Wolfsjagd im Wengenholmschen

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Ausgabe Nummer 26 - Efferd 1023 BF

Wolfsjagd im Wengenholmschen

Erzählt in Worten des Jagdgesellen Janko Bunterlaub

Mit dem Wintergeweihten Firundal Treupfeil bin ich ausgezogen, um den Wolf zu stellen, der die Täler hier im Norden unsicher macht. Viele Geschichten haben uns die Bauern und Hirten erzählt, vom nächtlichen Geheule, wenn Mada rund am Himmel steht, und vom Nebel, der sich über die Täler legt und wie blind macht; und daß dann ein großer dunkler Schatten mit glüh‘nden Augen über die Höfe gehuscht sei, seine Beute aus den Schafhürden zu holen …

Alles hat Treupfeil angehört, vieles verworfen und manches geglaubt, während er abends an den Kaminen saß und seine Pfeife schmauchte. Mir hat er dann erzählt, daß im Weißen Buch, worin die Geschichten von der Langen Jagd aufgezeichnet sind, auch ein großer, grauer Wolf erwähnt wird, der die Länder heimsucht als grimme Prüfung für die Gläubigen. Er sei mächtig und stark, doch ein Einzelgänger, ohne Rudel, ohne Jagdgefährten.

Indem wir also den Erzählungen der Landleute wie einer Blutspur folgten, erkannten wir das Revier des Tieres. Drei benachbarte Täler waren’s, die über einen niederen Bergsattel leicht zu erreichen sind. Der wird aber schon seit Urzeiten Wulfenstieg geheißen, und hier irgendwo mochte auch unser Wild seinen Unterschlupf haben.

Endlich waren die Tage und auch Nächte wieder mild, nur auf dem Grund der tiefsten Schluchten und auf den Höhen der Berge hatte sich Firuns Gruß erhalten und glänzte silbern, wenn ein Sonnenstrahl durch die Wolkendecke brach. Wir wanderten zum Wulfenstieg, Meister Treupfeil schweigend, lauschend, sinnend, ich mit frohem Mute, glaubte ich doch, ein gutes Abenteuer zu erleben, von dem ich den andern Burschen in meinem Dorfe erzählen mochte. Warum der einsame Geweihte nun grade mich, Janko Bunterlaub aus Greinhag, mitgenommen, hat er mir nie verraten. Er mag etwas geahnt haben von dem, was geschehen würde, scheint mir...

Das letzte Zeichen menschlicher Behausung war der Hof des Bergbauern Barno auf der Ilmenheide, dem die Bestie in schwarzer Nacht zwei Schafe gerissen hatte — und das war noch nicht lange her, als wir zu seiner Kate gelangten. Unweit von den Ställen fand sich die Blutspur, und in einem weichen Flecken im Erdboden war auch der Abdruck eines wölfischen Laufes gut zu erkennen. Groß, tief, von einem alten, mächtigen Tier.

Ab nun tat uns Fang, der mächtige weiße Berghund des Geweihten, gute Dienste. Die Schnauze am Boden, dann wieder im Wind, der von den Bergen pfiff, folgte er der Fährte. Bald umfing uns erneut ein Wald, ein dunkler Tannicht, wie ich selten einen schaurigeren gesehen habe. Es schien mir sonderbar, daß selbst ein guter Spürhund der Fährte mit solcher Leichtigkeit folgen konnte, und ich teilte meine Gedanken auch Meister Treupfeil mit. Er sah mich nur schweigend an und nickte dann, was mir die Furcht nicht nahm. Im Gegenteil.

Über Stock und Stein ging’s, tiefer ward der Forst, tiefer, dunkler und unheilvoller. Keine Vögel sangen in den Wipfeln, keine Immen summten, obgleich das Jahr in seiner freundlichsten Zeit stand. Doch hier, im Herzen des Waldes, schien noch immer ein grimmer Winter zu herrschen, der die Zeit einfriert und das Leben in tauben Schlaf versetzt.

Wir kamen an einen Abhang, steil hinabfallend. Fünf Schritt unter uns rauschte ein Bergbach, brach seine ungestüme Wucht an Felsen und Wurzeln. Der Meister packte mich am Arm, deutete schweigend auf eine Eiche. Fang grollte. Dort, ja dort sah ich etwas, am Fuß der Eiche, im Schatten des Stammes: eine graue, tierische Gestalt, über die Wirbel des Wassers gebeugt und daraus schlürfend.

War’s der Wolf? — Treupfeil griff nach dem Bogen, er war weiß, schneeweiß, aus dem Bein eines mächtigen Tieres im hohen Norden geschnitzt. Tharazai, so hieß man ihn. Das war elfisch und meinte so viel als: Weißhorn, denn weiß wie Gletscher waren die Hörner des Bogens, und weiß wie Gletscher waren die Pfeile. Schon hatte Firundal angelegt, ohne Wanken zielte die Spitze zum Fuße der Eiche hinüber, die Sehne war zum Reißen gespannt. Der Wolf hob den Kopf, er sah zu uns herauf. Der Meister erwiderte den Blick, viele Herzschläge lang, dann ließ er den Bogen sinken, atmete schwer und fuhr sich mit der Hand über die Augen.

„Warum habt Ihr nicht geschossen, Väterchen?“ fragte ich verwundert und enttäuscht.

„So darf es nicht sein!“ orakelte er dumpf. „Wir müssen uns anders messen. Und nun komm!“

Wir stiegen, ohne ein weiteres Wort zu sagen, an einer Mulde zum Ufer hinab und querten den Fluß unweit der Stelle, wo der Graue uns so ein prächtiges Ziel geboten hatte. Deutlich waren im Ufersand die Abdrücke zu sehen und bewiesen, daß es kein Traum gewesen war. Ich atmete auf: wenigstens schien es ein Wesen aus Fleisch und Blut zu sein, kein Geist, kein Dämon — und doch: es hatte etwas Überderisches an sich gehabt, einen Blick, der den großen Jäger Treupfeil zaudern ließ.

Der Geweihte mußte meine Gedanken erraten haben, er sagte in leisem Ton: „Es ist ein besonderer Wolf“, was auch immer das heißen mochte.

Die Fährte war kaum zu übersehen, als wäre sie absichtlich so gelegt worden, daß wir Menschen ihr folgen konnten. Fang wurde jedoch immer zögerlicher. Einmal war es mir, als sähe ich einen schwarzen Schatten durchs Unterholz huschen.

Schließlich gelangten wir in eine Schlucht, eher eine Klamm, eng, dunkel und steil. Nur wenige hundert Schritte weit grub sie sich in den Felsen, an ihrer Stirn ragte der Berg in die Höhe. Einen Ausgang gab es nicht.

„Er sitzt in der Falle“, frohlockte ich. „Dank dem Weißen Jäger!“ „Er ist zuhause“, antwortete Treupfeil und machte an einem groben Findling halt. Dort befreite er sich von allem, was ihm zur Last war: sein Beutel, sein Köcher, sein Bogen, sein Mantel. Er reichte mir Tharazai mit den Worten: „Bewahre ihn gut, bis ich wiederkomme. Denn von hier ab muß ich alleine gehen.“

So nahm er seinen hölzernen Speer in die Rechte und den Jagddolch in die Linke und schritt aufrecht in die Klamm. Der Hund folgte. Ich wollte noch fragen, warum er nicht den Bogen nehme, den Bogen, der noch nie gefehlt! Aber da war er schon verschwunden, und ich war allein.

Ich setzte mich wartend auf einen Stein. Wolken zogen vor Praios‘ Antlitz, und mit einem Mal war es dunkel und kühl. Da kam mir in den Sinn, zum Weißen Jäger zu beten und seine Hilfe für Meister Treupfeil zu erflehen. Doch es gelang mir kaum, meine Sinne darauf zu lenken, denn allenthalben wurde ich durch ein Knacken im Gehölz aufgeschreckt, verfiel in den Wahn, der Wolf könne mit einem Male in meinem Rücken lauern...

Stunden mochten vergangen sein. Von Meister Firundal war kein Zeichen zu vernehmen. Es dunkelte, und ich beschloß, im Schutze des Findlings ein Feuer zu entfachen. Die Funken sprangen freudig ins Reißig, und bald flackerten die roten Zungen aus den Scheiten. Aus Hunger und Langeweile begann ich, ein Stück Fleisch aus unserem Proviantbeutel an einem Stecken über der Glut zu braten. Während meine Augen gebannt den Fettperlen folgten, die aus der Schwarte sich lösten und unter Zischen auf den Kohlen verdampften, spürte ich, daß ich nicht alleine sei. Ich hob den Kopf, gewiß, den Jäger mit seiner Beute zwischen den Bäumen hervortreten zu sehen.

Da stand der Wolf. Ein dunkler Schatten, doch unverkennbar. Er hechelte, die Zunge hing aus dem Maul, bald kalbsgroß schien er und schwärzer als Angbars Zinnestollen.

Ich griff zum Bogen. Noch nie hatte ich Tharazai berührt. Für einen Herzschlag lang überkam mich scheu, die Waffe zu spannen. Dann glitt mein Blick den schlanken Leib des Pfeils entlang, der weiß schimmernd wie ein Mondstrahl in der Sehne lag. Seine Spitze tanzte über dem Kopf des Wolfes.

Der Schuß war wie ein Singen. Das Lied klang in meiner Seele nach, noch als ich aufgesprungen war und zu der Stelle lief und einen Körper vorfand, bebend, in den letzten Zügen, der Pfeilschaft ragte noch aus dem Hals, das Fell war an der Stelle rot getüncht und nicht mehr weiß, denn weiß war Fangs Fell, und vor mir lag Fang, der Hund des heiligen Jägers Firundal Treupfeil.

Da tönt ein Heulen durch die Nacht, lang, grauen voll. Es klingt wie Spott. Ich nehme meine Beine in die Hand und laufe. Nichts als Köcher und Bogen trage ich bei mir, meine Arme und Beine und Wangen sind zerkratzt von den Krallen des Waldes, als ich irgendwann mit heiserem Krächzen aus dem Dunkel hervortrete und zwei menschlichen Gestalten in die Arme sinke, die bei meinem Anblick scheu zurückweichen wollen.

Als ich aus meiner Ohnmacht wieder erwache, liege ich hier auf dem Lager eines Bergbauern, und nur langsam will mir die Furcht aus den Gliedern weichen. Von Meister Treupfeil hat man nichts gehört und gesehen …

Aufgezeichnet auf Geheiß der Gräfin Wengenholms, gleich nebenstehendem Aufruf zur Kundmachung im Kosch-Kurier verfügt.