Wolfsjagd zu Wengenholm - Die Wolfsspur: Unterschied zwischen den Versionen

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Der Kampf zwischen Nacht und Tag war noch nicht durch Praios’ Richtspruch entschieden, da erhoben
Der Kampf zwischen Nacht und Tag war noch nicht durch Praios’ Richtspruch entschieden, da erhoben

Version vom 2. April 2021, 21:40 Uhr


Wengenholm, 1023

Der Kampf zwischen Nacht und Tag war noch nicht durch Praios’ Richtspruch entschieden, da erhoben sich die edlen Jäger und erfuhren voller Verwunderung von den Traumbildern und Geschichten. Man war sich einig, daß dies nur ein gutes Zeichen sein könne, das die streitbare Göttin ihrem Diener gesandt hatte, und so nahm man sich die Zeit, um nicht nur den Beistand des Herren Firun, sondern auch den seiner löwinnengleichen Schwester zu erbitten.

Dann erfüllte das Jagdfieber Herzen und Sinne, und Hunde, Rösser und Menschen, sie alle eilten auf gestrigen Pfaden dahin. Bald war man an der Stelle, da man die Wolfsspur verloren hatte, und nun schwärmten die Hundeführer weithin aus, um auch das diesseitige Ufer abzusuchen. Nach kurzer Zeit schon flog ein Hornstoß wie ein froher Vogel durch die Waldeslüfte. „Das ist Wilbors Ruf“, erkannte Meister Pannlapp, der neben dem Pferd des Grafen schritt. „Er hat etwas entdeckt.“

„Wenn’s doch die Fährte des Grauen wäre!“ frohlockte der Wengenholmer mit blitzenden Augen. Die Jäger fanden sich dort ein, wo der Greifenfurter auf einer kleinen Anhöhe über dem Wildbach kniete und den Erdboden in Augenschein nahm. „Das war zwar kein Wolf, sondern ein Mensch. Schmale Sohlen, keine Stiefel, sondern einfache Schuhe; vielleicht von einem Weib. Sie hat hier oben gestanden und Ausschau gehalten: die Füße sind mehrmals auf die gleiche Stelle gepreßt, wie jemand, der lange steht und ab und zu das Gewicht von einem Bein aufs andre verlagert. Die Abdrücke sind von gestern, vielleicht zur selben Zeit, als wir dort unten zugange waren – man kann das ganze Ufer weithin von hier aus überblicken“, schloß er seine Erklärungen. „Und wohin führen die Spuren?“

„Den Hügel hinab. Es gibt hier einen kleinen Pfad oder Wildwechsel.“ Meister Pannlapp näherte sich den Spuren. „Und da ist noch ein kleiner runder Abdruck, knapp einen Spann rechts vor den Sohlen.“ Der Greifenfurter nickte: „Von einem Stock, würde ich sagen. Vielleicht ein Speer, vielleicht ein ganz normaler Wanderstecken.“

Baron Kordan strich sich seinen Bart: „Es kann natürlich einfach ein Reisender gewesen sein, der den Ausblick genossen hat oder sich von dieser Anhöhe aus orientieren wollte. Aber vielleicht hat uns auch jemand beobachtet und nachgespürt. Wundern würde mich das mittlerweile nicht mehr.“ „Ich habe das seltsame Gefühl, daß diese Spur wichtig ist“, murmelte Lucrann von Auersbrück. „Aber fragt mich nicht, warum!“ Die anderen sahen ihn verwundert an.

„Nun ja, ich kann es nicht erklären ... Ihr mögt es Eingebung nennen, wenn auch keineswegs so deutlich wie jene, die Herrn Lucardus in der Nacht zuteil wurde“, sprach Lucrann rasch und ein wenig verlegen, doch auf eigentümliche Weise von der Richtigkeit seiner Worte überzeugt. Baron Kordan strich sich nachdenklich über den Bart und murmelte etwas vor sich hin. „Was meint Ihr, Hochgeboren?“ wandte sich der junge Graf ihm zu. „Mir geht das Rätsel nicht aus dem Sinn. Verphext auch! Vielleicht ist gar die Person mit dem Stock die Lösung?“

„Erklärt Euch bitte näher“, sagte Jallik von Wengenholm neugierig. Der Geistmärker begann: „Je nun, die Sache mit den Menschen und Wölfen will mir zwar nicht recht klar werden. Aber der zweite Spruch macht mir plötzlich Sinn. In den Zeiten die Frage, in den Jahren die Antwort. Bedenkt: Was wir ein Rätsel nennen, ist womöglich bereits die Antwort auf Lucranns Frage. In den Zeiten liegt nicht die Lösung des Rätsels, sondern die Frage nach dem Wolf. Wir müssen die Frage den Jahren stellen – also einem Menschen, dessen Haar weiß und dessen Geist weise ist.“

Er unterbrach seinen Redefluß und setzte dann bedeutungsvoll hinzu: „Wie alt mag wohl der Wanderer mit dem Stock sein?“

„Ihr meint, so alt, daß er sich auf einen Stecken stützen muß?“ rief Globerich mit leuchtenden Augen aus. „Der Gedanke ist ja... hesindial!“ „Nun ja“, murmelte Baron Kordan, offenbar selbst nicht ganz der Schlüssigkeit seiner Gedanken sicher.

„Auf jeden Fall kann es kein Fehler sein, der Spur zu folgen. Wenn auch der Wandrer alt ist, die Fährte ist noch jung und frisch, und viel Zeit kann es uns als Berittene nicht kosten. Mir scheint, es ist gut zu wissen, wer in diesen Wäldern alles umherstreift – und sei es jemand, der unserer Hilfe und Warnung vor dem Grauen bedarf.“

Dem stimmten sie alle mit großem Eifer zu und schickten sich an, der Fährte des Fremden zu folgen – ganz als ob’s nicht die Spur eines Menschen, sondern die des Wolfes selbst wäre, und der Jagdeifer leuchtete in ihren Augen. Selbst Wilbor Tannschlag, der doch gerne zuvor noch die Ufer des Bachlaufes untersucht hätte, sagte nichts, zumal er fühlte, daß seine Künste bei der Suche vonnöten sein könnten.

Man ließ also das Gefolge unter Meister Pannlapp zurück und hieß sie suchen und warten, bis man wieder auf eiligen Rossen zur Stelle wäre. Dann folgte man dem Weg, der Fährte und den kundigen Weisungen des Waidmanns aus Greifenfurt.

Baron Kordan ritt an der Seite Globerichs, über dessen erträumten Tod er schon seit den Morgenstunden grübelte.

„Es scheint mir wirklich das richtige zu sein, wenn man die Wilderer mit einer Schar Kriegsknechte verfolgt – und wohlgemerkt: erst nach firungefällig vollbrachter Jagd“, sagte er leise, und der Junker von Bockzwingel nickte dazu, während er nachdenklich zum grau verhangenen Himmel emporsah. Von dort, aus den weiten Räumen jenseits der Wolken, hatte die Leuin herabgeblickt ins einsame entlegene Wengenholm, um ihm, dem jungen, dem unbedeutenden Krieger Globerich von Bockzwingel auf Bockenbergen durch ihre Warnung das Leben zu retten.

„Herrin, wofür hast du mich bestimmt?“ murmelte er, aber so leise, daß es selbst der an seiner Seite reitende Baron nicht recht verstehen konnte.

Derweil berieten sich die anderen. Die Ausführungen Kordans zum zweiten Teile des Rätsels hatten den Glauben erweckt, daß sich hinter den seltsamen Versen der Quelle doch ein tieferer Sinn verberge, den zu lüften über die Maßen hilfreich und wichtig war. Doch was meinte der Spruch von den Wölfen und Menschen? Hieß es etwa, daß man den Wolf nach Art von Wölfen zu jagen habe? Im Rudel also, und ohne Listen und Fallen, sondern mit Ausdauer und Geschick? Besonders die Herren Lucardus und Kordan betonten, daß man sich jeder Firun ungefälligen Jagdlist enthalten möge, und verwarfen all jene Vorschläge, die von neuerlichem Auslegen von Ködern, dem Graben von Fallen oder ähnlichem sprachen. Allein den Gedanken des jungen Metzel von Uztrutz, nächtens den Wolf in seiner eigenen Sprache zu locken, fanden sie alle bemerkenswert. Und dies umso mehr, als sich Ritter Auersbrück erinnerte, in der nicht sonderlich umfangreichen Bibliothek der Angenburg jüngst ein Buch aus der Feder Markgraf Hagens von Beilunk gelesen zu haben, das den Titel In den Zelten der Nivesenschamanen trug und von den tiefen und unergründlichen Verbindungen der rotschopfigen Hirten zu den graupelzigen Jägern erzählte. Einige interessante Stellen waren ihm von dieser Lektüre im Gedächtnis geblieben, und er wußte sie nun geschickt vorzutragen; zwar verhalf auch dieses Wissen nicht zu einer Lösung des Rätsels, bescherte den Reitenden aber eine willkommene Abwechslung, die ihnen den Weg kürzer erscheinen ließ, als er in Wahrheit war.

Derweil zog sich die Fährte weithin über Hügel und Höhen, an deren Fuß der Wildbach noch immer toste und schäumte; hinab ging es in schattige Täler und felsige Kluften, wo sich im Gestein keine Abdrücke fanden, doch gab es keinen andern Ausweg aus der Klamm, und an ihrem Ende bot sich erneut nadelübersätes Erdreich den Hufen und Füßen dar, und hier prangten auch wieder die Spuren klar wie Tinte auf Pergament.

Fast zwei Stundenmaße verstrichen auf diese Weise, doch hier in Firuns weiten grünen Hallen schlug keine Glocke von den Tempeln, ging kein Rufer durch die Gassen, verriet nicht der Duft von Marktbuden und aus heimischen Fenstern, daß die Mittagszeit gekommen war. Nur selten schaute Praios Goldauge herab auf den Waldpfad und die edlen Reiter, verfing sich glänzend auf poliertem Erz.

Da zügelte mit einem Male der Ritter Lucrann sein Roß und blickte sich suchend um. „Mir scheint, wir werden beobachtet“, raunte er mit gedämpfter Stimme. „Ist das auch nur ein Gefühl, oder seid Ihr Euch sicher?“ fragte der Graf. „Sicher bin ich mir nicht, aber --- ha! war das nicht eine Bewegung, dort im Gesträuch“, rief der Befragte plötzlich und wies mit der Rechten auf ein Dornicht, das sich in einigen Schritt Entfernung einen sanften Hang hinaufzog und für Auge und Fuß gleichermaßen undurchdringlich schien. „Nur der Wind...“, murmelte Stolzenburg, doch auch der Geweihte Lucardus von Hirschingen spähte nun mit zusammengekniffenen Augen in die Richtung. Der Wald war schweigend, dicht und finster. Reto und König Kasimir, die treuen Hunde, sträubten das Nackenhaar und knurrten. „Ho, das mag wohl ein Hanghas’ sein!“ rief freudig Ritter Falk. „An Hängen wie diesem sind sie am liebsten, und daher wird wohl ein schlauer Mensch einst den Namen genommen haben!“ erklärte er ausführlich und durchbohrte die Luft mit seinem Zeigefinger.

„Gut, was auch immer es war: nun ist es ja gewarnt“, murmelte Kordan von Blaublüten-Sighelms Halm und blickte Ritter Falk, ebenfalls ein Mitglied im Orden zur Hanghasenjagd, finster an. Dieser jedoch schien das gar nicht zu bemerken, sondern wandte sich an den jungen Metzel wie auch an Globerich und meinte: „Ihr jungen Leuts müßt wissen, die beiden wichtigsten Dinge bei der Hanghasenjagd sind Geschick, Ausdauer und Ruhe – nee, wartet einmal, die drei wichtigsten...“ Dann schnalzte er rasch mit den Zügeln und trieb sein Pferd, genannt Das Roß, in eiligem Trab den andern hinterdrein, die bereits ein gutes Stück des Weges voraus waren.