Unter Schurken - Hanghasen
Kein einziges Gehöft hatte die Eintönigkeit der Reise seit Ulmenreth unterbrochen. Schweigend und still ragten die gewaltigen Höhenrücken des Eisenwalds über den kleinen Menschen auf ihrer winzigen Straße auf. Längst schon hätte die Stelle in Sicht kommen sollen, an welcher der Ochsenkarren des falschen Bierkutschers gestrandet war... doch gar zu ähnlich sahen sich Weg und Wald, obschon die Reisenden die letzten langsamen Meilen sich schier die Augen aus dem Kopfe gesucht hatten.
Der Schnee ließ die ohnehin steile und unwegsame Eisenstraße glitschig und tückisch werden. Die Spur der Rosse und Räder zeichnete sich in nässeglänzendem Dunkel aus dem Weiß der wirbelnden Flocken, die nun, mit Einbruch der Dunkelheit, vermehrt um die Herrschaft auf dem Wege kämpften. Doch vom Jergenqueller und seinem Karren war keine Spur zu entdecken.
“Dabei müßte es hier doch gewesen sein. Ich kann mich noch gut an diese Felsnase erinnern, die wie der Bug eines Nachens auf die Straße ragte. Und die tannenbestandene Schlucht endete ungefähr an dieser Stelle.“
Der Landt-Edle überlegte laut: “Er kann sich aber nicht in Luft aufgelöst haben. Nicht mit dem vollbeladenen Karren und seinen Ochsen.“
Die Ritterin lugte ebenfalls aus dem Kutschenfenster.
“Wir halten für heute. In diesem Zwielicht werden wir ohnehin nichts mehr finden“, entschied der Vinansamter. Und in der Tat verglommen gerade die letzten fahlen Wolken vor der zunehmenden Finsternis. Einen besseren Lagerplatz mochte man auf die Schnelle eh’ nicht finden. Vorsichtig kletterte der Koscher von seinem Sitz. Mit einem unzufriedenen Brummen tat Ritter Falk es ihm nach.
“Will doch mal sehen, ob’s im Hinterkosch wirklich keine Hanghasen gibt!“
Entschlossen stapfte der Siebentaler vom Wege in den pappigen Schnee und hielt zielstrebig auf die nächste Baumgruppe zu.
Rena und Wolfhardt kämpften sich aus der engen Kutsche und streckten sich. Morgen, beim ersten Licht, würde man die Gegend genauer untersuchen – doch jetzt, von der Kutsche aus, war keinem von beiden ein befahrbarer Pfad abseits der befestigten Straße aufgefallen. Zusammen mit dem Baron von Vinansamt machten sie sich schließlich daran, die müden Pferde auszuspannen und abzureiben, ehe der Edle von Toroschs Aue schließlich erklärte, er werde sich nach Feuerholz umtun.
Feucht klebte der frühe Schnee an seinen Stiefeln, als er abseits der Straße hangaufwärts zu klettern begann. Schnell umschloß ihn der dichte Hochwald, der sich knapp unterhalb des Stiegentales schon wieder das Land zurückerobert hatte. Düster reckten sich die Gerippe von Ahorn, Ulme und Eiche in den dunkelgrauen Schneehimmel. Im Waldesinneren aber war es finster; die hohen Kiefern und Tannen ließen kein Licht zwischen ihre schwarzbenadelten Wedel. Die Kälte knackte in den dürren Zweigen, und aus dem Geäst einer alten Eiche musterte ein Boronsrabenpaar den jungen Rittersmann, der sich Schritte tief unter ihnen durch das Dickicht aus Schlehe und Schwarzdorn mühte.
Einen schaudernden Blick warf Wolfhardt nach oben, doch eine Seltenheit waren die Rabenvögel im Eisenwald wahrlich nicht. Mit klammen Fingern schlug er das Zeichen des Schweigsamen und stapfte weiter – mit der Hälfte seiner Gedanken noch bei der kleinen Gruppe an der Kutsche, die wie eine gestrandete Kogge am Schneestrand der Landstraße lag. Unwohl war ihm bei dem Andenken, was diese Kälte seiner geliebten Harfe antun mochte – beileibe keine Wohlbehandlung war dieses feuchtkalte Wetter für das edle Instrument.
Doch nicht nur die Harfe hatte seine Gedanken eingefangen. Den ganzen Tag hatte er in der Kutsche mit der Ritterin aus Arbasien verbracht – und so sehr er diese Nähe schätzte, so sehr verwirrte sie ihn auch. Vor allem, da er noch immer nicht zur Gänze wußte, was in der vergangenen Nacht geschehen war – und schlecht nur konnte er sie doch fragen!