Wenn Frohsinn zu Unsinn wird

Aus KoschWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen


Kosch-Kurier36-.gif

Ausgabe Nummer 56 - Peraine 1035 BF

Wenn Frohsinn zu Unsinn wird

Oder: Von den bösen Folgen eines Puppenstücks

ANGBAR. Wie leicht etwas gut Gemeintes fatale Folgen haben kann, wenn Hesinde ferne weilt, zeigt ein trauriges Ereignis, das sich jüngst in Angbar abspielte.

Nach einer gut besuchten Aufführung der Puppenbühne verlangte das fröhliche Publikum lauthals nach einer Zugabe, die Meister Staubgesicht und seine Mitstreiter auch gern gewährten: Es handelte sich um einen Einakter mit dem Titel „Wer andern eine Grube gräbt“, das, kurz gesagt, von einem Tunichtgut handelt, der sich des Nachts die Zeit damit vertreibt, als Geist verkleidet, anständige Leute zu erschrecken. Erst als er an Wengels Großmutter gerät (die bekanntlich nicht mit sich spaßen lässt und stets ihren Kochlöffel zur Hand hat), wird seinem Treiben Einhalt geboten.

Dieses Ende nun hätte einem liderlichen Burschen, dem Gesellen Anshold Humperding, wohl besser eine Warnung sein sollen. Doch er beschloss, wahrscheinlich nach einigen Humpen Angbarer Alts, das im Theater Gesehene in Wirklichkeit auszuprobieren, und so zog er in der darauffolgenden Nacht in einem grausigen Kostüme durch die Gassen der Ehernen. Der Zufall wollte es, dass ihm die alte Hebamme Bertel Mehlweiß begegnete, die gerade von einer schweren Entbindung kam und sich wahrscheinlich nichts lieber wünschte, als ihre geschwollenen Füße in Kamillensud zu baden (das pflegte sie jedem mit einem solchen Leiden zu empfehlen) und sich alsdann ins warme Bett zu begeben. Dieses freilich sollte die Bedauernswerte nie mehr wieder sehen, denn als sie um die Ecke bog und die verkleidete Schreckgestalt erblickte, traf sie der Boronsschlag, so dass sie auf der Stelle zu Boden stürzte und verschied. Da nützte es auch nichts, dass der Geselle, über die Wirkung seines Mummenschanzes erschrocken, rasch die Nachbarn aus den Betten holte und man gar einen Medicus, der in der Nähe wohnte, zu Rat zog: Mütterchen Mehlweiß, unter deren kundigen Händen wohl einige hundert Angbarer das Licht der Welt erblickt hatten, war tot.

Der Lümmel, der dies verschuldet hatte, nutzte die nächtliche Verwirrung, um schändlich aus der Stadt zu flüchten und sich so der gerechten Strafe zu entziehen. Wie ihm das bei geschlossenen Toren gelingen konnte, ist noch ein Rätsel, denn die Torwächter haben ihn nicht ausgelassen. Es scheint aber, als habe er über eine der Stiegen und Leitern in Heimeling die Mauern überwinden können.

Andertags beriet man im Stadtrat empört über den Vorfall, und es gab sogar Stimmen, welche die Puppenspieler wegen Anstiftung zum groben Unfug mit tödlichen Folgen zur Rechenschaft ziehen wollten. (Es heißt, ein Ratsherr, der neulich bei einem Puppenstück ordentlich sein Fett weg bekommen hatte, habe diesen Punkt vorgebracht.)

Irgendeine gute Selle trug diese böse Kunde eilends in das Bunte Haus der Puppenbühne, und mit unheilvoller Ahnung machten sich die Gaukler auf in Richtung Ratsgebäude. Freilich blieb ihnen die Tür zum ehrwürdigen Ratssaal versperrt, uns so griffen sie zu dem Mittel, das sie am besten beherrschten: Auf dem offenen Neumarkt ließen sie ihre Puppen sprechen — und zumindest die plärrende Stimme der Großmutter konnte man auch oben im Ratssaale nicht überhören. Verärgert ob solcher Possen erschien der Reichsvogt höchstpersönlich auf dem Balkon und forderte ärgerlich: „Ruhe da unten“; Meister Staubgesicht solle sich lieber in borongefälliges Schweigen hüllen, statt noch mehr Furore zu machen. Da hatten die Possenreißer ihr Ziel erreicht, nämlich sich Gehör zu verschaffen. Und so nahmen sie die bunten Mützen vom Kopf und verneigten sich, und Meister Baldur drückte sie in wohlgesetzten Worten — ohne Scherz und Spott — sein Bedauern über den Vorfall aus. Und obgleich er sich keineswegs schuldig fühle, wenn ein Mensch aus Fleisch und Blut so töricht wie eine hölzerne Puppe handle, so wolle er doch das unheilvolle Stück nicht mehr zur Aufführung bringen — und obendrein die Einnahmen jener Vorstellung für die Bestattung des armen Mütterchens spenden. Die Bürger auf dem Platze, vom Fischweib bis zum Tuchhändler, zollten seinen Worten Beifall, und so wurde dieses Themaim Rate nicht weiter verfolgt.

Am Abend jedoch soll im „Tanzenden Bären“, wo die Puppenspieler gerne feiern, der sonst so fröhliche Meister Baldur arg dem Trunke zugesprochen haben, und dabei sei ihm auch ein derber Fluch auf den Gesellen Humperding entfahren, den der Kosch-Kurier, des guten Geschmacks wegen, nicht abzudrucken wagt.

Karolus Linneger