Eine Brücke zu (zer)schlagen - Käse und Herz
Teil der Briefspielgeschichte "Eine Brücke zu (zer)schlagen"
Wein und Pläne | Reim und Röhricht |
Baronie Bragahn nahe der Warneburg, vier Tage nach dem Unglück am Warnaufer, Ingerimm 1035
Wieder einmal rumpelte es heftig, als der Wagen in eines der Schlaglöcher sackte, von der die Straße vom Roterzpass nach Bragahn mehr als genug anzubieten hatte. Kräftiges Sonnenlicht warf die Schatten eines dichten Blätterdaches auf den beigen Stoff, der als Plane über das Gefährt gebreitet war. Sogar hier unter der Plane konnte Saria das Spiel von Licht und Schatten deutlich beobachten, während die Äste über ihr dahinzogen.
Riss das Blätterdach einmal für längere Zeit auf, wurde es schnell unangenehm warm unter dem groben Gewebe. Die Ritterin machte sich lieber keine Gedanken darüber, wie einsatzbereit sie wohl wäre, wenn der Angriff dieses Mal erst kurz vor Bergund erfolgen sollte, nachdem sie bereits mehrere Tage durchgerüttelt und verschwitzt in ihrem eingeengtem Versteck verbracht hatte.
Da die Wagen, die die Steine transportierten, nicht abgedeckt waren, hatte man extra für diesen Zweck ein weiteres Gespann in den Zug aufgenommen. Nun lag Saria neben Geron von Bärenstieg, sein Gesicht keine zwei Spann von dem ihren entfernt. Die Lage entbehrte dennoch jedweder Romantik. Dafür sorgten nicht nur die harte Ladefläche, auf der sie hingebungsvoll durchgeschüttelt wurden, oder die Rüstungen, in die sie gekleidet waren. Am hinderlichsten war mit Sicherheit der penetrante Käsegeruch, der den gesamten Raum unter der Plane durchzog. Kräftige gelbe Laibe aus Kuh- und fahlere aus Ziegenmilch türmten sich rechts und links von den beiden Adligen ebenso wie zu ihren Füßen. Mehrere Kiefernholzbretter waren das einzige, was sie von der geruchsintensiven Fracht trennte. Diese verhinderten aber wenigsten, dass die Käse sich bei heftigeren Bewegungen über sie ergossen.<br.>‚Solange wir diese Missetäter stellen können, ist das jeden Preis wert!‘ rief sich Saria ins Gedächtnis und warf ihrem Begleiter ein ermutigendes Lächeln zu.
Da Nase und Augen ihr derzeit wenig dienlich waren, konzentrierte sich die Ritterin auf ihre Ohren. Seit kurzem glaube sie das Gurgeln von Wasser zu vernehmen, das in einem steinigen Bett dahinfloss. Saria nahm an, dass es sich um das Bächlein Schleife handelte. In dem Fall konnte es nicht mehr sehr weit bis zur Warneburg sein, wo man eine Rast einlegen wollte.
Man hörte das Wasser gurgeln und spritzen, als der vorderste Karren durch den Bach rumpelte, und Geron und Saria bereiteten sich darauf vor, wieder einmal durchgeschüttelt zu werden. Mit einem Mal gab es jedoch einen Ruck und der Wagen kam zum Stehen. Die Köpfe der beiden Ritter knallten zusammen, als von draußen Rufe zu hören waren. Sofort waren Geron und Saria hellwach. Der Schmerz und die Unbequemlichkeiten der letzten Stunden waren wie weggeblasen.<br.>Geron riss die Plane des Wagen auf und sprang, mit dem Schwert in der Hand, von der Kutsche herunter. Hastig versuchte er sich einen Überblick zu verschaffen, während er seinen Körper mit seinem Schild zu schützen suchte. Das Bild, das sich ihm bot, war nicht sonderlich beunruhigend. Vor ihnen, auf der anderen Seite des Bächleins, standen fünf verhüllte Gestalten. Sie alle hielten Speere, Schwerter oder Äxte in den Händen. Mehr Sorgen bereiteten ihm dagegen die beiden Armbrustschützen, die sich hinter zwei Bäumen offenbart hatten und die beiden Kutscher des ersten Wagen bedrohten.<br.>Hinter sich hörte Geron, wie sich Saria aus dem Wagen heraus schwang und seine vier übrigen Leute von den hinteren Wagen aufschlossen. Die Banditen schienen unsicher zu sein, wie sie mit der neuen Situation umgehen sollten. Geron versuchte, die Situation zu nutzen, und rief:<br.>„Ich bin Geron von Bärenstieg und dies ist Saria von Lindholz, getreue Ritterin des Herren dieser Lande. Lasst ab von eurem schändlichen Tun und legt eure Waffen nieder.“<br.>Wie um seine Worte zu unterstreichen zielten drei seiner Leute mit ihren Bögen auf die beiden Armbrustschützen, während der vierte sich an Gerons linker Seite positionierte und seine Schild erhoben hielt. Die beiden Männer auf der ersten Kutsche hatten sich, wegen der Armbrustschützen, nicht von ihrem Platz entfernt, aber beide hielten Streitäxte in den Händen und warteten angespannt auf die Reaktion der Räuber.
Die Wegelagerer zögerten, ob der selbstsicheren Worte des Rittersmannes verunsichert. Einer der Axtkämpfer schob den Fuß einen Spanne nach vorne, einer seiner Kumpane - ein bulliger, aber noch junger Kerl mit kurz geschorenem, kupferfarbenem Schopf - hingegen wich zurück; den Speer in Abwehrhaltung vor sich, als würde er jeden Moment mit dem ersten Schlag rechnen.<br.>"Ihr Anführer ist nicht hier", raunte Saria, die sich derweil in Gerons Nähe positioniert hatte, ihren Begleitern zu. Und tatsächlich schien keiner ihrer Opponenten sich in der Position zu fühlen, dem gesetzlosen Pack Anweisungen zu geben. So entschied alleine die Unsicherheit eines einzelnen über den Ausgang ihrer Situation, als sich der Rothaarige umwandte und die Flucht antrat. Wie auf ein Signal hin nahmen auch die übrigen Halunken die Beine in die Hand.
Mit Schrecken sah Saria, wie ihre Gelegenheit, die Wahrheit zu erfahren, zu zerbrechen drohte. Mit einem "Hiergeblieben!" auf den Lippen, stürmte sie vor. Und vielleicht war es gerade dieses leichtsinnige Ungestüm, welches ihr das Leben rettete, denn ein Bolzen jagte nur einen Hauch von ihrem ungeschützten Nacken entfernt in das Unterholz. Auch der zweite Armbrustschütze hatte seine Armbrust abgefeuert, um den Rückzug seiner Kameraden zu decken, doch ein Pfeil, der sich neben ihm in den moosbeckten Baumstamm bohrte, gerade als er die Armbrust abfeuern wollte, hatte ihn den Schuss völlig verreißen lassen. Im Augenwinkel konnte Saria sehen, wie er von einem weiteren Pfeil gefällt zu Boden ging. Sie wusste nicht, ob der Wegelagerer tot oder nur verletzt war, doch sie wollte es nicht darauf ankommen lassen und stürmte weiter dem Rotschopf hinterher.<br.>In seiner Panik hatte der junge Räuber einen für seine wuchtige Gestalt äußerst ungünstigen Fluchtweg gewählt. Er musste sich an manchen Stellen regelrecht durch das dichte Unterholz wälzen; ein Vorgehen, bei dem sich auch sein Speer als mehr hinderlich denn nützlich erwies. Die Ritterin hingegen konnte sich mit ihrer schlanken Gestalt fast ungehindert hinter dem Flüchtenden her bewegen.
Dennoch musste Saria sich beeilen: Ihre Rüstung war schwer und zog an ihr. Auf Dauer würde sie nicht mit dem leichter Gerüsteten mithalten. Zudem hatte sie ihr Schwert gezogen. Wenn sie auf dem unebenen Grund ins Straucheln geraten sollte, würde sie in ihre eigene Klinge stürzen, so Phex es nicht gut mit ihr meinte. Sie musste diese Jagd zu Ende bringen!<br.>Verbissen legte sie einen letzten Spurt ein. Ihre Gelegenheit kam, als der Strauchdieb auf eine Kehre des Bächleins stieß und für einen Augenblick befürchtete, im Kreis gelaufen zu sein. Der Rothaarige blickte sich um und riss die Augen erschrocken auf, als er die Ritterin hinter einer Grünerle hervorhechten sah.<br.>Kraftvoll stieß er den Speer nach vorne, doch seine Gegnerin schlug den hölzernen Schaft mit der Klinge zur Seite. Saria riss den Schild vor ihren Körper und rammte ihn gegen Brust und Kinn des Mannes, als sie im vollen Lauf gegen ihn anstürmte. Ächzend ging der Wegelagerer zu Boden und stürzte rücklings in das steinige Bachbett. Auch die Ritterin wurde mitgerissen und kam auf dem bulligen Kerl zu liegen.
Der schien aber noch lange nicht aufgegeben zu haben und begann, mit Saria zu ringen. Hier konnte er seine ganze Kraft ausspielen, und so dauerte es nicht lange, und er hatte sich aus dem Bach hochgekämpft und hatte sich auf Saria gerollt. Die Darpatierin wurde unter Wasser gedrückt, und schon begann ihr die Luft auszugehen, während sie noch versuchte, sich aus dem Griff des Schurken zu befreien. Ihr Schwert hatte sie schon lange verloren, und es gelang ihr in dem Getümmel auch nicht, ihren Dolch zu ergreifen.<br.>Mit einem Mal wurde der Wegelagerer jedoch von ihr weggerissen. Prustend kam ihr Kopf wieder nach oben, und Luft erfüllte ihre geschundenen Lungen. Es dauerte einige Momente, bis sie sich wieder gefasst hatte, doch dann erkannte sie, dass der Vogelfreie am Bachrand lag, während Geron ihn mit kräftigen Fausthieben traktierte. Jegliche Gegenwehr erlahmte, als zwei von Gerons Leuten herbei stürmten und dem Schurken ihre Waffen an den Hals hielten. Während einer der beiden Waffenknechte den Mann weiter bedrohte, begann der andere, ihn zu fesseln. Geron eilte derweil mit großen Schritten zu Saria und half ihr auf. Sorge war in seinem Gesicht zu sehen.<br.>„Seid ihr wohlauf? Als ich euch so im Bachbett liegen sah, fürchtete ich schon das Schlimmste.“
Die triefende Ritterin ergriff die ihr dargebotene Hand und ließ sich aufhelfen.<br.>„So leicht wird man mich nicht los. Dennoch: Habt Dank für Eure Hilfe. Ohne Euch hätte es schlecht um mich gestanden.“<br.>Sie schenkte Geron ein Lächeln, und dieser verbeugte sich galant. Dann wandte sich der Ritter seinen Mannen zu.<br.>„Packt den Kerl! Wir kehren zum Wagenzug zurück.“
Es dauerte nicht lange und die Handelsstraße war wieder erreicht. Gerade passierte eine Gruppe berittener Reisender aus Norden kommend den stehenden Handelskonvoi. Neugierig blickten die Frauen und Männer zu ihnen hinüber, als sie den Gefesselten aus dem Gebüsch heraus zerrten und wurden ihrerseits von Gerons Streitern nicht weniger im Auge behalten; befürchtete man doch, dass es sich vielleicht um einen weiteren Hinterhalt handelte. Doch alles blieb ruhig, und als die Fremden an der nächsten Biegung hinter dem noch hellgrünen Laub des Waldes entschwunden waren, entspannten sich alle sichtlich.
Geron von Bärenstieg ließ den Blick über seine Männer schweifen, doch keiner hatte auch nur einen Kratzer abbekommen. Dem feindlichen Armbruster war es jedoch nicht so gut ergangen.<br.>„Der rührt sich nicht mehr, Herr. Ein echter Blattschuss“, teilte man den Zurückgekehrten mit.<br.>„Wir nehmen seine Leiche mit“, entschied Saria, „hier an der Straße locken seine sterblichen Überreste am Ende noch Wölfe an, die dann irgendwelche Reisenden gefährden.“<br.>Geron konnte der ernsten Miene seiner Begleiterin nicht entnehmen, ob dies der wirkliche Grund ihrer Entscheidung war, oder ob sie am Ende doch Mitleid mit diesem Lump hatte. In jedem Fall erhob der Rittersmann keinen Einspruch und so luden seine Männer die Käselaibe auf einen anderen Wagen, um Platz für den leblosen Körper zu schaffen, den sie ohne viel Aufhebens auf die hölzernen Ladefläche verfrachteten.
„Dann wird es wohl Zeit, unseren Gefangenen zum Reden zu bringen“, verkündete die Darpatierin und blickte, die Lippen eng zusammengepresst, zu dem Rothaarigen herüber. Der gescheiterte Räuber hatte keinen weiteren Widerstand geleistet. Blut floß ihm aus der Nase und sammelte sich am Kinn, wo es sich zu Tropfen sammelte und dem Boden entgegenfiel. Auch die rechte Wange war nach dem Schlagabtausch mit Geron angeschwollen. Den Blick gesenkt und die Schulter kraftlos herabhängend, wirkte er trotz seiner bulligen Gestalt wie ein Häufchen Elend.
Geron trat dich an den Gefesselten heran und baute sich drohend vor ihm auf, während zwei seiner Leute hinter dem Gefangenen stehen blieben und eine seine Reisigen einen dicken Holzknüppel suchte.<br.>„Also, Bursche, du hast die Wahl. Rede aus eigenen Stücken, oder wir bringen dich zum reden.“<br.>Daraufhin trat er zurück, und seine Waffenmagd schwenkte drohend den Holzknüppel vor seinem Gesicht.<br.>„Wenn du redest, werden wir dich wohlwollend behandeln. Bisher sieht es sehr düster für dich aus. Wegelagerei und tätlicher Angriff gegen eine Adlige sind schwere Vorwürfe. Ich habe Männer schon für weniger gehängt.“<br.>Resigniert hob der gescheiterte Wegelagerer seinen Kopf und begann zu sprechen.
"Also gut, ich will alles sagen, so wahr mir die Zwölfe helfen."<br.>Bei der Erwähnung der Zwölfgötter sahen sich zwei von Gerons Leuten zweifelnd an. Dieser Kerl hier konnte wohl kaum auf den Beistand der Götter hoffen! Wenigstens brauchte er keine Ermunterung mehr, um zu sprechen.<br.>"Ich stamme aus einer Koscher Handwerkerfamilie. Früher trieben wir viel Handel mit Almada, doch als damals alle Pässe dichtgemacht wurden, verloren wir unseren Broterwerb. Unsere wenigen Ersparnisse waren schnell aufgebraucht, und so lebten wir von der Hand in den Mund. Die jungen und kräftigen konnten sich noch als Tagelöhner verdingen, aber viele wurden Bettler."<br.>"Du sollst hier nicht Deine Lebensgeschichte erzählen, sondern uns den Namen Deines Anführers nennen!"<br.>Einer der Männer stieß ihm mit der Faust gegen die Schulter, so dass der Bursche fast hintenüberfiel, aber die anderen hielten ihn fest. Der Gefangene wurde noch unruhiger, als er ohnehin schon war, und redete schnell weiter.<br.>"Selbstverständlich, aber ich sollte doch nichts auslassen! Da wollte ich schon erwähnen, warum einer wie ich solche Sachen macht. Es war nämlich so, dass eines Tages ein Kerl auftauchte, der meinen Freunden und mir guten Lohn bot, für einige, wie er sagte, ‚Spezialauftäge‘. Da habe ich nicht lange drüber nachgedacht und eingeschlagen. Schließlich brauchte ich, das heißt meine Familie, jeden Kreuzer. Zuerst waren es nur ein paar einfache Handlangerdienste. Wir mussten oft nachts irgendwelche Sachen auf oder von Booten verladen, weiter unten, wo die Warna in den Großen Fluss mündet. Naja, dass es wohl Schmugglerwaren waren, habe ich mir gedacht, aber wer sagt schon ‚nein‘ bei ordentlichem Geld in diesen Zeiten? Außerdem haben wir ja niemandem etwas zuleide getan."<br.>"Glaubt Ihr, dass das Eure Taten entschuldigt? Verbrechen bleibt Verbrechen, selbst wenn ich Eure Notlage bedauere. Und dass Ihr durchaus bereit wart, jemandem ein Leid anzutun, hat man ja heute gesehen", erwiderte Saria in harschem Tonfall.<br.>
"Ich weiß, ich weiß, dazu wollte ich gerade kommen, ehrlich! Vor einiger Zeit brachte Alerich, so nannte er sich nämlich, bei einer seiner nächtlichen Touren plötzlich Waffen mit. Er war ziemlich wütend und meinte, die hohen Herrschaften wollten ihm seinen Schmuggelplatz wegnehmen, für den er doch so hart gearbeitet hätte. Deswegen sollten meine Kumpanen und ich ein wenig Verwirrung stiften, dann würden die Herrschaften sich das noch einmal überlegen. Wir waren auch zuerst erschrocken wegen der Waffen! Aber Alerich meinte, da könnte gar nichts schiefgehen. Wir sollten nur die Fuhrleute ein wenig erschrecken. Aber wir sind doch keine Räuber! Naja, und da meinte einer von uns, da könnten wir doch besser die Brücke gleich einreißen, dann wüssten auch alle Bescheid. Äxte hatten wir ja, um die Bäume zu fällen, und Pferde hatte Alerich besorgt."<br.>"Moment mal, Freundchen, so aber nicht! Schließlich wurde zuerst eine Wagenlieferung Steine gestohlen! Außerdem war da noch diese merkwürdige Schlägerei Anfang des Monats!" warf Geron misstrauisch ein, doch der Gefangene hob abwehrend die Hände.<br.>"Das war ich nicht! Und auch keiner meiner Freunde! Alerich hat ja eine ganze Gruppe von bezahlten Leuten, und die, die das gemacht haben, waren die ganz Groben! Einen habt Ihr ja heute mit einem Pfeil erwischt..."<br.>"Lenk jetzt nicht ab! Was passierte weiter?" fragte der fahrende Ritter, damit der Bursche nicht den Faden verlor.<br.>"Alerich war stockwütend wegen unserer Idee. Einigen hat er ins Gesicht geschlagen deswegen. Zur Strafe sollten wir alle zusammen die nächste Lieferung überfallen, damit wir, damit meinte er meine Freunde und mich, mal sehen würden, wie man es richtig anstellt. Naja, und wohin das führt, haben wir ja gesehen..."<br.>"Ich glaube, wir haben genug gehört. Bis auf eines: Wer ist dieser Alerich, und wo solltet Ihr ihn treffen?" wollte die Ritterin von Bergund wissen.<br.>"Na, wie immer, an der Mündung der Warna, allerdings auf der anderen, der Moorbrücker Seite. Da laufen weniger Leute rum, sagt Alerich immer. Was ich sonst von ihm weiß? Ich glaube, er heißt Siebentöter oder so. Er sieht jedenfalls aus wie ein Flussschiffer und läuft auch so rum, so ganz gewöhnlich, irgendwie nichts Besonderes.. ach so, ja, eine Sache wäre da noch: Er spricht gerne in Reimen, besonders dann, wenn er sich etwas merken muss!"<br.>Erwartungsvoll blickte der Rothaarige seine Häscher an, wohl in der Hoffnung, nach dieser ausführlichen Schilderung etwas milder davonzukommen.
Saria von Lindholz-Hohenried brauchte einen Augenblick, nachdem der Handlanger seinen Bericht beendet hatte. Dann sprach sie Geron an.<br.>„Wir müssen versuchen, diesen Alerich in die Hände zu bekommen, bevor seine Kumpane ihn warnen. Wenn das geschieht, würde er uns durch die Finger schlüpfen, nur um erneut zuzuschlagen.“<br.>Sie schob sich eine Strähne ihres braunen Haares, die nass an ihrem schlanken Hals klebte, gedankenverloren nach hinten, während ihr Blick zum gedrungenen Turm der Warneburg wanderte. Die trutzige Burg schob sich, auf einem Sporn gelegen, über das dicht bewaldete Tal vor ihnen.<br.>„Ziehen wir weiter bis zur Warneburg. Dort können wir den Wagenzug zurücklassen und den Baron über die Lage unterrichten. Wenn die Zwölfe mit uns sind, hat er vielleicht einige Pferde, die er entbehren kann. Wenn wir reiten, können wir die Mündung der Warna hoffentlich schneller erreichen als Alerichs Leute auf ihren Schleichwegen. Ich hoffe, die Menschen auf der Burg sind auch bereit, sich des Toten anzunehmen, auch wenn man einen Verbrecher wie ihn nicht in borongeheiligter Erde begraben wird. Bleibt noch die Frage, was wir mit unserem geständigen Missetäter machen.“<br.>Sie blickte von Geron zu dem flehentlich dreinblickenden, rothaarigen Mann. Nach kurzem Abwägen entschied sie, dass es nicht an Geron oder ihr war, über das Schicksal des Mannes zu entscheiden.<br.>"Da der Überfall hier auf dem Land des Barons stattfand, soll auch er ein Urteil fällen, so wie es Brauch und Recht ist. Doch will ich ihm von Deiner Geständigkeit und Reue berichten, Bursche. Ich werde ihm anraten, dass Du in Bergund das aufbaust, was ihr zu zerstören trachtetet. Das sollte Strafe genug sein."<br.>Als sich ein hoffnungsvolles Lächeln auf den Zügen des Mannes ausbreitete, konnte Saria jedoch nicht umhin, ihm mit gestrenger Stimme einen Dämpfer zu verpassen.<br.>"Stell Dir das nicht zu leicht vor: Immerhin weiß man dort, was Du getan hast. Und letztendlich liegt die Entscheidung alleine im Ermessen seiner Hochgeboren. Soweit ich weiß, ist das Abhacken der rechten Hand noch immer die gebräuchlichste Strafe für Diebespack."
Die Praiosscheibe neigte sich bereits dem Horizont entgegen, als die kleine Reitergruppe die Brücke über die Munde passierte. Kargelhof und die Abzweigung Richtung Hammerschlag lagen schon lange hinter ihnen und bald würden die ersten Häuser von Bragahn vor ihnen erscheinen.<br.>Wie wenig Zeit doch erst vergangen war, seit sie Geron von Bärenstieg hier zum ersten Mal getroffen hatte, dachte Saria, und wie viel sie schon erlebt hatten.<br.>Die Ritterin blickte zu dem entschlossen dreinblickenden Mann hinüber, der neben ihr her ritt. Der Baron hatte nicht lange gezögert, und ihnen Unterstützung zugesagt, dennoch hatte er nur vier Pferde entbehren können. So begleiteten nur zwei von Gerons Mannen – es waren die beiden, die Saria auch damals in Begleitung Gerons angetroffen hatte – die beiden Adligen. Wenn dieser Alerich gewarnt worden war, könnte Ihnen ihre geringe Zahl zum Verhängnis werden. Doch falls Geron dieser Gedanke belasten sollte, ließ er es sich nicht anmerken und strahlte die gleiche Ruhe aus wie immer.<br.>Ein Lächeln huschte über Sarias Züge.<br.>„Sagt, Geron von Bärenstieg, wenn Euch das Schicksal gewogen und es nicht das Gold wäre, was Euch auf Reisen zwänge: Wo sähet Ihr Euer Glück?“
Geron blickte nachdenklich drein. Er hatte gerade ihre Möglichkeiten abgewogen, gegen Alerich vorzugehen. Er selbst und seine beiden Leute waren erfahrene Kämpfer, und auch Saria würde sich zu wehren wissen, aber doch war ungewiss, um wie viele Strolche es sich handelte. Vielleicht würden sie sogar erwartet. In jedem Fall stand ihnen ein böses Blutvergießen bevor.<br.>Blieb nur zu hoffen das Saria nichts geschah. Geron hatte die Ritterin in der Kürze der Zeit bereits in sein Herz geschlossen, auch wenn er sich wenig anmerken ließ. Derart in seine Gedanken versunken, benötigte er eine Weile, um Saria zu antworten.<br.>„Der Wengenholm war mir stets eine gute Heimat, doch ist dort kein Platz für mich. Mein Bruder erbte das Gut unseres Vaters und lebt selbst von der Hand in den Mund. Ihm zur Last zu fallen kam für mich nie in Frage. Ich bin zwar stets viel außerhalb des Kosch gewesen, aber hier ist es doch am schönsten. Dieser liebliche Landstrich hat es mir ein wenig angetan. Das Land ist hier nicht so rau wie im Wengenholm, und doch ist überall zu merken, dass man sich im Kosch befindet. Seien es die vielen Zwerge, oder die mächtigen Berge am Horizont.“
„Ja, es ist wahrlich ein sanftes, grünes Land“, bestätigte Saria und lächelte, „znd seid versichert, dass Ihr in Bergund stets willkommen sein werdet. Es würde mich freuen, wenn Ihr Euch meiner erinnert, so Euch der Weg nach Bragahn verschlägt."<br.>Die beiden Begleiter des Ritters, die stillschweigend in der zweiten Reihe ritten, warfen sich einen vielsagenden Blick zu, während die Gruppe weiterritt.