Wie eine zweite Geburt

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Ausgabe Nummer 75 - Rahja 1045 BF

Wie eine zweite Geburt

Fürst Anshold knapp dem Tod entgangen

ERLENSCHLOSS, Peraine 1045 BF. Mit knapper Not ist unser guter Fürst Anshold dem Tod entgangen – nur wenige Tage vor seinem 51. Tsatag. Diesen konnte der Landesherr jedoch gesund und munter im Kreise seiner Freunde und Familie verbringen.

An einem milden Morgen Anfang Peraine war Fürst Anshold mit kleinem Gefolge ausgeritten, um die Schönheit des Frühlings zu genießen und sich zu zerstreuen. Als man eine bunte Blumenwiese überquerte, gab der Fürst seinem Tier die Sporen und jagte freudig dahin. Doch beim Sprung über eine Hecke blieb das Tier mit den Hinterhufen hängen und stürzte; sein fürstlicher Reiter wurde abgeworfen und landete unglücklich mit dem Hinterkopf auf einem Feldstein, wo er regungslos liegen blieb – inmitten einer rasch sich vergrößernden Lache Eberstammer Blutes!

Sein Gefolge war sogleich zur Stelle, doch es war kein Heiler darunter, ebensowenig ein Priester oder eine Maga – niemand also, der rasch und wirksam helfen konnte. Sofort schickte man einen Boten zurück zum Erlenschloss und einen zweiten voraus nach Trallik, um Hilfe zu holen. Diese kam jedoch von selbst und völlig unerwartet, und zwar in Gestalt zweier Elfen, eines Mannes und einer Frau. Niemand hatte ihr Kommen bemerkt – doch das ist ja nicht ungewöhnlich bei Vertretern dieses Volkes.

Rasch erkannten die beiden den Ernst der Lage und boten ihre Unterstützung an. Der Elf, der sich Alandrion Amselflug nannte, wandte sich dem Fürsten zu, während seine Begleiterin, deren Name Tandoriel Silberfarn lautete, sich um das gleichfalls verletzte Reittier kümmern wollte. Einige aus der Entourage des Fürsten protestierten lautstark: die einen aus Misstrauen gegenüber der elfischen Zauberei; die anderen, weil nicht alle zur Verfügung stehende Kraft dem Fürsten zugute kommen sollte.

Schließlich war es der erst 15-jährige Quendan von Eichstein, der Knappe des Herrn Anshold, der seine krächzende Stimme erhob und rief: „Nun lasst die beiden doch endlich machen! Es geht um das Leben des guten Fürsten, verdammt!“ Bei diesen Worten standen ihm die Tränen in den Augen, so groß war die Sorge um das Wohl seines Knappenvaters.

Die beiden Elfen begannen, in ihrer sonderbaren Sprache zu singen – vierstimmig, wie uns glaubhaft versichert wurde! Dies dauerte eine ganze Weile, doch endlich schlug der Fürst die Augen auf, blinzelte verwirrt gegen die Sonne und fragte: „Was ist geschehen?“ – „Ein großes Glück für Euch, für uns und für das ganze Land!“, war die glückliche Antwort. Und man berichtete ihm, was sich zugetragen hatte. Wie freute sich der Fürst über seine Rettung und auch die seines Pferdes – denn das Tier war ebenfalls wohlauf. Freudig schnaubend kam es heran und rieb die Nase an der Schulter seines Herrn.

Mit großer Geste wandte sich dieser nun seinen Lebensrettern zu, um ihnen zu danken und einen wahrhaft fürstlichen Lohn in Aussicht zu stellen. Zu seinem Erstaunen winkte der Elf jedoch ab und sagte: „Du schuldest uns nichts, Fürst der Menschen. Vielmehr sind wir diejenigen, die endlich eine Schuld begleichen konnten. Dein Vater war es, dem Tandoriel ihr Leben verdankt. Nun sind wir quitt.“

Erstaunt ob dieser Antwort begehrte der Fürst mehr zu erfahren, doch die Elfen lächelten nur und sagten mit feierlicher Stimme: „Gedeihen mit dir!“ Dann schieden sie und verschwanden im nahen Wald, wo ihre Kleidung bald mit dem Grün der Bäume verschmolz. In Gedanken versunken kehrte der Fürst mit seinem Gefolge zurück zum Erlenschloss, wo Fürstin Nadyana bereits in größter Sorge um ihn war.

Wenige Tage später feierte Anshold vom Eberstamm seinen Tsatag, und bei Tische sprach er die folgenden Worte: „Meine Freunde! Heute feiere ich nicht meinen 51. Tsatag, sondern vielmehr meine zweite Geburt. Denn vor Kurzem wurde mir zum zweiten Mal das Leben geschenkt. Und dafür danke ich aus tiefstem Herzen und mit frommer Seele den Zwölfen!“ – „Und den Elfen“, platzte jemand heraus: Es war der junge Quendan von Eichstein. Normalerweise wäre dem Knappen ein Tadel sicher gewesen für seine Keckheit, doch unter diesen besonderen Umständen schalt ihn der Fürst nicht. Vielmehr bedauerte er, seine Retter nicht gleichfalls an seiner Tafel begrüßen zu dürfen. Doch die beiden Elfen waren nach der denkwürdigen Begegnung nicht mehr gesehen worden, es sei denn, man schenkt den Worten eines Krambolds Glauben, der im Wald einen „sonderbaren Gesang“ vernommen haben will. Und die Bäuerin Gerte Pauswang in Trallik gibt an, ihr seien zwei Hühner aus dem Stall gestohlen worden. – Manches ändert sich wohl nie.

Ungeklärt bleibt auch, was es mit der Wohltat auf sich hat, die der selige Fürst Blasius einst den beiden Elfen erwiesen haben soll. Doch offenbar hält der gute Herr Blasius noch über den Tod hinaus schützend seine Hand über das Haus Eberstamm und den Kosch. Ein wahrhaft tröstlicher Gedanke.

Karolus Linneger