Was ein Ritter werden will - Die Lehre eines Alberniers

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Rakulbruck, Travia 1045 BF

Das Wetter war hervorragend für das diesjährige Märker Treffen. Noch einmal schenkte die Praiosscheibe ihre wärmenden Strahlen und sorgte für einen goldenen Herbst. Entsprechend tummelte sich das Volk am Rande des Turnierplatzes. Markvogt Gero vom Kargen Land hatte diesmal eine ungewöhnliche Truppe aus dem Außerkosch eingeladen: Die Schausteller führten eine Mischung aus Theater und Kämpfen aus. Die Liebesschwüre und hasserfüllten Schreie, das Anstürmen der Gegner und der metallische Klang, wenn die Waffen aufeinander trafen, hielten die Zuschauer in ihrem Bann. Abwechselnd kam es zu dramatischen Ausrufen oder Anfeuern.

Angrawen II. Amadan von Vairningen konnte seinen Blick nicht abwenden, so fasziniert war er von dem Geschehen. Als die Darbietung schließlich endete, da brandete großer Applaus auf, und der Hut, mit dem einer vom fahrenden Volk herumging, füllte sich reichlich mit klingenden Münzen. "Na, hat es Dir gefallen?", fragte Holdwin vom Kargen Land seinen Pagen schmunzelnd, schon um die Antwort wissend. Angrawens Augen glänzten. "Das war beeindruckend! Habt Ihr den Hünen gesehen? Wie der kämpfen konnte! Das sah richtig echt aus!" "Hm... einiges war ein wenig überzogen. Natürlich, damit man es besser sehen kann und das Stück nicht einfach nach der Hälfte zuende ist. Aber Du hast recht, der große Kerl kann wahrscheinlich tatsächlich mit einer Waffe umgehen. Wollen wir ihn fragen? Ich kann ihn auf ein Getränk einladen. Einem Spender von edlem Blut wird er es wohl kaum abschlagen." "Das würdet Ihr tun? Das wäre großartig!" "Sei jedoch nicht enttäuscht, wenn die Wahrheit hinter dem Spiel nicht so schön ist wie das, was Du eben gesehen hast." "Warum sollte ich? Ihr habt doch auch gesagt, dass es ein echter Kämpfer ist!" Holdwin legte den Kopf schief und legte ein vielsagendes Lächeln auf. Gemeinsam machten sie sich auf zum Zelt der Gruppe.

Zu ihrer großen Überraschung war der Schaukämpfer bereits in Beschlag genommen durch zwei andere Besucher, denen die Vorstellung offensichtlich ausgezeichnet gefallen hatte. Nur waren Knappe und Page zu weit weg, um Einzelheiten zu verstehen. Ungolf von Plötzbogen, der Vogt von Rakulbruck, verabschiedete sich gerade, woraufhin der Kämpe sich verbeugte. Swafnian Engstrand, der Efferdgeweihte, klopfte seinem Gesprächspartner freundschaftlich auf den Oberarm, beide lachten und umarmten sich sogar. "Dann bis später!", war noch zu hören, als auch der Geweihte seiner Wege ging.

"Hohe Herren", verneigte sich der Darsteller vor den beiden Neuankömmlingen. "Den Zwölfen zum Gruße, guter Mann! Ich bin Ritter Holdwin vom Kargen Land und dies ist mein Page Angrawen von Vairningen. Wir wollten unsere Glückwünsche persönlich überbringen. Wie ich nun sehe, hast Du nicht nur ein gutes Spektakel abgeliefert, sondern auch Manieren. Bitte erweise uns die Ehre, einen Becher mit uns zu trinken. Angrawen würde gerne mehr von Dir hören." "Niamad Bruadhir, Schauspieler und Schaukämpfer. Es wird mir eine Ehre sein!" Der Mann machte eine elegante Geste, ganz der Bermerkung über sein Benehmen entsprechend.

Als Sohn und Erbe des Turnierveranstalters konnte Holdwin in Windeseile einen Tisch organisieren, an dem sie ungestört reden konnten. Der Gast war nun seinerseits beeindruckt und sichtlich dankbar für die Einladung. Neben Bier wurden Brot und ein Brett mit Schinkenstreifen und Käsestücken aufgetischt. Nach dem ersten Schluck schloss Niamad kurz die Augen und seufzte. "Das Bier im Kosch ist herrlich. Wir sollten öfters hierhin reisen!" "Das hören wir gerne! Woher stammst Du?" "Aus Albernia." "Ah, so wie der hiesige Efferdgeweihte. Hat er Dich deswegen angesprochen?" "Ja, genau! Ihm war das Delfin-Hautbild auf meinem Oberarm aufgefallen. Na, das war eine Überraschung, einen Albernier an diesem Ende des Kosch zu treffen! Er hat mich persönlich in den Tempel eingeladen, und natürlich werde ich ihn später besuchen." "Angrawen, Du wolltest doch auch etwas fragen. Nur zu!" Der Page hatte Niamad bislang angestarrt und an seinen Lippen gehangen. Jetzt musste er plötzlich am Gespräch teilnehmen und rang um Worte. "Wie Du gekämpft hast... das war unglaublich!" "Nun, vielen Dank, auch wenn es jenseits der Bühne sicherlich bessere Kämpfer gibt", neigte Niamad das Haupt gegenüber Holdwin. "Ich hoffe, dass es nur unglaublich war und nicht unglaubwürdig", fügte er hinzu, "sonst hätte meine Truppe ihr Ziel verfehlt." Der Albernier hatte einen Scherz versucht, doch als er sah, dass Holdwin nicht lachte, hörte er sofort auf zu feixen. "Aber hast Du wirklich Erfahrung als Kämpfer?" Angrawen musste es einfach wissen. "Ja, ich habe tatsächlich in meinem früheren Leben ein Schwert geführt. Nicht als Krieger, sondern als einfacher Soldat." "Deswegen sehen einige Deiner Bewegungen echt aus und gut eintrainiert", nickte Holdwin. Jetzt musste Niamad doch wieder lächeln. "Hm, wenn man etwas vom Führen einer Waffe versteht, kann man das wohl sehen. Nun, umso besser, dass die echten Kämpfer das Spektakel ebenfalls genießen können... es ist selbstverständlich ein wenig dramatisiert, damit jeder es verstehen kann. So mancher effektive Schlag sieht gar nicht so besonders aus - und ist aus zwei Schritt Entfernung nicht mehr zu sehen." "Das stimmt. Das wird eine Lektion für ein anderes Mal, Angrawen. Erzähle uns doch lieber, was Du als Soldat erlebt hast, Niamad."

Das Lächeln fiel dem Albernier plötzlich schwer. Etwas zögerlich versuchte er, das Gespräch nicht abreißen zu lassen. "Nun, da gibt es nicht viel zu schildern... als Nahkämpfer habe ich so manches Schlachtfeld gesehen. Mal ging es gegen die Orks, mal gegen Borbarads Schergen, mal gegen die Isoristen - mit wechselndem Schlachtenglück." "Du hast gegen die Schwarzpelze gekämpft, so wie Holdwin! Aber wer sind denn die Isoristen?" Niamad starrte Angrawen überrascht an. "Ihr seid Nordmärker und wisst nicht, wer die Isoristen waren?" "Woher weiß Du, woher ich komme?" Niamad antwortete vorsichtig. "Es gab eine Zeit, da es sehr wichtig war, die Nordmärker am Akzent zu erkennen. Der hiesige Vogt, mit dem ich eben gesprochen habe, ist auch Nordmärker. Auch wenn sein Garethi keinen starken Einschlag hat, habe ich es sofort erkannt."

"Erzähle doch mehr über diese Zeiten", forderte Holdwin den Schauspieler auf. Nun stockte der Albernier. "Nicht jeder Darsteller ist auch ein guter Geschichtenerzähler." "Es muss ja nicht spannend sein. Wir hatten heute schon eine entsprechende Darbietung. Jetzt sind wir mehr an einer Schilderung interessiert, die praiosgefällig wahr berichtet." Niamad wurde sichtlich nervös. "Euer Wohlgeboren, Ihr wollt, dass ich hier vor Eurem Pagen erzähle, wie es im Krieg zugeht?" "Ganz genau. Die Sicht eines Ritters kann er von mir bekommen, aber Deine ist die vom einfachen Volk."

"Nun, es ehrt mich natürlich, dass Ihr mich mit dieser Aufgabe betrauen wollt, aber wenn Ihr selbst in Schlachten gekämpft habt, dann wisst Ihr doch sehr gut, dass das keine schönen Geschichten sind, und Herr Praios sei mein Zeuge, sie sind nicht besonders gut geeignet, um bei einem Bier erzählt zu werden." "Angrawen muss diese Wahrheit so oder so lernen. Da ist es besser, wenn es jetzt geschieht, außerhalb unmittelbarer Gefahr."

"Also gut... Wo fange ich an? Egal, wie gut man sein Schwert führt und egal, wie edel der Anlass ist, für den man es tut: Wenn es um Leben und Tod geht, dann ist kein Trick zu dreckig. Jemanden von hinten abzustechen, der einen Kameraden in die Ecke getrieben hat, ist noch das geringste." Niamad wollte einen Schluck nehmen und stellte fest, dass sein Krug leer wahr. Ohne seine Augen von dem Albernier abzuwenden, winkte Holdwin eine Schankmagd heran, um schnell neues Bier aufzutischen.

Nach der kurzen Trinkpause redete Niamad munter weiter. "Was im Krieg passiert, das hat meistens nichts mit den Regeln der Rondra zu tun... noch nicht einmal von Kor. Einmal haben mir auf der Durchreise Bauern erzählt, dass man die Dorfschönheit aufgeknüpft hat, weil sie angeblich mit dem Feind gemeinsame Sache machte... wahrscheinlich war es eher so, dass sie den Anführer der Söldner verschmäht hat. Sobald das Essen knapp wurde, wurden einfach die Vorräte aus den nächsten Häusern geplündert, und die Leute dort mussten im Winter elendig verhungern." Er starrte ins Leere und schüttelte ungläubig den Kopf.

"Weiter", drängte Holdwin, "was hast Du selbst erlebt?" Der ehemalige Soldat trank heftig aus seinem Krug, bevor er sich weiter in Fahrt redete. "Es sind Sachen, die man sich einfach nicht vorstellen kann... Wenn man sich zurückziehen muss und diejenigen, die nicht mehr rennen können, zurückbleiben müssen, und man weiß, man sieht sie nie wieder, und man kann ihnen nicht einmal anständig Lebewohl sagen. Oder wenn jemand die Schlacht überlebt, aber wegen schartiger Waffen sich eine Wunde entzündet und derjenige dann langsam dahinsiecht. Oder wenn man im Handgemenge Mann gegen Mann ist und man dem anderen den tödlichen Stich versetzt hat und er einige Sekunden entsetzt guckt, wenn ihm klar wird, dass er zu Boron gehen wird... diesen Blick vergisst man nie, egal, wieviel Alkohol man sich einschüttet."

Der Mann aus Albernia sackte zurück. Sein Gesicht hatte überhaupt nichts mehr mit dem strahlenden Kämpfer gemein, der er noch am selben Tag gewesen war. Der Ritter ließ ihn eine Weile weitertrinken und griff dann das Gespräch wieder auf.

"Wenn das alles so schrecklich war, wann hast Du das Soldatenleben an den Nagel gehängt?" Niamad verzog den Mund und starrte niedergeschlagen auf den Tisch. "1028, nach der Schlacht bei Crumolds Auen. So manche, die dort die Piken hielten oder die Trommeln schlugen, waren 16 Jahre alt... aber von dem Schlachtfeld sind sie nicht zurückgekommen." Er blickte Angrawen nun direkt an und schüttelte traurig den Kopf. "Nach dieser Schlacht war mir klar, dass die albernische Sache verloren war. Ich wollte nach Hause, lieber lebendig und von den Nordmärkern besetzt als ein weiteres Heldengrab füllen. Ich stamme aus einem kleinen Weiler am Fluss, mit einer Dorfeiche... aber als ich da ankam, war keine lebende Seele dort zu sehen. Ich habe andere Dörfer erlebt, in denen die Söldner jeden Mann und jede Frau erschlagen und auch vor Alten und Kindern nicht Halt gemacht hatten. Ich wollte nicht genau wissen, was aus meiner Heimat geworden war. Also ließ ich die grünen Wiesen von Albernia zurück und zog in die Fremde."

"Was ist dann passiert?", fragte Angrawen mit tränenerstickter Stimme. Niamad fing sich nun wieder. "Ich habe einige Jahre gebraucht, um das alles zu verarbeiten. Viele Male suchte ich das Gespräch mit Geweihten, um darüber zu reden, was passiert ist. Sie haben mir zugehört, aber auch Fingerzeige gegeben, um mich der Frage von Schuld und Verantwortung zu stellen. Denn den Sold habe ich gerne genommen, und durch mein eigenes Zutun sind viele Menschen zu Boron gegangen." Er schaute zu Holdwin und nickte. "Es ist also nicht so einfach. Und auch wenn so mancher Albernier bitter darüber klagt, wie ungerecht es ist, was dem ehemaligen Königreich geschehen ist: Es war auch nicht recht, sich für unabhängig zu erklären und damit das restliche Mittelreich zu brüskieren. Für mich gibt keinen Grund, bitter zu sein: Ich habe alle Kriege überlebt und sogar eine neue Profession gefunden, von der ich leben kann."

"Wohl gesprochen", lobte Holdwin, "und so können wir es gerne belassen. Guter Mann, lass Dir noch einschenken, denn das hast Du Dir redlich verdient mit Deiner Ehrlichkeit und dieser guten Lektion."

"Das nehme ich gerne an! Auf Kaiserin Rohaja", hob Niamad den Krug und schaute Holdwin an. "Und auf Fürst Finnian", fügte der Ritter hinzu. Gemeinsam stießen sie an. "Am Ende hat es sich doch gut gefügt. Der Fürst ist aus dem Hause Bennain, so wie es sein soll." Den Rest des Abends brachten sie mit leichteren Themen zu. Einzig Angrawen musste viel nachdenken...