Ritterin Rondralieb und die Liebe - Uztrutzer Beben

Uztrutzer Beben
Die Burg Ingen in der Mark Ferdok, Ende Peraine 1038 BF
Nach außen freundlich, aber innerlich angespannt schaute Gero vom Kargen Land auf den Boten des Hauses Treublatt. Vor ein paar Wochen war Ontho Steigbügel von Uztrutz zu Boron gegangen, ohne seine Nachfolge klar geregelt zu haben. Seine beiden Söhne Alrich und Grimbart stritten sich um den Baronstitel. Zu allem Überfluss war Alrich inzwischen verschwunden, und seine Kinder beschuldigten die andere Seite, ihre Hand mit im Spiel zu haben. Weil Alrichs Tochter Derya mit Berwin von Treublatt verheiratet war, hatten sie prompt Roban von Treublatt eingeschaltet. Dieser versuchte nun seinerseits, in diesem Konflikt allerlei Adelshäuser auf seine Seite zu ziehen.
Der Gesandte der Treublatts führte aus: "Eure Verwandte Palina vom Kargen Land ist Großmutter Berwins, dem Mann Deryas. Wenn Alrich nicht wieder auftaucht, was die Zwölfe verhüten mögen, dann geht der Anspruch auf die Baronie auf sie über. Eine solche Verbindung zu einem Baronshaus wird nützlich für Euch sein... und es sollte doch selbstverständlich sein, Derya von Uztrutz zu helfen."
"Wohl gesprochen.", antwortete Geros Frau Niam. "Doch bedenkt auch, dass Boronar vom Kargen Land mit Rondralieb von Uztrutz, der Tochter Grimbarts, verlobt ist. Es gibt also auch eine Verbindung zur anderen Seite." "Eine Verlobung ist ein Versprechen, kein Bund." "Das mag sein. Doch Boronar ist unser Neffe und damit näher mit meinem Gatten verwandt als Palina." Der Bote lächelte weiterhin, doch wirkte er gereizt. "Nun, man kann die Lage offensichtlich verschieden interpretieren. Wir wollen uns darüber nicht streiten." Er lenkte seinen Blick zu Gero, eine Antwort von ihm erwartend. Dieser erwiderte ruhig und ernst: "Wir mögen keine Konflikte, schon gar nicht innerhalb einer Familie. Da wir zu beiden Seiten eine Beziehung haben, bleiben wir neutral. Damit tun wir das unsere, um den Streit nicht noch weiter ausufern zu lassen." "Also gut, dies werde ich meinem Herrn gerne ausrichten. Gehabt Euch wohl." Damit verabschiedete sich der Bote, seine Enttäuschung oder Ärger soweit wie möglich verbergend. Als er weg war, atmete Gero tief durch. Das Haus Treublatt war gefährlich, und Roban von Treublatt besonders. Nur gut, dass sehr bald eine angenehme Ablenkung den Tag verschönern würde!
Am Nachmittag traf Holdwin vom Kargen Land mit seinen beiden ältesten Kindern Halmdahl und Thalessia zu Besuch ein. Die jüngere Schwester Gunelde war zwei Jahre alt mit ihrer Mutter Mechtessa zu Hause auf Valpos Horn geblieben. Die anderen beiden konnten es jedoch kaum erwarten, ihre Großeltern wiederzusehen. Insbesondere mit ihrem Großvater tuschelten sie gerne verschwörerisch. Holdwin zog eine Augenbraue hoch. Was war das für ein phexisches Treiben? Die Freude des Zusammentreffens wurde jedoch durch die Ankündigung eines Dieners unterbrochen, draußen warte ein weiterer Besucher: Rondralieb von Uztrutz. Während sich Holdwin auf das Wiedersehen freute, warfen sich Gero und Niam einen vielsagenden Blick zu. Sie ahnten, dass es kein reiner Freundschaftsbesuch sein würde.
Tatsächlich stapfte die Ritterin, sobald sie eingelassen worden war, schnurstracks in den Saal, entbot ihre Grüße und kam dann sofort zur Sache: Aufgrund der baldigen engen Familienbande bat sie darum, dass sich das Haus vom Kargen Land auf ihres Vaters Grimbarts Seite in den Konflikt um Uztrutz stellen möge. Der Markvogt hörte ihr geduldig zu und erklärte ihr dann ruhig, aber bestimmt, dass er Neutralität walten lassen wolle, da es auch eine Verbindung zur anderen Seite gebe. "Wir wollen nicht, dass der Streit um den Baronstitel größere Wellen schlägt und womöglich weitere Teile des Koschs mit hineingezogen werden." Als sie die direkte Ablehnung ihrer Bitte hörte, brauste Rondralieb auf. "Das ist sehr einfach gedacht. In Uztrutz wird eine Intrige gespielt! Wollt Ihr etwa diejenigen gewinnen lassen, die Ränke schmieden? Nein, gerade darum solltet Ihr eingreifen!" "Wir verstehen doch gar nicht genug von den Hintergründen! Wer weiß, ob wir nicht gerade dadurch in die Ränkespiele heingezogen werden, indem wir helfen?" "Das ist doch Unsinn!", wurde Rondralieb lauter. "Mein Vater ist ein anständiger Mann – ein Diener der Rondra! Was gibt es denn an seinen guten Absichten zu zweifeln?" "Darum geht es doch gar nicht", versuchte Gero zu beschwichtigen. "Diese Herrschaftskonflikte sind mehr als ein Streit von zwei Seiten. Wer auch immer diesen Streit im Hintergrund befeuern mag, wartet vielleicht nur darauf, dass sich weitere Adelshäuser mit einmischen." "Uns aus Schetzeneck haltet Ihr immer noch die Zeit der Verschwörerbarone vor, aber wenn es darum geht, die Ordnung wieder herzustellen, bleibt Ihr untätig? Das ist ja eine schöne Moral, bei der man sich nicht bemühen muss..." Jetzt riss auch Gero der Geduldsfaden. "Junge Dame, mein Haus hat mehr als genug dafür bezahlt, sich um einen Baronstitel gestritten zu haben! Anstatt irgendwann zu Verhandlungen bereits zu sein, haben wir uns solange mit dem Haus Salzmarken befehdet, bis wir beide verloren haben. Ich brauche mir von Euch keine Lektion in Anstand und Moral anhören zu lassen – schon gar nicht auf meiner heimischen Burg!" "Na gut, wie Ihr wollt! Dann fordere ich Euch hiermit zum Duell mit stumpfer Lanze. Verteidigt Eure Ehre, wenn Ihr Eurer Sache so sicher seid."
Gero starrte Rondralieb fassungslos an. "Ihr wollt Euch mit jemandem in meinem Alter duellieren? Und das nennt Ihr ehrenhaft?" "Ihr seid ein Ritter und wisst um Eure Tugenden.", erwiderte Rondralieb trotzig. "Schickt jemand anderen, wenn Ihr es selbst nicht tun wollt oder könnt. Aber die Herausforderung ist ausgesprochen und wird nicht zurückgenommen." Einen Moment war Gero sprachlos. "Keine Sorge, Vater", trat Holdwin hinter ihm hervor, der das gesamte Gespräch bislang schweigend mitverfolgt hatte. "Lass mich gegen sie kämpfen. Dieser Streit wird schnell zuende sein. Ich habe sie schon einmal besiegt." Falls Holdwin wütend war, so hatte er sich tadellos unter Kontrolle. Ernst, aber formvollendet verbeugte er sich vor der Ritterin. Da dämmerte es Rondralieb: Er war der Schwarze Ritter gewesen, der sie auf dem Märker Treffen aus dem Sattel gehoben hatte! "Danke, mein Sohn", nahm Gero das Angebot an. An Rondralieb gerichtet, fügte er hinzu: "Wir werden alles vorbereiten, damit Eure Forderung erfüllt wird. Aber wenn Ihr verliert, lasst Ihr von Eurem Anliegen ab." Eindringlich schaute er sie an. "Selbstverständlich!", gab sie zurück, ihrer Sache aber nicht mehr ganz so sicher wie vorher.
Der Markvogt hielt Wort: In Windeseile wurde außerhalb des Dorfes Ingen ein würdiger Kampfplatz vorbereitet. Gleichzeitig ließ Gero zum einen Ilpetta von Hirschingen aus Olkstubben holen, zum anderen Bruder Koyner aus Gorshof. Die Fürstliche Schlachtreiterin würde als Schiedsrichterin fungieren, denn sie war über jeden Zweifel erhaben. Der Perainegeweihte sollte sich um eventuelle Verletzte kümmern.
Gero und Niam standen mit dem Heiler in sicherem Abstand am Rande des Feldes. Ritterin Ilpetta verkündete die Regeln. Wie bei einem Turnier sollten drei Lanzen gebrochen werden. Ergebe sich daraus kein Sieger, würde im Nahkampf weiter gefochten. "Rondra schaue mit Wohlwollen auf diesen Kampf!", rief sie. Dann gab sie mit der Hand das Signal, dass das Duell beginnen möge.
Beide Ritter ließen ihre Pferde losreiten und beschleunigen. Rondralieb erinnerte sich an das letzte Mal. "Ruhig bleiben", dachte sie an sich selbst gerichtet.
Und Phex zwinkerte.
Holdwins Pferd kam aus irgendeinem Grund aus dem Tritt. Er musste aufpassen, das Gleichgewicht zu halten, und senkte für einen Augenblick den Schild. Das reichte für Rondralieb. Sie traf ihn hart auf dem Brustpanzer, so dass Holdwin mit voller Wucht aus dem Sattel geworfen wurde und nach dem Aufschlag auf dem Boden reglos lieben blieb.
Gero starrte mit offenem Mund auf die Szene. "Holdwin!", rief Niam, die Augen vor Angst aufgerissen. Derweil ritt Rondralieb die Bahn zuende, zügelte ihr Pferd und drehte sich um. Zuerst wollte sie ihre Lanze triumphierend in die Höhe heben, doch dann sah sie, dass sich ihr Gegner wohl verletzt hatte. Derweil lief Bruder Koyner auf den leblos scheinenden Holdwin zu. Gero hielt die Hand seiner Frau fest. Der Geweihte öffnete Holdwins Visier und schaute sich ihn an. Dann hob der den Kopf und nickte Gero zu. Er lebte! Gero und Niam fiel ein Stein vom Herzen.
Während der Geweihte sich weiter um Holdwin kümmerte, erklärte Ilpetta von Hirschingen Rondralieb zum Sieger des Duells. Wie versprochen sagte Gero ihr die Unterstützung seiner Familie zu. Rondralieb wünschte dem Unterlegenen gute Besserung, verschwendete ansonsten aber keine Zeit, um ihren Sieg zu feiern, sondern zog sich bald daraufhin zurück, um sich reisefertig zu machen. Sie würde ihren Vater und dessen Unterstützer auf Burg Ingen einladen, damit sich alle dort versammeln konnten.
Als die Angst um Holdwin verflog, wurde Gero langsam bewusst, welche Konsequenzen dieses Duell haben würde. Unruhig wandte er sich an seine Frau. "Ich fürchte, ich habe einen schlimmen Fehler begangen. Was soll ich jetzt tun?" "Ruf die Familie zusammen", riet sie ihm in ihrer gewohnt ruhigen Art. "Es ist eine Angelegenheit des gesamten Hauses, dann sollten wir es auch gemeinsam besprechen." "Ja. Das ist eine gute Idee", pflichtete Gero ihr bei. Dabei sah er, wie Bruder Koyner seinem ältesten Sohn einen Kopfverband anlegte.