Angroschs Zorn und Angroschs Gnade

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Ausgabe Nummer 42 - Tsa 1029 BF

Angroschs Zorn und Angroschs Gnade

Erdbeben erschüttert den Amboss

EISENHÜTT / ROTERZPASS. Verwundert blickten die Eisenhütter Bürgersleute von ihren Suppenschüsseln auf, als um die Mittagszeit ein dumpfes Grollen, wie von einem herannahenden Unwetter, an ihre Ohren drang. Doch der Himmel an diesem milden Tag im frühen Efferdmond war blau wie Lapislazuli und Aquamarin... Dann begannen plötzlich die Humpen auf dem Tisch zu tanzen, Zinnteller stürzten scheppernd von den Borden, ängstliche Rufe mischten sich in das verwirrte Brüllen und Blöken des Viehs — die Erde, Sumus Leib, erbebte!

Gegen jegliche Gewalt der Elemente hat der Mensch sich Schutz und Trutz ersonnen: Vor Hagel, Schnee und Sturm behütet ihn das heimische Dach, Dämme bewahren die Küsten vor der Springflut, Brandwehren bekämpfen die gierigen Flammen — nur vor Angroschs Hammerschlag ist niemand sicher. Denn wohin sollte man auch eilen, wohin sich wenden, wo sich verbergen, da die Gefahr ja aus dem Boden kommt, von dem nur die Vögel zu fließen vermögen? Und mehr noch: Während Mensch und Zwerg bei jedweder Gefahr der Sicherheit des eignen Heims vertrauen, wird dieses nun zu einer Falle. Mag der Maurer noch so sorgfältig Stein auf Stein gesetzt, der Zimmermann noch so säuberlich das Dach gefügt haben — wer vermag zu sagen, ob es nicht im nächsten Augenblick herabstürzt und den Mann, die Frau, das Kind erschlägt?

Angsterfüllt eilten darum die Menschen in Eisenhütt und den anderen Orten des Amboss hinaus ins Freie, und sie taten gut daran! Denn hier kam ein Hang ins Rutschen, Erdmassen begruben die Hütte, dort tat sich der Boden klaffend auf, verschlang Stall und Scheune samt dem buntgescheckten Vieh. Wo Lampen durch das Beben umstürzten, Balken in Herdfeuer fielen, loderten bald Flammen auf, verzehrten die Dächer, sprangen in knisterndem Funkenregen über auf die Nachbarhäuser, griffen um sich, wüteten, fraßen... Ach, es war ein Bild des Jammers und des Schreckens! — Doch wie so oft in schweren Zeiten sah man die Menschen wacker den bedrängten Nachbarn in der Not zu Hilfe eilen, die Begrabenen unter schwelenden Balken hervorziehen, dort eine Wunde versorgend, hier den Hausrat rettend, dort einem verstörten Kinde Trost zusprechend.

Nur kurze Zeit wütete das Beben, doch als sich der aufgewirbelte Staub gelegt hatte, der schwarze Rauch verzogen war, da sah es mancherorten aus, als hätte eine Orkenschlacht zwei Sommertage lang getobt. So heftig war das Beben, dass man’s noch im Almadanerland und bis hinauf nach Koschtal spüren konnte. Unweit von Eisenhütt am Roterzpass sich ein Abgrund aufgetan, über den keiner, der nicht Flügel hat, gelangen kann. Wohl haben die Zwerge aus Waldwacht schon damit begonnen, eine Brücke über die Kluft zu schlagen, doch bis das Werk vollendet ist, muss man die Stelle umgehen und auf entlegenen Pfaden durchs Gebirge wandern. Man tut wohl daran, in Eisenhütt oder einem anderen Ort der Gegend bergkundige Führer in Lohn zu nehmen, will man nicht, der Gegend fremd, in sein Verderben laufen.

Nach all diesen Zerstörungen erscheint es wie ein Wunder (und der Herr Ingerimm mag ein solches durchaus gewährt haben), dass zwar zahlreiche Menschen und Zwerge verletzt wurden, aber kein Todesopfer zu beklagen ist. Allein, viele Familien haben Hab und Gut verloren, sind ohne Obdach und Bleibe; und wie es in den Bingen unter dem Berge aussieht, mag derzeit keiner recht zu sagen.

Manch einer grübelt auch, was den Herrn Ingerimm zu solchem Zorn gereizt haben mag, dass er eine so furchtbare Strafe über das Land schickte — und gleichzeitig so gnädig war, keines seiner Kinder ganz zu verderben. Wie so oft erklangen auch hier rasch die Stimmen derer, die zu Buße und Umkehr aufriefen. Denn man erinnerte sich noch gut an das große Beben von vor zehn Götterläufen, das in der Bergfreiheit Koschim große Verwüstung angerichtet hatte. Zürnt der Herr Angrosch etwa seinem Volke, dass er Binge um Binge zerschlagen will?

Doch solche Gedanken mochten nur wenige glauben und suchten darum lieber nach anderen Ursachen: Waren es vielleicht gierige Fremde, die in den Bergen nach Gold wühlten, ohne Ingerimms Gaben gebührend zu achten? Oder hatte jener Pilgerzug damit zu tun, der Anfang des Efferd-Mondes die Bergfreiheit Tosch Mur durchreiste und angeblich eine wichtige Reliquie der Angrosch-Kirche mit sich führte? Was auch immer der Grund sein mag — im Land herrscht Not, und darum hat unser guter Fürst rasche Hilfe angeordnet. Nur wenige Tage nachdem die Kunde von dem Beben nach Fürstenhort und Angbar gelangt war, wurden die Bergschützen in Marsch gesetzt, um in den betroffenen Gebieten beim Wiederaufbau zu helfen; und auch der eine oder andere Veteran der Angbarer Sappeure soll bei der Truppe sein.

Karolus Linneger