Fürstliches Ritterturnier zu Angbar 1041 - Von einer, die auszog, das Scheitern zu lernen

Aus KoschWiki
Version vom 2. April 2022, 15:41 Uhr von Kunar (D | B) (Textersetzung - „[[Jahr ist::“ durch „[[Briefspieltext mit::“)
(Unterschiede) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschiede) | Nächstjüngere Version → (Unterschiede)
Zur Navigation springen Zur Suche springen


Brodilsgrund, 9. Rondra 1041, Ringstechen am Mittag

„Das wird nichts!“

„Sei ruhig, alter Schwarzmaler! Wie kannst du so was nur sagen?“

„Weil ich es sehe.“

„Du hättest sie gestern sehen sollen. Dann würdest du jetzt nicht so einen Stuss von dir geben.“

„Stuss? Meinst du?“

„Sie kann das richtig gut!“

„Sagt wer?“

„Ich!“

„Und seit wann hast du Ahnung vom Lanzenreiten?“

„Aardor sagt das auch! Ist doch so?!“

Satijana lächelte amüsiert. Schweigend beobachtete sie, wie sich der Blick ihres Schwagers Bärfang vom Gesicht ihres Gatten löste und stattdessen auf das des jüngeren Vetters richtete. Oder was man halt so Vetter nannte, wenn man ein Rauheneck war. Sie wusste mittlerweile, dass der Bärwaldener keinesfalls in direkter Linie mit den Sichlern verwandt war. Aber Vetter welchen Grades sie darstellten – dahinter war sie noch nicht gekommen. Würde es vielleicht auch nie.

„Japp, ich sage das auch“, meinte Aardor und nickte.

„Im hintersten Winkel des Feldes, wo ihr niemand als die eigene Familie zusieht, mag das ja gelten. Aber das hier ist etwas anderes.“ Widderich ließ den Blick vielsagend über den Brodilsgrund gleiten, der jetzt schon aus allen Nähten zu platzen schien. Und das, wo es doch gerade einmal um den Vorentscheid im Ringstechen ging.

Satijana begriff sofort, worauf er hinaus wollte, und sah neugierig zu Rossgilda hinüber. Das Mädchen saß auf dem Rücken seines Pferdes wie ein Schluck Wasser in der Kurve und traute sich nicht, den Kopf zu heben, um wenigstens einen vagen Eindruck vom Platz und dem Publikum zu gewinnen. Sie wirkte blass, ängstlich ... irgendwie überfordert. Und Satijana bekam sofort Mitleid. Rossgilda war noch nie besonders extrovertiert gewesen. Sie hielt sich lieber im Hintergrund und bekam schon hektische rote Flecken im Gesicht, wenn sie vor größeren Gesellschaften etwas sagen sollte. Wie viel schlimmer musste das nun für sie sein?

„Das ist doch egal“, meinte Bärfang hingegen. Klar meinte er das, er hatte ja keine Ahnung, was es bedeutete, sich nicht in jeder Lebenslage als König der Welt zu fühlen. „Sie kann es im hintersten Winkel, warum sollte sie es nicht auch hier können?“

„Weil sie Angst hat“, entgegnete Widderich schlicht.

„Angst?“, Bärfang lachte auf. „Wovor denn bitte? Die Ringe schlagen doch nicht zurück.“

„Davor, ihren Schwertvater und ihre Ausbilderinnen zu enttäuschen und an ihrem eigenen Anspruch zu scheitern.“

„Ach Quatsch!“, Bärfang schüttelte den Kopf und wollte noch etwas ergänzen.

Doch just in dem Moment ließ Rossgilda ihre Stute antraben und dann in Galopp fallen. Satijana kannte sich mit alledem nicht gut aus. Weder war sie eine brauchbare Reiterin noch hatte sie je eine Lanze geführt. Aber selbst sie sah, wie die Spitze der Holzstange zitterte, weil Rossgildas Hand es eben tat. Sie sah auch, dass das Mädchen die Waffe zu früh senkte und sie deshalb zu weit nach unten rutschte, bevor der erste Ring erreicht war – den die junge Reiterin aber eh nicht im Blick hatte, weil der an irgendetwas im Publikum hängengeblieben war.

Schon rauschte die Lanze unter dem ersten Ring hindurch und dann, nach einer hektischen Korrektur, oben über den zweiten hinweg. An der Stelle wandte sich Satijana ab. Nach den ersten beiden Akten der Tragödie hatte das Gesicht der Knappin bereits so entsetzt gewirkt – mehr wollte sie nicht sehen. In diesem Falle reichte es ohnehin zu hören. Bärfangs ungläubiges Schnauben, das fast schon schmerzerfüllte Stöhnen Aardors und schließlich das leise Raunen, das durchs Publikum ging.

Als Satijana sich dem Geschehen auf dem Feld wieder zuwandte, saß Rossgilda zwar immer noch auf dem Pferd. Das war aber die einzige gute Nachricht: Ihre Schultern hingen, der Kopf war nun puterrot vor Scham statt blass vor Anspannung und die Lanze wurde von gerade einmal zwei Ringen geziert. Es war ein wirklich trauriges Bild des Scheiterns, das sich da bot. Und der Anblick schmerzte sie.

„Ich gehe zu ihr“, raunte Satijana, ohne zu überlegen. „Sie braucht Rückhalt!“

„Lass nur“, zur ihrer Überraschung war es ausgerechnet Widderich, der das sagte und seine Hand auf ihre Schulter legte, um sie zu stoppen. „Ich mache das. Ich schätze, ich weiß besser, wie sie sich jetzt fühlt. Und welche Worte es braucht, um sie wieder aufzubauen.“

Damit setzte er sich in Bewegung, bahnte sich seinen Weg durch das Publikum – und sie sah erstaunt hinterher.