Der Ruf des Friedwanger Raben 1032 BF: Teil 9
Briefspielgeschichte der Golgariten
Markt Friedwang, Wildermark, Anfang Praios 1032 BF
Der Rappe hielt mit dem Saufen inne. Das Tier begann unruhig zu schnauben, den Kopf hin und her zu werfen. Dschelefer kniff die Augen zusammen, was nicht nur an der grellen Nachmittagssonne lag. Irgendetwas stimmte mit seinem getreuen Streitross nicht, das konnte er nicht nur sehen, sondern bereits spüren… Gift. Kaum war der Gedanke in ihm aufgestiegen, begann das Pferd bereits zu erstarren, seine Nüstern blähten sich auf und regten sich nicht mehr, ebenso wie das gebleckte Maul. Auch die Farbe wechselte, von glänzendem Schwarz in ein mattes helles Braun. Das Fell wurde rissig, zeigte eine Art feine Maserung. Zugleich begann das Pferd zu schrumpfen, erst langsam, dann immer schneller, erst auf Ponygröße, dann auf die Maße eines großen Hunds. Dschelefer staunte nicht schlecht: Was geschah hier? Die Hufe verwuchsen grotesk ineinander, jeweils zwei in einen halbrunden Holzbogen. Seine Rappe (der der Farbe nach jetzt eher ein Falbe war) begann wie wild zu schaukeln. Der Schwingenführer traute seinen Augen ebenso wenig wie seinem Verstand: Ein Schaukelpferd???? Irgendetwas hatte gerade seinen Rappen in ein Schaukelpferd verwandelt
Boronio tastete zitternd nach der Armbrust, die auf dem Fensterbrett lag – noch war es nicht zu spät, den Auftrag zu Ende zu führen. Er war ein Söldner, boronsverflucht, und zwar einer der Härtesten seiner Sorte. Ein Blick über die Schulter: nein, das geflügelte Auge war verschwunden, wie ein böser Spuk. Magie…zweifelsohne schwärzeste Magie. Natürlich, diese Golgariten waren mit dem Namenlosen im Bunde. Da musste man mit dem Schlimmsten rechnen. Erst jetzt sah er, wie zwei der Schwarzen Ritter auf den Turm zueilten, darunter auch dieser Kahlkopf. Verdammt, warum unternahmen seine Gefährten, die anderen Heckenschützen nichts? Warteten sie etwa noch immer auf seinen Pfeil, als Zeichen zum Angriff (wie es eigentlich ausgemacht war)? Offenbar…Er riss Sylvette hoch, zielte auf den haarlosen Golgariten – genau auf das Zeichen des gebrochenen Rades, in die Radnabe. Das würde ein sauberer Schuss werden. Dann betätigte er mit einem „Uthar steh mir bei!“ den Drücker. Die Sehne wuchtete vor, der Bolzen schnellte mit Urgewalt nach unten, auf den Marktplatz zu.
Gregorius hörte das Krachen des Auslösemechanisums, ahnte ein Zischen, blickte, eher instinktiv nach oben, Richtung Turm, hätte sich im nächsten Augenblick sicherlich geduckt – wenn es denn einen nächsten Augenblick gegeben hätte. Feucht, warm und schwer klatschte etwas in sein Gesicht, wabbelte schmierig nach unten. Der ehemalige Inquisitor taumelte, griff sich ins Gesicht, langte in eine breiige, klebrige Masse, leckte daran. Es schmeckte süß und klebrig: Pudding?
Als er wieder klar sehen konnte, starrte er ins Gesicht seines Waffengefährten, der ihn breit und blödig angrinste, als hätte er Rauschkraut genommen – und sich dabei mehrmals deftigste Backpfeifen ins Gesicht schlug: Ein lauter Tusch ertönte über dem Marktplatz, dann stieg eine Art bunter Nebel auf. Jetzt sah Gregorius, wie der Bauer, der gerade mit seinem Schubkarren über das Pflaster gefahren war, eben diesen fallen ließ, einer Frau im Lederwams, die gerade mit einer Armbrust in den Fäusten aus einem Planwagen gesprungen war, von hinten an die Schulter langte. Die Kämpferin warf ihre Schusswaffe weg. Beide begannen, anfänglich mit deutlicher Verwunderung im Gesicht, dann voller Begeisterung loszutanzen – und schräg zu singen, als wäre wieder das Fest der Freuden ausgebrochen (während die Schützin wie wild klatschte): „Jaaaa da simmmer dabeiiiii – es iiist Raaaahja. Glooo-riaaaa Darpaaaatia! Wir lieben das Lebeen, Wein, Bier, Schnaps und Lust.....Wir glauben an Frau Travia und ham doch immer Durst…Bardo-und-Cella-Marsch! Hoi Hoi Hoi…“
Dschelefer wusste einen Moment lang nicht, wohin er zuerst schauen sollte: auf seinen zum Schaukelpferdchen geschrumpften Rappen, auf die beiden Tänzer, die den Backpfeifen-Golgariten erreicht hatten – und ihn ebenfalls in ihren wilden Marsch zwangen. Auf den vermeintlichen Herold, der, mit heruntergelassener Hose, zu Boden gerutschtem Mantel und Hemd splitterfasernackt vor ihm stand, und jetzt plötzlich karottenrote Haare, abstehende Ohren, Sommersprossen und ein tiefrotes Gesicht hatte – der überhaupt ganz anders aussah als noch gerade eben…. Oder auf das Dachgeschoss des Springenden Steinbocks – wo gerade ein Mann in Lederrüstung auf dem Fensterbrett saß, ebenfalls eine Armbrust auf dem Schoß, während er begeistert im Takt des Gloria Darpatias winkte: Und dabei immer wieder in rahjahgefällige Rufe wie „Halalalah!“ (den Schlachtgesang der Säbeltänzer), „Vivat Valpo!“ „Lang saufe Kaiserin Cella!“ oder „Lang liebe unser närrischer Kaiser Bardo!“ ausbrach. Dschelefers verwunderte Augen irrten weiter umher – und blieben schließlich auf einem Fass hängen, auf dem ein kleines Männchen stand: mit grüner Jacke, breitem Gürtel und Schnallenschuhen, ein pelziges, wild geflecktes Köpflein mit Ziegenhörnern und –Bart auf den Schultern…die Hörner sprossen durch einen kegelförmig aufragenden Schlapphut, die Ohren war spitz und befellt wie bei einem Eisenwalder Langohrschaf, der Ziegenbart selbst paffte eine langstielige Pfeife. Das Männchen hob die Arme und die grölenden Sänger verstummten:
„Höret nun, Ihr Söldnervolk und auch Ihr Golgariten… Friedwang : das ist Feenland. Drum haltet Ihr hier Frieden. Der Götter Wort gilt mir als Tand. Dies sei die heitre Mahnung. Ernst wird des Kobolds Strafe sein Missachtet Ihr die Warnung. Behüten mögt Ihr das Gebein Auf Suunkdals Boronsacker. Doch auch die heilge Schal wird neu erstehen Kämpft Ihr nur unverzagt und wacker. Zur rechten Zeit sollt Ihr dann sehen, Wie überm Grab das Leben lacht. Gemeinsam trotzt dem finstren Plan Besiegt des bösen Feindes Macht, Ränke, Arglist und der Niederhöllen Wahn. Dies wird der Alten wie der Zwölfe Strafgericht. Doch müsst beizeiten Ihr Euch einen. Dies nehmet hin als Eure Pflicht. Dann wird die Sonn´ aufs Neue scheinen! Fünf Wächter sollt Ihr dorten sein, Wie einst die Seel´n der Raben Ist eure Seel nur gut und rein Mögt Euch an der Schal Ihr laben. Was jetzt ist Feind, das schließ den Bund, Nur so bannt Ihr der Dunklen Herrin Pforte, Und steht Ihr dann im festen Rund, Gewinnet Ihr - den Heiligsten der Horte!“
Das ziegenköpfige Männlein verschränkte die Arme, neigte, als wolle es Beifall heischen, den gehörnten Kopf, drehte sich um die eigene Achse und war im nächsten Moment verschwunden.
Boronio Schwarzwasser starrte hinunter auf den Platz, verstand einen Moment lang rein gar nichts mehr. Das hier war sein Hinterhalt, verflucht, von ihm ausgedacht. Aber er war nicht dumm, merkte schnell, was hier gespielt wurde. Sie waren selbst in eine Falle geraten – anders konnte er sich den Vorfall hier nicht erklären. Dieses blonde Weib, ihre, haha, „Auftraggeberin“, steckte mit dem…dem Kobold unter einer Decke. Wollte wohl aus irgendeinem Grund, dass er, der Al´Anfaner, sich mit den Puniner Ketzern verbündete. Gegen die Macht der Niederhöllen… Nein, dacht er. Nicht mit mir. Verdummbeuteln kann ich mir selber. Was hatte der Ziegenkopp gesagt - irgendwas von einer Heiligen Schale. Einen Moment lang tauchte das Bild eines edelsteinbesetzten, güldenen, ungemein kostbaren Kelchs vor seinem geistigen Auge auf. Das war sicher eine Beute, die sich lohnte, beim bluttriefenden Kor! Was auch immer das war! Er würde es herausfinden. Hohnlachend stemmte er den Schaft der Armbrust gegen den Bauch, riss mit beiden Armen die Sehne gewaltsam zurück, legte einen weiteren, diesmal nicht mit irgendwelchen Koboldssäftlein verhexten Bolzen ein. Damit zielte er auf den einen Golgariten, der jetzt wieder klatschend und singend das Tanzbein mit Hilla und Oswald schwang. Er betätigte den Drücker – im nächsten Moment lag der durchgedrehte Graumantel auf dem Boden, tastete schreiend nach dem Pfeil in seiner Schulter. Der närrische Zauber verflog mit einem Schlag. Na also… „Rückzug!“ brüllte der Al´Anfaner nach unten. „Hört endlich auf mit dem Unfug, verdammt!“