Friede unterm Hirschenbanner

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Ausgabe Nummer 42 - Tsa 1029 BF

Friede unterm Hirschenbanner

Vom weisen Ratschluss des Fürstenrates zu Nadoret

BARONIE NADORET. Nach den Krönungsfeierlichkeiten zu Koschtal schickten sich die hohen Gäste an gen Ferdok zu reisen, um an der Seite des treuen Grafen Growin dessen Silbernes Thronjubiläum zu begießen. Ihr Weg führte unweigerlich durch Nadoret.

Stammbaum des Hauses Nadoret © M. Lorber

Es schien, als hätte man die Ankunft Seiner Durchlaucht und der Grafen bereits sehnlich erwartet, denn als die herrschaftlichen Kutschen im Abendlicht in die stolze Stadt einfuhren, erhellte der Schein vieler Fackeln den Platz vor dem barönlichen Schloss. Doch es war kein freudiges Empfangs-Comitee, wie der Fürst zunächst vermutete, sondern eine Horde wütender Edler und Bürger der Baronie, die sich im Streite gegenüberstanden.

Noch immer schwelte die ungelöste Nachfolgefrage zwischen dem älteren und dem jüngeren Zweig der Familie. Es soll bereits erste Duelle und Gefechte gegeben haben, und das wohlhabende Land war kurz davor in Brand zu geraten. So wollte es PRAios’ Fügung, dass der versammelte Hochadel just zur rechten Zeit kam, um die hehre Frage endlich einem gütlichen Ende zuzuführen. Man nahm Gastung im verwaisten Schloss Nadoret, dessen vieltürmige Schönheit vom Wohlstand vergangener (und künftiger) Herren kündet, und rief zum Fürstenrat.

Mit Hilfe des Registrargreven Himrig und den nahezu vollständig erschienenen Mitgliedern der verzweigten Sippe durchstreifte man die wechselvolle Historie des Hauses, das schon Raul und Baduar als Vasallen diente, vor Jahrhunderten gar auf dem Ferdoker Grafenthron saß und nach dem Tod von Feas, des letzten Grafen aus dem Hause Nadoret, sich doch so bitterlich zerstritt, dass am Ende blutiger Fehden der Thron verloren und die Familie in ein älteres und ein jüngeres Haus gespalten war. Wahrlich verschlungene und verwirrende Wege schmückten die Stammtafeln der Nadorets, die doch der Stolz und die Sehnsucht nach dem Grafenreif wie ein Fluch zu einen schienen.

Man sprach mahnend über Baron Dajin, der sich nach der Heirat seiner Schwester Cella mit dem Grafen Hakan von Wengenholm schon als baldigen Herren von Ferdok sah, nach dem vermeintlichen Giftmord an jener Schwester jedoch der Hartherzigkeit verfiel, viele Getreue hinrichten ließ, gar eine weitere Schwester, Suzama, aus der Familie verstieß. Kaiser Hal vernahm davon und kürte darob nicht den zornigen Dajin, sondern den jungen und wackeren Angroscho Growin Sohn des Gorbosch zum neuen Grafen. Als Kaiser Hal verschwand und Answin von Rabenmund sich anschickte dessen Nachfolge zu erlangen, sah Dajin die Stunde der Rache für diese Niederlage gekommen. Wie dieser Tage Orsino, so ritt schon damals Dajin aus Gier an des Rabenmunds Seite in den Untergang. Statt den Grafenreif zu gewinnen, verlor er jenen des Barons — und fand nach Jahren der Gefangenschaft bei einem Fluchtversuch durch ein Ogerweib sein Ende. Auch erinnerte man ehrfürchtig an Baron Alerich Ferrik, der mit kaum minder harter Hand, aber großer Gerechtigkeit regiert hatte. Alleine das Glück war ihm nicht hold, kamen Frau und Kinder doch in der Schlacht von Gareth ums Leben, ehe er tapfer, aber ohne Erben zu hinterlassen, wider den Alagrimm in Rondras Hallen ritt.

Als man auf den Versuch von Dajins Sohn Perjin, sich in den Tagen der Kirchenspaltung zum Grafen von Ferdok auszurufen, zu sprechen kam, fiel dieser — der doch seither als einfacher Geweihter im Kloster Findelstin Buße tut — demütig auf die Knie und bat die Anwesenden — allen voran den Grafen Growin — für diese „Verirrung“ um Vergebung, die der offenbar etwas peinlich berührte Zwerg schließlich gewährte. Sein Sohn Feron, der als einer der Falkenritter nicht nur beim Fürsten hohe Achtung genießt, trat daraufhin vor. In den Tagen der Verfehlung seines Vaters war er noch ein Knabe und vernahm davon in dieser Ausführlichkeit offenbar zum ersten Mal. Er wusste wohl, dass er als aussichtsreicher Baronsanwärter galt, doch verzichtete er nun aufrecht auf dieses Recht, was den Kreis der möglichen Nachfolger verkleinerte. Der Fürst zog sich daraufhin mit den Grafen, dem Cantzler und dem Registrargreven zur Beratung zurück, um über die Fülle des Gehörten zu beraten.

In den Stunden des Wartens warfen sich so manche Mitglieder von älterem und jüngerem Haus finstere Blicke zu, die erahnen ließen, welch blutiger Zwist ohne ein befriedigendes Ergebnis des Fürstenrates über das Land ziehen würde. Es wurde Abend, bis der Fürst an Graf Growins Seite mit müder, aber zufriedener Miene vor die begierige Menge trat um seine Entscheidung zu verkünden: „Nach reiflichem Rat sind Wir zu dem Entschluss gelangt, dass Wir heute nicht nur einen, sondern deren zwei hochwichtige Ämter benennen wollen.“ Ein Raunen strich durch den festlichen Hirschensaal ob dieser unerwarteten Wendung. Der Fürst fuhr fort: „Neu zu schaffen sei das ehrenwerte Amt des Herren über das Kaiserliche Gut Brinstreuen, das künftig zu einer würdigen Gastung Ihrer Kaiserlichen Majestät Rohaja von Gareth ausgebaut werden soll. Zu einem neuen Amt passt ein jüngeres Haus — weshalb Wir Junker Perval zum neuen Statthalter von Kaiserlich Brinstreuen ernennen wollen. Den Baronsreif soll eine Dame erlangen, die als die jüngere Schwester des einstigen Barons Dajin der direkten Erblinie entstammt, und doch zu Zeiten dessen Verrats noch zu jung war, um dessen Schuld tragen zu müssen: Junkerin Neralda Cella aus Nadorets älterem Haus.“

Wie klug diese Entscheidung war zeigte sich schon daran, dass sich zur anschließenden Ernennungszeremonie und Freudenfeier Familienmitglieder und Freunde des Hauses (darunter Vogt Roban von Treublatt, Baron Narmur von Karma zu Drift oder Baron Alrik Erzbart von Stanniz) nicht nur friedlich zusammenfanden, sondern einige von ihnen gar einen neuen Adelsbund der „Alttreuen“ ins Leben riefen, der fürderhin die hohen Ideale und Traditionen des Raulschen Reiches in diesen Zeiten des Umbruchs und der Neuerungen bewahren will.

Nicht zuletzt die braven Nadoreter Bürger und Bauern sind angesichts dieser Entwicklung froh, wissen sie doch endlich wieder, von wem Sie künftig Gerechtigkeit und Schutz erwarten dürfen, wem sie ihren Zehnten schulden und wessen Scholle sie beackern — vor allem aber bleiben ihnen und dem Koscherland dank PRAios und dem Fürstenrat blutige Scharmützel erspart.

Losiane Misthügel