Entführung des Prinzenpaares - Ritt über Eis und Schnee
Der Vormittag war einem eiskalten, aber sonnigen Mittag gewichen, und hatte seinerseits einem giftig kalten Nachmittag Platz gemacht. Die Vorhut ritt nun schon seit Stunden durch den hohen Schnee, wobei Ardo darauf achtete, in regelmäßigen Abständen die Hufe und bandagengeschützten Fesseln der Tiere zu begutachten, um Verletzungen durch den gefrorenen Schnee zu vermeiden oder zumindest direkt zu behandeln.
Vor einer halben Sanduhr war man wieder auf einen Weg getroffen, dem man nun, da er in die richtige Richtung führte, erleichtert folgte. Da vernahm das scharfe Gehör des Knappen plötzlich Hufschlag. Der sofort benachrichtigte Ardo nickte und hob zwei Finger zur Praiosscheibe. Zwei Pferde oder ähnliche Vierhufer näherten sich vom bergwärts gelegenen Wegabschnitt in gemütlichem Tempo.
Hinter den herabfallenden Schneeflocken zeichneten sich nur langsam die Umrisse eines ungewöhnlichen Gefährtes ab, der von zwei kräftigen Kaltblütern gezogen wurde. Eine Art Kutsche, die, wie es schien, kurzerhand zu einer Art Schlitten umgebaut worden war, indem man unter die Räder Kufen gebunden hatte. Unter einer Plane saß ein Angroscho auf dem Kutschbock, sein Gesicht kaum erkennbar unter einem dicken Wollschal verborgen, auf seinem Kopf etwas, das wie ein mit Fell gefütterter Helm aussah. Nicht lange, und sein Weg würde den der Gruppe kreuzen.
Timokles zügelte sein Pferd und blickte zu seinen beiden Reisegefährten, was zu tun sei. Der Zwerg sah nicht gerade feindselig aus und erinnerte mehr an einen Händler. Der Knappe wandte sich also an den Rittmeister.
„Verzeiht, wenn ich mich einmische, aber dieser Zwerg könnte uns vielleicht Informationen geben. Schließlich kommt er von dort, wohin unser Weg uns führen wird! Es wird uns gewiss keine Gefahr von ihm dräuen, denn ich habe gelesen, dass die letzten großen Konflikte zwischen dem Volk der Angroschim und der Menschen schon…“, da wurde der Knappe bereits in seinen Ausführungen unterbrochen.
Urion trieb sein Schlachtross von der Seite durch den tiefen Schnee auf das Gefährt zu. Er hatte sich gut getarnt abseits der beiden Gefährten gehalten, seinen Reiterbogen schussbereit. Die Waffe am langen Arm nach unten gerichtet wandte er sich mit einem rauen, nicht ganz flüssigen Rogolan an den Angroschim.
„Angrosch mit Euch, Väterchen! Mein Name ist Urion von Reiffenberg, wie ist Euer werter Name? Wohin führt Euch Euer Weg in diesen unwirtlichen Tagen?“
Der Reiffenberger hatte die Frage so allgemein wie möglich formuliert und bewusst die Queste des Prinzen herausgehalten. Noch musste dieser Angroschim nicht erfahren, dass er die Vorhut des Prinzen vor sich hatte. In Erwartung einer Antwort, verharrte er im Sattel.
Hinter dem Wollschal des Zwergen war bei diesen Worten ein Schmunzeln zu erkennen. Der Angroscho antwortete in klarem und akzentfreiem Garethi:
„Von Reiffenberg, schau an … meinen Gruß auch Euch, werter Edelmann. Ihr seid doch nicht etwa mit dem Obersten Wächter Rohals verwandt? Diesem Kuniswart von Reiffenberg…“
„Vom Reifenwasser … nicht von Reiffenberg, mein lieber Watzen!“, eine Stimme drang aus dem Inneren des Gefährtes. Urion, der näher herangeritten war, konnte zu seinem Erstaunen erkennen, dass es mit allerlei Kissen ausgekleidet war, am Rand standen einige Truhen und zwei Armbrüste. Inmitten des Kissenberges saß ein weiterer Zwerg, der sich in ein dickes Bärenfell gewickelt hatte, genüsslich eine Pfeife schmauchte und vor sich einige Karten ausgebreitet hatte, in deren Studium er offenbar vertieft war.
„Nun sei nicht so unhöflich und beantworte dem edlen Mann seine Fragen.“
Der Kutscher räusperte sich.
„Ach richtig, vom Reifenwasser. Nun, mein Name ist Watzen Wackerstock - ich bin gemeinsam mit Herrn Nirwulf auf dem Weg in die Koschberge.“
Diese letzten Worte klangen fast entschuldigend - so als hätte er eben eine Dummheit gebeichtet. Er sah bei dem Gedanken, im Winter in die Gefahren der Koschberge zu fahren, nicht gerade glücklich aus.
„Nirwulf!“, entfuhr es Urion. Langsam nahm er den Pfeil von der Sehne des Bogens und verstaute diesen in seinem Köcher.
„Habe ich richtig gehört? Nirwulfk, Sohn des Negromon, Baron von Birnbrosch und Cantzler des Kosch? Seid ihr es wirklich, Herr? Was in Travias und Firuns Namen treibt Euch hierher zu dieser Jahreszeit?“
Der angesprochene ältere Zwerg mit grauem Backenbart kam nun etwas umständlich aus seinem Kissenberg hervorgekrochen. Das Fell weiterhin fest um sich gewickelt und mit drei Gürteln um sich geschnallt, so dass er ein wenig wie ein kleiner Höhlenbär wirkte. Er ließ seinen erstaunten Blick über die umherstehenden Ritter schweifen, lächelte, nahm noch einmal einen langen Zug aus seiner Pfeife und hob dann zu sprechen an.
„Ganz recht, Wohlgeboren! Ich gebe zu, dass ich gerne auf Erlenschloss geblieben wäre. Für gewöhnlich versuche in dieser unwirtlichen Jahreszeit möglichst selten zu reisen, doch manchmal treiben mich die Umstände dazu. Viel ungewöhnlicher erscheint mir hingegen Eure Anwesenheit hier im Koscherland … und noch dazu in Begleitung des Prinzen, den ich hiermit sehr herzlich in seiner alten Heimat willkommen heiße!“
Urion wandte sich um und sah in einiger Entfernung das Banner des Prinzen auf dem Pfad. Schon zeichneten sich die ersten Umrisse des Haupttrupps ab.
Der Reiffenberger wandte sich wieder dem Cantzler zu und deutete eine Verneigung an.
„Euer Hochwohlgeboren, verzeiht mein schlechtes Rogolan, es ist in letzter Zeit etwas eingerostet. Artog, Sohn des Arom, der Schmied des Markgräflichen Marstalls, lehrte es mich in Kindertagen. Sollte ich Euch damit in irgendeiner Form beleidigt haben, bitte ich vielmals um Verzeihung.
Euer Hochwohlgeboren, ich bin erfreut und überrascht Euch hier zu treffen. Ich denke, seine allerprinzlichste Durchlaucht wird sich ebenso über Eure Ankunft freuen. Lasst mich Euch angemessen beim Prinzen vermelden.“
Er wandte sich an den Knappen.
„Timokles! Wärest du so gut und reitest dem Prinzen entgegen? Melde ihm die Ankunft seiner Hochwohlgeboren Nirwulf, Sohn des Negromon, Cantzlers des Kosch und Barons von Birnbrosch. Und, eile dich.“