Neues aus Hohentrutz - Begegnung im Nebel

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Siedlung Hohentrutz in Moorbrück, kurz nach Sonnenaufgang, 1033

Dichter Nebel lag über den Moorbrücker Sümpfen.
Gerade frühmorgens hüllte sich das Land unter die wallenden Schleier wie unter ein Leichentuch, und wer vorsichtig war, der vermied es, um diese Zeit die heimische Kate zu verlassen.
Magistra Danja Salderken behauptete zwar von sich selbst, vorsichtig zu sein, dennoch war sie bereits bei Sonnenaufgang aufgebrochen, um die weitere Umgebung der Hohentrutzer Siedlung nach nützlichen Kräutern oder noch nützlicheren Erkenntnissen über die Natur dieser Sümpfe zu erkunden.
Der Nebel hatte ihr hierbei wenig Sorgen gemacht. Sie stammte aus Festum, da war Nebel beinahe alltäglich, und auch im Totenmoor Seweriens und dem Weidener Nebelmoor gehörten Phexens Schleier nicht zu den außergewöhnlichen Ereignissen.
Sie fand sich auch bei schlechter Sicht zurecht, setzte sich Wegmarken, um sich nicht zu verirren, und wusste auch mit den gedämpften Lauten und unwirklichen Bewegungen innerhalb des Nebels umzugehen.
So machte sie sich auch jetzt keine Sorgen.
Hier und dort hörte man einen Frosch quaken, plätscherte es kurz in einer Wasserpfütze, doch das waren die normalen Geräusche des Sumpfes, die sie seit ihrem Aufbruch begleiteten.
Ihr Blick war auf den Boden gerichtet, achtete zugleich auf dessen Beschaffenheit, auf die kleinen Anzeichen, die auf die tückischen, von schwimmenden Grasflächen bedeckten Sumpfaugen hinwiesen, und auf die Art der Pflanzen. Schon einmal hatte sie geglaubt, ein Zwölfblatt zu finden, doch das Kraut hatte nur sehr ähnlich ausgesehen, war aber völlig wertlos.
Dann aber blieben ihre Blicke auf ein Büschel Gras.
Sie hielt inne, beugte sich hinab und untersuchte die zartgrünen Halme genauer.
Ihr Gesicht erhellte sich - da hatte sie ein Büschel Wirselkraut aufgetan, ein heilkräftiges und nützliches Kraut, dass man ohne größere Probleme verarbeiten konnte.
Sie hockte sich hin und schnitt einige der Halme ab, genug, dass sich die Arbeit lohnte, aber nicht so viel, dass die Pflanze sich nicht davon erholen würde.
Sie trug die Stelle auf einer Karte ein, die sie sich anfertigte, wenngleich es schwierig war ohne wirkliche Fixpunkte im Gelände, aber mit ein wenig Glück würde sie die Stelle in einigen Wochen wiederfinden, wenn das Wirselkraut neue Halme ausgetrieben hatte.
Mit einem Mal fühlte Danja sich unwohl.
Sie war kaum zwei Minuten mit dem Kraut befasst gewesen, eine geringe Zeitspanne, aber in einer Gegend wie dieser vielleicht schon viel zu lang. Rasch blickte sie sich um.
Nichts war zu sehen außer den wallenden Nebelschleiern, und trotzdem hatte sie das Gefühl, dass jemand - oder etwas - sie beobachtete, sie belauerte, auf einen günstigen Moment wartete.
Danja fasste ihren Stab fester, richtete sich aber nicht auf. Hingekauert bot sie kein besonders gutes Ziel, falls der heimliche Beobachter auf sie schoß.
Aber Tiere schossen nicht - und Ungeheuer schon gar nicht.
Für einige Sekunden sammelte sie ihre Gedanken, konzentrierte sich auf das Leben, dass sie umgab, legte dann die freie Hand muschelförmig hinter das Ohr.
"EXPOSAMI LEBENSKRAFT!" sprach sie dann langsam.
Im Nebel zeichneten sich grüne Flecken ab, viele sehr kleine, wo sich allerlei Tiere im Gras aufhielten - große Frösche, Schlangen, Vögel, doch sie konnte keine größere Kreatur erkennen.
Dann nahm sie etwas aus den Augenwinkeln war, ein Huschen, doch noch ehe sie den Kopf gewendet hatte, war es im Nebel wieder verschwunden, mehr eine Ahnung als eine wirkliche Wahrnehmung.
Danja schluckte schwer - Einbildung, eine Folge ihrer überreizten Nerven, oder doch ein heimlicher Verfolger? Und wenn ihr jemand gefolgt war, hatte dieser jemand bemerkt, dass sie ihre Kraft benutzt hatte, ein anderer Zauberkundiger gar?
Ein eisiger Schauer lief ihr den Rücken hinab.
Sie erinnerte sich plötzlich an all das Gerede von finsteren Schwarzkünstlern, die verfluchte Sümpfe als passenden Ort für lästerliche Forschungen auswählten und stets auf der Suche waren nach Opfern für die nächste Beschwörung oder ketzerische Experimente.
Normalerweise gab sie nichts auf derlei Schauergeschichten, mit dem alte Leute kleine Kinder erschreckten, oder die sich die Bauern in der Taverne nach dem fünften Bier erzählten - aber hatten nicht viele solcher Geschichten einen wahren Kern? Hatte man nicht erst vor einigen Jahren hier im Moorbrückschen einen Schwarzmagier zur Strecke gebracht, dessen Wirken die letzte unheilvolle Ausdehnung dieses Sumpfes zuzuschreiben war?
Ihr Blick irrte suchend durch den Nebel, das Herz schlug bis zum Hals.
Nur Sekunden mochte der Zauber noch wirken, als sie etwas bemerkte, ein Leuchten, dass sich auf sie zubewegte, und dieses Licht war groß, größer als alle anderen.
Und es war schnell.
Danja wappnete sich für den Angriff, doch als sie sah, was da mit viel zu vielen wirbelnden Gliedern aus dem Nebel auf sie zu schoß, sprang sie auf und rannte, rannte um ihr Leben.
Hinter sich hörte sie das Klacken der gepanzerten Beine, das gierige Zuschnappen von Scheren, jede so groß wie zwei gekreuzte Schwerter.
Trotz ihrer Größe war die Kreatur schnell, und sie schien keinerlei Probleme mit dem morastigen Grund zu haben.
Danjas Schritte hingegen schlugen dumpf auf den weichen Boden, wirbelten das brackige Wasser auf, bis die in eine tiefe Pfütze trat, aus dem Gleichgewicht kam und lang hinschlug.
In panischer Hast drehte sie sich auf den Rücken, als das Ungeheuer auch schon aus dem Nebel raste, direkt auf sie zu, kreuzte die Arme vor dem Gesicht.
"FORTIFEX!"
Ihre Stimme überschlug sich in schrillem Diskant.
Der Zauber wirkte, aber sie spürte, das es nicht für lang sein würde. Zwar krachte die Bestie gegen ein unsichtbares Hindernis, wich unsicher zwei Schritte zurück, genug Zeit für Danja, sich wieder aufzuraffen und weiter zu flüchten, doch die magische Barriere verschwand so rasch, wie sie entstanden war, und das Monster setzte die unterbrochene Verfolgung fort.
Danja spürte, wie ihr die Puste ausging. Sie war Magierin, keine Kriegerin, und in diesem Moment blieb ihr nur ein Weg, den sie unter normalen Umständen niemals gegangen wäre. Aber ihr blieb keine Wahl!
"Hilfe!"
Ihre Stimme hallte in den Nebel hinaus, einmal, zweimal, und immer wieder, das panische, atemlose Schreien einer verzweifelten Frau.
Der Körper, gegen den sie prallte, tauchte so unvermittelt vor ihr auf, dass sie einen weiteren Schrei ausstieß und wild um sich schlug, bis sie hart im Nacken gepackt wurde.
"Um Hesindes willen, beruhigt Euch!"
Die Stimme riss sie aus ihrer Panik.
Sie starrte in das bärtige Gesicht von Rondred Brotbäck, dem einarmigen Mann, der vor seiner Verwundung in Grantelweiher als Gardist gedient hatte.
"Weg!" rief sie und stiess den Verkrüppelten von sich, und das Auftauchen ihres Verfolgers erübrigte jede Erklärung.
Dennoch behielt Rondred einen kühlen Kopf.
Auch er rief, aber nicht so unkontrolliert wie sie.
"Hierher, Wohlgeboren! Ein Monster im Anmarsch!"
Es dauerte nur Sekunden, bis ein zweiter Schatten im Nebel auftauchte, in höchster Eile und einen Spaten schwingend.
"Zur Seite, Xomaschim!" brüllte Thurescha schon von weitem, stürmte zwischen den zwei Menschen hindurch und liess den Spaten mit voller Wucht zwischen die Stielaugen der Riesenkrabbe krachen, doch außer einer schmalen Scharte im dicken Panzer des Tieres erreichte sie nichts.
Mit einem wütenden Zischen rückte das Monster jetzt gegen die Angroschna vor, hielt sich aber außer Reichweite des scharfen Spatenblattes, mit dem diese sich wehrte.
Doch die Zwergin musste sich nur wenige Sekunden allein ihrer Haut erwehren, dann jagte ein zweiter, größerer Schatten heran.
"Lass deine Scheren von ihr, Drecksviech!"
Robans Kriegshammer krachte mit voller Wucht unter die Schere, die nach Thureschas Gesicht geschnappt hatte.
Der Panzer zersprang, Splitter flogen in den Nebel davon, mit einem halb erschrockenen, halb zornigen Laut wich die Krabbe zurück, musterte den neuen Feind, der sich ihr mit wild entschlossenem Gesicht entgegen stellte.
"Zugleich!" rief Thurescha plötzlich, Spaten und Hammer wirbelten gleichzeitig gegen die Krabbe, die Schritt für Schritt zurück gedrängt wurde, ihrerseits aber immer wieder fauchend vorstieß, als wolle sie die sicher geglaubte Beute nicht verloren geben.
Mit einem Mal zuckte die unverletzte Zange gegen Robans linkes Bein, und der Ritter konnte sich nur mit einem wenig eleganten Hüpfer retten, ließ halb im Fallen den Hammer niedersausen und traf die Krabbe auf dem Rücken.
Wieder splitterte es, ein gurgelnder Laut erklang, dann streckte das Monster alle Beine von sich.
Für Sekunden starrten Roban und Thurescha atemlos auf das Wesen, dann ließen sie ihre Waffen sinken.
"Angrosch sei´s gedankt!" schaufte die Zwergin dann.
"Ein Glückstreffer! Du hast ihr den Rücken gespaltet!"
Sie deutete auf einen klaffenden Spalt, der den Rückenpanzer regelrecht halbiert hatte.
Roban murmelte ein kurzes Dankgebet an Rondra, ehe er die Krabbe mit dem Fuss anstiess.
"Verdammte Inzucht! Was ist das jetzt wieder für ein Vieh? Eine Spinne mit Zangen?"
Ungläubig umrundete er den Kadaver der fremdartigen Kreatur.
"Eine Riesenkrabbe!" Danja näherte sich dem Kampfplatz mit angemessener Vorsicht.
"Macrocheira gigantea. Aber wie kommt die hierher?"
"Das wollte ich gerade eigentlich dich fragen!"
Roban blickte die Magierin abwartend an, und aus dem Gesicht Thureschas troff das Misstrauen.
"Keine Ahnung!" gestand Danja.
"Tiere dieser Gattung kennt man nur aus weiter südlich gelegenen Sümpfen - aus Selem, Loch Harodrol oder Mysobien. Das es sie hier im Kosch gibt..."
Die Angroschna schnaubte abfällig.
"Möglicherweise seid ihr selbst dafür verantwortlich - oder einer eurer Zunftgenossen!"
Danja starrte die Zwergin ungläubig an, schüttelte dann aber nur langsam den Kopf.
"Ich nicht", wiedersprach sie.
"Aber die Möglichkeit, dass ein anderer Magiekundiger sie hierher gebracht hat, kann ich nicht kategorisch ausschließen!"
Die Zwergin nickte sichtlich zufrieden, schulterte den Spaten und marschierte davon.
Danja biss sich auf die Lippen. Erst jetzt fühlte sie den Schrecken, erfasste das ganze Ausmass der Gefahr, der sie entronnen war, und kämpfte mit den Tränen.
"Alles in Ordnung?" fragte Roban, obwohl es eigentlich an ihr gewesen wäre, sich nach seinem Wohlbefinden zu erkunden.
Sie nickte, doch zugleich schien in Damm in ihrem Inneren zu brechen, und sie war froh, dass die Zwergin fort war, um nicht zu sehen, wie sie als schluchzendes Bündel in Robans Armen lag.