Roterzer Herzklopfen - Die Belagerung von Bochswies
Teil der Briefspielgeschichte "Roterzer Herzklopfen"
Unsere Frischvermählten denken mit | Die Ankunft der Barone |
Auf Bochswies, bei Nacht
Ein Schrei erklang in der Nacht, riss die Sindelsaumer aus dem Schlaf. Sofort wurden Fackeln entzündet, schwärmten die Breitäxte in Gruppen aus, um das Lager zu sichern.
”Überprüft die Ausrüstung!” schrie Halmar. ”Besonders die Wurfmaschine!”
Kämpfer hasteten durch die Nacht. Schon nach wenigen Augenblicken bekam Halmar die Meldung, dass die Wurfmaschine unberührt war, auch das sonstige Material hatte niemals angerührt.
Etwas länger dauerte es, bis man den Ursprung des Schreis ermittelt hatte. Einer der Söldlinge hinkte, von einem Kameraden gestützt, vor den Adligen.
”Was ist passiert, Mann?”
”Ein Eindringling”, keuchte der Mann, noch immer von Schmerzen gekrümmt. ”Er tauchte aus der Nacht auf, lautlos wie ein Schatten, grinste mich an, und...”
”Und was? Was hat er gemacht?” bellte Halmar ungeduldig.
”Mir zwischen die Beine getreten wie ein Ackergaul!” ächzte der Mann. ”Dann hat er mir einen Zettel unter das Wams geschoben, die Wange getätschelt und gemeint, er würde mal wieder reinschauen!”
Halmar ließ sich den Zettel reichen. ”Klainer Grusz zur guten Nahcht!” stand darauf, in der krakeligen Schrift des Grobhänders.
”Verdammter Scheißkerl!” zischte Halmar. ”Was soll das? Wieso kriecht er mitten in der Nacht hier herum, ohne wirklichen Schaden anzurichten?”
Die Breitäxte suchten noch eine ganze Zeit lang, aber von Roban war keine Spur mehr zu finden.
Doch in der gleichen Nacht kam es noch zu zwei weiteren Angriffen: einmal flogen einige Steine auf eines der Zelte, und erneut weckte der Alarm das gesamte Lager, und zwei Stunden darauf wurde eine weitere Söldnerin überraschend nieder geschlagen.
Halmar ließ die Leute nur noch zu zweien wachen, was das Schlafpensum für jeden natürlich herab setzte.
Und als die Sonne aufging, hockte Roban auf der Mauer des Gutes, kaute auf einem Brotkanten und winkte spöttisch zu den Sindelsaumern herüber wie ein freundlicher Nachbar.
Bochswies, einige Tage später
Roban blickte besorgt in Richtung des Sindelsaumer Lagers. Die letzten Tage über hatte sich recht wenig getan, auf seine Provokationen hatten die Sindelsaumer nur mit einer Verstärkung ihrer Wachen reagiert, nun aber war am Morgen ein Wagen angekommen und hatte im Lager einiges an Geschäftigkeit ausgelöst. Ihre Wurfmaschine hatten die Kämpfer unter dem Dachsbanner bereits am ersten Tag aufgebaut, aber nun wurde sie gespannt und geladen. Roban hatte seine Leute vorsorglich in voller Montur im Hof antreten lassen, formierten sich doch zeitgleich die Breitäxte und Sindelsaumer Waffenknechte. Roban war etwas mulmig zu Mute. Würden die jetzt tatsächlich ernst machen und den Hof bestürmen. “Alle auf ihre Posten” brüllte er daher und löste damit im Hof geschäftiges Treiben aus.
Roban kam nicht umhin zu denken, dass hier etwas faul war, doch in just diesem Moment gab der zwergische Richtschütze sein Kommando und die Wurfmaschine beförderte ihre Fracht Richtung Bochswies, aber die Sindelsaumer feuerten keine Steine, war das etwas Brandöl? Instinktiv duckte sich Roban, doch dann riss das Geschoss auf und verteilte seine Fracht über die am Tor positionierten Kämpfern. Eine braune Flüssigkeit hatte sich auf dem Geländer und den dahinter stehenden Kämpfern verteilt. “Brandöl” riefen die unerfahrenen Söldner angstvoll, doch Roban roch vor allem Zwiebeln. Die Geschmacksprobe sollte ihm Recht geben. Die keblrige Flüssigkeit war ohne Zweifel aus Zwiebeln gemacht, ohne Zweifel er wurde hier gerade mit Färbemitteln beschossen.
“Mahlzeit”, brummte er. “Mit was schießen die als nächstes? Brotkanten zum Eintunken?”
So ging es dann den ganzen Tag weiter. Etwa viermal pro Stundenglas entlud das Sindelsaumer Wurfgeschoss seine Ladung auf den Hof, anfangs war es immer wieder das Färbemittel, das sich auf dem Hof, den Kämpfern, aber auch den Dächern und Wänden verteilte, später dann schien ihnen das Färbemittel ausgegangen zu sein, denn dann folgten, nicht gerade frische, Zwiebelstücke und Knoblauchzehen, die allesamt wohlgezielt auf Dächer und Hof befördert wurden. Bald roch es auf Bochswies wie auf einem Misthaufen und die meisten seiner Leute sahen, dank der Färbemittel, auch so aus.
Nur einmal kam der Ruf “Vorsicht Stein” aus dem Sindelsaumer Lager und kurz darauf krachte ein Stein in den Innenhof “Bum, ihr seid alle tot” stand darauf geschrieben. Just als Roban den Stein vom Hof rollen wollten hörte er erneut das Knallen des Wurfgeschosses und kurz darauf nieselten ihm erneut Zwiebelstücke auf Kopf und Nacken.
Roban grinste, halb verärgert, halb amüsiert. So ernst die Sache war, irgendwie mochte er es, sich mit dem Sindelsaumer zu messen. Zwiebeln und Knoblauch, mit so was schoss man nur im Kosch. Etwas weniger erfreut betrachtete er das Loch in dem aufgespannten Fischernetz, dass der Stein gerissen hatte. Die Idee konnte er begraben – der Stein war nicht mal besonders groß gewesen, und dennoch genügend Wucht gehabt, das Netz zu durchschlagen und einen kleinen Krater auf dem Hof zu hinterlassen.
“Darf man erfahren, was wir jetzt machen?” rief Leowina ihm zu. Roban zuckte die Schultern.
“Was schon – das Gemüse einsammeln und an die Schweine verfüttern!”
4. Efferd 1041 bei Bochswies
“Was machen die denn?” rief Sephiran von Püscheln verzweifelt. “Da haben beide Seiten Söldnerhaufen und Waffenknechte zusammengezogen und anstatt sich die Köpfe einzuschlagen feiern sie einen Kindergeburtstag. Das ist doch kindisch.”
“Das kann noch eine ganze Weile so weitergehen.” Warf Ontho ein. Er war gerade aus Uztrutz zurückgekommen. “Die Sindelsaumer haben sechs Wagenladungen alter Zwiebeln und Knoblauchzehen von einem Kahn am Großen Fluss gekauft. Denen geht die Munition so schnell also nicht aus.”
Sephiran schüttelte entnervt den Kopf. “So geht das nicht weiter. Wir müssen nochmal ran.”
5. Efferd 1041 Bochswies des Nachts
“FEUER” und “WIR WERDEN ANGEGRIFFEN” war der panische Ruf, der Halmar aus seinem Schlaf riss. In seinem Nachthemd, nur mit Schild und Schwert bewehrt, stürzte er aus seinem Zelt. Feuerschein erhellte das Lager der Sindelsaumer von der Bochswieser Seite her. Es war Kampfeslärm und Hörner zu hören. Seine Leute eilten, oft spärlich bekleidet, aber gut bewaffnet, in Richtung des Feuerscheins. Als Halmar dort angekommen war erkannte er jedoch, dass der Feuerschaden eher gering war. Zwei Zelte standen in Flammen, aber es schien keinen Koschtaler Ausfall zu geben, denn zwar waren einige seiner Wachen angegriffen worden, aber die Angreifer hatten sich nach einigen Hieben wieder in die Dunkelheit zurückgezogen. Während sich die Breitäxte und Sindelsaumer zu einem Schildwall formierten bemerkte Halmar, dass auch auf Bochswies einiges los war. Das Tor stand lichterloh in Flammen und auch auf einem der Dächer brannte ein kleines Feuer. Hier stimmte doch irgendetwas ganz gewaltig nicht. Selbst Roban war vermutlich nicht so dämlich seine eigene Position abzufackeln, um von einem Ausfall abzulenken, oder doch? Halmar schickte die Hälfte seine Leute zum löschen und wartete erst einmal ab.
Roban hatte in voller Montur geschlafen. Seit Wochen zog er nur noch die Stiefel aus, seine Beinkleider standen vermutlich auch ohne ihn, und auch ohne das Gemüse-Bombardement hätte er gestunken wie ein nasser Otter. Als der Alarmruf kam, war er binnen Sekunden auf dem Hof.
“Sie brennen das Tor ab!”
“Die Wassereimer her! Verdammtes Dachspack! So schnell lassen wir uns hier nicht ausräuchern! Zehn Mann zum Löschen, die anderen an die Mauern!”
Roban flog förmlich auf den improvisierten Wehrgang, eine Hand schon am Schwertgriff. Er rechnete damit, die Breitäxte bereits vorrücken zu sehen – statt dessen sah er weiteres Feuer, im Sindelsaumer Lager!
“Was beim Hanghasen ist denn hier los?” murmelte er zu sich selbst. Im Feuerschein sah er, wie die Breitäxte einen Schildwall bildeten.
“Greifen sie wirklich an?” Leowina erschien neben ihm.
“Nee – die richten zur Abwehr ein!” erwiderte Roban ungläubig. “Habe ich meinen Einsatz verpasst? Hätten wir einen Ausfall machen müssen, damit die sich da drüben nicht langweilen?”
“Hast du die Zelte angefüchelt, Roban?” Der Vorwurf in Leowinas Stimme war unüberhörbar.
“Was? Ich?” Für einen Moment vergass der Grobhander die Lage. “Hast du unter dem Bierfass gepennt und zwischendurch dran genuckelt? Ich habe gepennt, wie die meisten hier! Was hätte ich auch davon, denen die Zelte abzufackeln? Wäre ich so nah ran gekommen, hätte ich die verdammte Wurfmaschine eingeäschert!”
“Aber wer hat dann die Zelte in Brand gesteckt? Und unser Tor?”
Roban biss sich auf die Lippe. Die Frage interessierte ihn auch. Kurz entschlossen griff er nach der Strickleiter, die er sich für seine nächtlichen Ausflüge angefertigt hatte, und warf sie über die Mauer. Dann schnallte er den Waffengürtel ab und drückte ihn Leowina in die Hände.
“Schön drauf aufpassen, Winchen. Bin gleich wieder da!”
Er war über die Mauer, ehe Leowina etwas sagen konnte, und stiefelte auch schon erhobenen Hauptes in Richtung Schildwall.
“Ich hasse es, wenn du so etwas tust!” rief sie ihm noch nach, auch wenn sie wusste, dass ihre Worte Roban egal waren.
“Ein Gegner kommt von Bochswies!”
Halmars Aufmerksamkeit wanderte vom Feuer wieder zum Schildwall. Tatsächlich, vor dem Feuerschein zeichnete sich eine einzelne Person ab, die entschlossenen Schrittes in ihre Richtung stampfte.
“Nur einer”, knurrte Halmar. “Dann ist es der Grobhand selbst. Kein anderer wäre derart verrückt, allein auf eine Söldnermeute zu marschieren!”
Baltram von Eichental lachte kurz.
“Immerhin, Schneid hat der Bursche, dass muss man ihm lassen!”
Halmar lachte ebenfalls, aber ohne jeden Humor.
“Baltram, der Kerl hat schlichtweg nur Luft zwischen den Ohren. Deshalb kommt er auf derlei verrückte Ideen.”
Trotzdem trat Halmar hinter seine Breitäxte, die nicht so recht wussten, was sie mit einem einzelnen, unbewaffneten Angreifer anfangen sollten.
“Habt Ihr unser Tor angesteckt?” rief Roban schon von weitem.
“Nein!” rief Halmar zurück. “Habt Ihr unsere Zelte angezündet?”
“Nein – mit was denn auch! Denkt Ihr, ich wäre mit einer Fackel in der Hand herum spaziert, hätte Eure Wachen freundlich gegrüßt, einen Plausch mit Ihnen gehalten und dann die Zelte angeflämmt?”
Halmar verbiss sich eine passende Antwort. Stimmt, wie hätte der Grobhander das bewerkstelligen sollen. Selbst wenn er mit Zunder und Stahl hantiert hätte, hätte er höchstens ein Zelt anzünden können, ehe man ihn bemerkte.
“Lasst den Verrückten passieren!” wies er die Breitäxte an, die zögernd gehorchten.
Unbeirrt stampfte Roban durch ihre Reihen. Baltram wedelte demonstrativ mit der Hand vor seiner Nase – ein ziemlich übler Geruch wehte dem Koschtaler voran, ein Aroma von Zwiebeln und Knoblauch.
“Ihr habt das Tor also nicht in Brand gesetzt, wir nicht Eure Zelte!” stellte Roban fest, und blieb ebenso demonstrativ so dicht vor Halmar stehen, dass dieser unwillkürlich die Nase rümpfte.
“Fragt sich – wer hat es getan?”
Halmar verschränkte die Arme und blickte in die Nacht. Er wusste, dass seine Leute das Tor nicht angegriffen hatten, aber jemand HATTE es angegriffen! Aber wer hatte ein Interesse daran, dass sich der Konflikt weiter verschärfte, und zugleich die Mittel, um diesen Angriff zu bewerkstelligen.
“Habt Ihr einen Vorschlag? Außer die Feuer zu löschen und vielleicht mal ein Bad zu nehmen?”
Roban schürzte aufmüpfig die Lippen, aber auch er schien das, was ihm auf der Zunge lag, herunter zu würgen.
“Für heute Nacht die Füsse ruhig halten”, schlug er dann vor. “Verstärkte Wachen auf beiden Seiten, aber keine Angriffe, keine Bewegung gleich welcher Art. Ihr bleibt in Eurem Lager, wir auf Bochswies. Morgen suchen wir gemeinsam nach Spuren – wer auch immer die Brände gelegt hat, er muss ziemlich nah an beide Stellen heran gekommen sein. Oder ist Eure Wurfmaschine nicht die einzige in der Gegend?”
“Bei Nacht ein Gutstor mit einer Wurfmaschine treffen?” rief einer der Angroscho, die nahe dem Belagerungsgerät Wache hielten. “Ohne Ausmessen und Einschießen? Auf so eine Idee kann nur ein Großling kommen! Mit einer Hornisse oder einer Rotze, ja, wenn man bei Licht gerichtet hat, aber mit einem Onager...”
“Also waren die Angreifer sowohl Eurem Tor wie auch unseren Zelten recht nahe. Gut, suchen wir nach Spuren, wenn es hell wird! Wie viele Leute werdet Ihr mitbringen?”
“Garantiert Ihr freies Geleit?” fragte Roban.
“Meine Hand drauf!” Halmar streckte mit steinerner Miene die Rechte aus. Roban griff zu, und die Fingerknöchel beider Männer traten weiß hervor, als sie mit aller Kraft drückten, ohne dass einer von beiden mit der Wimper zuckten.
“Schön – ich komme allein!” kündigte Roban an.
Am selben Tag, später am Morgen
Als es hell geworden war machten sich Roban und Halmar gemeinsam daran nach Spuren zu suchen. Es gelang ihnen einige Fußspuren zu finden und konnten sie bis in ein kleines Wäldchen verfolgen und trafen in diesem zu einer Stelle an der ihre Angreifer gelagert haben musste. Die beiden Ritter benötigten keine Hilfe von Spurenlesern, oder Jägern, hatten beide doch lange genug in Tobrien gedient um die wenigen vorhandenen Spuren selbst lesen zu können. Frustriert schüttelte Halmar den Kopf. „Wir können uns auf jeden Fall sicher sein, dass wir es hier nicht mit Amateuren zu tun haben. Hier ein abgeknickter Zweig, da ein Kleiderfetzen, aber doch nichts was uns wirklich weiterhilft.“ Auch Roban wirkte angespannt „Die Schweine haben ihre Spuren besser verwischt als die meisten Partisanen hinter feindlichen Linien. Die wussten ganz genau was sie tun und haben es sicher nicht zum ersten Mal gemacht.“ Halmar nickte. „Es war auf jeden Fall eine gut ausgebildete und eingespielte Gruppe, ich bin mir nicht einmal sicher wie viele sie genau waren.“ Auch Roban wusste darauf keine Antwort. Sie suchten noch eine ganze Weile weiter, dennoch wurden sie nicht fündig und mussten schließlich unverrichteter Dinge wieder nach Bochswies zurückkehren. Beim Heimweg tauschten die beiden Ritter Geschichten aus Tobrien aus und als sich vor Bochswies ihre Wege trennten merkte man ihnen nicht mehr an, dass einer von ihnen gerade den anderen belagerte.