Abschied von Bruder, Sohn und Enkel

Aus KoschWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen


Kosch-Kurier36-.gif

Ausgabe Nummer 39 - Efferd 1028 BF

Abschied von Bruder, Sohn und Enkel

Des Fürsten Trauerzug nach Fürstenhort

ANGBAR / FÜRSTENHORT. Mit schwarz behängten Pferden, schwarz gewandet, in Stille, mit düsterem Blick und gramgebeugtem Haupt, gefolgt vom Großteil seines Hofstaats, alle schweigend, alle schwarz gewandet, darunter auch ein schwarzer Wagen, der zwei Särge trug, einen großen, einen kleinen – so war Fürst Blasius am letzten Tag des Feuermondes aus Angbars rauchenden Ruinen südwärts gezogen, gen Fürstenhort.

Dort, so hatte er verkünden lassen, auf der alten Stammburg seines Hauses, wolle er bleiben, bis die Residenz zu Angbar wieder aufgebaut und wohnlich sei. Doch war es, wie man ahnt, nicht nur die Unbewohnbarkeit des Schlosses, die ihn forttrieb, sondern auch (und vielleicht mehr noch) die düstere Erinnerung an jene Nacht des Schreckens, in welcher er so viele Freunde und Vasallen und vor allem seinen lieben Enkelsohn verloren hatte. Prinz Holduins kleiner Sarg war es, der neben dem ungleich größeren des Fürstenbruders Geldor auf dem schwarzen Wagen lag. In der alten Gruft der Eberstammer sollten sie die letzte Ruhe finden.

Wie anders war es doch, als dieses Mal der Fürst den oft gereisten Weg entlang den Ufern des Angbarer Sees nahm, über Stippwitz, Salzmarken und Rohalssteg, durch Kargen, Rhôndur und dann wieder nordwestwärts, vorbei am Kloster Trolleck, wo er stille Einkehr hielt. Mochte die Gegend auch friedlich und frei von den Spuren der Verwüstung sein, die den Norden zeichneten, mochte das Land auch blühen, die Obsthaine und Felder in üppigem Grün stehen — des Fürsten Miene zeugte nur vom Gram über den allzu großen Verlust. Und wenn sich die Bürger und Bauern am Wege einfanden, um den Landesvater zu sehen und zu grüßen, so geschah es diesmal nicht mit Jubel und frohen Rufen...

Auf diese Weise gelangte der traurige Zug schließlich nach Fürstenhort, wo Burgsass Kuniswart von Eberstamm zu Ochsenblut seinen Landesherrn und Vetter willkommen hieß. Mit dem fürstlichen Hofstaat, den Edelleuten, ihren Dienern, Pagen, Knechten und Mägden kam nun wieder Leben in die entlegene Feste, auch wenn die Erinnerung an die vergangenen Wochen und die Sorgen um die Zukunft keine rechte Freude aufkommen ließen.

Nur einen Tag nach der Ankunft seines Vaters traf auch Prinz Edelbrecht mit kleinem Gefolge ein; darunter befand sich die Hesindegeweihte Sephira vom See, die geradenwegs aus der Kaiserstadt kam und sich dem Prinzen angeschlossen hatte. Sie brachte traurige Kunde von Leid und Zerstörung mit sich — und ein sorgfältig verschnürtes Bündel, mit dem es eine besondere Bewandnis hatte. Nur wenige Getreue und Anverwandte waren im hohen Saal von Fürstenhort zugegen, als sie es Herrn Blasius überreichte; doch haben wir uns von des Fürsten Kammerdiener Polter zu Stielzbruk alles schildern lassen (freilich mit dem Einverständnis der durchlauchten Familie). Mit ernster, feierliche Miene sei die Geweihte vor den Fürsten getreten und habe ihm das Bündel überreicht mit den Worten: „Hier, Durchlaucht, von Eurem Sohne. Er gab es mir, bevor er...“ Mehr vermochte sie nicht zu sagen, und auch der Fürst antwortete ihr nur mit einem Nicken, während er mit zitternden Händen das Bündel öffnete. Darin befand sich, zerfleddert, schmutzig, rußgeschwärzt, ein Buch, dessen Einband vormals leuchtend grün gewesen war, geziert von einer goldenen Schlange. Der Fürst schlug es auf und erkannte die Schrift seines Sohnes — denn es war das Buch der Schlange des Prinzen Idamil, der zu Gareth der Weisen Göttin gedient hatte.

Lange ruhte Herrn Blasius Blick auf den brüchigen Seiten, die er mit größter Vorsicht umschlug, ohne sie indessen lesen zu können, denn Prinz Idamils Aufzeichnungen waren auf Bosparano verfasst. Den Prinzen Edelbrecht, die Falkenritter, die Geweihte schien der trauernde Vater darüber ganz vergessen zu haben. Da gab Herr Edelbrecht den übrigen ein stummes Zeichen, sich zu entfernen. Doch in diesem Augenblick rief der Fürst sie zurück und wies erregt auf die letzten geschriebenen Zeilen des Buches. Im Gegensatz zu den übrigen Einträgen waren sie nicht mit grüner Tinte und in sorgsamen Lettern verfasst, sondern in höchster Eile mit einem Stückchen Kohle auf das Blatt geworfen worden. Prinz Edelbrecht, der gute Augen hatte, enträtselte die kaum lesbare Schrift als Erster: „Die Zeit eilt. Falls ich nicht wiederkehre: Lebet wohl, Vater, Brüder, ihr alle. Hesinde mit Euch. Dûr koschima borod egrai! Idamil.“ Darauf herrschte langes Schweigen im Saale, und der mitfühlende Leser mag sich vorstellen, wie tief ergriffen die Edlen waren, als sie den Abschiedsgruß des Prinzen vernahmen.

Noch am gleichen Tag, zur zweiten Boronsstunde, fand sich die fürstliche Familie mit ihren Vasallen in der Burgkapelle ein, um Abschied von Herrn Geldor und den Prinzen Idamil und Holduin Hal zu nehmen; anschließend wurden die sterblichen Überreste in der Gruft beigesetzt, wo schon so viele Angehörige des Hauses Eberstamm die Ewige Ruhe gefunden haben. In den leeren Sarkophag des Sohnes legte der Vater mit eigener Hand das „Buch der Schlange“ hinein.

Dem Falkenritter Bragon Mandarvawin aber übergab der Fürst ein kostbares Gefäß, das einer Urne ähnelte. Es barg Herrn Geldors Herz. „Hier, nehmt dies“, sprach der Fürst zu dem getreuen Ritter, „und bringt es nach Weiden, das mein Bruder liebte wie seine Heimat und für das er kämpfte und starb. Es war sein Wunsch, dass sein Herz in Weidener Erde begraben werde, und so ungewöhnlich dieses Ansinnen auch ist, wir wollen uns nicht widersetzen.“ Ritter Bragon nahm die Urne in Empfang und verneigte sich tief. „Ich werde Euren Auftrag und den Wunsch des Marschalls treu erfüllen. Die ersten Strahlen des Herrn Praios sollen mich morgen bereits auf dem Weg sehen.“

So wurden an diesem Tag drei Generationen von Eberstammern zu Grabe getragen. Möge der Herr Boron — woran wir keinen Zweifel hegen — sie eines Schlüssels für würdig halten.

Karolus Linneger