut an“, murmelte er schon nach wenigen Sekunden. „‘Setz dich, ehe du weiterliest, sonst wirft es dich aus den Stiefeln‘!“
„Heilige Götter“, murmelte Rondrolf. Das klang nicht besonders gut.
Sein Vater ließ sich in den Sessel fallen und las weiter. Rondrolf beobachtete seine Miene. Der Ausdruck wechselte von Erwartung einer Katastrophe über kopfschüttelndes Staunen bis zu völligem Unglauben, und dieser hielt an, bis sein Vater den Brief sinken ließ.
„Alles in Ordnung, Vater?“ fragte Rondrolf besorgt, als der alte Grimwulf ihn nur fassungslos anstarrte.
„Lies selbst, Junge!“ Die Stimme des alten Ritters war ungewöhnlich leise, als er seinem Sohn den Brief reichte.

„Die Zwölfe mit Dir, Vater.
Setz dich, ehe du weiterliest, sonst wirft es dich aus den Stiefeln! Erst vor wenigen Praiosläufen beehrte Fürst Blasius die Baronie Moorbrück. Ja, unser guter Fürst Blasius vom Eberstamm nahm die weite Reise in das schmutzigste Dreckloch des ganzen Kosch auf sich, um sich vom Fortgang unserer Arbeiten zu überzeugen. Wir dachten schon, wir wären total am Arsch gebrannt, aber dann lief die ganze Sache überraschend gut, nicht zuletzt wegen der Hilfe des fahrenden Ritters Enno zu Stippwitz, der zwar wie eine Vogelscheuche aussieht, aber einen wahrlich rondragefälligen Schlag am Leibe führt! Aber egal, auf jeden Fall war der Fürst von unserem Vorankommen sehr erfreut, und wohl so zufrieden, dass er einigen der Siedler ihre Dienste überaus großzügig vergelten wollte.
Falls du immer noch nicht sitzt, jetzt wäre es höchste Zeit!
Vater, du wirst Baron! Kein Witz, und besoffen bin ich auch nicht, es ist wirklich wahr! Für meine Verdienste bei der Moorbrücker Neusiedlung wird unsere Familie mit der Baronie Roterz belehnt, deren Baron im Wengenholmer Feldzug über das Nirgendmeer ging. Mit der Belehnung ist zugleich eine gewisse Verpflichtung verbunden, meine Siedelei hier tüchtig zu unterstützen, aber das tut ihr ja ohnehin schon.
Die offizielle Ernennung durch den Fürsten wird wohl in den nächsten Tagen bei euch eintrudeln, aber ich wollte es euch gern vorher sagen, damit ihr staunen und euch so richtig wundern könnt!
Gib Mutter und Ingrild einen dicken Kuss von mir, und Rondrolf und Andromir einen ordentlichen Knuff in die Rippen, damit sie nicht auf´s Ungewohnte kommen! Tja, und dann werde ich mich wohl bald als Sohn des Barons von Roterz vorstellen dürfen.
Haltet Mutter davon ab, mich gleich wieder vermählen zu wollen, und nehmt einen „Birnentroll“ auf mein Wohl!
Roban“

Rondrolf lies das Blatt sinken, dann hob er es und überprüfte, ob die Worte mit der Baronie immer noch dort standen. Wahrhaftig, es war kein Hirngespinst gewesen! Da stand es immer noch, schwarz und fleckig auf mehr oder minder weiß. Sein Vater wurde Baron. Roban hatte ihnen einen Baronstitel verschafft.
„Heilige Zwölfe, wie hat der Junge das nur geschafft!“ murmelte Grimwulf in die Stille und schüttelte ungläubig den Kopf.
Rondrolf wusste nicht, was er sagen sollte. Das kam nicht häufig vor, aber jetzt fehlten ihm die Worte. Wie hatte Roban das geschafft? Er hatte keine Idee, nicht die leiseste Ahnung.
Die Hand des alten Grimwulf zitterte, als er den Rat seines jüngsten Sohnes befolgte und einen ordentlichen Becher „Birnentroll“ für sich und Rondrolf einschenkte.
„Auf Roban“, murmelte er und schien die Nachricht immer noch nicht wirklich begreifen zu können.
„Auf Roban. Und auf seinen Erfolg!“ stimmte Rondrolf zu, trank, schüttelte sich. Er war kein großer Trinker, aber der scharfe Birnenbrannt klärte die Sinne, zumindest, wenn man ihn im rechten Maß genoß.
Noch fast eine ganze Stunde standen die zwei Männer im Kaminzimmer und zerbrachen sich die Köpfe darüber, wie ihre Familie an einen Baronstitel kam. Eine wirkliche Erklärung fanden sie nicht, aber Roban war weder ein Intrigant, der auf heimlichem Weg zu Macht und Ansehen gelangte, noch jemand, der durch geschicktes Heiraten den eigenen Einfluß mehrte.
Roban war ein Kämpfer, nichts weiter. Er war nicht mal ein besonders guter Ritter, wenn man sein Benehmen an den ritterlichen Tugenden maß. Er war einfach nur ein guter Kämpfer, und von denen hatte es im Kosch wahrlich mehr als einen. Schließlich gab Grimwulf das fruchtlose Gerede mit einem weiteren Kopfschütteln auf.
„Dabei hatte ich gedacht, von Hohenbirn aus nur noch in Borons Hallen umzuziehen“, brummte er mehr zu sich selbst.
„Aber wenn der Fürst ruft, werden wir dem Ruf folgen. Wie wir ihm zum Nebelstein folgten und an die Trollpforte, und wie wir ihm stets folgen werden, wenn er uns ruft!“
Der alte Ritter straffte sich, als sei er jetzt innerlich bereit, seine neue Aufgabe in Angriff zu nehmen.
„Das Schwerste zuerst?“ fragte Rondrolf unbehaglich, und sein Vater nickte entschlossen.
„Das Schwerste zuerst! Es Mutter und Ingrild möglichst schonend beibringen!“