Dohlenfelder Thronfolgestreit - Der Sommer in Wichtenfels I

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Texte der Hauptreihe:
K28. Sieg
K95. Kajax
F25. Epilog
Autor: M.W.

Nordmarken, 1033

Wie immer lag die Burg des Landedlen zu Wichtenfels friedlich über dem kleinen Dorf Wichten, dessen puppenstubenhaften Häuser sich wie in einem kitschigen Gemälde an den Burgberg schmiegten. Der Sommer war ziemlich heiß, den Bauern rann bei der Arbeit der Schweiß auf der Stirn. Alrik, der mittlerweile dreizehnjährige Sohn eines Wichtener Freibauern, kam – wie schon im Boron 1032 BF – völlig außer Atem und mit rasendem Herzen am Burgtor seines Herrn an, ihm stand der Schweiß nicht nur auf der Stirn. Der tapfere Bursche war die ganze Strecke vom Weiler Ochsenheim am Darlin bis nach Wichten gerannt, eine Strecke von zehn Meilen. Es war am späten Vormittag, und Alrik hämmerte mit seinen Fäusten ans Burgtor, bis ihm der Waffenknecht Leomar Gerstenberg, der ihn bereits aus der Schießscharte gesehen hatte, öffnete. Nachdem Alrik Leomar sein Anliegen vorgetragen hatte, packte der bullige Waffenknecht den Burschen – genau wie vor einem guten halben Jahr – am Arm und schritt mit ihm zusammen zum Rittersaal, in dem der Landedle gerade das Mittagsmahl beendet hatte. Dabei sprach er: „Alrik, Du solltest besser in Wichten bleiben, und nicht Deine Nase in diese Dohlenfelder Angelegenheiten stecken, irgendwann bekommt Dir das noch übel, das sag’ ich Dir, Alrik!“
Der Waffenknecht entschuldige sich bei seinem Dienstherrn höflich für die Störung und schob Alrik nach vorne. Dieser räusperte sich, er konnte aufgrund seines trockenen Mundes kaum reden: „Wohlgeborener Herr, entschuldigt erneut mein unangemeldetes Auftreten, aber es ist Fürchterliches geschehen! Wohlgeborener Herr, es ist wieder Krieg! Diesmal nicht Twergenhausen, nein berittene Söldlinge in eigenartigen Gewändern, wohl aus dem Süden, bringen Tod und Verderben über Dohlenfelde! Ich war beim Angeln am Darlin, bei Ochsenheim, direkt auf der Ochsenbrücke, dort gibt’s die besten Forellen. Von dort sah ich drei Dutzend Bewaffnete von Burg Schwarzfels kommend in den Markt Dohlenfelde reiten, die Hälfte ritt gleich weiter in meine Richtung. Klug versteckte ich mich in einer Hecke am Flussufer.“ Der Bursche präsentierte die Kratzer der Brombeerhecke und die Pusteln der Brennnesseln an Armen und Beinen wie Kriegsverletzungen, und fuhr dann fort: „Die Reiter trabten über die Ochsenbrücke, sie nahmen gar keine Kenntnis von mir. Sie ritten dann weiter nach Ochsenheim, und dann zum Gut Maringen oder nach Erzweiler, ich weiß nicht. Kaum jedenfalls, dass die fremden Bewaffneten Ochsenheim verlassen hatten, rannte ich los, in den Weiler. Die Bürger dort waren verwirrt, die Söldner – die auch klangen wie aus Almada oder noch weiter aus dem Süden, aus dem Horasreich – hatten sie befragt, wo Baron Hagen sei, wie viele Bewaffnete im Junkergut Erzweiler stünden, und so weiter. Sie selbst sagten nicht viel, und schon gar nicht, woher sie kamen oder wohin sie wollten. Aber offensichtlich war, sie führten nichts Göttergefälliges im Schilde. Zuletzt sagten die Reiter aber noch, wenn jemand gutes Gold für seine Vorräte wollen, möge er diese umgehend nach Burg Schwarzfels bringen. Man zahle dort den doppelten bis zum dreifachen Marktpreis. Da war mir sofort klar: Schwarzfels musste in den Händen der Südländer sein!“
Alrik schaute den Landedlen Voltan an, der seine Rehkeule zur Seite legte und sich den Mund abwischte, bevor er einen kräftigen Zug Bier nahm, und sprach dann zu dem Adligen: „Euer Wohlgeboren, wird es nun wieder Krieg geben, wie schon im letzten Jahr? Und werden wir Wichtenfelser wieder nicht mitkämpfen?“
Es mochte bald eine Stunde vergangen sein, bis der Landedle den Jungen einmal mehr aus Dank in die Küche geschickt, den Befehl zum Sammeln der Landwehr gegeben, einen knappen Aufruf zu erhöhter Achtsamkeit verfasst und sich gerüstet hatte. Die meiste Zeit davon hatte das Anlegen der schweren Schlachtrüstung beansprucht. Seitdem die Dohlenfelde angespannt wie ein lauerndes Tier auf den Ausbruch des Krieges gewartet hatten, verweilte der Wichtenfelser verteidigungsbereit in seinem Lehen. Das hieß aber auch, dass er seit viel zu langer Zeit auf keinem Turnier mehr war und nur selten, in ruhigeren Zeiten, nach Elenvina aufbrach, um dort jene Aufgaben als Turniermarschall zu tätigen, die er nicht auf seiner Trutzburg verrichten konnte. Zum Glück hatte der Herzog mit dem Kanzleiviertel derzeit so viel zu schaffen, dass ein Turnier nicht auf dem Kalender stand.
Die Abstinenz vom Tjosten und Buhurten und die nur noch kurzen Jagdausritte in der eigenen Domäne mochten damit zusammenhängen, dass das Anlegen der Bauchplatte länger dauerte als sonst und ihr Sitz irgendwie nicht mehr so passgenau war wie zu den Zeiten der Alberniazüge. Selbst in den Sattelgurt des Kriegssattels musste ein zusätzliches Loch gebohrt werden, um es dem Streitross anlegen zu können.
Voltan schob den Ärger darüber zur Seite und nahm sich vor, in den nächsten Tagen mit seiner Garde und den Landwehrleuten eine Waffenübung abzuhalten wie er sie seit seinen Tagen bei der Reichsarmee nicht mehr absolviert hatte. Nun jedoch hieß es, seine Neugier zu befriedigen. Wer war da über den Eisenwald gekommen? Almadaner? Weshalb? Gab es Krieg zwischen Selindian und Rohaja? Oder waren es Rabensteiner auf dem Weg zu ihrem Verbündeten in Dohlenhorst? Oder doch eine Liepensteiner Vorhut? Oder ganz schlicht marodierende Söldner, die von Hagen nicht genügend bezahlt wurden? Wie dem auch sei, er wollte sie mit eigenen Augen sehen und vor allem wissen, was auf Schwarzfels vorging. War sie nicht mehr in den gierigen Händen der Bürger? Das wäre eine Sensation!
So ritt er gefolgt von sechs weiteren Reitern unter dem weithin sichtbaren blau-goldenen Banner los. Er wollte die Wege und Straßen nehmen und die Pferde fordern, dann wäre Schwarzfels in zwei Stunden zu erreichen. Wenn es nur nicht so elendig heiß wäre! Nun, dafür glänzte seine Rüstung umso prächtiger in der Sonne! Vielleicht sollte man doch besser eine Pause am Waldrand bei der letzten Arborin-Brücke einplanen ... um die Pferde zu tränken, versteht sich.

Der Landedle Voltan ritt seinem kleinen Heerzzug voraus – die Wichtenfelser Landwehr umfasste gut 20 Mann – und genoss den angenehmen, kühlenden Schatten der hohen Bäume des Caleener Forsts. Doch schon zeichnete sich der Saum des Waldes ab, man hörte bereits das erfrischende Rauschen des Arborin und irgendwo, nicht allzu weit entfernt, das rhythmische Geräusch einer Holzfälleraxt. Voltan war verwundert, war Holzeinschlag hier doch mehr als ungewöhnlich. So gab er seinem Landwehrbanner das Haltesignal und lauschte. Das Geräusch musste irgendwo vom Arborinufer herüberhallen. Der Landedle ließ sein Pferd im Schritt weiterlaufen, die Landwehr folgte ihm, einige der Bauern schwer unter der Last ihrer Kurbule und Waffen atmend.
Als Voltan schließlich die Holzbrücke – oder besser das, was von ihr übrig war – erblickte, ließ er fast sein Streitross halten. Er konnte nicht recht glauben, was er dort sah: Ein Berittener, offensichtlich einer der erwähnten Söldlinge, für den Landedlen an Machart der Kleidung und Bewaffnung recht klar als Horasier zu erkennen, ritt im gestreckten Galopp in Richtung Ochsenheim davon, der Staub wirbelte hoch hinter dem offensichtlich geübten Reiter auf. Der andere Horasier bestieg gerade sein Pferd, um wie sein Kamerad davonzupreschen. Er hatte wohl gewartet, bis er die Zahl der aus dem Wald kommenden Kämpfer abschätzen konnte, Voltan war nicht einmal etwa 30 Schritt entfernt.
Die Arborinbrücke bot ein trauriges Bild: Die beiden Söldner hatten sie, während sie spähten, offensichtlich derart präpariert, dass sie mit einigen heftigen Axtschlägen zum Einsturz gebracht werden konnte. Die aus Voltans Sicht linke Seite der Brücke lag nun im Arborin, ihre Einzelteile wurden von der eher mäßigen Strömung des Baches in Richtung Darlin davongetragen. Über die rechte Brückenseite hätte wohl noch ein Gaukler oder Elf balancieren können. Nicht, dass der Arborin – insbesondere im Sommer – ein großes Hindernis war, der Darlin war hier von ganz anderer Qualität. Doch machte die Zerstörungswut der Söldlinge zumindest ihre schnelle Verfolgung unmöglich, was wohl der Zweck ihres Handels war. Denn die zum Einsturz gebrachte Brücke erzwang, dass man die Pferde vorsichtig durch das Arborinbett führen musste. Mit einer schussbereiten Armbrust hätte ein geübter Schütze den davonstiebenden zweiten Reiter wohl noch aus dem Sattel schießen können, jedoch waren die Wichtenfelser nicht auf einen Kampf, sondern auf eine erquickende Rast am Arborin eingestellt gewesen – und hatten eher ihre Wasserschläuche zum Nachfüllen zur Hand als ihre Waffen. Die Reparatur der Brücke würde sicherlich einem fähigen Zimmermannsmeister und seinem Gesellen einen ganzen Tag Arbeit bescheren.
Was zum Namenlosen war das hier?!? Voltan brauchte einige Zeit, um zu verarbeiten, was mit der Brücke geschehen war. "WAS FÜR EINE SAUEREI! KOMMT ZURÜCK, IHR ELENDEN HUNDE! ICH ZEIGE EUCH, WAS MIT DENEN PASSIERT, DIE MEINE BRÜCKEN ZERSTÖREN! HUNDSFOTT, ELENDE! EHRLOSES SÖLDNER-PACK!" Drohend ballte der Ritter die gepanzerte Faust und brüllte den Söldlingen hinterher. Die Landwehrleute starrten mit großen Augen auf die Trümmer oder aber in Richtung des Landedlen - solch derbe Flüche hörten sie zum ersten Mal aus dem Mund des sich sonst so bedacht äußernden Adligen. Einer der Gardisten spannte derweil hastig seine Armbrust, musste aber nach vergeblichem Zielen einsehen, dass die wendigen Reiter nicht mehr zu treffen waren.
In Voltan brodelte es. Zerstörungen in Wichtenfels! Genau das wollte er vermeiden, indem er neutral blieb. Das gab es ja seit Jahrhunderten nicht mehr. Und dann das! Was wollten diese elenden Horasier? Und bei Rondra - das waren ansehnlich gerüstete Kürassiere, gegen die mit der Landwehr aus ungesicherter Stellung heraus nichts zu machen war. Zumindest nicht, wenn es wirklich drei Dutzend waren, wie der kleine Alrik berichtete. Aber sie mussten bezahlen! Wer auch immer dieses Pack geschickt hatte, um Wichtenfels anzugreifen, die wichtigste Brücke, die Lebensader nach Twergenhausen, wo nach der Ernte Dutzende Wagen hoch getürmt mit Hopfen und Getreide in Richtung Stadt rollten und mit viel Gold und Silber zurückkamen, ja, dieser feige Hund würde bezahlen müssen! Bei Praios und allem was Recht ist, so ging es nicht in Wichtenfels. So nicht!!! Aber was nun? Die Landwehr diente der Verteidigung. Darauf war sie eingestellt und ausgerüstet. Glevenwall und Schützenreihe beherrschten sie. Auch in kombinierter Form. Von den Zinnen der Burg herab trafen sie inzwischen ihre Ziele auf dem Burgweg recht sicher. Doch mag man auch Burg Schafskopp fast im Alleingang genommen haben, wie sich die Bauern heute erzählten, und konnte die Tannwacht ebenso erobert werden, dies alles geschah aus durchdachten, defensiven, fast schon zwergischen Schlachtplänen und sicheren Stellungen heraus. Schließlich wusste ein jeder: Ordnung ist das höchste Gut und gibt den Landwehrleuten Mut! In einem Scharmützel gegen Reiter würden diese dem Haufen in die Flanken fallen und sie aufreiben.
"Also Leute, hergehört!" Der Landedle wendete sein gepanzertes Ross, ein Rucken ging durch die Reihen der Landwehr, Gleven wurden aufgerichtet und die ersten mit kühlem Nass gefüllten Trinkschläuche wieder abgesetzt. "Ihr werdet Wichtenfels hier sichern. Hauptmann, schickt einen schnellen Läufer nach Caleen und lasst Zimmerleute kommen, damit die Brücke wieder errichtet wird. Die Handwerker sollen sich beeilen. Es gibt nichts Wichtigeres im Moment! Alle anderen halten mit Euch hier die Stellung. Baut almadanische Reiter und Standschilde am jenseitigen Ufer und schützt den Brückenbau. Ich reite mit meiner Lanze inzwischen nach Maringen und weiter nach Schwarzfels um zu erfahren, was hier vor sich geht. Ans Werk, Leute. Praios, Ingerimm und Rondra mit euch!"
Nach einer kurzen Rast im Schatten des hier bis an den Weg reichenden Waldes durchquerten der Ritter, drei Gardisten und zwei Knechte vorsichtig den eiskalten Bach und ritten gen Ochsenheim. Wachsam und weithin sichtbar, wie es sich gehörte für eine stolze nordmärkische Lanze.