Die Zweite Neufarnhainer Tafel - Ende

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1033, Neufarnhain

Gesagt – getan: Roban hatte sich noch einmal am Seil in den Brunnen hinabgelassen und die Kinderknochen geborgen. Eine Untersuchung derselben durch Erborn ergab, dass es sich dabei tatsächlich um diejenigen eines Mädchens handelte. Auch den Gehenkten nahmen die Gefährten von seinem Baum und legten ihn neben Fiannas sterbliche Überreste.
Danach huben sie mithilfe einiger Holzlatten am Rande der Siedlung zwei Gruben aus, in denen sie die Gebeine zur letzten Ruhe legten. Danja hatte unterdessen aus Reisig zwei gebrochene Räder geflochten und steckte sie an die Kopfenden der beiden Gräber. Leichter Wind kam auf und als sie die Gruben endlich zugeschüttet hatten, war es Arbel, als vernehme er zwischen dem Geraschel der Blätter ein leise gehauchtes “Danke”. Es fröstelte ihn.
Dann blickte er zu Herrn von Borking hoch, der mit einem Räuspern die Ruhe durchbrach.
“Wir gedenken an diesem Ort den zwei von uns gefundenen Opfern, aber auch all der anderen, die in der uns nur schemenhaft bekannten Katastrophe ums Leben kamen. Mögen sie alle ihren verdienten Frieden in des Herren Borons Hallen finden.
Uns, die wir aber alle auf Dere wandeln, sei dieser Ort ein Fanal der Vergänglichkeit, das uns zu täglicher Demut ermahne, aber auch ein Zeichen der Hoffnung, ist es uns doch gelungen, ein verlorenes Schaf zu seiner Herde zurückzuführen und dabei längst vergangenes Unrecht ein Stück weit zu sühnen. Mögen die Götter ihren armen Seelen gnädig sein…”
“Darauf ein Ferd´!” sagte Roban leise, als alle sich abwandten, sich kurz orientierten und dann – hoffentlich – den Weg Richtung Neufarnhain einschlugen. Noch einmal raffte man sämtliche Konzentration zusammen, um nicht auf dem Rückweg doch noch in einen tückischen Bereich des Sumpfes zu gelangen.
Arbel, von den überstandenen Schrecken und Strapazen sichtlich gezeichnet, taumelte mehr inmitten der Gruppe, als er lief. In einer Bodenvertiefung stolperte er und wäre wohl gestürzt, hätte Roban ihn nicht am Arm gehalten. Ängstlich blickte der Junge zu dem so lauten und vor wenigen Minuten noch so wütenden Ritter auf.
“Na los, du Rübe”, murmelte dieser und wuchtete sich den Jungen auf den Arm. “Wir wollen hier nicht festwachsen.”
“Seid ... seid Ihr mir noch böse, Herr Ritter?” flüsterte Arbel vorsichtig.
“Ach was, böse. Ich war ... einfach nur etwas gereizt. Und wenn ich gereizt bin, ist meine Zunge manchmal schneller als mein Verstand!”
“Manchmal ist stark untertrieben”, klang eine halblaute Frauenstimme hinter ihm.
“Klappe!” schnappte Roban in Richtung der Worte und wandte sich wieder an Arbel. “Belassen wir es dabei, dass du beim nächsten Mal keinen fremden Weibern in den Sumpf folgst! Wenn du das versprichst, soll alles vergeben und vergessen sein!”
“Versprochen!” sagte Arbel hastig.
“Dann, bei den Zwölfen, werde ich meinen Ärger mit einem großen Bier herunter spülen, sobald wir wieder in Neufarnhain sind!”

Epilog
Vom Wehrgang der Neufarnhain umgebenden Palisade blickte Edelbrecht wehmütig seinen letzten Gästen nach, die gerade hinter einer Wegbiegung verschwanden und sich damit seinem Gesichtsfeld gänzlich entzogen.
Der Ritter seufzte. Nun würde wieder nur allzu schnell Ruhe in der Siedlung einkehren nach dem geschäftigen Treiben der letzten Woche und man würde sich schon bald der Schafschur widmen können.
Tatsächlich waren die Gefährten im Morgengrauen von Nebelhain aufgebrochen und bei Tageslicht gut vorangekommen. Gegen Mittag hatten sie Neufarnhain erreicht, wo die anderen um den Ritter Rainfried von Grimsau herum schon gespannt auf sie gewartet hatten. Von allen Seiten waren sie mit Fragen bestürmt worden, deren Beantwortung Etosch dankenswerterweise übernahm, waren die anderen nach einer durchwachten Nacht doch viel zu müde, um noch lange Gespräche zu führen.
Erst am Abend hatten sie sich ausgeruht wieder blicken lassen und die Rettung Arbels sowie den Fund Nebelhains bei einer Neuauflage des Festes gewürdigt. Diese zweite unvorhergesehene Feier hatte jedoch die Ressourcen Neufarnhains stärker angegriffen, als Edelbrecht hatte zugeben wollen, und so würde man sich in den kommenden Monden bis zur Ernte mit knapperen Rationen begnügen müssen. Am Rande der Feierlichkeiten hatten Rainfried von Grimsau und er eine ähnlich günstige Handelsvereinbarung ausgearbeitet wie mit Reto von Tarnelfurt, der Grimsaus Ehr fortan zu einem Abnehmer des Neufarnhainer Leders machen würde.
Insgesamt gesehen war Edelbrecht zufrieden. Schön war es gewesen, fast alle wiederzusehen. Noch schöner war es gewesen, dass dem kleinen Arbel nichts Gravierendes passiert war und sie einen Dienst an BORon hatten verrichten können. Schade, dass es Boromil nicht geschafft hatte, und welch Glück, dass der Vogt fort geblieben war. Bei dem Gedanken an Morwald Gerling stahl sich ein Grinsen auf das Gesicht des Borkingers. Und doch nagte der Zweifel an ihm:
Hatte er wirklich alles getan, damit sich seine Gäste wohlfühlen konnten? Was hatte es mit der mangelnden Qualität des Neufarnhainer Bieres auf sich? Und würde man sich im kommenden Götterlauf wieder zu einer Tafel zusammenfinden können? Seine Freunde waren verhalten gewesen, als er eine derartige Absicht angedeutet hatte, hatten sie in ihren Siedlungen doch selber alle Hände voll zu tun.
Aus den Augenwinkeln nahm Edelbrecht wahr, dass Etosch Gabelbart aus dem „Findling“ herauskam und ihn zu suchen schien. Nun, es schien wohl Arbeit zu geben. Der Alltag hatte ihn schneller wieder als ihm lieb sein konnte ...

... Für ihre Rückreise wählten die beiden Zwerge aus Neuvaloor einen anderen Weg. Schließlich mussten sie noch in Klammwinkel vorbei, um Grimm Goldmund von Koschtal das Geschenk des Vogtes zu überbringen. Die Reise mochte so ein wenig länger dauern, hatte aber auch ihr Gutes: Schließlich konnten sie das erste Stück des Weges alle gemeinsam reisen und bis Hohentrutz waren sie so viele, dass sie sich keine ernsthaften Sorgen um irgendwelche Angriffe von wilden Tieren machen mussten.
Da keine akute Schwierigkeit seine Aufmerksamkeit erforderte, hatte Olgosch Gelegenheit, das Fest aus seiner Sicht noch einmal Revue passieren zu lassen. Ritter Edelbrecht hatte gute Leute in seiner Siedlung und die Ambosszwerge bildeten - ganz wie in Neuvaloor - eine wichtige Unterstützung und Verteidigung.
Dennoch gab es Anlass, sich Sorgen zu machen. In den wenigen Tagen hatten die Gäste viele Vorräte der Siedlung verbraucht. Ob der junge von Borking noch Geld hatte, um neue zu kaufen? Ansonsten würde die nächste Zeit für die Neufarnhainer sehr schwierig.
Die Jagd war sehr gefährlich; die Episode mit den Wölfen hätte noch ganz anders ausgehen können, von dem verschwundenen Jungen ganz zu schweigen!
Was hatte es nur mit dem Steinkreis auf sich - und mit der verfallenen Siedlung, von der die anderen erzählt hatten? Olgosch wurde das Gefühl nicht los, dass beide Orte noch Ursache für eine Menge Schwierigkeiten sein würden.
Dazu kam noch das Ding aus dem Sumpf, dem er vielleicht leibhaftig begegnet war. Es schienen also doch keine Schauermärchen zu sein!
Das würde Ritter Boromil sicherlich interessieren. Doch am allerschlimmsten - es graute Olgosch jetzt noch, wenn er daran dachte - war unzweifelhaft das gepanschte Bier. Wer auch immer dafür verantwortlich war, so hoffte der Sohn des Ogrim, möge keine Ruhe finden! Nun gut, wenigstens hatte ihn der junge Ingramosch angenehm überrascht. Auch wenn dieser zwischendurch zum übermäßigen Reden neigte, so war er am Ende vernünftig geblieben, hatte auf Anweisungen Olgoschs gehört und war nicht Hals über Kopf ins Moor gezogen ...

... Ingramosch Grambart unterhielt sich derweil immer wieder mit verschiedenen Mitreisenden. Sogar mit der jungen Magierin kam er ins Gespräch.
Doch selbst der angenehmste Plausch konnte ihn nicht restlos davon ablenken, dass er enttäuscht war. Da hatte sich die Gelegenheit für ein richtiges Abenteuer geboten - und er war in der Siedlung geblieben, anstatt in den Sumpf hinauszuziehen und mit den anderen entweder dem schauerlichen Geist Frieden zu bringen oder sich dem unheimlichen Monster im Sumpf entgegenzustellen.
Sicher, die Jagd und der Kampf gegen die Wölfe waren auch nicht ohne gewesen. Innerlich schalt sich Ingramosch dennoch, weil er ausgerechnet den spannendsten Teil verpasst hatte! Das hatte er sich ganz alleine selbst zuzuschreiben! Beim nächsten Mal würde er nicht so brav und vernünftig sein ... mit diesem guten Vorsatz hatte er sich selbst soweit ermutigt, dass er ab nun die Reise wieder voll und ganz genießen konnte. Er würde schon noch so werden wie sein Großonkel, der Abenteurer!

Epilog II
"Da bist du ja endlich", krächzte Vogt Morwald Gerling, als Bolzer Spatenschwingh seinen Kopf durch die Türe streckte. Eigentlich hätte er donnern wollen, doch das Nebelwetter, das Burg Birkendamm seit Tagen im Griff hielt, hatte seiner Stimme zugesetzt.
"'tschuldigung, 'chwohlgebor'n", nuschelte der alte Torfstecher. "Kam zurück, so schnell ichs konnt', aber selbst unsereiner muss manchmal bisschen nachm Weg suchen im Sumpf. War ja ne grausige Suppe all die Woch'!"
Der Vogt atmete tief durch, rückte seinen Sessel zurecht und starrte Bolzer durchdringend an. Der senkte den Blick und drehte nervös den breitkrempigen Hut in den Händen.
"Na gut, für diesmal sei dir verziehen", gab sich Morwald plötzlich jovial. "Nun berichte aber vom Fest! Hast du die Präsente überbracht?"
"Jawohl, Herr, ganz wie befohlen. Und ich hab auch jedem 's Richtige gegeben, auch wenn der Herr von Neufarnhain nich so glücklich schien mit seinem Geschenk wie die andren ..."
Ein hämisches, zufriedenes Grinsen breitete sich auf dem Gesicht des Vogts aus.
"Ein Jammer!", jaulte er. "Und das war sicher noch nicht das Schlimmste?"
Bolzer schien verdutzt.
"Oh, 'chwohlgebor'n wissen schon vom verdünnten Bier und dem verschwund'nen Kind und den Gespenstern ..."
"Was Kinder, was Gespenster, ich rede von den Gauklern! Erzähl mir von den Gauklern!"
Der alte Torfstecher glotzte seinen Herrn verständnislos an. Endlich murmelte er: "Gaukler war'n da gar keine."
"Keine Gaukler?"
Morwald war aufgesprungen, seine Stimme ein Kreischen.
"Was soll das heißen? Habe ich nicht ..."
Er starrte auf seinen Knecht, der sich kleinmachte und den Hut schützend vor seine Brust gehoben hatte.
"Mit Verlaub", stammelte Bolzer, "vielleicht gab´s ja Gaukler unter den Gespenstern…"
"Schon wieder Gespenster? Verhöhnst du mich noch? Raus hier!"
Die letzten Worte kamen nur noch als leises Quieken heraus, doch Bolzer verstand auch so und huschte in Windeseile zur Tür hinaus.
Der Vogt von Moorbrück seufzte.
"Keine Gaukler also."
Er schwankte zum Kabinett mit der Koschwasser-Flasche und goss sich zwei Becher hintereinander ein.
"Nun ja", sprach er zu sich selbst, "um einen Lieblingsspruch des Barons abzuwandeln: Kein Plan überlebt den Kontakt mit dem Sumpf."
Er goss nochmal nach und ließ sich müde in seinen Sessel fallen.

Brief an Vogt Morwald Gerling, eingetroffen auf Birkendamm am 28. Phex 1033 BF
"Mit Bedauern melden wir Scheitern unseres Auftrags. Dichter Nebel verhinderte rechtzeitiges Erreichen des Ziels. Irrten 4 Tage durch Sumpf und verloren 1 Packesel & Packung.
Nachtigall zog sich Fieber zu und bedarf der Kur. Ziehen uns daher ein paar Wochen ins Almadanische zurück. Hoffen dennoch weiterhin auf Dero Gunst und erwarten kommende Befehle. Auch um alter Zeiten willen.

Untertänigst
Holzkegel und Gefährten"

-ENDE-