Geschichten aus Bärenfang - Mit Gold fängt man Herrscher
Eine Begebenheit aus Drabenburg
Der Regen hatte endlich nachgelassen, als Hufgetrappel Besuch im Kontor ankündigte. Serpido Appelanger packte, für ihn selbst überraschend, etwas Nervosität, als er am Fenster stehend beobachtete, wie der Baron von Bärenfang, Erzbart von Drabenburg, vom Pferd stieg. Irgendwie ahnte er, dass es nicht der Plan sei, ein Gespräch in Serpidos Sinne zu führen.
Der Baron schritt nach dem Absteigen, begleitet von zwei Bärenfanger Bergjägern in wettergegerbten Mänteln, mit festem Blick und Rüstung, die steinerne Treppe empor. Der junge Händler atmete tief durch, richtete seinen dunkelroten, mit goldfarbenen Fäden durchwirkten Wams und ging zur Tür. Als der Baron mit seinen Begleitern das Kontor betrat, kam die Ruhe in Serpido zurück – der Blick des Barons mag scharf und fordernd sein, aber Serpido hatte schon so manchen Kampf in dieser Hinsicht bestritten. „Euer Hochgeboren, es ist mir eine Ehre“, begann er und verbeugte sich leicht. Doch der Baron ließ sich nicht auf Höflichkeiten ein und schien keinen längeren Aufenthalt geplant zu haben. Serpido Appelanger wies dem Baron den Weg zu dem großen Schreibtisch am Ende des Raumes. Vorbei an unzähligen Gütern, allerlei Handwerkszeug, Flakons mit Rahjalieb, gestapelten Tuchballen und kunstvoll gearbeitetem Geschirr. „Appelanger“, brummte der Baron und zog seine Lederhandschuhe aus. „Wie ich höre, habt Ihr große Siege im fernen Ferdok feiern können. Da ist meiner Vogtin direkt aufgefallen, dass sich diese Siege in den Zehntabgaben so gar nicht widerspiegeln wollen. Ich aber finde, dass von großen Siegen alle profitieren sollten. Was meint Ihr?“
Serpido hob eine Augenbraue und trat einen Schritt zurück. „Euer Hochgeboren, ich verstehe, dass Ihr den Einwohnern und den Kassen der Stadt verpflichtet seid. Aber eine Erhöhung des Zehnts würde mir das Geschäft nicht gerade erleichtern. Ich kann keine höheren Abgaben leisten, ohne mein Kontor zu gefährden. Ihr wisst ja, es ist ein empfindliches Gleichgewicht.“ Der Baron verschränkte die Arme, betrachtete Serpido mit einem durchdringenden Blick, als würde er einen Pakt aushandeln. „Ich verstehe. Aber Ihr wisst genauso gut wie ich, dass der Wohlstand der Stadt auch Euren Wohlstand sichert.“ Ein Gedanke blitzte in Serpido auf, doch er nickte, scheinbar unterwürfig. Er trat einen Schritt zur Seite, um auf den riesigen Zinnkeiler, gut eineinhalb Stein schwer, zu zeigen – und daneben ein kleines Zinnmodell seiner siegreichen Goblins, das mit erhobenem Bogen Ausschau hielt.
„Was, wenn ich Euch eine andere Idee unterbreite?“ fragte Serpido, die Zinnfigur in die Hand nehmend. „Das Zinnfigurenturnier, Ihr sprachet es ja eben bereits selbst an – es hat mich inspiriert. Warum nicht eine Manufaktur für Zinnfiguren hier in Drabenburg? Wir könnten eigene Figuren erschaffen – die Bärenfanger Bergjäger, zum Beispiel. Figuren mit Drabenburger Stil und Präzision. Ich könnte die Produktion übernehmen und die Figuren auf Märkten im ganzen Kosch verkaufen.“ Erzbart zog eine Augenbraue hoch und trat näher, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. „Zinnfiguren?“, wiederholte er, als hätte er das Wort zum ersten Mal gehört. „Spielzeug für Kinder?“ „Mehr als das“, erwiderte Serpido schnell. „Es ist Kunst. Und ein Geschäft. Und Ihr selbst, Euer Hochgeboren … Ihr könntet die zentrale Figur sein – Erzbart von Drabenburg, der Feldherr, der die Bärenfanger Heere führt.“ Erzbart nickte langsam, während sein Blick auf der Zinnfigur des Goblins ruhte, als würde er das Konzept abwägen. „Und Ihr wollt diese Zinnfiguren als Handelsgut nutzen? Als Teil Eures Geschäfts?“ „Ja, und nicht nur das“, erklärte Serpido weiter, „ich würde Euren Zehnt in Form von Zinnfiguren und Einnahmen aus der Manufaktur abgeben – als langfristige Beteiligung.“ Erzbart sah ihn an – dann blickte er sich kurz zu den Bergjägern um, die schweigend in der Tür standen. Er brauchte keinen langen Moment, um zu entscheiden. „Ich werde das in Erwägung ziehen. - Aber drei Bedingungen kann ich schon klarstellen, Appelanger. Erstens: Ihr gründet diese Manufaktur nicht ohne einen hiesigen Meisterziseleur – und nicht ohne meine Kontrolle über das Aussehen. Zweitens: Der Anteil für Bärenfang müsste gerecht sein. Sollte ich Euch meine Zustimmung geben, erwarte ich die volle Beteiligung über die Benennung der Preishöhe. Drittens: Die Produktion wird nicht von Zwergen übernommen, von keinem! Und ebenso wird keine der Zinnfiguren einen Zwerg darstellen!“
Serpido nickte, die Augen funkelnd vor Entschlossenheit. „Natürlich, Hochgeboren. Alles, was ich verlange, ist ein wenig Zeit, um die ersten Soldaten zu produzieren. Ich werde Euch bald einen Entwurf für die ersten Figuren zeigen: Eure Bärenfanger Bergjäger. Und eine Erzbart-von-Drabenburg-Figur, die den Namen Eurer Baronie in alle Ecken des Koschs tragen wird.“ Erzbart trat zur Tür, drehte sich noch einmal um und sprach mit einem letzten, prüfenden Blick: „Dann hoffe ich, dass Ihr das wirklich zu etwas Großem machen könnt, Serpido. Denn ein Geschäft, das mit dem Namen Bärenfang verbunden ist, sollte ebenso stark und widerstandsfähig sein wie die Bären, nach denen es benannt ist.“ Mit diesen Worten verließ der Baron das Kontor, und Serpido blieb mit einem Plan und einer neuen Vision zurück. Er schob die Vase mit den Quanionen in die Mitte des Tisches und lächelte in sich hinein. „Nicht perfekt gelaufen“, murmelte er vor sich hin, „aber auch nicht so schlecht. Mit Gold fängt man Herrscher …“