Furcht & Schweigen

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Ausgabe Nummer 16 - Praios 1020 BF

Furcht & Schweigen

Rabe von Punin offenbart düstere Omen

PUNIN: Schwarz umschattet lag der Platz des Schweigens, dunkel verhangen unter finsteren Wolkenfetzen, die, wie Höllenzungen geifernd, dem Raschtulswall entgegenzogen.

Devot und ausgefroren harrte die Masse der Pilger in ehrfürchtigem Schweigen — es schien nicht Beleman zu sein, der kalt schneidend durch die Stadt fuhr, Rockschöße und Haareschöpfe zerzausend, Feigenbäumchen knickend, sondern der eisige Odem der Niederhöllen, der hohnlachend das Yaquirtal durchbrauste.

Dunkle Vorzeichen versprachen den kältesten Winter seit den Eslamsjahren in Almada, vielleicht gar seit Menschengedenken, und dennoch — gerade wie um den bösen Zeiten und Gewalten zu zeigen, daß man ihrer düsteren Ahnung und ihrem Frostgeklirr mit Ergebenheit und Hoffnung in die guten Götter entgegenzutreten bereit ist — hatten sich dieses Jahr mehr Pilger bußfertig und in laudablem Streben zum Tag der Toten vor des Herrn BORons Allerheiligsten Hallen des Schweigens versammelt, wie in all den Götterläufen zuvor.

So war der weite Platz vor dem Etilientempel auch schwarz von dunkel gewandten Menschen, die in der Eiseskälte auf dem Pflaster wartend ihr Schuhwerk vernutzten, ja gar die Dächer und Fenster der umliegenden Häuser waren gesäumt von vorwitzig übereinander gereckten Köpfen.

Die vielhundertköpfige Schar der Gläubigen harrte der traditionellen Ansprache und Segnung durch den Raben von Punin, dessen Schweigegelübde für diesen Tag aufgehoben war — galt doch gerade der derzeitige Amtsinhaber, der Erhabene Bahram Nasir, als Mann von prächtiger Diktion.

In diesem Götterlaufe jedoch war eine fast greifbare Spannung unter den Pilgern zu spüren, erregtes Gemurmel durchbrandete die Menge, wo sonst einträchtig frommes Schweigen vorgeherrscht hatte; die Mär von kriegerischen Verheerungen in Tobrien machte die Runde, und auch über das ungewohnte Ausbleiben des totentägigen Prozessionzuges (wobei alljährlich die Gebeine der hl. Etilia in silbernem Schreine durch die Gassen der Stadt getragen worden waren) wurde eifrig spekuliert und debattiert.

Beständ ihre Reinigung in Worten — die Versammelten wären hiernach alle schuldlos wie die Heiligkeit gewesen, solch abwegige Vermutungen wurden dort aufgestellt!

So behauptete einer, die Gebeine der Heiligen wären in die bergige Provinz, den Kosch, verbracht worden, um sie vor Entweihung und Diebstahl durch al’anfanische Häretiker zu schützen. Nun aber wäre es den Schergen des verderbten Patriarchens eben doch gelungen, in den Besitz der kostbaren Reliquie zu gelangen — ja mehr noch, gar das kostbarste Artefakt des Herrn BORons hienieden — den wunderwirksamen „Stab des Vergessens“— habe man mit ketzerischen Ritualen demgemäß präpariert, daß nicht einmal SEIN welthöchster Diener auf Deren, der Erhabene Bahram Nasir, noch in der Lage sei, den göttlichen Talisman für seine Zwecke herbeizurufen.

Wie dem auch sei, straft mich nicht mit nachteiligen Gedanken, wenn ich nicht Halbpart mit denen oder jenen mache, sondern nur meiner Chronistenpflicht nachkomme, denn ich bin kein müßiger Schwätzer oder Gelegenheitsmacher, auf Ehre!

Guter Nachruhm glänzt zumein mehr von den Mündern der Lebenden, denn von den Gräbern der Toten, und so will ich auch nur getreulich die Worte wiedergeben, die der weise Bahram Nasir sprach, als er denn endlich kam:

Als die wartenden Pilger schon leidlich zu murren begonnen hatten, öffnete sich endlich das gewaltige Tempelportal und heraus schritten würdevoll drei schwarzberobte Priester; linkerhand der Tempelobere, Seine Eminenz Radmon Orida, rechterhand der Großmeister des Golgaritenordens, Lucardus von Kémet, gerade damitten zwischen den beiden der Hochgeweihte selbst.

Von den Tempelstufen herab segnete der alte Hochgeweihte die niederknieende Menge unter Verachtung der alten Feinde und jeglicher Sündenberührung. Plötzlich aber wandelte sich der Tonfall des Erhabenen, und seine tiefe, wohltönende Stimme gewann an gänzlich ungewohnter Schärfe:

„...der himmlische Rabe, zögernd, nicht vergessend, verkündet euch durch mich ein schleichendes Unheil, das ihr fürchten sollt anstatt den Tod, der jeden von euch nur einmal trifft. Jenes Unheil aber mag Schritt auf Schritt auf jedem Weg euch folgen. Schon sprießt die Saat der giftig schwellenden Sünde in östlichen Landen, das böse Trachten, das alle Kraft und Regsamkeit im Keim erstickt. Es dräut ein Lästerer, der die Götterfurcht von dannen flucht, der mit entschlossenem Schritt Provinzen durchmißt, der unser Leid mit Sprüchen strickt, der mit gebannten Bücherphrasen Schmerzen sät.

Wie tollwütige Hunde schmiegen sich Krieg, Krankheit, Zorn und Feuer an seine Fersen, er entrollte das Blutpanier, ekler Hauch aus penstilenzialischer Kehle entspringt seinem Geist. Hätte ich jetzo zwanzig Häupter hinzustrecken, auf zwanzig blut’ge Böcke, ich böt sie eher, als mich seiner Verlockung und Verdammnis zu überantworten. Mögen uns die guten Götter Frieden geben — aber nicht des Dämonenmeisters Frieden! Ich...ich wünschte...!“

Mit einem Mal geriet die kühn entschlossene Rede des Rabens ins Stocken, mit schmerzverzerrtem Gesicht presste er die Hände an die Schläfen und taumelte rückwärts.

Radmon Orida und Lucardus von Kémet sprangen herbei, fingen und stützten das greise Kirchenoberhaupt. „Es ist nichts!“ schrie der Hüter des Rabens Radmon Orida gegen das entsetzte Aufschreien der Masse an. „Nur sein alter Kopf ist schwindlicht! Seid wegen seiner Krankheit nicht besorgt!“

Tatsächlich verstummte die Menge, bis die beiden den alten Hohepriester ins Tempelinnere geschleift hatten und bis sich das Portal hinter ihnen geschlossen hatte. Dann aber erhob sich sofort ein verwirrtes und verängstigtes Stimmengewirr und Durcheinander, wie man es in Punin selbst bei der Proklamation von Answins Kaiserwürde im 17er Jahr nicht vernommen hatte.

Was hatten die kryptischen Worte des Rabens, der seine Traumgesichte ja wohl direkt von BORon erhielt, zu bedeuten, und wem hatten sie gegolten? Manch ein Freier spekulierte darauf, seine gesamte Habe zu packen, und das Reich zu verlassen — doch wohin sollte man ziehen?

Zurück bleibt ein ratloser Chronist, der die Ereignisse des Totentages in Punin wohl zu schildern, aber nicht zu verstehen vermag. Wer mich aber dessen verlachen will, der bringt nur Schmach über jemand, der noch niemals in Ehren war.

Tiftal ui Stepahan

* Die Gründe hierfür sind ausnahmsweise nicht den Umtrieben des Patriarchens anzulasten. Näheres entnehmen Sie bitte dem Abenteuerband „BISHDARIELS FLUCH“!