Uztrutzer Umtriebe - Robans Suche: Unterschied zwischen den Versionen

Aus KoschWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Kunar (D | B)
KKeine Bearbeitungszusammenfassung
KunarBot (D | B)
(KunarBot - Semantische Links angepasst)
Zeile 40: Zeile 40:
„Ist Euch in jüngster Vergangenheit vielleicht etwas anderes aufgefallen?“ fragte Rondrolf. „Personen, die nicht in die Gegend gehören, merkwürdige Vorkommnisse, auch wenn sie allein belanglos wirken – alles könnte uns möglicherweise weiterhelfen!“<br/>
„Ist Euch in jüngster Vergangenheit vielleicht etwas anderes aufgefallen?“ fragte Rondrolf. „Personen, die nicht in die Gegend gehören, merkwürdige Vorkommnisse, auch wenn sie allein belanglos wirken – alles könnte uns möglicherweise weiterhelfen!“<br/>
Wulfmar wechselte einen Blick mit Rondralieb, ehe er zu sprechen begann.<br/>
Wulfmar wechselte einen Blick mit Rondralieb, ehe er zu sprechen begann.<br/>
„Jetzt, wo ihr es ansprecht: es geht das Gerücht, dass zahlreiche Personen sich neuerdings in den [[Blutfelsen]] umtun. Angesichts der Tatsache, dass die Büttel von einem Rückgang der Schmuggleraktivitäten am [[Briefspieltext vielleicht mit::Der Große Fluss|Großen Fluss]] berichten, ein etwas merkwürdiger Umstand. Zwar waren die Felsen schon stets ein Hort von allerlei lichtscheuem Volk, doch angesichts von weniger Verbrechen frage ich mich, was diese Leute dort machen.“<br/>
„Jetzt, wo ihr es ansprecht: es geht das Gerücht, dass zahlreiche Personen sich neuerdings in den [[Blutfelsen]] umtun. Angesichts der Tatsache, dass die Büttel von einem Rückgang der Schmuggleraktivitäten am [[Ortsnennung ist::Der Große Fluss|Großen Fluss]] berichten, ein etwas merkwürdiger Umstand. Zwar waren die Felsen schon stets ein Hort von allerlei lichtscheuem Volk, doch angesichts von weniger Verbrechen frage ich mich, was diese Leute dort machen.“<br/>
„Habt Ihr nachgesehen, ob an dem Gerede etwas dran ist?“ hakte Roban nach.<br/>
„Habt Ihr nachgesehen, ob an dem Gerede etwas dran ist?“ hakte Roban nach.<br/>
„Bislang nicht. Wir hatten Wichtigeres zu tun!“, entgegnete Rondralieb finster.<br/>
„Bislang nicht. Wir hatten Wichtigeres zu tun!“, entgegnete Rondralieb finster.<br/>

Version vom 24. Dezember 2019, 11:53 Uhr


1038, Alt Rudes Schild, Uztrutz

In glühendem Rot versank das Praiosauge im Westen hinter den Koschbergen und tauchte das Land in feuriges Rot. Rondrolf blinzelte in die Sonne und schluckte. Im dämmrigen Licht glaubte man fast, die roten Steine, aus denen weite Teile der Stadt Uztrutz erbaut worden waren, würden flackern wie Flammen, als hätte das Feuer des Erbstreits die Stadt bereits erfasst. Er hoffte inständig, dass sich Blutvergiessen vermeiden lassen würde.
„Wo willst´n hin?“
Die Stimme seines Bruders riss Rondrolf aus seinen trüben Gedanken. Er zügelte sein Pferd und wandte sich im Sattel um.
„Wie meinen?“
Roban stieß eine Qualmwolke aus dem Pfeifenkopf wie ein unwilliger Drache. Zugleich wies er mit dem Kopf auf einen gepflasterten, recht breiten Weg, der von der Straße abzweigte.
„Grimbarts Ableger wohnen auf Alt Rudes Schild“, brummte er dazu. „Da geht´s lang, Tagträumer!“
Rondrolf legte die Stirn in Falten und überlegte, ob eine wohlgesetzte Spitze seinem allzu ruppigen Bruder mal gut täte. Andererseits – bei einem dickfelligen Gesellen wie Roban hätte er die Spitze bei einem Wühlschrat mit mehr Erfolg anbringen können. Also seufzte er nur tief, wendete sein Reittier und schlug den Weg hinauf zur Burg ein.
„Kennst du eigentlich eins von Grimbarts Kinder?“ fragte er im Vorüberreiten, wobei er versuchte, den allgegenwärtigen Qualmwolken einigermaßen zu entgehen. Es roch beinahe, als habe Roban die Pfeife mit alten Schuhsohlen gestopft.
„Nicht die Spur“, kam die Antwort, als die Tiere den Pfad hinauf stiegen. „Abgesehen von Rondralieb kenne ich keine einzige, und die auch erst seit dem Treffen auf Ingen. Weiß der Kuckuck, was das für Gesellen sein mögen.“
„Halte dich nach Möglichkeit zurück“, mahnte Rondrolf, als das Burgtor in Sicht kam. „Ich will keine Fehde vom Zaun brechen!“
Roban legte den Kopf in den Nacken und betrachtete das eindrucksvolle Bauwerk.
„Ganz schmucker Kasten. Wusste gar nicht, dass der alte Ontho so feudal gelebt hat! Ist ja noch größer als Adlerstein."
"Was erwartest du von einer einstigen Kaiserpfalz?" Rondrolf stieg vom Pferd und näherte sich dem geöffneten Tor. Zwei Wachleute kamen ihnen entgegen. "Wen darf man melden?" fragte er Ältere der beiden.
"Die Brüder Grobhand von Koschtal. Die Edeldame Rondralieb von Uztrutz sollte uns bereits avisiert haben."
Der Wachmann nickte dienstbeflissen, gab seinem Begleiter einen Wink, woraufhin dieser eilig durch das Tor verschwand. "Man erwartet Euch, Wohlgeboren. Bitte folgt mir. Die Stallknechte werden sich Eurer Rösser annehmen." Über den weitläufigen Innenhof führte der Wachmann die zwei in Richtung des Haupthauses. Wo die einstige Pfalz auf den ersten Blick beeindruckend wirkte, fühlten sich die zwei Adligen beim zweiten Blick doch sehr an Burg Adlerstein in Roterz erinnert: viele der Gebäude wirkten verlassen und heruntergekommen, die Wehrgänge waren nur zum Teil begehbar und vielfach mit quer angenagelten Latten und Balken unpassierbar gemacht worden.
„Der Laden hat auch schon bessere Zeiten gesehen“, grummelte Roban und handelte sich damit einen kurzen Rippenknuff seines Bruders ein.
Rondralieb von Uztrutz erwartete sie mit ihren Geschwistern Wulfmar und Wunnemine in einem der Säle des Haupthauses. Sie grüßte knapp und machte alle miteinander bekannt, ehe sie auf eine freie Sitzgruppe wies.
"Es ist gut, dass Ihr hier seid. Bislang haben wir keine Spur von Alrich finden können.“
„Ist Euch in jüngster Vergangenheit vielleicht etwas anderes aufgefallen?“ fragte Rondrolf. „Personen, die nicht in die Gegend gehören, merkwürdige Vorkommnisse, auch wenn sie allein belanglos wirken – alles könnte uns möglicherweise weiterhelfen!“
Wulfmar wechselte einen Blick mit Rondralieb, ehe er zu sprechen begann.
„Jetzt, wo ihr es ansprecht: es geht das Gerücht, dass zahlreiche Personen sich neuerdings in den Blutfelsen umtun. Angesichts der Tatsache, dass die Büttel von einem Rückgang der Schmuggleraktivitäten am Großen Fluss berichten, ein etwas merkwürdiger Umstand. Zwar waren die Felsen schon stets ein Hort von allerlei lichtscheuem Volk, doch angesichts von weniger Verbrechen frage ich mich, was diese Leute dort machen.“
„Habt Ihr nachgesehen, ob an dem Gerede etwas dran ist?“ hakte Roban nach.
„Bislang nicht. Wir hatten Wichtigeres zu tun!“, entgegnete Rondralieb finster.
„Versteht sich!“ Rondrolf überspielte die Situation mit einem offenen Lächeln und einem kurzen Fusstritt in Robans Richtung. „Dann denke ich, dass wir nachsehen sollten, was es damit auf sich hat. Oder, Roban – was meinst du?“
„Wir sehen in den Blutfelsen nach!“ sagte Roban so schnell, als hätte er den Satz auswendig gelernt. „Sind ja nicht zum Pladern hierher gekommen!“
. "Natürlich stehen wir euch mit Rat und Tat zur Seite, falls Ihr Hilfe benötigt."
"Ein ortskundiger Führer wäre gut", meinte Rondrolf rasch. "Zwar stammen wir auch aus den Hügellanden, doch dieser Landstrich ist uns weitgehend fremd, zumindest abseits der Straßen. Was Ausrüstung angeht..." "Ich mache eine Liste", mischte Roban sich ein. "Viel wird es nicht sein, aber so ein paar Dinge wären nicht schlecht. Nichts großartiges, nur ein paar Riemen, Seil, Lampenöl und ähnliches." "Kein Problem", willigte Rondralieb sofort ein. "Ihr wollt also in Bälde wieder aufbrechen? Dann sollten wir Euch begleiten! Wir sind ortskundig, und es widerstrebt mir, anderen die Suche zu überlassen." "Bei allem gebotenen Respekt, Wohlgeboren", sagte Rondrolf langsam, "aber es wäre ziemlich auffällig, wenn Ihr alle drei Burg Alt Rudes Schild verlasst. Abgesehen von dem Risiko, über das ich Euch nicht belehren muss und das Euch ohnehin gleich sein dürfte, würde es potentielle Widersacher auf uns aufmerksam machen. Womöglich steht Alt Rudes Schild unter Beobachtung, oder es gibt Spitzel in der Bevölkerung, die Euren Aufbruch gewiss melden würden."
Rondralieb biss sich ärgerlich auf die Lippen. Ihr waren derlei Gedanken wohl vertraut, wenngleich sie selbst sich nicht dieser Methoden bediente. "Vermutlich habt Ihr Recht", gab sie dann zu.
"Schicken wir doch die Ritterin Leowina Steinkopf auf Butterwus", schlug jüngerer Bruder vor. "Sie kennt die Gegend und die Leute und wäre Euch bestimmt von großem Nutzen." „Versteht diese Dame denn zu kämpfen?“ fragte Roban, noch ehe Rondrolf ihn bremsen konnte. „Hat sie sich schon im Gefecht bewährt?“
„Ritterin Leowina ist wie ihr ganzes Geschlecht von streitbarer Natur“, gestand Rondralieb kühl. „Sie hatte genügend Gelegenheit, ihr Kampfgeschick zu beweisen. Seid gewiss, dass Ihr Euch auf Ihren Schwertarm verlassen könnt. Sie wird mit uns zu Abend essen, dann könnt Ihr Euch selbst ein Bild machen!“
Roban nickte beiläufig und ignorierte die mahnenden Blicke seines Bruders geflissentlich.
„Gut, wenn das erst einmal alles ist“, bemühte er sich dann, die peinliche Stille zu überbrücken, „schlage ich vor, wir machen uns ein wenig frisch und treffen dann zum Abendmahl wieder mit Euch zusammen.“ „Einverstanden“, erwiderte Rondralieb, nicht ohne noch mal einen giftigen Blick in Robans Richtung abzuschießen. Die allzu offene Art des Moorbrückers schien ihr erheblich zu missfallen, und noch mehr, dass ihm dieser Umstand scheinbar völlig egal war.
"Musst du ständig allen Leuten über den Mund fahren, Roban?" zischte Rondrolf ärgerlich, als die beiden den Saal verlassen hatten und einem Bediensteten zu ihrer Unterkunft folgten.
"Was denn? Ich sage, was ich denke! Und ob uns so eine Steinkopf-Ritterin nützlich oder hinderlich ist, hätte ich gern vor dem Aufbruch geklärt!"
"Aber nicht derartig direkt! Wenn die Uztrutzer uns diese Frau Steinkopf auf Butterwus mitgeben, werden sie sich ja wohl auf sie verlassen können! Und ein Bild kannst du dir beim Abendessen machen, wenn du darauf so viel Wert legst! Aber tu mir, dir selbst und dem Rest der Koscherlande den Gefallen und übe dich in Schweigen! Und wenn du deine Gedanken aussprechen willst, dann mach dir wenigstens vorher welche! Wenn du weiter so herum polterst und allen Leuten das Gefühl gibst, sie wären inkompetent, werden wir in Adelskreisen wohl wenige Freunde finden!"
Roban blies genervt die Wangen auf, enthielt sich aber jeglichen Kommentars.
"Und wenn du wirklich glänzen willst heute Abend", fuhr Rondrolf fort, "lass dir ein Bad richten. Du dünstest noch immer Moorbrücker Aroma aus, dass es einem die Nasenflügel kräuselt!" "Verzeihung bitte, wenn das Badehaus nicht ganz oben auf meiner Liste notwendiger Einrichtungen steht", knurrte Roban finster. "Und Moor riecht halt nach Moor! Das kann ich auch nicht ändern!" "Das wohl nicht", seufzte Rondrolf. "Aber du musst diesen Duft ja nicht in die Welt hinaus tragen, um ihn mit jedem zu teilen!"
Die zwei Grobhands stellten sich pünktlich zum Abendessen ein. Angenehm überrascht stellte Rondrolf fest, dass sein jüngerer Bruder sich ganz gegen jede Gewohnheit seiner Empfehlung gefügt hatte. Sogar seine Kleider und Stiefel waren leidlich sauber, was bei Roban schon als gepflegte Abendgarderobe gelten durfte. Der ihnen vom Nachmittag bereits bekannten Gesellschaft hatten sich drei Frauen und ein Mädchen hinzugesellt. Rondralieb stellte zunächst die älteste Frau, Eildina von Uztrutz, Altbaronin und Witwe des verblichenen Barons Ontho, dann die Hauptfrau der Burgwache Perdita von Steinklos. Dann trat die jüngste vor, eine drahtige, strohblonde Frau, die Rondrolf kaum auf zwanzig Sommer schätzte und als Rondriane von Firunshof vorgestellt wurde. Die Ritterin schob das Mädchen mit sanftem Druck vor sich her, sehr bemüht, dass sowohl sie selbst wie auch die Pagin einen guten Eindruck machten.
Schließlich trat die letzte vor, eine kräftige, vierschrötig wirkende Endzwanzigerin, die sie aufmerksam musterte.
"Leowina Steinkopf auf Butterwus", bestätigte Rondralieb seine Vermutung. Rondrolf reichte der Ritterin die Hand, und warf einen raschen Seitenblick auf seinen Bruder. Der schwieg zwar, musterte die Ritterin aber mit einem Blick, als begutachte er einen uralten Esel auf einem Viehmarkt. Er schien er wenig von ihr zu halten. Rondrolf fand zwar, dass sie kräftig und ausdauernd wirkte, zugleich mit durchaus weiblichen Formen und einem offenen, wenngleich etwas aufmüpfigen Gesichtsausdruck, aber Roban würde die Ritterin wohl ausschließlich nach ihrer Kampfkraft bewerten und jegliche andere Qualität einfach außer Acht lassen. „Die Herren Rondrolf und Roban Grobhand von Koschtal. Sie vertreten das Haus Grobhand in dieser unleidigen Erbschaftsgeschichte.“
„Seid versichert, dass wir alles in unserer Macht stehende tun werden, um die Sache zu einem für Eure Seite günstigen und zugleich möglichst friedlichen Abschluss zu bringen!“ Rondrolf verneigte sich knapp und stellte befriedigt fest, dass sein Bruder ebenfalls eine Verneigung andeutete. Die Alt-Baronin nickte mit müde wirkendem Antlitz, während Leowina sich scheinbar sehr bemühen musste, nicht das Wort zu ergreifen. Rondralieb winkte die Anwesenden an die Tafel, und zumindest für einige Minuten konnte Rondrolf einigermaßen entspannt sein, da Roban sich seinem Bier widmete und kein Wort von sich ließ. Erst, als aufgetragen wurde, schien Leowina sich nicht mehr beherrschen zu können.
„Verzeiht, Herr Roban“, begann sie ohne Umschweife, „aber gehört Ihr nicht zu jenen bemitleidenswerten Recken, welche die Moorbrücker Neubesiedlung in Angriff genommen haben? Ich habe im Kosch-Kurier davon gelesen! Und ehrlich gesagt, nach Eurer Beschreibung hatte ich gedacht, dass Ihr ein gutes Stück größer seid!“
Robans Kopf schwenkte langsam herum wie das Haupt eines Drachen, der nach etwas Essbarem suchte. Rondralieb zog hörbar die Luft ein, und Rondrolf sah sich bereits als Sekundant bei einem Duell. „Bin ich“, erwiderte er dann knapp. „Und euer Mitleid könnt Ihr Euch an den Hut nageln. Oder spart es für den Ritter Goldmund von Koschtal, eine Pfeife, wie sie schlimmer nicht geht. Verbummelt gleich bei der Ankunft seinen Gaul, sein Schwert und...“
„Jegliches Ansehen, dass seiner Familie noch geblieben war“, beendete Rondrolf den Satz rasch. „Aber Moorbrück soll ja nicht Thema des Abends sein, oder? Frau Steinkopf auf Butterwus, kennt Ihr das Gebiet, in dem wir unsere Suche beginnen wollen?“
„Ich war mit Baron Ontho dreimal dort, einmal zum Waidwerk, zweimal auf der Jagd nach Flusspiraten“, bestätigte Leowina barsch. „Es ist zerklüftet und unübersichtlich und bietet lichtscheuem Gesindel manch gutes Versteck. Einige dieser Orte kenne ich, dort könnten wir die Suche beginnen.“
„Klingt vernünftig!“ Rondrolf hob seinen Krug. „Trinken wir also auf ein gutes Gelingen der Suche. Mögen die Götter uns beistehen und Erfolg schenken!“
Das Abendmahl währte nicht mehr lang. Die Alt-Baronin entschuldigte sich, kaum, dass der letzte Gang abgetragen war, und die Ritterin Rondriane schickte auch die leise maulende Pagin ins Bett. Mit einem strengen Blick sorgte Rondralieb von Uztrutz dafür, dass auch Leowina sich mit einem sehr knappen Gruß erhob und sich entfernte. Rondrolf erhob sich mit einem raschen Knuff in Robans Rippen. „Auch wir werden uns jetzt zur Ruhe begeben.“ Mit einem etwas unwilligen Blick bemerkte er, dass Roban offenbar nicht plante, seinen noch beinahe vollen Krug stehen zu lassen. Er leerte ihn mit so mächtigen Zügen, dass Rondrolf unwillkürlich an einen Ochsen an der Tränke denken musste.
„Der morgige Tag wird anstrengend. Kommst du, Roban?“
Noch drei tiefe Schlucke, dann stellte Roban den leeren Krug ab, unterdrückte ein Aufstossen und grinste.
„Lieber einen Arm ab als drei Tropfen Bier verschwendet!“
„Wahrlich koscher gesprochen“, lachte Wulfmar. „Wenn Ihr so gut sucht, wir Ihr trinkt, ist Onkel Alrich schon beinahe gefunden!“
„Wir finden ihn“, versicherte Roban ernst. „Und wenn wir die Blutfelsen umgraben müssten!“
„Äh, richtig! Dann wünsche ich jetzt eine gute Nacht!“ Rondrolf schob seinen Bruder in Richtung Tür, ehe er sich noch einmal blamieren konnte. Und er betete, dass Roban mit seiner großen Klappe Recht behielt.
Mit geübten Handgriffen hatte Roban alles, was er für die Reise verlangt hatte, in zwei Rucksäcken verstaut, die Satteltaschen überprüft und dabei ein Frühstück eingenommen. Die Stallknechte beäugten ihn dabei voll Misstrauen. Dass ein kauender Adliger in ihrem Refugium herum stampfte, schien ihnen neu zu sein.
„Ihr seid bereits wach?“
Roban kaute ungerührt weiter und drehte sich erst nach zwei Sekunden in Richtung der Tür, wo Leowina Steinkopf auf Butterwus aufgetaucht war.
„Ihr etwa nicht?“ nuschelte er mit vollem Mund und zog einen der Sattelgurte etwas nach.
„Wie man sieht. Seid Ihr es nicht gewohnt, dienstbare Geister zu haben, dass Ihr selbst das Zaumzeug richtet?“
„Ich prüfe lieber selbst“, entgegnete Roban. „Wenn es hart auf hart kommen sollte, will ich sicher sein, dass kein Sattel rutscht und alles Notwendige griffbereit ist. Seid Ihr marschfertig?“
„Ich bin immer marschfertig!“ schnappte Leowina. „Wenn Ihr es derart eilig mit dem Aufbruch habt!“
Roban ließ den letzten Rest Brot zwischen seinen Kiefern verschwinden.
„Will keine Zeit verschwenden“, schmatzte er. „Je eher wir Alrich gefunden haben, desto eher bin ich zurück bei meinen bemitleidenswerten Recken in Moorbrück!“
„Falls ich Euch zu nahe getreten bin...“.
„Schafft Ihr eh nicht“, unterbrach er sie im Vorbeigehen.
„Wäre mir das ohnehin wurscht!“ schnauzte Leowina. „Euch zu nahe zu kommen ist ohnehin eine Zumutung, wie sie schlimmer kaum geht!“
Roban hielt inne, machte dann zwei Schritte rückwärts und stand damit direkt vor der Frau.
„Glaubt bloß nicht, dass mich Eure Moorbrücker Eskapaden oder irgendwelches Geschreibsel im Kurier beeindrucken! Da müsstest Ihr das Ding aus dem Sumpf schon so klein kriegen, dass Ihr es in der Hosentasche herumtragen könnt!“
Roban stemmte die Fäuste in die Seiten und beugte sich leicht nach vorn.
„Ach, müsste ich das, Frau Steinklos auf Butterwurst?“
Leowina kam ebenfalls noch näher heran. Blanker Zorn loderte in ihren Augen.
„Wagt es, den Namen meiner Familie zu beleidigen, Herr Grobian von Aschfahl, und ich drehe Euch das Gekröse nach außen!“
Sekundenlang starrten die zwei sich an, als wollten sie in der nächsten Sekunde einander an den Hals gehen. Die Stallknechte hatten vorsichtshalber hinter einer Bretterwand Deckung genommen.
Dann aber verzogen sich Robans Lippen zu einem breiten Grinsen.
„Endlich mal jemand, der ehrlicher Worte spricht“, lachte er dann. „Das ist die Sprache, die ich verstehe. Nur nichts gefallen lassen, immer ordentlich Traute zeigen! Wir werden viel Spaß miteinander haben!“ Er schlug Leowina auf die Schulter und verließ den Stall.
„Wieso? Wollt Ihr mir die Gunst Eures Ablebens erweisen? Das wäre in der Tat recht kurzweilig!“ rief sie ihm nach.
„Nein – aber ich werde Eure Sippe benachrichtigen, sobald Ihr ins Gras beisst!“ gab er zurück, ohne sich umzuwenden. Leowina starrte ihm nach, zähneknirschend und immer noch wutschnaubend.
Die Stallknechte wagten sich wieder hervor und schienen unschlüssig, ob die dicke Luft bereits verflogen war.
„Komischer Kauz, nicht wahr, Wohlgeboren?“ meinte einer dann.
„Hältst du wohl dein ungewaschenes Maul!“ brüllte Leowina so laut, dass die Knechte sofort die Köpfe einzogen. „Was fällt dir ein, über einen koscher Edelmann so zu sprechen! Sattelt die Pferde, oder ich treibe Euch an, bis Buttermilch aus euren Kimmen läuft!“
Die Knechte wuselten sofort los, Leder knirschte, Zaumzeug klirrte, und die blassen Gesichter versöhnten Leowina wieder ein wenig.
Es vergingen nur wenige Minuten, ehe man vom Haupthaus her laute Stimmen vernahm. Leowina trat an die Tür und war nicht wenig überrascht, dass die Worte nicht vom Ritter Roban stammten, sondern von dessen älterem Bruder, der ihm hinterher lief und zugleich versuchte, seine wohl eben erst übergeworfenen Kleider zu richten.
„...mag es doch auf eine halbe Stunde nicht ankommen. Was drängt dich dazu, mich erst aus dem Bett und dann der Kammer zu zerren, um mich ohne Frühstück, Morgentoilette und ähnliche Eigenheiten kultivierter Menschen auf einen Pferderücken zu detachieren?“
„Futtern kannst du im Satteln, pinkeln hinter jedem Busch. Wir wollen das Tageslicht nutzen, solange wir können. Bis zu den Blutfelsen ist es wohl ein halber Tagesmarsch, dann können wir uns dort noch umsehen und nach einem Platz suchen, wo wir die Pferde lassen können.“
„Es gibt ein Gasthaus am Fluss“, warf Leowina ein. „Es ist schlicht, aber die Wirtsleute sind vertrauenswürdig. Es gibt dort auch einen Stall, wo wir die Tiere unterstellen können.“ „Na bitte!“ Roban nahm die Zügel seiner Girte und führte sie auf den Hof. Das Tier schnaubte unternehmungslustig. „Dann übernehmt Ihr die Führung, Frau Steinkopf auf Butterwus. Schieb dein Sitzfleisch endlich in den Sattel, Rondrolf, ich will hier nicht festwachsen!“
Rondrolf suchte nach Worten, schien aber nicht fündig zu werden. So stemmte er die Hände in die Seiten, verdrehte für einen Moment die Augen, ehe er einem der Knechte einen Wink gab und sich sein Pferd bringen ließ.
Kaum zwei Minuten später trabten sie zu dritt den Burgweg hinab und wandten sich dorthin, wo der Große Fluss als glänzendes Band in der Morgensonne lag.

Schweigen.
Rondrolf mochte es nicht. Erst recht nicht dieses unangenehme Schweigen, als wisse niemand so recht, was er sagen sollte. Normalerweise war Roban schon kein großer Redner, aber seit dem Aufbruch von Alt Rudes Schild hatte er kaum fünf Worte von sich gegeben. Vornübergebeugt hing er im Sattel, als sei er zu Tode erschöpft und würde gleich herunter fallen. Er behauptete, diese Haltung schone die Kräfte, aber Rondrolf war überzeugt, dass es einfach ein weiteres Zeichen der Renitenz war, sich nicht aufrecht im Sattel zu halten wie es sich gehörte.
Jeden Versuch, so etwas wie ein Gespräch zu beginnen, würgte Roban mit grummelnden oder knurrenden Lauten ab. Was auch immer ihn beschäftigte, er schien keine Lust zu haben, seine Gedanken mit seinem Bruder zu teilen.
Nac einer guten Stunde hatte Rondrolf genug. Er ließ sein Pferd rascher ausgreifen und schloss zu Leowina auf, die knapp fünf Schritte voraus war.
„Ich hoffe, Ihr seid weniger borongefällig als mein Bruder“, sprach er sie an. „Oder wollt Ihr den Marsch ebenfalls in Schweigen zubringen.“
„Nicht unbedingt!“ Die Ritterin wirkte fast belustig. „Ist er immer so – ich meine, so direkt, dass einem die Ohren schlackern, dann wieder so düster und abweisend?“
Rondrolf spähte über die Schulter zu Roban, doch der schien entweder zu schlafen oder sich nicht für ihn zu interessieren.
„Er ist eigentlich ein recht anständiger Kerl“, meinte er nach kurzer Überlegung. „Kaltschnäuzig, gewiss, und ohne einen Funken anständigen Benehmens in den Knochen, aber im Herzen gut. Er hat viel durchgemacht, viel Schreckliches gesehen, auch wenn er fast nie drüber sprechen mag. Und er hat eine extreme Aversion gegen jegliches höfische Gebaren, und die Götter allein wissen, warum.“
„Tja, war wohl nicht viel höfisches Gebaren nötig, als er in Tobrien war“, meinte Leowina gut gelaunt. „Und in Moorbrück wird die Hofhaltung wohl auch sehr bescheiden sein.“
„Bescheiden ist eine Untertreibung. Eine kleine Kate, die er mit mehreren Gemeinen teilt, auf einem Hügel im Sumpf.“
„Der immerhin mein Hügel ist!“ schallte es von hinten.
„Den dir gewiss niemand streitig machen will“, rief Rondrolf, ohne sich umzuwenden.
Der kurze Disput erneuerte das Schweigen, wenngleich nur kurz.
„Der Kosch-Kurier scheint Euren Bruder nicht allzu gut gekannt zu haben, ehe er seinen Artikel verfasste“, meinte Leowina schließlich. Rondrolf lachte kurz auf.
„Eher schienen sie ihn überhaupt nicht gekannt zu haben. Sie bekamen eine kurze Vita von ihm und schmückten die Sache aus, ohne je ein Wort mit Roban gewechselt zu haben. Vermutlich haben sie mit keinem der Neusiedler gesprochen. Dennoch – es braucht schon Leute mit reichlich Rückgrat, um es in Moorbrück auszuhalten, erst recht, wenn man nicht kurz durchreisen, sondern dort leben soll. Und bis dato hat Roban seine Siedlung wohl ziemlich gut im Griff.“
„Also doch ein echter Kerl, der sagt, was er denkt, der tut, was er sagt, und der jedem einen Tritt in den Hintern gibt, der ihm dumm kommt“, meinte Leowina. Rondrolf runzelte die Stirn. Der Ton der Frau ließ ihn aufmerken. Fast konnte man meinen, dass die Roban gegenüber eine Einstellung zeigte, die er bis dato noch bei keinem Angehörigen des weiblichen Geschlechtes gesehen hatte – sie schien beinahe von Roban angetan zu sein.
„Wenn man die Attribute ungewaschen, ungehobelt und unwirsch mit dem Bild eines echten Kerls assoziieren kann, dann ja“, entgegnete er.
„Du vergisst unbesiegt und unbeugsam!“ kam von hinten. „Ist immer noch besser als unbeweglich und unerfahren!“
Rondrolf stieß einen kurzen Seufzer aus, und Leowina unterdrückte ein kurzes Lachen. Rondrolfs Kritik schien ihr positives Bild von Roban in keinster Weise beschädigt zu haben, und er wollte sich nicht ausmalen, was passierte, wenn die beiden sich anfreundeten – oder schlimmeres!
„Fussgänger voraus“, meldete Roban jetzt, und Rondrolfs Blick richtete sich die Straße entlang. Tatsächlich, auf einem umgestürzten Baumstamm saß ein Mann in einfacher Kleidung und schüttelte einige Steinchen aus den Schuhen.
„Sieht nach einem Bauern auf dem Weg zum nächsten Marktplatz aus. Oder einem Bold“, stellte er angesichts der neben dem Mann stehenden Kiepe fest. „Vielleicht hat er etwas gesehen, was uns weiterhilft!“ Sie trieben die Pferde ein wenig an und erreichten den einsamen Wanderer gerade, als der sein Schuhwerk wieder anzog. Der Mann sprang auf, halb erschrocken, halb hoffnungsvoll, und hob sofort zu sprechen an: „Herrn Phexens Gruß entbiet ich euch...“
„Danke, danke, werter Bold“, unterbrach Rondrolf lächelnd. „Wir sind keine Dorfvorsteher, bei denen du um Obdach bittet, sondern nur Reisende wie du selbst, die ein paar Auskünfte wünschen!“ „Auskünfte? Und wollt Ihr dabei vielleicht einen Blick auf meine Waren werfen, edle Dame, edle Herren? Feines Schnitzwerk der Koscherberge, allerlei Nützliches und Erbauliches, guter Brannt und würziges Pfeifenkraut, bestes...“
„Lass das Pfeifenkraut mal sehen“, mischte Roban sich ein. „Und beantworte unsere Fragen, dann machst du gute Geschäfte!“
„Und pack auch den Brannt aus“, fügte Leowina hinzu.
„Natürlich, edle Dame, edler Herr!“ Der Bold förderte einige kleine Beutelchen und Krüglein aus der Kiepe zutage, und die zwei Adligen begannen mit der Inspektion des Inhalts. „Sagt, guter Bold, hast du in den letzten Tagen auffällige Personen bemerkt, die sich hier in der Gegend herum getrieben haben?“ begann Rondrolf statt dessen mit der Befragung. „Leute, die nicht hierher gehören?“
Der Bold zog die buschigen Brauen zusammen, als müsse er angestrengt überlegen.
„Ihr meint lichtscheues Gesindel? Nein, edler Herr, niemanden. Nur anständige Leute aus der Gegend. Und natürlich der Edelmann, den ich am gestrigen Tage traf.“ „Was für ein Edelmann?“ hakte Roban nach, ohne dabei die Prüfung des Tabaks zu unterbrechen.
„Ein feiner Herr, edel vom Geblüt und edel vom Äußeren. Sein Rüstzeug glänzte im Praiosschein wie eben erst poliert, auch die Stiefel vom besten Leder, und Locken trug er wie von purem Golde, wie die Heiligen, die man im Praiostempel schauen kann, und...
„Goldene Locken? Blankpolierte Rüstung? Hol´s der Hanghas!“ knurrte Roban finster und räusperte sich. „Danke, guter Bold. Ich nehme die zwei Beutel hier.“ Eine erkleckliche Menge Münzen wanderte in die Hand des Krambolds, der angesichts der Summe freudig grinste. Dazu gesellte sich die Summe, die er von Leowina für einen Krug Wacholderschnaps erhielt.
„Habt Dank, feine Dame, großzügiger Herr! Ich hoffe, Ihr liegt mit dem edlen Herren mit den Locken nicht in Fehde?“
„Noch nicht!“ grunzte Roban und schwang sich wieder auf seine Girte.
Bald lag der Krambold hinter ihnen, und Rondrolf ließ sich mit Leowina so weit zurück fallen, dass sie mit Roban auf gleicher Höhe waren.
„Teilst du uns mit, wen der Bold da gesehen, oder bleibt das dein Geheimnis?“
„In den Koscherlanden kenne ich nur einen derart geleckten Affen, und das ist Trest von Vardock! Habe das Lockenköpfchen am Trolleck kennen gelernt. Ein Stinkstiefel erster Güte!“ „Trest von Vardock?“ Rondrolf überlegte kurz. „Wenn ich mich nicht allzu sehr täusche, ist der ein enger Vertrauter von unserem allseits geschätzten und verachteten Gisbrun von Treublatt, dem einstigen Vogt von Roterz!“
Roban zügelte sein Pferd.
„Gisbrun von Treublatt? Ist das nicht der Mistbeutel, der sich selbst Burg Ambossblick zugeschanzt hat?“
„Als letzte Amtshandlung in seiner Rolle als Vogt, ganz genau! Vater war außer sich vor Wut, und wenn man es genau nimmt, ist er es immer noch. Wenn man also unterstellt, dass es wirklich Trest von Vardock war und möglicherweise das Haus Treublatt in die Sache mit Alrich involviert ist, soll es uns ein besonderes Vergnügen sein, den Herren, wie sagst du so schön, in den Eintopf zu speien?“ „In die Suppe spucken“, grinste Roban. „Und ja, das ist ein Praiostagsvergnügen ganz nach meinem Geschmack. Diesem gepuderten Gecken in den Hintern zu treten wäre eine wahre Wonne.“ „Es hat den Anschein, als sei der Uztrutzer Erbstreit von einer rein politischen zu einer ziemlich persönlichen Angelegenheit des Hauses Grobhand geworden“, bemerkte Leowina mit einem verschmitzten Lächeln. „Den Anschein?“ Rondrolf erwiderte das Lächeln. „Begnügt Euch nicht mit dem Anschein, Frau von Firunshof. Seid Euch gewiss, dass es jetzt persönlich ist!“

Das Gasthaus, von dem Leowina berichtet hatte, war kurz vor Abend erreicht. Trotz des von dem roten Gestein der Blutfelsen wie in Glut getaucht, erwies sich das Innere als sauber und gemütlich. Die drei Adligen übergaben ihre Pferde der Stallmagd und nahmen in der nahezu leeren Gaststube Platz.
„Seid gegrüßt in Traviens Namen!“ Ein Wirtin, deren Lächeln ebenso breit war wie ihre Hüften, kam heran gewatschelt. „Und verzeiht, dass unsere Küche nicht auf edlen Besuch wie Euren eingerichtet war. Hätten wir von Eurer Ankunft gewusst, hätten wir ein paar Hühner schlachten können und...“
„Lasst das Federvieh im Stall und bringt dreimal Eintopf“, brummelte Roban beim Pfeifenstopfen. „Dazu drei Bier und drei...“, er musterte Rondrolf kritisch, „nein, lieber nur zwei Kurze. Mein Bruder verträgt das Zeug nicht.“
„Danke für so viel Fürsorge“, seufzte Rondrolf, als die Wirtin sich wieder entfernte. Zwar war tatsächlich kein Freund des Gebrannten, aber ihn derart bloss zu stellen, dass konnte einfach nur Roban. „Wo fangen wir morgen mit unserer Suche an?“ wandte er sich an Leowina, welche die Maserung des Holztisches mit den Fingern nachzog.
„Es gibt ganz in der Nähe ein paar Höhlen“, erklärte sie halblaut. „Da haben sich schon mal Schmuggler und Wegelagerer eingenistet. Dort fangen wir an und arbeiten uns dann vorwärts.“
„Und wenn wir dort nicht fündig werden?“ Roban drückte den Tabak mit dem Daumennagel fest. „Könnt Ihr eingrenzen, in welchen Bereichen wird dann noch nicht waren.“
„Ich bin kein dummes Kind“, knurrte Leowina drohend. „Wir werden uns kreuz und quer durch die Felsen bewegen, und falls Ihr keine Tomaten auf den Augen habt, sollten wir Spuren finden, falls welche zu finden sind.“
„Hoffen wir, dass es welche gibt!“ Rondrolf gab ein kurzes Handzeichen, und die Worte verstummten. Die Wirtin und eine Frau von ähnlichem Leibesumfang balancierten Teller und Schüsseln heran, mit genügend Eintopf, Brot und Käse für ein halbes Dutzend ausgehungerter Söldner.
Rondrolf hatte sein „Wohlschmecken“ kaum heraus gebracht, als sich seine Begleiter bereits über ihre Teller hermachten, wohl in dem festen Vorsatz, keinen Krümel des opulenten Mahles übrig zu lassen. Und er bemerkte die finsteren Blicke, die sie einander zuwarfen, als sei Um-die-Wette-essen eine ritterliche Disziplin, in der es sich zu bewähren galt.
So nutzte er, statt sich dieses Duell weiter anzusehen, eine günstige Gelegenheit, um die Wirtin nach auffälligen Personen zu befragen.
„Reichlich Waffenvolk, guter Herr“, bestätigte sie fast augenblicklich. „Gut für´s Geschäft, schlecht für´s Wohlbefinden, sagt mein Gatte immer. Wann immer solches Volk hier einkehrt, wird es uns Angst und Bange, und wir danken Travien, wenn sie friedlich wieder abziehen.“ Sie hob die Schultern. „Na ja, so sind die Zeiten eben. Wenn die Leute gen Osten gegen die Dämonenknechte ziehen, soll es uns recht sein.“ Rondrolf schaute seine Begleiter kurz an. Beide kauten, hoben aber vielsagend die Brauen. Reisendes Waffenvolk würde wohl eher die andere Flussseite mit der gut ausgebauten Treidelstraße wählen, oder gleich einen Flusssegler nutzen, wenn das Silber reichte. Außerdem sammelten sich im Kosch derzeit keine Truppen, was die Sache doppelt verdächtig machten.
„Und was führt Euch hierher, edle Herrschaften? Es kommen so selten Adlige hierher, und Ihr seht nicht aus, als wolltet Ihr dem Waidhandwerk nachgehen.“
„Was zum Gehörnten...“, wollte Roban die Wirtin anfahren, aber Rondrolf hob rasch die Hand.
„Lass gut sein. Wir sind Gast in Ihrem Hause und haben nichts zu verbergen.“ Er schenkte der Wirtin ein vertrauensvolles Lächeln. „Unser Ansinnen gilt der Schmetterlingsjagd, gute Frau. Insbesondere dem Blutfelser Feuerfalter, Lycaena sanguilithia, einem recht raren Gesellen, von dem ich hoffe, ihn meiner Sammlung hinzu fügen zu können.“
„Lügäna....äh, ich verstehe nichts davon, hoher Herr. Aber in unserem Garten auf dem Kohl, da sitzen schon mal so ein paar Schmetterlinge, aber die sind weiß, glaube ich.“
Rondrolf winkte gelangweilt ab.
„Koscher Kohlweißlinge, gute Frau, Pieris koschiensis. So verbreitet wie Angroschim wie Angbar. Nein, wir werden in den Felsen suchen und hoffentlich fündig werden.“
„Dann wünsche ich...äh, Firuns Heil?“
„Firuns Dank! Wir werden heute Nacht Quartier bei euch nehmen. Bereitet bitte die Zimmer vor!“
„Wir haben nur ein Zimmer, hoher Herr“, gestand die Wirtin ein. „Wie gesagt, edler Besuch ist selten in unserem Hause!“
„Dann nehmen wir das“, grunzte Roban. „Wir sind nicht verwöhnt!“
„Und auch nicht zimperlich“, setzte Leowina hinzu, ehe Rondrolf etwas anderes sagen konnte. Und keiner der beiden hatte es für nötig befunden, dabei von seinem Teller aufzublicken.
„Dann bin ich beruhigt! Dann wünsche ich weiter guten Hunger!“
Die Wirtin wackelte davon, und jetzt hoben Rondrolfs Begleiter den Blick wieder.
„Schmetterlingssammler“, wiederholte Roban und betonte jede Silbe einzeln. „Warum erzählst du nicht gleich, dass wir die Hanghasen zählen wollen?“
„Oder zum Schnecken-Schubsen hier sind?“ setzte Leowina hinzu. „Wer sammelt schon Schmetterlinge? Kann man ja gleich die Käfer aus der Ackerfurche lesen!“
Rondrolf verkniff es sich, die Ritterin über die Verbreitung dieser Kurzweil zu belehren. Er hatte ohnehin nicht den Eindruck, dass er damit irgendetwas würde retten können.

Rondrolf hatte schon manch harte Nacht hinter sich. Er hatte auf blankem Fels genächtigt, im düsteren Wald oder unter einem knarrenden Fuhrwerk.
Aber diese Nacht war die mit Abstand schlimmste gewesen. Erst hatten Roban und Leowina sich darum gestritten, wer im Bett der Wirtsleute nächtigen durfte. Allerdings hatten beide es abgelehnt, selbst dort zu ruhen, weil man nicht den Anschein der Verweichlichung erwecken wollte, und es sich gegenseitig angeboten, dann noch energischer abgelehnt.
Schließlich hatte Rondrolf selbst sich entboten, das Bett zu nehmen, und dafür zwei Blicke geerntet, die abfälliger kaum sein konnten. So hatten sie denn alle drei auf dem Fussboden genächtigt, und Rondrolf fragte sich, wie es zu einer derartigen Albernheit hatte kommen können. Hinzu kam, dass Roban keinesfalls neben Leowina schlafen wollte, und Leowina noch viel weniger neben Roban, der Fussboden aber gerade reichte, dass drei Personen parallel nebeneinander liegen konnten. Also hatte Rondrolf die Mitte nehmen müssen, und hatte dabei eine weitere nicht besonders ritterliche Disziplin im Wettstreit erlebt: die zwei hatten geschnarcht, als gebe es einen Preis dafür. Hinzu kamen die Auswirkungen des Kohls, der Bestandteil des Eintopf gewesen war, und Rondrolfs Nachtruhe als „durchwachsen“ zu bezeichnen, war mehr als geschönt.
So war er beinahe dankbar, als Praios´ Licht durch die geschlossenen Läden lugte und ihn weckte. Wie nicht anders erwartet, gaben seine Mitschläfer nur Sekunden später jeweils ein unwilliges Grunzen von sich, und noch ehe sie damit begannen, sich gegenseitig eine möglichst schlechte Nacht gewünscht zu haben, öffnete Rondrolf die Tür. Erfreut stellte er fest, dass nicht nur seine Stiefel gereinigt worden waren, ein umsichtiger Geist hatte auch eine gefüllte Waschschüssel vor der Tür platziert.
„Wenn ich von Euch träumen würde, könnte ich nie wieder ein Auge zubringen“, versicherte Leowina soeben. „Da wäre ein Orkhintern angenehmer anzuschauen!“
„Dann meidet spiegelnde Flächen, Ogergesicht!“ gab Roban sofort zurück. „Mit Euch in meinen Träumen würde ich Golgari anbetteln, mich mitzunehmen. Drei Jahre Moobrück sind eine Erholung gegen einen halben Tag mit Euch!“
„Falls die Höflichkeiten jetzt erschöpft sind, könnten wir die Morgentoilette absolvieren und dann – hoffentlich nicht wieder im Sattel – ein Morgenmahl einnehmen!“
Er stellte die Schüssel ab und wollte gerade festlegen, in welcher Reihenfolge, dem Anstand entsprechend, man diese benutzten würde, als bereits zwei Hemden auf das unbenutzte Bett flogen.
„Ihr wollt doch nicht wirklich vor mir das Wasser ruinieren, Grobhand?“ Rondrolf schirmte die Augen ab, um den Anblick von Leowinas entblösster Weiblichkeit zu meiden.
„Und warten, bis Ihr Eure Krötenvisage drin gebadet habt? In diesem Leben nicht mehr!“ Auch Roban schien keine Augen für nackte Tatsachen zu haben. Er war damit beschäftigt, Leowinas feindseligem Starren stand zu halten.
„Bitte, wenn Ihr Euch zumindest darin einigen könntet...“ Rondrolf tappte mit der Hand vor den Augen durch das Zimmer, bestrebt, möglichst viel Platz zwischen sich und die Waschschüssel zu bringen. Und, wie er es nicht anders erwartet hatte, ging der Zweikampf über der Schüssel weiter.
„Nehmt reichlich Wasser, Grobhand! Es ist nicht Moorbrück, wo man damit sparen muss!“
„Ja ja, bei Euch auf Butterwus wäscht man sich an jedem hohen Feiertag. Zwar nur zum Donnersturm-Rennen, aber immerhin!“
Rondrolf riskierte einen Blick. Die zwei starrten sich über die Waschschüssel hinweg an, mit mahlenden Kiefern und blitzesprühenden Augen. Entweder würden sie sich heiraten oder gegenseitig umbringen, und Rondrolf wusste nicht, was von beidem schlimmer wäre.
„Der Tag ist jetzt schon im Eimer, wenn man in diese Gesichtsruine blicken muss“, brummte Roban dann und gab sich zumindest im Blick-Duell geschlagen.
„Ha! Der Tag war schon hinüber, als ich feststellen musste, dass Ihr noch atmtet!“
„Falls die hohen Herrschaften dann fertig wären“, übertönte Rondrolf das Gekabbel, „wir sind nicht hierher gekommen, um uns gegenseitig die Fehde zu erklären!“
Zwei unwillige Schnauber mussten ihm als Antwort genügen. Beide Kontrahenten warfen sich noch einen finsteren Blick zu und stapften dann aus der Kammer.

„Nichts! Leer wie die Geldkatze eines Angbarer Bettlers.“
Roban kehrte aus dem schmalen Felsspalt zurück, dem dritten, den sie seit Sonnenaufgang durchsucht hatten.
„Oder Euer Kopf!“ frotzelte Leowina frustiert. „Da herrscht wohl auch gähnende Leere!“
„Wer schleift uns denn von einem düsteren Loch zum nächsten? Ich komme mir vor wie ein Höhlendrache auf Wohnungssuche!“
„Seht nur hässlicher aus! Aber bitte, übernehmt Ihr die Führung! Folgt einfach den Schildern „Hierlang zu Alrich von Uztrutz“, dann werdet Ihr fündig. Sofern Ihr des Lesens mächtig seid!“ „Hol Euch der Oger! Welche Ritze inspizieren wir als nächstes?“ Roban kletterte eine Klippe hinauf, immer dicht hinter Leowina. Rondrolf hielt sich bedeckt. Er war damit beschäftigt, nicht allzu sehr aus der Puste zu geraten. Der Marsch durch die Felsen, das vorsichtige Hineinkriechen in Höhlen und Felsspalten, dass war das Metier seiner Begleiter. Er beschränkte sich darauf, nicht allzu laut zu schaufen. „Eineinhalb Meilen gen Efferd. Falls Ihr wisst, wo das ist!“
„Dort, wo Euer missratener Riechzinken hinweist! Mit dem Ding könnt Ihr ja jemanden erschlagen, wenn Ihr nicht aufpasst!“
So ging es seit Stunden. Gegenseitige halblaute Beschimpfungen, die jede für sich für eine generationenlange Fehde genügt hätten, und keiner mochte klein beigeben. Wie zwei Widder rannten sie immer wieder gegeneinander an, krachten gegeneinander, nahmen neuen Anlauf.
Rondrolf hörte weg, so gut er konnte. Viel mehr konnte er ohnehin nicht tun. Jeder seiner Versuche, so etwas wie Frieden zu stiften, hatte ihm Blicke eingetragen als habe er vorgeschlagen, das Ferdoker Bier zukünftig in Belhanka zu brauen.
So konzentrierte er sich darauf, einen Fuss vor den anderen zu setzen und auf den oft genug glatten Felsen nicht auszurutschen. Zu spät bemerkte er, dass seine Begleiter stehen geblieben waren.
„Pause?“ fragte er leicht außer Atem.
„Von was?“ gab Roban zurück. „Mach mal die Augen auf, dann weißt du, warum wir hier stehen.“
Rondrolf ließ den Blick schweifen.
„Ich sehe Klippen, Felsen, ein paar Bäume, reichlich Strauchwerk, einige Vögel...“
„Auf dem Boden, Rondrolf!“ Roban deutete vor sich. Rondrolf wischte sich den Schweiß von der Stirn.
„Fussspuren“, stellte er fest. „Und? Ein Bauer auf der Suche nach Klaubholz, ein Kräutersammler, ein paar Schmuggler...“
„Müssen ziemlich reiche Bauern sein“, schmunzelte Leowina. „Seht Ihr die Kratzer auf dem Fels nicht?“
„Kratzer? Fels?“ wiederholte Rondrolf verständnislos und ließ sich die hellen Stellen zeigen.
„Ja! Und?“
Roban rollte die Augen, und Leowina blies die Wangen auf, als habe er gerade eben erklärt, nicht zu wissen, dass der Praioswagen morgen noch einmal über den Himmel fahren würde. „Rondrolf – Bauern und die meisten anderen Gemeinen tragen Schuhe aus Holz, Stroh oder Leinen. Keiner dieser Stoffe hinterlässt Kratzer auf Fels, wenn du abrutscht. Also?“ Rondrolf ließ seinem Bruder den Spaß und dachte nach.
„Also trug die Person genagelte Stiefel“, schloss er. „Aber keine besonders guten. Einer der Nägel steht vor und hinterließ den Kratzer. Richtig?“
„Auch gute Stiefel verschleißen“, meinte Leowina. „Aber ja – erst mal richtig. Und weiter?“
„Bin ich in der Firunsschule?“ mokierte sich Rondrolf. „Was weiter? Eine Person mit genagelten Stiefeln ging hier längs. Soll passieren!“
„Au weia!“ Roban warf seinem Bruder einen mitleidigen Blick zu. „Erstens sind zwei Personen hier längs gegangen, vermutlich eine Frau und ein Mann. Zweitens suchen wir nach Hinweisen auf Bewaffnete, die sich hier herum treiben und etwas mit Alrichs Verschwinden zu tun haben. Drittens hat jemand dort vorn einen der Büsche gestutzt, mit einer ziemlich scharfen Klinge. Also?“
„Wir folgen der Spur“, schloss Rondrolf. „Ganz leise, ganz unauffällig, ihr voraus, ich hintendrein!“
„Euer Bruder ist schlau, Grobhand“, meinte Leowina zu Roban. „Gar nicht wie Ihr!“
„Herrin Rondra, vergib mir, dass ich sie am liebsten hinterrücks erschlagen würde!“, murmelte Roban und folgte der Ritterin.

Sie benötigten nicht allzu lang, um weitere Hinweise auf die verfolgten Personen zu finden. Recht eindeutige Geräusche drangen aus einem dichten Buschwerk – allerdings keine, die auf hinterlistige Menschenräuber hindeuteten.
„Ein Hoch auf Roban“, spottete Rondrolf angesichts der Miene seines Bruders. „Ein Paar beim Rahjasspiel haben wir verfolgt! Wen nehmen wir uns als nächstes vor? Ein paar Lausbuben beim Nüssesammeln?“ „Halt die Raffel!“ schnappte Roban. „Die zwei sind verdächtig, ganz gleich, wie sie ihre Zeit herum bringen. Ich krauch rüber und sehe sie mir an!“
„Das wirst du nicht!“ fuhr Rondrolf sofort auf. „Das wäre eine Sünde wider Rahja und...“
„Ich will nicht gaffen, ich will wissen, wer hier mit genagelten Stiefeln herum bohnert und hinterm nächsten Busch einen wegsteckt. Also, klapp die Futterluke zu und haltet die Umgegend im Auge. Bin gleich wieder da!“
„Glaubt nur nicht, dass ich Euch allein gehen lasse, Grobhand“, mischte Leowina sich ein. „Vermutlich wollt Ihr nur gaffen, wenn Ihr die Gelegenheit habt, ein echtes Mannsbild beim Liebesspiel zu sehen!“ „Da müsste ich dabei in den Spiegel sehen“, zischte Roban. „Und mit Euren Flurschadenbrettern wird das mit dem Anschleichen ohnehin nichts. Blast doch gleich die Fanfare, um Euch anzumelden!“ „Muss ich gar nicht! Ich bleibe einfach auf der Schneise, die Ihr mit Euren zwei Flusskähnen in die Landschaft walzt! Die ist breit genug für ein komplettes Regiment in Paradeformation!“
„Ich bleibe hier und behalte die Gegend im Auge“, versprach Rondrolf rasch, ehe der Streit auch der Lautstärke nach eskalierte. Es war wirklich erstaunlich, was man sich sogar im Flüsterton an den Kopf werfen konnte.
„Genau das tust du“, brummte Roban, wandte sich ab und huschte, jede noch so kleine Deckung ausnutzend, in Richtung Gebüsch davon. Leowina folgte ihm auf dem Fuss, ebenso lautlos und gewandt, und Rondrolf lehnte sich an einen dürren Baum, verschränkte die Arme und tat so, als würde er die Umgebung beobachten.
Je näher sich Roban an das Gebüsch heran gearbeitet hatte, desto tiefer duckte er sich. Schließlich schnallte er den Waffengürtel ab, legte ihn leise auf eine moosige Stelle und kroch auf dem Bauch weiter voran, bis er sich in das vor Blicken schützende Buschwerk gearbeitet hatte. Jetzt trennten ihn nur noch wenige Schritte von den so gut hörbaren Fremden.
„Und – zufrieden jetzt?“ zischte Leowina hinter ihm. Auch sie lag auf dem Bauch. „Sie umarmt vornübergebeugt die nächste Birke, er besteigt sie von hinten! Großartige Entdeckung!“ „Das kommt davon, wenn man dem Kerl nur auf den Arsch guckt und nicht auf den Gürtel!“ Roban nickte an dem Liebespaar vorbei. „Der Kerl ist zumindest dort ziemlich gut bestückt!“ Er konnte hören, wie Leowina leise die Luft einzog. Neben dem Liebespaar lagen ihre Beinkleider samt den reichlich behängten Waffengürteln.
„Schön – also doch etwas mehr als ein romantisches Stelldichein in den Blutfelsen. Und jetzt? Nehmen wir die zwei hoch?“
Roban kaute auf der Unterlippe.
„Tät mich ja jucken, den Gegner mit runtergelassener Hose zu kassieren“, gestand er. „Andererseits, die zwei sehen mir schwer nach Streife aus. Auch wenn Stosse jetzt eher passt. Wenn wir die einsacken, haben wir möglicherweise sehr bald noch viel mehr von der Sorte am Hacken!“
„Also umgehen und die Spur zurück verfolgen?“
„Erstaunlich, Frau Steinkopf“, Roban schob sich vorsichtig rückwärts, „ich dachte, Ihr benutzt den Kopf nur zum Haare züchten. Aber scheint tatsächlich so etwas wie ein Gehirn drin zu stecken!“
Sie benötigten einige Minuten, ehe sie wieder bei Rondrolf anlangten, der sichtlich gelangweilt noch immer an der Birke stand.
„Und – schlauer geworden?“ fragte er vorwurfsvoll. „Es hat ja ziemlich lange gedauert. Roban, abklatschen darf man beim Tanz, nicht beim...“
„Halt die Backen! Die zwei sind bewaffnet wie eine thorwalsche Hochzeitsgesellschaft, auch wenn im Moment eher die Lanze in die Scheide gewuchtet wird. Wir folgen der Spur in umgekehrter Richtung. Wollen doch mal sehen, wo unsere zwei Turteltäubchen herkamen!“
„Vermutlich vom nächsten Gehöft“, maulte Rondrolf. „Oder von einem Pfad. Einem Lager im Wald.“
„Eben! Und genau zu diesem Lager wollen wir!“ Leowina gab Rondrolf einen gut gemeinten Schubs in die richtige Richtung. „Auf jetzt! Euer Bruder hat recht. Merkt Euch den Tag gut, denn es wird vermutlich keinen zweiten dieser Art geben!“

Es dauerte nicht lang, bis Roban erneut stehen blieb. Er reckte die geballte Faust in die Höhe, und sofort blieb auf Leowina stehen. Rondrolf hielt ebenfalls an, fragte sich aber, was das Zeichen bedeuten sollte. Nahte jetzt der unvermeidliche Faustkampf zwischen den beiden?
Dann deutete Roban mit zwei Fingern nach rechts, zu einigen Brombeerbüschen, und sofort huschten er und Leowina dorthin und krochen zwischen die Ranken.
„Was soll das jetzt schon wieder? Wollt Ihr Eure Kleider jetzt gänzlich ruinieren?“ Rondrolf schimpfte zwar, folgte aber angesichts der Blicke, die ihn aus gleich vier Augen trafen. Nachdem er leidlich bequem hingelegt hatte, versuchte er Robans Aufmerksamkeit zu erringen, doch der starrte mit Leowina durch die Ranken hindurch in eine ganz andere Richtung.
„Darf man erfahren, warum wir hier zwischen den Dornen liegen?“
„Klappe, Rondrolf“, kam die kaum hörbare Antwort.
Dann erklang ein Husten, und er hörte Schritte, die näher kamen. Jetzt konnte er einen Mann ausmachen, der zwischen vereinzelten Bäumen auftauchte, eine Pike lässig geschultert und mit der freien Hand den Hosenbund richtend. Er kletterte bis an den Pfad hinauf, setzte sich dann an den Fuss eines Baumes und schien sich auf eine längere Wartezeit einzurichten.
„Großartig“, flüsterte Leowina. „Und jetzt?“
„Wir warten“, entschied Roban.
„Warten?“ wiederholte Rondrolf, dessen Position leidlich bequem war – für fünf Minuten, allerhöchstens. „Auf was denn?“
„Die Nacht, Mann!“ flüsterte Leowina. „Jetzt können wir den Kerl nur anfallen oder abwarten, bis es dunkel wird. Wenn wir ihn anfallen, muss es so schnell gehen, dass er keine Hilfe rufen kann.“
„Wen sollte er auch zur Hilfe rufen? Hier ist doch niemand!“ Noch war Rondrolf nicht bereit, sich mit dem aufgezwungenen Quartier abzufinden.
„Rondrolf, hast du wirklich nur Bücher und Zahlen in der Birne?“ seufzte Roban. „Du blamierst uns vor dieser Möchtegern-Ritterin bis auf die Knochen. Der Kerl ist ein Wachposten, und wo ein Wachposten ist, ist auch was zu bewachen! Ist doch gar nicht so schwer!“
Rondrolf wollte etwas erwidern, aber ihm fiel nichts ein, was seinen Fehltritt noch hätte abmildern können. Er sollte sich wirklich vom Kriegshandwerk fern halten, entschied er. Dabei machte er eine gar zu jämmerliche Figur.

Die Stunden verstrichen zäh wie Baumharz. Rondrolf bemühte sich, keine Geräusche zu machen, und es gelang ihm leidlich. Nur einmal kroch Roban davon, um den Weg auszuspähen, und kehrte nach einer geraumen Zeitspanne zurück. Jetzt wussten sie zumindest, dass es möglich war, den Wächter in der Dunkelheit zu umgehen, wenn sie es denn vorsichtig angingen.
Die Nacht brach an, und Phex hüllte das Land in Dunkelheit. Roban hatte sich auf den Rücken gedreht, Leowina ebenfalls, und wer es nicht besser wusste, hätte es für ein gemeinsames Warten auf die Sterne halten können. Zumindest dann, wenn man sich die permanenten geflüsterten Sticheleien weg dachte.
Rondrolf wartete weiter. Es wurde dunkler und dunkler, und er fragte sich allmählich, auf was man noch wartete. Die nur fleckenhafte Bewölkung ließ Madas Schein auf das Derenrund fallen, und düstere Umrisse schälten sich aus der Finsternis.
„Na endlich“, brummelte Roban dann. „Ich dachte schon, die hätten nur kalte Küche!“
„Wer, wenn man fragen darf?“ ächzte Rondrolf. Mittlerweile schmerzten ihm Knochen, die nur ein studierter Anatom hätte benennen können.
„Die Leute, die gerade hinter diesen Felsen ein Feuer angezündet haben“, belehrte ihn Leowina.
„Drei Feuer“, ergänzte Roban. „Man kann es gut unterscheiden.“
Leowina schien in der Dunkelheit zu nicken.
„Also eine recht ansehnliche Gesellschaft“, schloss sie. „Oder Leute mit sehr kalten Füssen!“
„Sehen wir mal nach“, schlug Roban vor. „Also, erst mal zehn Schritte rechterhand bis zu der Krüppelkiefer, dann die Felsen rauf, an den Büschen längs, dann ein Stück nach links bis zu dem halbrunden Felsen. Dort treffen wir wieder auf den Pfad. Maul halten und folgen!“
Er kroch davon, Leowina gleich hinter ihm, und Rondrolf bildete den Schluss. Er konnte es sich nicht verkneifen, nach dem Feuerschein zu suchen, den die anderen ausgemacht hatten, und tatsächlich – wenn man genau hinsah, konnte man über den Felsen einen rötlichen Schimmer erkennen, und wenn man sehr genau hinsah an den Farben drei Feuerstellen unterscheiden. Er hatte wohl doch noch viel zu lernen. Der Weg, den Roban ausgekundschaftet hatte, war bei Dunkelheit mässig gangbar. Einige Male wäre Rondrolf beinahe ausgerutscht, und einmal stieß er sich den Kopf so heftig an einem tief hängenden Ast, dass er sicher war, man könne das Geräusch noch in Wengenholm hören. Aber die anderen lauschten regelmässig in die Dunkelheit, wo außer dem allgegenwärtigen Geräuschen kleiner Tiere und dem gelegentlichen Rauschen von Blättern und Astwerk nichts zu hören war.
Dafür hörten sie bald andere Laute: Menschen sprachen, hölzernes Geschirr klapperte, Feuer prasselte, und als sie die Felskuppe überwunden hatten und wieder einmal in einem Gesträuch lagerten, konnten sie ein komplettes Zeltlager erkennen. Bewaffnete scharten sich um die drei Feuerstellen, aßen, tranken, lachten verhalten.
Rondrolf schluckte. Sie kauerten vor einem kompletten Heerlager, kaum einen Tagesmarsch von Alt Rudes Schild entfernt.
Roban gab ihm einen Stoss in die Seite.
„Da – siehst du den aufgeblasenen Zausel mit den goldenen Fransen an der Birne? Das ist Trest von Vardock. Also doch!“
Rondrolf suchte anhand der Beschreibung und wurde fündig. Allerdings schenkte der dem wirklich sehr gepflegt wirkenden Trest kaum Aufmerksamkeit, vielmehr der wuchtig wirkenden Frau Anfang Fünfzig, die mit ihm sprach.
„Und die Dame neben ihm ist Barmine von Rüpeln“, stellte er entsetzt fest. „Ich dachte, die sitzt auf Ambossblick und macht Vater das Leben schwer!“ „Offenbar nicht, sonst wäre das Weib nicht hier!“ knurrte Roban finster. „Und wer ist der Typ mit der hässlichen Visage, der bei denen hockt?“ Rondrolf grübelte kurz. Er kannte die Koscher Adelsgeschlechter besser als sein Bruder, und angesichts der bereits versammelten Personen fiel ihm der Schluss nicht allzu schwer. „Vermutlich Eberhard von Vardock. Wegen seiner entstellten Nase ruft man ihn wohl auch schon mal ‚Eberrüssel‘ oder mit ähnlich freundlichen Namen!“ „Eine feine Gesellschaft“, brummte Roban. „Aufgeblasene Popanze, miese Söldnerführerinnen und jetzt auch noch ein Schwein auf zwei Beinen!“
„Und jetzt? Was macht Ihr angesichts so vieler guter Bekannter?“ fragte Leowina. Roban schenkte ihr einen unwilligen Blick.

„Natürlich niedermachen, die ganze Bande! Ich die linken fünfzig, Ihr die rechten fünfzig, und Rondrolf bleibt zum Zählen hier! Oder habt Ihr eine bessere Idee?“ „Ihr könntet alle nehmen, und ich zähle die Sekunden, bis Golgari Euch holt!“ schlug Leowina vor.
„Klingt gut – da Ihr ja ohnehin höchstens bis drei zählen könnt!“ knurrte Roban. „Könnt Ihr ein Zelt ausmachen, das schärfter bewacht wird als die anderen?“
„Deren vier! Könnte aber auch das Schnapslager, die Kriegskasse, Munitionsdepot oder ähnliches sein. Schwer zu sagen auf diese Distanz!“
„Geht ruhig näher ran und fragt“, stichelte Roban. „Oder legt Euch auf Euren unförmigen Wanst und kriecht nach rechts um das Lager herum. Ich tue das Gleiche auf der linken Seite. Treffpunkt bei dem einzeln stehenden Baum auf der anderen Seite. Falls Ihr den mit Euren wässrigen Glotzern erkennt!“
„Muss ich gar nicht! Ich werde Euch an Eurem Gestank erkennen“, konterte Leowina und robbte in die Dunkelheit davon.
„Du deckst unseren Rückzug“, kommandierte Roban und tat das Gleiche in entgegen gesetzter Richtung. Rondrolf wollte protestieren, aber da war er bereits verschwunden.
Also blieb er, wo er war. Fragte sich nur, wie er ganz allein und ohne jede Ahnung, wie zum Gehörnten er den Rückzug denn decken sollte. Hatte sich die Zeit unter dem Brombeergestrüpp schon gedehnt, so schien Satinav jetzt gar eine Pause einzulegen. Unendlich lang schien es Rondrolf, bis sein Bruder und Leowina endlich zurück kehrten, und mehrfach fürchtete er bereits, man habe die Späher entdeckt. Doch im Lager blieb es ruhig, kein Alarm wurde gegeben, niemand griff zu den Waffen. Er nutzte die Zeit, um die Kämpfer zu zählen, immerhin etwas, dass er besser beherrschte als Roban. Er kam auf gute hundertfünfzig Köpfe, und damit auf noch erheblich mehr, als Roban geschätzt hatte. Endlich raschelte es leise, und er konnte Robans Gesicht zwischen dem Wurzelwerk ausmachen.
„Und – Rückzug noch frei?“ fragte Roban, als er neben ihn glitt.
„So frei wie nur was“, seufzte Rondrolf erleichtert. „Habt Ihr Alrich gefunden?“
„Alrich nicht!“ erklärte Leowina düster. „Aber ich habe seinen Sohn Bolzerich gesehen.“
„Als Gefangenen?“
„Schön wär´s! Nein, er sitzt am ganz linken Feuer bei den Weibeln und scheint sich um die Moral der Truppe zu bemühen!“ Sie nickte zu besagtem Platz hinüber.
„Interessante Konstellation“, murmelte Rondrolf. „Alrich als legitimer Erbnehmer verschollen, und sein Sohn sammelt Waffenvolk unweit des Hauptortes. Offenbar ist er nicht gewillt, zu warten, bis die Reihe regulär an ihm wäre und will lieber vollendete Tatsachen schaffen! Und jetzt?“
„Verduften“, entschied Roban. „Alrich ist nicht hier, und gegen die Meute können wir eh nicht anstinken. Wir müssen Alt Rudes Schild warnen. Rondralieb muss ihre Getreuen sammeln, ehe dieses Pack hier losschlagen kann.“