Eine Brücke zu (zer)schlagen - Schwert und Münze
Teil der Briefspielgeschichte "Eine Brücke zu (zer)schlagen"
Stock und Stein | Wein und Pläne |
Bragahn in der gleichnamigen Baronie, Ingerimm 1035 nach Bosparans Fall am folgenden Tag
Saria von Lindholz-Hohenried ritt in Bragahn in den frühen Nachmittagsstunden ein. Die Sonne strahlte in warmem Gold von einem azurblauen Himmel, über den träge zartweiße Schäfchenwolken trieben. Keine Mauer schied das beschauliche Landstädtchen mit seinen zweistöckigen Fachwerkhäusern von seinem Umland, welches von saftigem Weideland und Äckern geprägt wurde, auf dem die noch grünen Halme von Roggen, Hafer und Weizen sich dem Licht entgegenstreckten.
Der Markt, den die Ritterin zu Bergund kurz darauf erreichte, war gut besucht. Nachdem Almada seine rebellische Haltung abgelegt hatte und unter einem neuen Fürsten in den Schoß des Mittelreiches zurückgekehrt war, blühte der Handel über den Roterzpass wieder, und Bragahn profitierte sichtlich davon. Es bedurfte nur eines Katzensprunges und schon konnten die erstandenen Waren nach Gangsdorf verbracht und von dort über den Großen Fluss verschifft werden. Auf dem gleichen Wege gelangten die Waren des Nordens hierher, wie Pelze und Leder, Getreide, Bier und Met, Eisen und Bienenwachs, und dienten als Tauschobjekte für Pferde, Wein, süße Zitrusfrüchte und die exotischen Waren der südlichen Länder.
Die allgemeine Unbeschwertheit wollte nicht so recht zu Sarias grüblerischer Stimmung passen. Sie musste jemanden finden, der sie mit Schwert und Rat unterstützen konnte. Jemand, der in der Lage war, möglichst auch unabhängig von ihr zu agieren. Sollte sie sich erst einmal in dem kleinen Landstädtchen ein wenig umhören, oder gleich den Baron in der Feste Osch aufsuchen? Die stattliche Wasserburg ragte mit ihren rot gedeckten Dächern unweit des Marktplatzes aus den schillernden Wassern des Yarbocsees auf.
Am Rande des Marktplatzes ließen auch zwei Bewaffnete ihre Würfelbecher kreisen. Einige Kinder beobachteten das Spiel der beiden vierschrötigen Männer. Immer wieder fluchten sie laut und herzhaft und erhöhten stetig ihre Wetteinsätze. Auf ihrer Brust hatten sie einen weißen Bären auf schwarzem Grund genäht. Aus der Gegend kam das Wappen nicht, aber besonders viel Aufsehen hatte die kleine Gruppe auch nicht erregt, als sie vorgestern nach Bragahn kamen. Ein Ritter, hoch zu Ross, mit seinem Waffengefolge war hier am Großen Fluss wahrlich kein seltener Anblick, auch wenn der Wengenholmer Dialekt der Gruppe für einige Erheiterung sorgte. Die Wengenholmer amüsierten sich wiederum über den, im ganzen Kosch bekannten, Bragahner Dialekt.
Derzeit hatte die Gruppe Quartier in einem Gasthaus am Marktplatz bezogen und verhielt sich eher ruhig. Sie zahlten mit gutem Gold, und auch wenn ihr Erscheinungsbild zu wünschen übrig ließ und von der sprichwörtlichen Armut im Wengenholm kündete, verhielten sie sich doch stets korrekt.
Etwas abseits saß erwähnter Ritter und war damit beschäftigt sein Schwert zu schleifen. Die Klinge zeigte eine Reihe von üblen Scharten. Zwei Kinder ließen sich gerade erzählen wie der Ritter, der sich Geron nannte, am Greifenpass gegen eine Unzahl Nordmärker Ritter gestritten hatte. Mit strahlenden Augen lauschten sie den Worten, die von harten Zweikämpfen mit Rittern und Baronen aus dem gesamten Hinterkosch kündeten.
Nur langsam konnte sich die Ritterin ihren Weg über den Marktplatz bahnen. Nahe des Seeufers kam ihr Vorankommen schließlich völlig zum Erliegen, als ein Mann mit seinem Handkarren einen Gemüsestand beschädigte. Äpfel, Kohlköpfe und Kürbisse kullerten über den Weg und wurden unter viel Schnaufen, Ach und Ohje von der wohlgenährten Bäuerin verfolgt. Saria saß ab und blickte sich seufzend um, als das wohlbekannte Geräusch von Metall an ihr Ohr drang, welches über einen Schleifstein gezogen wurde. Neugierig hielt sie sich nach dem Verursacher des vertrauten Klanges Ausschau, und entdeckte einen Mann, der nur wenige Lenze älter als sie selber sein mochte und soeben eine Klinge in das Licht der Praiosscheibe hielt, um weitere Unebenheiten oder Scharten ausfindig zu machen. Er schien jedoch keine zu finden und steckte die Waffe zufrieden in ihre Scheide zurück.
Die Augen der Neukoscherin weiteten sich vor Überraschung, als ihr Blick auf das Wappen des Kämpen fiel, welches einen Bären zeigte. Auch das Haus von Bergundtal hatten einen steigenden Bären – wenn auch seitlich abgebildet - im Wappen geführt; ein Schild mit dem kräftigen Tier zierte noch immer das Portal der Burg Sinterquell und den heimeligen Kamin in ihrer Kammer. Vielleicht war es nur ein Zufall, doch falls es ein Wink der Götter war, wollte Saria ihn nicht beiseite gewischt haben. So bahnte sie sich einen Weg zu dem Rittersmann und sprach ihn kurzerhand an.
„Rondra und ihre elf göttlichen Geschwister zum Gruß! Ich hoffe, Ihr möget‘s mir verzeihen, wenn ich Euch einfach anspreche. Mein Name ist Saria von Lindholz-Hohenried, Ritterin von Bergund, einem Gut hier in Bragahn. Ich habe Euch hier noch nie gesehen und ich denke, Ihr wäret mir aufgefallen.“
Die Ritterin zögerte einen Herzschlag lang, als Geron von Bärenstieg ihr direkt in ihre laubgrünen Augen blickte. Warum hatte sie das nur gesagt? Röte schlich sich auf Ihre Wangen und sie nutzte das Wegwischen einer widerspenstige Haarsträhne, um den Blickkontakt zu unterbrechen, bevor sie weitersprach.
„Darf ich fragen, was Euch in unser schönes Land an der Zwergenpforte verschlägt? Steht ihr im Dienste des Barons? Oder seid ihr nur auf der Durchreise?“
“Natürlich dürft ihr fragen. Wie könnte ich einer Dame von Stand einen solchen Wunsch abschlagen. Erlaubt aber mich zuerst vorzustellen. Mein Name ist Geron von Bärenstieg. Leider bin ich Ritter von nichts. Ich befinde mich nur auf der Durchreise. Ich habe einige Zeit in den Nordmarken gedient, aber nun meine Schritte wieder in heimatliche Gefilde gelenkt. In der Tat bin ich und meine Schar auf der Suche nach einem neuen Auftraggeber. Als Zweitgeborener Sohn eines armen Wengenholmer Bergritters bleibt es leider nicht aus, dass ich mich für Sold verdingen muss.“
Geron lächelte Saria freundlich an. Ein schönes Gesicht, dachte er bei sich, und musste kurz an Andergast denken, schob den Gedanken aber hastig wieder beiseite.
Die Ritterin erwiderte das Lächeln des fahrenden Ritters mit ehrlicher Erleichterung. Die Götter schienen wahrlich mit ihr zu sein.
„Wenn es Euch nicht allzu sehr in die wengenholmsche Heimat drängt, hätte ich vielleicht einen Auftrag für Euch. Ich besitze keine Reichtümer, doch bin ich sicher, dass wir uns auf eine angemessene Bezahlung einigen können. Gerne kann ich Euch Genaueres erzählen, doch würde ich es vorziehen, wenn wir dafür einen Ort aufsuchen, an dem man in Ruhe sprechen kann. Vielleicht im „Zum Grünen Haus“ drüben in der Seegasse? Nur so viel möchte ich jetzt schon sagen: Ihr würdet mir wahrlich aus einer Notlage helfen. Was sagt Ihr?“
„Selbstverständlich werde ich mir anhören was ihr zu sagen habt“, erwiderte Geron knapp und schritt mit Saria zum benannten Gasthaus. Die beiden würfelspielenden Bewaffneten bemerkten den Weggang ihres Ritters, doch setzten sie ihr Spiel fort. Sie tauschten lediglich einen vielsagenden Blick aus.
Kurz darauf saß man in der Wirtschaft gegenüber des mit grünen Ziegeln gedeckten Gemeinschaftshauses der Handwerker zusammen. Becher und ein Krug guten Bieres standen auf dem hellen Holztisch, an dem man sich eingefunden hatte. Die Ritterin hatte vorgeschlagen, sich in eine der zahlreichen Nischen zurückzuziehen, in der sonst die Handwerksmeister ihre Geschäfte zu besprechen pflegten und dort berichtete sie, was in Bergund vorgefallen war.
„Unter anderen Umständen hätte ich vielleicht angenommen, dass es sich nur um einen unglücklichen Zufall gehandelt hätte. Es ist schließlich nicht auszuschließen, dass einem Flößer das Floß auseinandergebrochen ist, mit welchem er Holz aus den Bergen die Warna hinunterschicken wollte. Jedoch gab es schon zuvor einige Ereignisse, die mich misstrauisch gemacht haben“, erklärte Saria von Lindholz-Hohenried und trank einen Schluck, da ihr der Kehle trocken zu werden drohte.
„Zuerst wurden die Wagen überfallen, die die erste Ladung Steine für den Brückenbau transportierten. Ich habe mich damals sehr geärgert, da ich einen sehr guten Preis hatte aushandeln können, aber gleichzeitig habe ich mich auch gefragt, wer denn ausgerechnet Steine rauben würde. Und jetzt, am 6. Ingerimm, als ich den Handwerkern frei gegeben hatte, damit sie das Fest der Braumeister hier in Bragahn genießen können, brach eine heftige Schlägerei aus. Alle haben mir bestätigt, dass man völlig grundlos auf sie losgegangen wäre.“
Die braunhaarige Ritterin strich sich über die Stirn, als wolle sie die Sorgen auf diese Weise aus ihrem Denken wischen. Dann heftete sie ihren Blick wieder auf Geron und fuhr fort:
„Deshalb bin ich ein Stück die Warna hinaufgeritten, und tatsächlich habe ich Fuß- und Schleifspuren gefunden, die auf mehrere Menschen und drei Kaltblutrössern hindeuten. Offenbar hat irgendwer die Stämme gezielt nur einige hundert Schritt von der Baustelle entfernt ins Wasser gelassen.“
Sarias ballte in hilfloser Wut die Hand auf dem Tisch zur Faust.
„Diese Verbrecher haben das Leben der Handwerker in ernstliche Gefahr gebracht. Armhilde hatte wirklich Glück, dass sie nur einige Tage im Bett liegen muss und nicht für immer unter der Erde. Alleine deshalb kann ich diesen Schurken keinesfalls verzeihen und muss ihren Untaten ein Ende setzen! Gerne würde ich die Spuren verfolgen, doch mir fehlt es an Leuten. Wenn ich Bergund und die Baustelle nicht unbewacht lassen möchte, müsste ich alleine ausziehen. Doch da es sich um eine richtige Bande zu handeln scheint, kann ein Einziger unmöglich gegen sie bestehen. Deshalb benötige ich Eure Hilfe!“
Mit ernsten Augen blickte sie den wengenholmer Ritter an. Geron hatte den Ausführungen Sarias aufmerksam gelauscht. Sein Gesicht war beim Bericht der Bergunderin immer ernster geworden.
„Es scheint, als hättet ihr eine ganze Bande Schurken gegen euch. Selbstverständlich werde ich euch mit meinen Leuten unterstützen. Neben mir habe ich noch sechs Waffenknechte bei mir. Allesamt sind sie erfahrene und zuverlässige Leute und haben mir schon in so mancher Notsituation beigestanden. Meine eigene Armut zwingt mich aber, Sold zu verlangen. Wäre ich der Herr eines Gutes, würde ich euch natürlich so beistehen, aber der Solddienst ist der einzige Weg, um mich und die meinigen zu ernähren.“
Geron war die Frage nach dem Sold ziemlich peinlich, und so einigte man sich auch recht schnell auf eine vernünftige Summe. Auch hakte Geron nach um Details heraus zu finden, etwa wie viele Angreifer die Steinlieferung überfallen hatte. Man einigte sich, noch am selben Tag aufzubrechen, um dann in den späten Abendstunden Bergund erreichen zu können.
Geron hatte es auf einmal sehr eilig, seine Leute zusammen zu suchen. In seiner Herberge umringten die vier Männer und zwei Frauen aus seinem Gefolge Geron.
„Wir haben einen neuen Auftraggeber“, verkündete Geron ohne Umschweife. „Die Ritterin Saria sucht unsere Unterstützung, um einen Brückenbau abzusichern. Anscheinend hat es jemand darauf abgesehen, das Projekt zu sabotieren. Sie haben gar eine Warenlieferung überfallen.“
„Das sollen sie nur versuchen wenn wir dabei sind“, knurrte einer der Männer, und der Rest der Gruppe grinste zustimmend.
„Dann ist es also abgemacht. Wir brechen in einem Stundenglas auf.“
Die Ankündigung sorgte für hektische Betriebsamkeit, doch viel hatten die Wengenholmer letztlich nicht zu packen, und so waren sie bald abmarschbereit.