Graf Helkor spurlos verschwunden

Aus KoschWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen


Kosch-Kurier36-.gif

Ausgabe Nummer 40 - Ingerimm 1028 BF

Graf Helkor spurlos verschwunden

Ist der Herr des Schetzeneck tot?

KOSCHTAL. Der gute Stern des Hauses Bodrin ist erloschen, Leid und Unglück herrschen auf der Feste Götterzahn: Graf Helkor Tränenherz von Bodrin, der Gramerfüllte, ist verschollen — oder sogar tot. Seine Leiche aber wurde nicht gefunden, ebenso fehlt der gräfliche Siegelring. Das Schwert jedoch, welches seit vielen Generationen in der Familie weitervererbt wird, liegt nach wie vor im gräflichen Gemach.

Dies alles ist rätselhaft, und keiner vermag Genaueres über das Schicksal des Grafen zu sagen. Freilich wurden Suchtrupps ausgeschickt, die nach dem Verbleib Herrn Helkors forschen sollten, vor allem die Ufer und Wasser des Sylbrigen Sees wurden von Dutzenden Tauchern untersucht; auch sandte man Botenreiter zu allen Nachbarn und Vasallen und natürlich zum Fürsten nach Fürstenhort — doch ohne Ergebnis.

Offiziell wurde Herr Helkor noch nicht für tot erklärt, sondern gilt zunächst als verschollen. Seine Tochter, Komtess Iralda, hat sich indessen in Meditation und Gebet zurückgezogen und scheint nicht bereit zu sein, die Nachfolge ihres Vaters anzutreten. Der Grafensitz zu Koschtal steht darum leer und verwaist.

Zum letzten Mal wurde der Graf am Abend des 4. PER von Angehörigen des Hofes gesehen, als er schweigend vom Rittersaal hinauf in sein Gemach ging. Was in den nächtlichen Stunden danach geschah, ob der Graf freiwillig aus dem Leben schied, ob es ein Unglück — oder gar, die Zwölfe behüten, ein Verbrechen — gab, oder ob der Graf noch unter den Lebenden weilt, entzieht sich unserer Kenntnis. Wir wollen darum die Aussagen einiger Zeugen wiedergeben, damit sich der geneigte Leser selbst ein Bild machen kann.

Gelphart Phexwurf, Kammerdiener des Grafen

„Traurig und müde wirkte der Herr Helkor ja schon seit langem, doch nach dem Tode seines Sohnes und seines Eidams 1 schien er mir auch die letzte Lebensfreude verloren zu haben. Die Geburt seines Enkels2 riss ihn noch einmal aus dem Gram, zumindest schien es uns allen so, denn am Wiegenfest saß er an der großen Tafel und hob den Krug viele Male zu einem frohen Trinkspruch. Aber bald danach versank er wieder ins Grübeln. Was ihm durch den Sinn ging, vermag wohl keiner zu sagen, denn er sprach nie mit jemandem darüber — mit der Komtess nicht und auch nicht mit mir, der ich doch seit fünfundzwanzig Jahren ihm Tag für Tag aufwarte und diene. Manchmal sagte er tagelang kein Wort oder nur das Allernötigste, dass ich ihm dieses oder jenes bringen solle. Meist waren die Komtess und ich die Einzigen, die überhaupt Zutritt zu ihm hatten — und an manchen Tagen die Medica, wenn sie ihn zur Ader lassen sollte. Man sagt ja, dass so ein Aderlass die bösen Säfte aus dem Körper treibt und Platz für frische Lebenskräfte macht, aber dem Herrn Helkor hat es nicht geholfen. Und dann gab es Tage, da war die Tür seines Gemachs verschlossen, und selbst auf mein Klopfen hin — etwa wenn ich ihm das Frühmahl oder den Schlaftrunk bringen wollte — öffnete er nicht. Sorgen machten wir uns natürlich, aber niemand ahnte, dass er selbst... Ich meine: Er ist nicht auf und davon geritten, wie manche sich erzählen. Ich schlafe schließlich in der Kammer vor seiner Tür und hätte es bemerkt — außerdem: Der Graf von Schetzeneck schwingt sich nicht einfach auf Nimmerwiedersehen aufs Ross und reitet von dannen wie ein junger Glücksritter. Ich fürchte, er ruht nun in den stillen, kühlen Fluten des Sylbrigen Sees, der arme, alte Graf. Boron sei ihm gnädig.“

Alerich Knurrbart, ein Fischer aus Koschtal

„Ich war ja fast dabei, als er gesprungen ist, da bin ich mir ganz sicher! Das ist nämlich so: Jeden Tag vor Morgengrauen fahren der Jannek und ich raus auf den See zum Fischen, und wenn wir hoch schauen zum Götterzahn, dann steht da meistens schon der alte Graf... oder immer noch. Stundenlang, reglos, wie eine Statue, hat aufs Wasser geschaut oder nur so vor sich hin. Und dann, an diesem Perainemorgen... ein bisschen neblig war’s noch gewesen, da stand er auch wieder oben. Der Jannek hat noch hingezeigt und gesagt, schau nur, wie der Mantel vom Grafen im Wind weht. Dann haben wir die Netze ausgeworfen und uns nicht weiter darum gekümmert. Aber später gab es dann so einen Platsch, wie wenn was Schweres ins Wasser fällt... ein großer Stein, ein Holz — oder eben ein Mensch. Wir haben uns nicht viel dabei gedacht, das kann ja alles mögliche sein, aber später hörten wir, dass man von da ab den Grafen nicht mehr gesehen hatte. Das war dann wohl sein Sturz oder Sprung gewesen, den wir gehört hatten. Wenn wir’s gewusst hätten, wären wir natürlich hin gefahren, aber in Zwielicht und Nebel, da wären wir wohl ohnehin zu spät gekommen.“

Barbescha, Tochter der Balda, Wirtin

„Das war genau an dem Tag, als der Graf verschwunden ist. Da war ich vor der Stadt Wurzeln suchen für meinen Hauseintopf. Und da habe ich diesen Reiter gesehen, der kam mir gleich ein wenig seltsam vor. Trug einen grauen Mantel und hatte die Kapuze überm Kopf, dass man sein Gesicht nicht sah. Aber ein schönes Pferd war’s, das er hatte. Ist den Grevensteig hoch Richtung Rhôndur. Aber vorher hat er noch einmal gehalten und sich zur Stadt umgeschaut und lange hingeschaut, so wie einer, der für immer Abschied nehmen will. Das war bestimmt der Graf, er sah ihm auch ziemlich ähnlich, wenn ich mich nicht täusche.“

Ludger Grauenfels, Bediensteter

„Wir saßen in der Gesindestube und spielten Schnickeln. Nach einer Stunde musste der Beppo mal austreten; als er zurückkam, meinte er, er hätte was gesehen. Da wäre jemand an der Mauer hochgeklettert. Natürlich haben wir nachgeschaut, aber da war keiner, und auch kein Seil. Beppo, du spinnst ja, hab’ ich gesagt, und er hat gemault, dann aber Ruhe gegeben. Später ist er noch mal raus, um ein paar Scheite Holz zu holen. Da will er wieder was gesehen haben. Diesmal soll einer runtergeklettert sein von der Mauer, an derselben Stelle wie vorhin. Aber ich hab’ ihm gesagt, da soll er selber nachschauen, oder noch besser, die Wache holen. Das hat er auch gemacht, und sie haben gesucht und geschaut. Ich bin dann auch noch hingegangen, weil ich schon dachte, sie hätten wirklich was gefunden. Aber da war nichts. Jetzt glaubt der Beppo selbst, dass er gesponnen hat. Aber nachdem die Sache mit dem Grafen bekannt wurde... ich meine, wenn da wirklich einer in die Burg gestiegen ist und den Grafen nachts und heimlich... das wäre ja...!“

1 Siehe Kosch-Kurier 39, S.4

2 Im Firunmond hatte Komtess Iralda einem Sohn das Leben geschenkt, der im Gedenken an seinen verstorbenen Vater und Onkel die Namen Throndwig Beregon erhielt.

Karolus Linneger