Heldenherz

Aus KoschWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen


Kosch-Kurier36-.gif

Ausgabe Nummer 42 - Tsa 1029 BF

Von edelsten Geschlechtern: Heldenherz

Bericht des Einhornritters Bragon Mandarvarwin von der Überbringung eines besonderen Kleinods

Es ist die Zeit der Schmerzen, die Zeit des Leidens, die Zeit, in der bewusst wird, wie schön zuvor alles war. Es ist die Zeit der Verzweiflung, die Zeit der Entbehrung, die Zeit, in der Hoffnung allzu schnell versiegt. Doch die Zeit der Konflikte ist auch die Zeit der Tapferkeit, der Rückbesinnung auf alte Werte, die verloren schienen. Es ist die Zeit der beständigen Bedrohung, die Zeit, in der ganz besondere Menschen erst entstehen, da dies der Grund ihrer Existenz ist. Wessen Herz von Bitterkeit verschlossen ist, erblindet für die Erkenntnis, dass noch lange nicht alles verloren ist. Denn sehet, diese besonderen Menschen sind bereits unter uns! Hier ist es der strahlende Kämpe in schimmernder Wehr, welcher unverzagt mit dem Schwerte die Hilflosen schützt, da der Medicus, der die darbenden Siechenden aufopfernd pflegt, dort eine Geweihte, deren Worte inmitten von Tod und Verderben die Hoffnungsfunken wieder schüren. Man erfährt nur selten ihre Namen, da sie ständig eilen, anderen zu helfen oder aber allzu schnell das Zeitliche segnen, und doch erhalten sie einen Namen, der klangvoller nicht sein kann, bedeutender ist als alle anderen Titel. Denn es ist die Zeit der Unerschütterlichen, die Zeit derer, die von den Göttern erwählt wurden, es ist die Zeit, in der sie entstehen — die Helden!

Einer der großen unter ihnen war gewiss Geldor von Eberstamm-Mersingen, Marschall des Weidener Landes. Bei der erbittert geführten, letztlich aber verheerenden Schlacht bei Wehrheim hatte Geldor sein Leben gegeben, um die Existenz des Hochkönigs Albrax, Sohn des Agam, zu erhalten. Des aufrechten und getreuen Marschalls Leben geringer zu achten als die des tapferen Hochkönigs liegt mir fern, doch in den vorherrschenden Zeiten scheint mir zumindest die tragende Bedeutung eines altgedienten Weidener Ritters im Gegensatz zu diesem besonderen Angroscho geringer zu sein. Geldor war sich dessen sicherlich ebenfalls bewusst, denn Held ist ein Begriff der Unvollständigkeit, dessen Inhalt jedoch vollendet ist. Geformt in der Vergangenheit, ist der Held an die Gegenwart gefesselt, um die Zukunft zu gestalten — und nichts Geringeres vollbrachte der berühmte Recke mit der Errettung des Hochkönigs. Eine Tat, deren Ausmaße wir erst in der Zukunft verstehen werden, wenn wir von den sicherlich bedeutsamen Entscheidungen und Erfolgen Albrax’ vernehmen.

Wurde Geldors Leib auch bestattet in der Gruft von Fürstenhort, der Stammburg des alten Hauses Eberstamm im Kosch, sollte doch sein Herz — welches stets getreu für das Land des Bären geschlagen — im Herzogtum Weiden beigesetzt werden. So hatte es sich der wackere Marschall selbst — der das Weidener Land so sehr liebte — gewünscht, so sollte es geschehen, und mir wurde die Ehre zuteil, das Heldenherz zu überbringen.

Durch die Wildermark, Ende Ingerimm 1027 BF

Unruhig das Land, unsicher die Wege. Dies galt heute mehr denn je, und so entschied ich, nicht ohne Begleitung zu reisen. Sowohl mein auelbischer Mentor Mandradao Nebelhaar als auch eine handvoll wagemutige Abenteurer zogen mit mir praioswärts, gen Wehrheim. Vielerlei Vögel ließen ihre Lieder über uns fallen, Blumen wuchsen im Überfluss, und das Spiel des Sonnenlichts durch die Blätter der Bäume schien mir zu herrlich für Worte. Schmackhaftes Hasengetier sprang regelrecht vor die sicher gezielten Pfeile, selbst ein kapitaler Hirsch zog eine Weile mit uns gleichauf, und einmal, am Rand des Waldes, scheute eine Bärenmutter samt pelzigen Jungtieren vor uns davon. Dann jedoch ging es hinein in die so genannte Wildermark. Leid kam hier über das Land, wurde von menschlicher Mordlust heimgesucht. Räuberbanden zogen umher, Schergen der Schwarzen Horden nisteten sich wie ekle Spinnen in den Ansiedlungen ein, und aus einsam liegenden Dörfern verschwanden immer häufiger deren Bewohner — ob sie geflohen oder düsteren Zwecken zum Opfer gefallen waren, wusste niemand zu sagen. Die Ordnung der Dinge zerfiel hier zusehends, und nicht wenige Untertanen des Kaiserhauses hatten bereits jetzt das Vertrauen in die Herrschaft des Adels verloren. Der Ereignisse, welche die Reise durch die Wildermark erschwerten, waren daher gar viele, würdig an einem langen Winterabend erzählt zu werden. Doch für hier soll es genügen zu erwähnen, dass wir allen Gefahren erfolgreich trotzten, als wir durch diesen gepeinigten Landstrich zogen. Der Anblick schmerzte mich tief im Herzen, und ich konnte die Trauer meines Mentors ob dieser Zerstörung der Natur fast körperlich fühlen — die Steine einer Stadt konnte man wieder aufeinander türmen, doch würde diese Wunde in Sumus Leib verheilen? Nun, wir Menschen leben hoffnungsvoll in die Zukunft, blicken dabei wehmütig in die Vergangenheit, da uns die Gegenwart stets unerträglich ist. Das Jetzt — der Augenblick der Existenz — erscheint uns immer voller Leid. Und doch streiten wir, von der Hoffnung beseelt, dass bereits morgen schon alles besser sei, so wie in der guten alten Zeit! Erstaunlich, dass es den meisten Elben und Angroschim ebenso ergeht. Bei einer weiteren unliebsamen Begegnung erfuhren wir glücklicherweise Unterstützung durch wackere Streiter, welche die Hoffnung auf eine glückliche Zukunft ebenfalls noch nicht aufgegeben hatten — sonst wäre es vermutlich um uns geschehen gewesen. Gunter von Greifenfels, Heermeister der Rondrakirche, samt seinen Kämpen vom Orden der Wahrung war es, und als er nach bestandenen Kampf von unserer Queste erfuhr, gab er uns die besten Grüße an seine Durchlaucht Fürst Blasius von Eberstamm mit auf den Weg.

Im Königreich Kosch, RAHja 1027 BF

Nachdem auch die malträtierte Kaisermetropole hinter uns lag, führte unser weiterer Weg durch das malerisch schöne Koscher Land. Der Himmel strahlte klar im Alveransblau und nur eine leichte, belebende Brise fuhr durch das weiche, in blasses grün getauchte Gras. Hier reiste es sich wieder angenehmer, was nicht zuletzt an den guten und reichlich portionierten Mahlzeiten — insbesondere der Hügelzwerge — in den Herbergen und Dörfern lag. So schlimm der erschütternde Angriff des Alagrimm auch war, ihren gesunden Appetit und die Lust am Kochen hatten sich die standhaften Koscher dadurch nicht verleiden lassen. Schließlich, nach weiteren ereignisreichen Tagen, gelangten wir im Rahjamond zur Burg Fürstenhort, wo mir nach erhabener Bestattungszeremonie das Gefäß mit dem Heldenherzen überantwortet wurde — ein urnenartiges Behältnis aus Bergkristall, welches einst von Brillantzwergen gefertigt und jüngst dem amtierenden Hochkönig als Ehrbezeugung beim Amtsantritt geschenkt worden war. Das mit Gravuren durchaus rondragefälliger Motive kunstvoll verzierte Gefäß (dessen eigentliche Funktion schon allein aus Pietät von niemanden hinterfragt wurde) hatte der Hochkönig nebst einer kleinen Steintafel mit dem Text eines zwergischen Trauerliedes eiligst den Eberstammern zusenden lassen — als Ehrbezeugung gegenüber seinem Lebensretter.

Heimreise

PRAios 1028 BF

Der gefahrvollen Begegnungen der Anreise eingedenk, beschloss ich bei der Rückreise einen anderen Weg zu wählen, um des Heldenherzen nicht verlustig zu gehen. Bei Steinbrücken der Breite entlang gen Firun, verkündete ich meinen Mitreisenden. Leider gerieten wir alsbald in einen Hinterhalt — Bonderik, der selbsternannte Rogmarok der Finsterzwerge, hatte auf mir unbekannten Wege von unserer Aufgabe erfahren und sicherlich einem Dutzend seiner übelsten Rabauken den Auftrag erteilt, diese zu vereiteln. Das Sonnenlicht riss blitzende Sterne von dem Metall der Waffen und Rüstungen, mit dem die Schurken bestückt waren. Wie der einäugige Anführer lauthals verkündete, sollte das Herz des Menschen, der den von Bonderik gehassten Hochkönig errettete, zerstückelt in ein finsteres Moorloch geworfen werden — was wir selbstverständlich nicht zulassen konnten. Es verlangte unser gesamtes Können, diese missliche Lage verletzt, aber lebend zu überstehen, doch ich hatte meine Begleiter ja gut gewählt.

Pandlaril sei Dank, überwanden wir also auch diese unerfreuliche Begegnung, und so erfreuten wir uns bald wieder der üppigen Natur Weidens. Die Praiosscheibe löste sich im Morgennebel auf und die Tage versprachen erneut heiß zu werden. Die Felder färbten sich jeden Tag langsam golden, während der Himmel angetan war in verschiedensten Blautönen. Tau lag schwer auf dem Gras, und die Erde roch süß und frisch. Gemeinsam mit Mandradao atmete ich den Duft der vielen bunten Blumen ein, die ringsum freudig im ebenso warmen wie weichen Sommergras wuchsen und von summenden, nach Blütenstaub suchenden Bienen umschwirrt wurden. Erneut, wie bereits im Mond des INGerimm, wurde mancherorts eine Heuernte eingeholt — denn Heu ist der Sommer für den Winter und das Futter für die Kühe, Pferde, Schafe und Ziegen. Bekam das Vieh kein Heu, gab es weder Milch noch Fleisch. So bedauerlich des Herrn Geldors Tod auch war, all diese Eindrücke verdeutlichten, das er für den Erhalt all dessen sein Leben gelassen hatte — und die Frage erübrigte sich, ob es das wert war!

Zeremonie in Trallop, PRAios 1028 BF

Die Herzogin wusste von meinem Streit mit den Häusern Binsböckel und Weidenfels, von meiner Entlassung als Führer der Huscarls, da ich dem gerechten Ansinnen der Elben Unterstützung zollte. Und mehr als allen anderen war ihr bewusst, dass ich als Diener der Fee die Aufrichtigkeit meines Herzens sowie die Kraft meines Schwertarms nur indirekt in Ihre Dienste stellte. Dennoch schenkte sie mir ein erfreutes Lächeln, als Ihr Blick von dem Behältnis des Heldenherzen auf dem Altar des Borontempels zu meinen Augen wanderte — ein Lächeln, das mir, mehr noch als Ihr ausgesprochener Dank, so willkommen war wie Travias Herdfeuer nach etlichen Wintertagen.

Fast die Ehre eines Herzogs ließ man dem Marschall angedeihen, denn mit zwei (statt drei) dröhnenden Hornstößen auf dem berühmten Fantholi leitete man die Zeit der Andacht für den Verstorbenen ein, welche sechs Praiosläufe (anstelle von einem Dutzend) andauern sollte. In jener Zeitspanne sollte das Gefäß zugänglich sein für alle, die Zeit fanden, von Herrn Geldor posthum Abschied zu nehmen, wenngleich von den Rundhelmen streng bewacht. Unterdessen trafen die Ersten eines auserwählten, bereits vorhab informierten Personenkreises ein, welchen es vergönnt wurde, an einer hochadligen Abschiedszeremonie zu Ehren des Marschalls teilzunehmen.

Er starb den Heldentod auf der Walstatt: Geldor von Eberstamm-Mersingen, der Marschall Weidens. Mit freundlicher Genehmigung von Ulisses und Caryad

Das Leben eines rechten Weideners, gleich ob Adliger oder Bauer, begann im Weidenkorb. Darob sollte auch das Gefäß des Heldenherzen in einem Weidenkorb gebettet in der Erde ruhen — und zwar zwischen den Wurzel der mehr als ein Äon alten Weide, welche ihre knorrigen Äste behütend über den Burggarten reckte und sowohl Namensgeberin des Herzogtums als auch Schildhalterin des herzoglichen Wappens war. Ein ebenso schöner wie besinnlicher Ort, der meinen Empfinden nach als letzte Ruhestätte angemessen erschien — denn Herr Geldor war, als alter Streiter von echten Schrot und Korn, zuvörderst ein Anhänger der göttlichen Leuin, der sich von Feen und Elben lieber fern gehalten hatte. Zollte der alte Marschall der Fee Pandlaril auch nötigen Respekt, so war seine unverbrüchliche Treue doch eher dem Herzogshaus zugetan, und schlug sein Herz auch inniglich für Weiden, so doch mehr in Bezug auf das Herzogtum, nicht unbedingt für das Land als solches. Eine sicherlich philosophische Unterteilung, eine Begründung, die nicht aller Anwesenden Zustimmung fand, doch unterstützte Herzogin Walpurga meine Wahl des Ortes, an dem sich die Auserwählten, welche an der Zeremonie teilhaben durften, sichelförmig aufreihten.

Trotz der Unruhe im Land fanden sich hochbekannte, ja berühmte Personen darunter, von denen ich stellvertretend nur einige benennen möchte: Herzogin Walpurga von Löwenhaupt, Ihre Tochter Prinzessin Walbirg an der Hand haltend, wirkte auf mich etwas gequält. Viele Getreue Ihres heldenhaften Vaters hatte sie verloren und nicht minder viele eigene Vasallen — der Marschall aber war zudem ein Freund gewesen.

Die Miene des herzoglichen Fechtmeisters, Baron Knorrhold von Harffenberg-Binsböckel|, wirkte eiserner als der in seiner Armbeuge ruhende Topfhelm. Ob es sich lediglich um den Wunsch handelte Unerschütterlichkeit auch an solch düsteren Tagen zu präsentieren oder ob doch die Anwesenheit des Barons Fenn Weitenberg von Drôlenhorst-Rabenmund m.H. der Anlass für die rondrianische Strenge im Gesicht des ersten Ritters der Herzogin war, vermochte ich nicht zu sagen. Herr Fenn jedenfalls hatte beim, durch schändlichen Verrat der Silberfalken gescheiterten, Ysilia-Feldzug in Geldors Stab gedient und eines der Regimenter befehligt, doch irgendwer äußerte halblaut, die Beisetzung sei lediglich ein guter Grund für den ehemaligen Führer der Grünröcke, mal wieder für eine Woche aus dem darpatischen Kriegsgebiet zu verschwinden.

Dem herzoglichen Herold hingegen, Borckhart von Brauningen-Binsböckel, sah man die Trauer umso deutlicher an. Schließlich hatte der Baron von Perainenstein zusammen mit Herrn Geldor den erwähnten Ysilia-Feldzug sowohl geplant als auch ausgeführt. Doch unabhängig davon, dass beide langjährige Sattelbrüder gewesen waren, wusste ich auch, dass es Herrn Borckhart insgesamt schmerzte zu sehen, wie die einstmals glorreiche Ritterschaft Weidens immer mehr welkte wie ein Blumenheer im anbrechenden Winter, und seine Hoffnung, diese wieder erblühen zu lassen, derzeit gering war. (...)2

Unter der salbungsvollen Litanei des Boroni wurde der Korb alsbald in die einen Schritt tiefe Grube gelegt, welche kurz darauf von den Umstehenden leidlich geschlossen wurde, indem jeder eine Handvoll Humus hinab streute (einige auch eine Blume hinterdrein warfen) und sich sodann wieder an seinen Platz begab. Nachdem der Boroni schließlich das Heldenherz vollends mit Humus bedeckt hatte, trug Prinz Walthard von Trallop höchstselbst eine traurige Weise vor, während alle Anwesenden gebeugten Knies, das Haupt auf der Brust, im stillen Gedenken verharrten. Alsdann jedoch stimmte Seine Liebden das viel geliebte Lied „Reite, Weidener, reite“ an. Wie stolz empor gewachsene Schwertlilien erhoben sich da die Anwesenden gestreckten Leibes, nahmen von Bediensteten reich gefüllte Trinkhörner entgegen, die klappernd gegeneinander schlugen, und schmetterten zwischen kräftigen Zügen inbrünstig aus tiefster Seele den Liedtext gegen die Burgmauern, dass es nur so schallte.

Ich entsann mich dabei einiger weiser Worte meines Mentors, die mir passend zu dem Anlass schienen: Werden und Vergehen, das ist der Lauf der Welt. Völker vergehen, andere kommen, Kulturen vergehen und neue werden auf ihren Ruinen erbaut, doch die Welt bleibt stets die Gleiche und immer bleibt etwas zurück. Keine Zeit ist wirklich neu, denn sie trägt immer die Spuren der Vergangenheit in sich. Das Alte, Sterbende, trägt das Neue bereits in sich und das Neue, Werdende, kann das Alte nicht verleugnen.

So sage ich: Möge Geldor von Eberstamm-Mersingen ebenso beruhigt wie verdient an Rondras Tafel speisen — denn seine Taten werden Vorbild sein für die neue Generation in Weiden und Kosch, für Frauen und Männer in denen echte Heldenherzen schlagen! Eorla!

Aufgezeichnet von dem freien Berichterstatter Melcher Rollwagen

Anmerkungen der Schriftleitung:

1 Siehe Kosch-Kurier Nr. 39, S.3

2 An dieser Stelle haben wir uns erlaubt, den Bericht des edlen Ritters Mandavarwin etwas zu kürzen, da die meisten der im Folgenden genannten Namen der Koscher Leserschaft nur wenig sagen dürften.