Schwarzgebrannt - Die 3 Aufgaben des Boldes

Im Xannesruh, 14. Ingerimm 1047 BF
„Meister Wangenmoos!“, rief Korbrande erleichtert, „Ich werde hier durch dieses Wesen festgehalten, bitte helft mir doch.“ Erstaunt betrachtete Gamsbart die Kreatur, welche vor Korbrande stand, etwas genauer. Sie war recht klein, kleiner noch als die meisten Angroschim und ähnelte von der Größe her wohl einem jungen Hügelzwergenkind. Sie besaß kurzes, schwarzes Haar, eine Hakennase und weit abstehende, langgezogene Ohren, die jedoch nichts mit den anmutigen Ohren der Elfen gemeinsam hatte. Er erinnerte sich an die Geschichten, die ihm seine Großmutter einst erzählt hatte, von wundervollen, magisch begabten Kreaturen, den sogenannten Feen. Er hatte diese Geschichten später immer als Märchen abgetan, aber da stand nun augenscheinlich wirklich solch ein Feenwesen vor ihnen. Beim Auftauchen der beiden hatte sich der Bold zu ihnen gedreht und mit mürrischem Gesichtsausdruck seine kurzen Arme in die Hüfte gestemmt. „Weitere Eindringlinge. Oh je, oh je, und dabei hat es mir hier doch so gut gefallen.“ Gamsbarts Blick ging nun von der Frau und dem Feenwesen zu der Vorrichtung hinter ihnen, die man wohl nur zum Schwarzbrennen verwenden konnte. Er wusste zwar nicht viel darüber, aber der Brennkessel und die anderen Utensilien wirkten auf ihn recht primitiv und auch nicht gerade sauber. „Das sieht mir ja nicht gerade wie eine Ingerimm-gefällige Arbeit aus, Korbrande. Eher wie eine phexische Tätigkeit“, meinte Gamsbart dann zu der verweinten Frau. „Bitte, Meister Wangenmoos, ich gestehe alles, aber bitte bringt mich hier raus. Ich habe hier unerlaubt Schnaps hergestellt und …“ „Mein schönes Haus verpestet mit ihrem Gestank!“, polterte nun das Feenwesen. „Einfach eingedrungen ist sie hier, obwohl es meins ist. Meins seit langer Zeit. Nicht gefragt, nichts gegeben, einfach hereingekommen und alles verpestet!“, begann der Bold zu schimpfen. Erstaunt sahen sich Gamsbart und Arnulf an, dann begann der Dorfwaibel ein paar weitere Fragen an den Bold zu stellen.
Nachdem er die Antworten gehört hatte, konnte sich Gamsbart einen ungefähren Reim auf alles machen. Durch Zufall war die gelernte Köhlerin Korbrande bei ihrer Arbeit im Wald auf das Gebäude gestoßen und hatte beschlossen, hier ihren kargen Lohn etwas aufzubessern. Das Schnapsbrennen hatte sie, in ihrem früheren Heim Klammwinkel im Moorbrücker Sumpf, rudimentär erlernt. Daher war das leerstehende Haus im Wald ihr sehr recht gekommen, geschützt vor Wind und Wetter sowie neugierigen Augen, was sie hier denn so trieb. Dass dies der ausgewählte Wohnort des Boldes war, hatte sie nicht gewusst. Der Bold meinte, er habe ihr mehrere Streiche gespielt, auf dass sie verschwinden sollte. Aber sie war immer wieder gekommen und schließlich hatte es dem Bold gereicht. Er hatte sie verhext und nun konnte sie ohne seine Erlaubnis diesen Ort nicht mehr weiter als hundert Schritt verlassen. „Aber warum brennt sie denn hier immer noch?“, erkundigte sich Arnulf verwirrt. Der Bold schnaubte und meinte: „Ich wollte sie zwingen, etwas herzustellen, was wenigstens angenehm duftet und schmeckt. Aber das Einzige, was sie kann, ist dieses widerliche Stinkbräu.“ Korbrande schluchzte herzzerreißend. „Es tut mir leid. Aber ich kann nichts Besseres herstellen. Bitte lasst mich frei.“
Der Bold schüttelte energisch den Kopf und meinte: „Menschen sprechen viel, der Wind bläst und dann haben sie wieder alles vergessen. Ich werde dich hier behalten, und wenn es weitere 18 Winter dauern sollte.“ Das ließ die arme Frau nur noch stärker schluchzen und nun mischte sich Gamsbart wieder ein. „Werter Herr Bold, das ist doch etwas zu streng. 18 Winter ist doch viel zu lange.“ Das Feenwesen sah ihn verwirrt an: „Wieso denn, ist doch nur Zeit.“ Gamsbart seufzte innerlich. Das Gespräch begann schwierig zu werden, aber wie sollte er bitte einer magischen Kreatur, welche nicht altern konnte, den Wert von Zeit für einen Menschen erklären? Nun trat Arnulf vor und meinte energisch: „Ihr habt die gute Frau für das Eindringen und Verpesten eures Heimes schon bestraft. Lasst sie frei und wir werden dafür sorgen, dass Ihr Gerechtigkeit erhalten werdet.“ Der Bold verzog das Gesicht angesichts des Tonfalls des Knappen und blickte den großen Kerl grimmig an. „Oder was?“ Arnulf setzte sein rechtes Standbein zurück und hob die Axt. „Ansonsten werde ich euch zeigen, was in meiner Heimat die Angroschim mit magischen Kreaturen machen, die sie ärgern.“ Der Bold begann nun wie ein Sprungball auf und nieder zu hüpfen, sein Körper schien schwach zu leuchten und kleine Funken sprangen aus seinen Handflächen, er wirkte nun wie sein Gegenüber recht entschlossen. Gamsbart japste erschrocken auf, er spürte die plötzliche Anspannung im Raum fast körperlich. Normalerweise hätte er in einem Zweikampf ohne zu Zögern auf den jungen Knappen gesetzt. Aber das war kein gewöhnlicher Gegner, sondern ein Wesen mit wohl recht starker Magie. Außerdem war er sich nicht einmal sicher, ob eine normale Waffe ein Feenwesen überhaupt verletzten konnte.
„Wartet, wartet, ihr beiden. Wir haben uns doch gerade erst kennen gelernt. Wir sollten doch nicht gleich streiten, schon gar nicht im Heim des guten Herrn Bold. Das mag weder die gütige Herrin Travia, noch das Ewigjunge Fräulein Tsa. Machen wir uns doch erst mal miteinander bekannt. Mein Name ist Gamsbart Wangenmoos und der wackere Kerl hier ist Arnulf von Hartsteig“, begann Gamsbart. „Wie dürfen wir Euch nennen, Herr Bold?“ Das Wesen sah überrascht zu Gamsbart und machte den Mund auf, doch bevor eine Silbe herauskam, schloss es ihn wieder und blickte den Dorfwaibel durchdringend an. „Meinen Namen will er? Listig, listig, Gamsbärtchen. Er weiß wohl genau, dass, wenn man den wahren Namen eines Wesens kennt, man auch Macht über dieses gewinnt.“ Gamsbart wurde etwas bleich, denn dies war überhaupt nicht seine Absicht gewesen. Doch der Bold fuhr grübelnd fort: „Aber ihr habt mir auch eure Namen genannt und euch damit willig in meine Gewalt begeben. Da wäre es nicht rechtens, dies auszunutzen … Also gut. Ihr könnt mich Zapfvisirix nennen.“ Gamsbart atmete erleichtert aus. Arnulf tauschte einen kurzen Blick mit dem Dorfwaibel, dann brummte er zustimmend und senkte wieder seine Waffe. Der Bold schien sich auch etwas zu entspannen, meinte dann aber: „Ihr habt gut reden, Menschlein. In euer Haus kommen schließlich nicht ständig Fremde, die es sich dort einfach gemütlich machen und den Frieden stören.“
Hier hatte das Wesen einen guten Punkt angesprochen. Gamsbart erinnerte sich an die Gebote der Gastfreundschaft und meinte: „Ihr habt natürlich recht“, dann kramte er in seinem Brotbeutel und das Glück des Herrn Phex war mit ihm. Er fand darin noch zwei Kekse von Meister Siebenrüb, die er sich in der Früh für eine kleine Zwischenmahlzeit eingepackt hatte. Nun nahm er beide heraus, kniete sich zu dem Wesen hinunter und reichte sie dem Bold. „Erstmal ein Gastgeschenk an Euch, Meister Zapfvisirix. Wir entschuldigen uns dafür, dass wir Euer Haus einfach so betreten haben.“ Interessiert betrachtete der Bold die Kekse und biss dann von einem ab. Seine Miene veränderte sich schnell und er aß beide Kekse mit sichtlichem Behagen.
„Endlich mal jemand, der die nötige Höflichkeit mitbringt“, meinte der Bold zufrieden. Erleichtert über diesen Treffer meinte Gamsbart: „Wenn Ihr Korbrande frei lasst, dann bringe ich Euch im Tausch dafür einen ganzen Berg Kekse.“ Zapfvisirix rieb sich nachdenklich über sein kahles Kinn angesichts dieses Versprechens. Dann, nach einigen Momenten des Zögerns, meinte er: „So einfach wird es nicht. Aber es gibt da wohl eine Möglichkeit. Drei Aufgaben. Ihr bekommt von mir drei Aufgaben, und wenn er sie erfüllt, dann lasse ich die Frau gehen, mein Wort darauf.“ Gamsbart lächelte erfreut. „Das klingt doch nach einem vernünftigen Angebot. Was sind die Aufgaben?“
Der Bold hob den ersten Finger. „Erstens, ihr helft mir das Haus zu putzen, vor allem den Raum hier, damit dieser widerliche Gestank weggeht. Außerdem muss das Skelett da oben weg. Gefällt mir nicht.“ Arnulf blickte Gamsbart verständnislos an. Waren sie denn jetzt eine Putztruppe? Doch der Dorfwaibel ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen und meinte mit fester Stimme: „Akzeptiert. Die zweite Aufgabe?“ Zapfvisirix hob den zweiten Finger. „Bringt mir noch einmal eine solche Köstlichkeit. Kann etwas Süßes, aber auch etwas anderes sein. Wenn es mir schmeckt, dann habt ihr die Aufgabe erfüllt.“ Gamsbart nickte. Der Bold hob den dritten Finger. „Sorgt dafür, dass ich hier meine Ruhe zurück erhalte. Gäste wie ihr sind erlaubt, aber sie sollen nicht einfach so hereinplatzen können.“ Gamsbart kratzte sich am Hinterkopf. Das würde etwas schwieriger werden, aber er würde sich schon etwas einfallen lassen.
„In Ordnung. So soll es sein. Wir brechen gleich auf.“ Doch nun schüttelte Zapfvisirix den Kopf. „Die Sonne ist bereits untergegangen. Ihr solltet besser nur am Tage durch diesen Teil des Waldes gehen. In der Nacht kann es hier …“ - er stockte kurz, um das richtige Wort zu finden - „gefährlich sein.“ Verwirrt blickte Gamsbart ihn an, aber das war natürlich ein Argument, das durchaus Sinn machte. Seine Frau würde ihm zwar die Hammelbeine lang ziehen, wenn er einfach eine Nacht im Wald verbrachte, aber immer noch besser, als auf dem Heimweg im Dunklen über eine Wurzel zu stolpern und sich das Genick zu brechen. „Sieht so aus, als würden wir dann heute hier übernachten, Arnulf“, erklärte der Dorfwaibel dem Knappen. Dieser grinste: „Auch mal was Neues. Hoffentlich kennt Ihr ein paar gute Geschichten, um uns die Zeit zu vertreiben.“ Gamsbart erwiderte sein Grinsen und meinte: „Daran soll es nicht scheitern, mein Lieber. Setzt euch doch alle zum guten Gamsbart und ich werde ein paar interessante Gute-Nacht-Geschichten zum Besten geben.“