Schwarzgebrannt - Kein guter Tag für Gamsbarts Magen

Sindelsaum, 14. Ingerimm 1047 BF
Gamsbart hatte es sich gerade in der Amtsstube des Sindelsaumer Grevenhauses gemütlich gemacht. Der Nachtwächter Eckbart Wamsler hatte keine besonderen Vorkommnisse vermeldet und so hatte Gamsbart es sich fürs erste gemütlich gemacht.
Grimwulf von Borking, der Vogt der Baronie, störte seine Ruhe, als er kopfschüttelnd in die Amtsstube eintrat. „Weißt du, Gamsbart, es ist schon komisch. Jedes Jahr zählen wir die Einwohner und seitdem ich meinen Dienst vor fünfzehn Jahren angetreten habe, ist die Einwohnerzahl immer genau gleich geblieben. In all den Jahren sterben immer genau so viele Leute, wie sie nachgeboren werden. Das gilt sowohl für Menschen als auch Zwerge. Fast so, als wäre diese Zahl irgendwo in Stein gemeißelt.“ Grimwulf wartete gar keine Antwort ab, sondern verließ schlurfend die Amtsstube. Gamsbart und seine Gehilfin Ilme teilten sein Interesse an der Sindelsaumer Bevölkerungsentwicklung nicht und wandten sich achselzuckend wieder ihrem Vormittagsimbiss zu.
Die beiden Büttel beendeten gerade ihr Mahl, als der Krämer Reto Zwiebelbusch die Amtsstube betrat. Zielstrebig kam er auf Gamsbart und Ilme zu und berichtete, dass seine Gattin Korbrande schon seit zwei Tagen nicht mehr aufgetaucht war. Er konnte sich nicht erklären, wo sie abgeblieben war, machte sich aber langsam doch einige Sorgen. Seine eigenen Erkundigungen hatten bisher leider nichts ergeben.
Gamsbart versprach, sich sofort darum zu kümmern. Ilme würde in Hügelsaum Erkundigungen machen und Gamsbart in Sindelsaum und dann würden sie weitersehen.
Gamsbart kannte Korbrande nicht gerade gut, er wusste, dass sie von einiger Zeit aus Moorbrück hierhergekommen war und dass sie ganz früher mal Köhlerin war, aber nun im Laden ihres Mannes half. Zuerst erkundigte er sich in der „Brücke“ beim Wirt Orlan, aber der hatte nichts gesehen, lud Gamsbart aber sogleich auf ein Hügelbräu ein, auch im „Sindelblick“, der „Espe“ und im „Dachs“ ging es so. Fehlte noch der „Apfeltod“, dann hätte er alle Bierbrüder abgeklappert. Die örtlichen Klatschmäuler würden dann seine nächste Station sein. Gamsbart musste sich aber fürs erste auf eine Bank setzen, mittlerweile hatte er doch ganz schön einen sitzen. Die ganzen Biere am Vormittag waren vielleicht doch etwas viel des Guten gewesen.
„Ach, da bist du ja!“, rief neben ihm eine Stimme, es war Alma Wamsler, eine Freundin seiner Gattin Alma und Großmagd drüben in Hügelsaum.
„Du hast unsere Einladung doch sicher nicht vergessen“, neckte Alma ihn und als er verlegen aufstand und sich langsam eine Antwort zurechtlegte, hakte sie sich einfach bei ihm ein und brachte ihn freundlich, aber bestimmt zu ihrem Haus, denn ihr Gatte Wilfing hatte heute etwas ganz Feines gekocht.
Gamsbarts Gattin, ebenfalls Alma, warf ihm einen bösen Blick zu, als er eintrat; nachdem er sich gesetzt hatte, zischte sie: „Du hast doch nicht etwa die nette Einladung vergessen?“
Gamsbart versuchte abzuwinken. „Ach was vergessen, eher verdrängt“, grummelte er.
Alma, also seine Alma, nicht die andere, schnupperte an seinem Atem. „Trinkst du etwa so früh schon im Dienst?“
Bevor sich das Ehepaar aber weiter zanken konnte, kamen Wilfing und dessen Alma mit dampfenden Schüsseln aus der Küche und das Essen begann.
Wenig später hatte Gamsbarts Gemüt die Betriebstemperatur einer Angbarer Erzschmelze erreicht. Nicht genug damit, dass der schleimige Schmierfink Wilfing Haubenschreier ihn und seine Gattin zum Mittagessen eingeladen hatte, nein er hatte auch noch selber gekocht. Nicht Koscher, nein tulamidisch. „Ein ganz feines Rezept, mein Guter“, verkündete Wilfing.
Gamsbart wusste gar nicht so genau, was da vor ihm in der Schüssel schwappte. Beim ersten Bissen brach ihm sogleich der Schweiß aus. Das undefinierbare Gemisch war aufs Schärfste gewürzt und schlug Gamsbart damit sofort auf den Magen und drückte die Stimmung noch einmal mehr.
Die beiden Gattinnen, beide hießen sie Alma, wurden derweil von Wilfing aufs Vorzüglichste unterhalten. Er erzählte eine Gesichte über die Tulamidenlande, bei der anzüglichen Pointe kicherten die beiden Frauen und Wilfing sah auch Gamsbart Zustimmung heischend an, doch dieser fixierte seine Schüssel mit einem starren Blick und schaufelte langsam, aber zielsicher die gesamte Mahlzeit in sich hinein. Gamsbarts Geschmacksnerven revoltierten und sein Magen grummelte schon, aber vor diesem Schlawiner würde er sich keine Blöße geben. Schneller, als es schicklich war, sprang Gamsbart nach dem Essen auf. „Die Pflicht ruft“, murmelte er, bevor er sich eilig nach draußen begab. Wilfing und die beiden Almas blickten ihm mit gerunzelter Stirn nach. Das würde später sicher noch einmal ein Nachspiel geben. Seine Alma mochte es gar nicht, wenn er sich rüpelhaft benahm.
Gamsbart war eine kurze Strecke gegangen, bevor sein Magen endgültig revoltierte. Leich panisch blickte er sich um. Er stand vor der Töpferei, so stieß er hastig die Tür auf und stürmte an Matrescha Wamsler vorbei. „Es ist ein Notfall!“, verkündete er im Vorbeihasten.
Als er einige Zeit später wieder die Werkstatt betrat, blickte ihn Matrescha unschlüssig an. „Tut mir leid“, murmelte Gamsbart. „Ich habe was ganz Übles zum Mittagessen vorgesetzt bekommen.“
Matrescha wusste offensichtlich nicht so recht, was sie antworten sollte, und bevor sie eine Gelegenheit dazu bekam, weiter nachzufragen, hatte sich Gamsbart schon aus der Tür gedrückt.
Gamsbart nahm sich vor, nun seiner eigentlichen Aufgabe nachzugehen und seine Suche nach Korbrande fortzusetzen. Sein Magen war noch immer nicht gerade glücklich, hatte sich aber deutlich beruhigt. Ein Gutes hatte das Mittagessen gehabt, sein leichter Schwips von vorhin war Geschichte. So machte sich Gamsbart auf seinen nachmittäglichen Gang durch das Dorf Sindelsaum. Einige Schritte weiter fiel Gamsbart auf, dass er einen niederhöllischen Durst hatte, da konnte ein schnelles Bierchen nicht schaden. Im „Apfeltod“ kehrte er sonst eher selten ein, aber das Lokal war am nächsten gewesen, als ihn das Verlangen nach einem kühlen Getränk überkam, und außerdem konnte er dann gleich nach Korbrande fragen. Es war wenig los, als Gamsbart die Schankstube betrat. In einer Ecke saßen einige Sindelschiffer mit ihrer Sprecherin Ilpetta Apfeltopf und tranken ein paar Humpen.
Gamsbart setzte sich an den nächsten freien Tisch und bevor er überhaupt etwas ordern konnte, stellte ihm der Wirt Gobrom Speckstein zwei Schnäpse vor die Nase.
Gamsbart nahm einen Schluck und zuckte zusammen. Wollte der schnauzbärtige Wirt ihn vergiften? Überrascht schaute Gamsbart den Wirt an, der schaute aber ungerührt zurück und ging dann fort, ohne Gamsbart eine Gelegenheit zu geben, sein Bier zu bestellen. War die Plörre wirklich kaum genießbar, oder waren seine Geschmacksnerven alle beim Mittagessen gestorben und jedes Getränk würde fortan so schmecken? Gamsbart kam zu dem Schluss, dass es kaum zwei Giftanschläge auf ihn gegeben hatte und dass er noch unter den Nachwirkungen seines Mittagessens litt, aber ganz sicher war er nicht. Er blickte sich in dem Schankraum um, eben in jenem Moment betrat ein hünenhafter junger Mann den Raum und ging zielstrebig auf ihn zu. „Seid Ihr Gamsbart Wangenmoos?“, fragte der junge Mann.
Gamsbart nickte und drückte dem verdutzten Burschen seinen Krug in die Hand. „Probier das. Ich wurde vorhin vergiftet und bin mir nicht sicher, was mit dem Krug hier los ist.“
Der Bursche trank einen Schluck und verzog das Gesicht. „Gute Qualität ist anders“, stellte er fest. „Aber ich bin eigentlich hier, weil an der Sindel etwas vor sich geht. Der Baron hat mich geschickt, um Euch zu holen. Ihr müsst Euch das einmal ansehen.“
Gamsbart versprach, gleich mitzukommen, fragte die Flussschiffer aber noch schnell nach Korbrande. Die wussten immerhin zu berichten, dass sie manchmal viel Zeit im Wald verbringe, wo genau, wussten sie aber auch nicht. Angesichts der Größe des nahen Baduarforstes war der Hinweis nicht furchtbar hilfreich, gab der Sache aber immerhin eine neue Richtung.
Mit der neuen Erkenntnis im Gepäck folgte Gamsbart dem jungen Mann, der sich unterdessen als Arnulf von Hartsteig, Knappe des Barthalm von Rohenforsten, vorgestellt hatte. Gamsbart war sich nicht ganz sicher, was er mit der riesenhaften Axt vor hatte, die er geschultert hatte, aber Gamsbart fühlte sich neben dem Hünen unterbewusst sicher und geborgen.
Arnulf brachte Gamsbart bis zur Sindelbrücke. Dort hatten sich etliche Schaulustige versammelt, die das Wasser der Sindel betrachteten. Tatsächlich war das Wasser stellenweise seltsam verfärbt. Die Zuschauer rätselten, was dahinter stecken konnte.
„Vielleicht liegt ein totes Tier flussaufwärts im Wasser.“ „Ach nein, die Magie des Flusses hat die Verfärbung hervorgerufen.“
Gamsbart war sich nicht sicher, was hier die Ursache darstellte. Klar war nur, dass die Verfärbung von weiter flussaufwärts kam. „Es gibt nur einen Weg herauszufinden, was da vor sich geht. Ich werde schauen müssen, was flussaufwärts Sache ist“, dachte er sich.