Dohlenfelder Thronfolgestreit - Im Lazarett am Darlinufer II

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Texte der Hauptreihe:
K28. Sieg
K95. Kajax
K118. Rückzug!
K121. Im Kosch
K122. Frieden!
K123. Epilog
Autor: Reichskammerrichter, weitere


Nordmarken, 1033

„Euer Hochwürden, Euer Hochwürden!“
Der Ruf eines der Feldscher riss die Geweihte der gütigen Peraine aus ihrer Konzentration – vor ihr lag auf einer Bahre ein schwer verletzter Soldat irgendeiner Seite der streitenden Parteien. Tapfer biss der junge Mann (er war wirklich jung, nicht einmal 18 Lenze, schätzte die Priesterin) die Zähne auf ein Beißholz, während seine offene Hüftwunde genäht wurde. Ivetta von Leihenhof, die hier unter ihrem eigenen Lehensnamen ‚von Storchengarten‘ auftrat, wunk den Feldscher kurz ab, während sie ihr Werk vollendete. Sauber vernähte sie die Hautlappen miteinander und als sie den letzten Stich getan, die Wunde abgebunden und den Soldaten mit dem Segen Peraines an einen ihrer Laiendiener weiter gereicht hatte, da erst wandte sie sich an den Feldscher.
Der grauhaarige Mann, der die Fünfzig bereits überschritten hatte, stand in seiner blutigen Lederschürze vor der Priesterin.
„Seht doch!“
Sein Arm ruckte in Richtung auf das Schlachtfeld. Ivetta, deren dunkelbraune Haare unter ihrem grünen Kopftuch verborgen waren, folgte diesem Wink. Sie sah aufeinanderprallende Heerhaufen, Wimpel und Banner. Und sie sah, wie die Truppen Hagens sich zurückzogen. Sie sah, wie Arraned, Eisenstein und Fuchsgau die Kehrtwende machten, ihre Verbündeten verrieten.
„Peraines Güte!“ entfuhr es ihr und sie ließ ihr Verbandszeug fallen. Sofort hob es der Feldscher auf und wickelte es zusammen.
„Ja, Euer Hochwürden…“ bestätigte er ihr das, was sie bereits dachte.
Ivetta von Storchengarten, die Hohepriesterin des Hauses von Weiher und Sichel, dem Peraine-Tempel zu Grasbühl, und Äbtissin des dort angeschlossenen Therbûniten-Klosters, wischte sich den Schweiß von der Stirn. Im Haufen des Herzoglichen Vogtes von Fuchsgau befanden sich ihre eigenen Leute. Sie war die Junkerin von Storchengarten in der Baronie Fuchsgau, deren Herr der Herzog selbst war. Und sein Vertreter, ihr Lehnsherr, war der Vogt Leodegram von Starkenrast – und jener zog nun auch ihre Waffenknechte aus der Schlacht zurück und fiel so Hagen in den Rücken!
Die Priesterin schnappte nach Luft. Fuhr herum. Fuhr den Feldscher an:
„Dankwart…“, der Angesprochene zuckte zusammen. „…bereite dich auf zahlreiche Verwundete vor. Die Truppen Angronds werden über jene Hagens herfallen. Bereite dich auch darauf vor, auf das Schlachtfeld zu ziehen und die Verwundeten herauszuholen.“
Der Wundarzt holte Luft.
Ivetta ließ ihn nicht zu Wort kommen: „Peraines Güte, die Göttin verlangt Einsatzbereitschaft.“
Damit ließ sie ihn stehen.
„Therbûniten zu mir!“ gellte ihr Ruf durch das Lazarett und sofort huschten grüne Schemen herbei. Sie blickte sich um, zufrieden lächelnd: Der Orden der Gesegneten Heilerschaft der Peraine-Gläubigen, kurz Therbûniten-Orden, hatte auf Ivettas Initiative hin, einige Brüder und Schwestern entsandt. Darunter waren Elfgyva Selbling, eine studierte Medica mit langen Jahren Erfahrung, aber auch der blutjunge Bader und Wundarzt Witger Blümle, der mit energischer Leidenschaft, aber wenig praktischer Erfahrung ans Werk ging.
Ivetta schilderte ihr Vorhaben und veranlasste die notwendigen Vorbereitungen. Sie hieß einen der Ordensbrüder, den kräftigen Kräuterkundigen Otgar Siebenrauch, das Banner der Therbûniten bringen – sobald sich die Schlacht ihrem Ende neigte, würden die Therbûniten versuchen, die Verwundeten von diesem zu bergen.
Sofort setzte sich das Grüppchen in Bewegung. Keiner zauderte – oder wenn, dann nur zögerlich. Ivetta setzte zu einem kurzen Gebet an die Göttin an. Als die kurze, aber ansprechende Liturgie beendet war, fiel ihr Blick auf einige andere Gruppen von Heilern in den Schärpen der Therbûniten. Begleitet von Bewaffneten in grünen Wappenröcken!
Ivetta stockte der Atem. Bewaffnete! Heiler in den Schärpen der Therbûniten, die von Bewaffneten in fremden Wappenröcken begleitet wurden.
„Welch‘ ein Frevel an den Geboten der gütigen Mutter Peraine.“
Wer hatte eine solche Anweisung gegeben? Bestimmt Mutter Hagenvels, sie war die ranghöchste Geweihte der Peraine – neben Ivetta – im Lazarett.
„Otgar!“ zitierte sie den ‚Bannerträger‘ der Therbûniten zu sich. Der hochgeschossene, breitschultrige Mann aus Albenhus – der der Statur nach eher Fleischer oder Schlachter hätte werden sollen – stampfte wie eine Naturgewalt heran.
„Rufe alle Therbûniten zu mir, ich werde sie meinen Gruppen zuteilen. Wir vertrauen auf den Schutz der Göttin und werden keine andere Klinge auf das Feld führen als unser Chirurgenwerkzeug und Knochensägen.“
So geschah es – jeder Bruder, jede Schwester des Ordens der Gesegneten Heilerschaft der Peraine-Gläubigen sammelte sich um Ivetta von Storchengarten als Äbtissin des Klosters von Weiher und Sichel zu Grasbühl. Die Hohepriesterin breitete die Arme aus mit den Handflächen gen Erde, dem fruchtbaren Boden der gütigen Herrin Peraine, und sang eine schlichte Liturgie:
„Gütige Mutter, die du uns das Leben schenkst. Gütige Mutter, die du uns Heilung gibt. Segne unser Tun, steh uns bei und schütze uns während wir DIR zu Ehren helfen und Linderung bringen.“
Gemeinsam schloss die Gruppe der Geweihten und Laiendiener das Gebet mit einem „So sei es.“
Dann marschierten sie in Gruppen von vier oder fünf Köpfen auf das Schlachtfeld, um die Verwundeten zu bergen. Tapfer schritten sie aus, deutlich trugen sie die grünen Kutten des Ordens, die Schärpen mit dem Ährensymbol.