Dreister Einbruch in Steenback - Das Blatt wendet sich

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Zwischenwasser, 1033

Gidiane, Rijk und Streitbald hörten den Schrei des Geblendeten. Sofort trieb der Ritters seinem Tier die Fersen in die Weichen und trieb es den Waldweg hinab, doch als er kaum zwei Minuten später den Kampfplatz erreichte, gab es für ihn nichts mehr zu tun, als sein Pferd zu zügeln und aus dem Sattel zu springen.
„Na, da habe ich mich wohl vergeblich beeilt!”
Er grinste und nickte Halmar von Sindelsaum anerkennend zu. Man sah dem Knappen an, wie viel ihm dieser Sieg bedeutete, und das wortlose Lob des Ritters tat sein übriges. Mit einem kurzen Blick musterte er die Wunden der Frau, doch diese waren wohl nur schmerzhaft, aber keinesfalls lebensgefährlich, wenn sie behandelt wurden.
Auf den blonden Kerl, der vom Magier am Boden gehalten wurde, warf er ebenfalls einen kurzen Blick, doch was auch immer diesen getroffen hatte, war wohl verflogen – völlig verwirrt starrte er auf seine Finger, als sehe er sie zum ersten Mal, rieb sich immer wieder die Augen, lachte zwischendurch erleichtert, als sei ihm eine schwere Last von der Seele gefallen.
„Sie hielten uns an und verlangten unsere Habe”, erklärte der Magus und deutete mit dem Stab auf den am Boden sitzenden. ”Glücklicherweise konnte ich uns durch Anwendung eines einfachen, aber effektiven Spruches das Überraschungsmoment sichern. Das Ergebnis seht Ihr ja!”
Streitbald nickte, auch wenn er nicht alles verstanden hatte, hob eine der hervorragend gepflegten Klingen vom Boden auf, die wohl die beiden Wegelagerer geführt hatten, und packte den vor ihm hockenden Mann am Kragen, hielt ihm den Stahl vor die Nase.
„Von wem habt ihr diese Waffen?” herrschte er ihn laut genug an, dass auch seine stöhnende Gefährtin es verstehen konnte.
Der junge Wegelagerer schluckte trocken, als Streitbald seine Stimme erhob. Sein Kehlkopf hüpfte hektisch auf und ab.
„Ich... Herr, ich weiß nicht...” stöhnte der sich am Boden windende Mann. Gerade wollte Streitbald zu einer passenden Antwort mit dem Eisenhandschuh ansetzen, als eine eisige Frauenstimme hinter ihm im barschen Befehlston zischte: „Waffen weg oder ich schlitze der Schlampe hier die Kehle auf!”
Wie von der Maraske gestochen drehten sich Streitbald, Rijk und die beiden Halmars um. Hinter ihnen standen zwei düstere Gestalten auf dem schmalen Waldweg und blockierten ihnen den Rückweg. Die größere der beiden Personen war in ein geschwärztes Kettenhemd gehüllt und hielt in ihrem linken Arm die hilflos strampelnde Gidiane in eisernem Griff. Die rechte Hand führte einen seltsam geflämmten Dolch, der drohend an den Hals der Geweihten gepresst war.
Die andere Person hatte ein Tuzakmesser gezogen. Beide Gestalten hatten ihre Gugeln tief ins Gesicht gezogen, sodass man nur Schatten darunter erkennen konnte. Wie sie sich mit dieser Ausrüstung so leise von hinten anschleichen und Gidiane in ihre Gewalt bringen konnten, war rätselhaft.
Wie gelähmt schaute Rijk auf das Tuzakmesser. Eine schöne Klinge. Die Schneide scharf und sie funkelte sogar im kargen Sonnenlicht. Dafür gab es gutes Silber. Auf jedem Markt.
Aber erst der geflämmte Dolch. Eine dieser Ritualwaffen, schoss es Rijk durch den Kopf. Wo hatte er eine solche letztmalig gesehen? Er versank in Gedanken und in eine seltsame Starre...
Der Mann mit dem Tuzakmesser erhob in sanftem Plauderton seine Stimme, der man die darpatische Herkunft anmerkte: „Verehrter Herr Magister, ich muss euch bitten, eure Zaubertricks an anderer Stelle vorzuführen. Wir möchten doch alle nicht, dass diese Sache hier hässlich ausgeht, nicht wahr?”
Der Angesprochene hätte vor Wut auf den Boden stampfen können. Eben noch waren sie in Überzahl gewesen, plötzlich hatten die Räuber wieder die Oberhand! Und vier auf einen Schlag ausschalten konnte er nicht, ganz davon abgesehen, dass der effektive Blitz-Zauber nun keinen mehr überrumpeln würde.
„Keine Sorge, ich bin ganz ruhig“, antwortete er. Eins war ihm klar: Solange die Geweihte eine Klinge am Hals hatte, würde er nichts probieren. Er hatte bereits heute viel Kraft angewandt, um ihren Großonkel zu retten. Ein zweites Mal würde ihm das so schnell nicht gelingen. Und Tote konnte er schon gar nicht heilen...
Resignierend blickte er zu seinen Gefährten, doch dann wandte er sich noch einmal den Bewaffneten zu.
„Ihr werdet Euch doch nicht an einer Geweihten versündigen? Mord an einem Götterdiener bringt Euch schlimmere Strafen, als Ihr Euch hier auf Dere vorstellen könnt!“
Wenn Halmar vom Kargen Land gehofft hatte, mit diesem Appell an das Gewissen der Geiselnehmer eine Verbesserung ihrer Lage zu erreichen, so wurde er bitterlich enttäuscht, denn außer einem spöttischen Lachen erntete er nichts.
„Glaubt nicht, dass ich die Strafe Eurer Götter fürchte, Zauberwirker”, spottete die Frau statt dessen. Halmar von Sindelsaum warf einen Seitenblick auf Streitbald Grobhand von Koschtal. Wollte der Krieger denn gar nichts tun außer herum zu stehen und die Finsterlinge böse anzustarren? Erst beim zweiten Blick bemerkte er, dass der Koschtaler mit den Zähnen knirschte, als koste es ihn größte Überwindung, nicht sofort loszuschlagen.
„Wir wollen nicht mehr Blut vergießen als unbedingt notwendig”, fuhr die Frau fort und gab dem Mann mit dem Tuzakmesser einen Wink. Dieser trat rasch vor, stieß der verwundeten Wegelagerin die Waffe ansatzlos in die Brust und zerrte dann den zweiten grob in die Höhe.
„Ihr werdet verstehen, dass wir uns nicht mit Verwundeten belasten können”, erklärte die Geiselnehmerin mit geheucheltem Bedauern, während der Körper der tödlich Verwundeten erschlaffte.
„Und jetzt entschuldigt uns! Dringende Geschäfte warten auf uns! Und wenn ihr uns folgen solltet”, für einen Moment drückte sie Gidiane den Dolch noch fester gegen die Kehle, „werde ich Ihro Gnaden zu einem Flug über das Nirgendmeer verhelfen!”
Rückwärts gehend, die Geweihte und den Wegelagerer mit sich zerrend, entfernten sich die Vermummten in das nahe Unterholz.
Streitbald rührte sich nicht von der Stelle, doch kaum, dass die vier außer Sicht waren, zog er seine Waffe, wobei er die Klinge zwischen zwei Fingern hindurch zog, damit kein Geräusch entstand. Aber noch ehe er Halmar von Sindelsaum bedeuten konnte, es ihm gleich zu tun, hörten sie das Brechen von Zweigen, als würde ein Körper in das Unterholz stürzen, und das laute Schreien der Geweihten.
Streitbald sauste los, wie von der Sehne geschnellt, rannte ohne jede Vorsicht in das Unterholz, der schmalen Schneise folgend, welche die Flüchtenden hinterlassen hatten.
Er musste nicht weit laufen, um den reglosen Körper am Waldboden zu finden. Gidiane kauerte zitternd daneben, ihr Gewand blutüberströmt, wortlos und mit bebenden Lippen. Das Herz des Kämpfer übersprang einen Schlag, ehe er erkannte, dass es nicht das Blut der Geweihten war, dass ihr Gewand besudelt hatte, sondern das des zweiten Wegelagerers.
„Seht nicht hin”, sagte er, als er Gidiane aufhalf und zur Straße zurück führte, wo er sie in Rijks Obhut ließ und mit den zwei anderen zum Leichnam zurück kehrte. Angewidert wandte Halmar den Blick ab. Besonders viele Tote hatte er noch nicht gesehen, und dies war die erste, der man den Kopf abgeschlagen hatte.
„Glatte Sectio zwischen fünftem und sechstem Halswirbel”, befand der Magus, nachdem er die Leiche einen Moment lang mit ausdruckslosem Gesicht untersucht hatte. „Und mir drängt sich der Verdacht auf, es nicht mit einer Bande daher gelaufener Strauchdiebe zu tun zu haben!”
Streitbald nickte kurz.
„Strauchdiebe nehmen keine Geweihten als Geisel!” stimmte er zu.
„Exakt. Und sie würden sich wohl auch nicht abfällig über die Zwölfe äußern. Auch der geflammte Dolch könnte eine Ritual- oder Symbolwaffe sein, sofern dieser nicht zur Beute aus Gut Steenback gehörte!”
Der Magus blickte in das Unterholz, doch dort war von den zwei Mördern nichts mehr zu sehen.
„Was würdet Ihr uns raten, Magister?” fragte Streitbald nach einigen Sekunden betretenen Schweigens. Halmar vom Kargen Land strich sich kurz über den Bart, als müsse er die Antwort erst abwägen.
„Vorsichtiger zu sein”, meinte er dann. „Und, falls wir die Zeit dazu haben, Hilfe der Obrigkeit holen. Unsere Gegenspieler schrecken offenbar vor nichts zurück, das haben sie hinlänglich bewiesen. Ich bin nicht sicher, ob wir allein dieser Gefahr gewachsen sind!”
„Einfach hier stehen bleiben können wir auch nicht”, fuhr Halmar von Sindelsaum auf. „Mit jeder Sekunde wächst der Vorsprung dieser...”
Streitbald machte eine beruhigende Geste in Richtung des Knappen, dessen Wut und Ohnmacht er gut nachvollziehen konnte.
„Wir werden ihnen weiter folgen, aber der Magister hat recht – wir müssen vorsichtiger sein, dicht zusammen bleiben, Augen und Ohren offen halten. Und wenn wir die Gelegenheit haben, Hilfe zu holen, werden wir sie wahrnehmen. Aber jetzt müssen wir ihnen trotzdem nach, sonst haben sie Zeit, ihre ohnehin dünne Spur vollends zu verwischen!”