Wengenholmer Geister - In Auersbrück

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Auersbrück, Ende Firun 1041

Gegen Abend erreichte die Gruppe schließlich Auersbrück. Selbst die beiden Torwachen der Munteren Breitäxte schienen ihnen nicht so recht zu glauben, als sie nach der Frage nach ihrem wohin und woher antworteten, dass es sie auf einen Jagdausflug gezogen hatte, letztlich ließen sie die Adligen aber dennoch passieren.
Direkt hinter dem Tor erwartete sie bereits Halmars Waffenknecht Bodar und geleitete die Gruppe zum Gasthaus „Zur Esche“, denn beim Eschenwirt gab es neben guten Betten vor allem auch das beste Bier am Platze. So hatte die Gruppe auch Schwierigkeiten einen Tisch für sich zu finden, herrschte hier doch bereits viel Betrieb. Die Kälte hatte bei vielen Reisenden und Ortsansässigen den Wunsch nach einem warmen Schankraum ausgelöst. Nachdem der Eschenwirt einen dampfenden Eintopf aufgetragen hatte steckten die Reisenden ihre Köpfe zusammen um Bodars Bericht zu lauschen.
Viburn und seine Reiter sind hier tatsächlich zweimal durchgekommen, einmal auf dem Weg nach Wengenholm und dann auf dem Weg zurück. Wie viele Reiter er genau dabei hatte konnte mir niemand so genau sagen, die meisten schätzten aber ein halbes Dutzend. Wir wissen also nicht sicher ob der Gesuchte wirklich bei der Rückreise bei Viburn war. Jedenfalls ist er nicht weiter aufgefallen. Auf der Rückreise mussten sie eine zweitägige Rast einlegen, denn eines ihrer Pferde lahmte und musste neu beschlagen werden. Der Hufschmied fand das Pferd sei in keinem guten Zustand, aber Viburn konnte wohl keinen Ersatz auftreiben und ist weitergezogen.“ Kurz hielt Bodar inne. „Ich habe auch versucht die Söldner der Munteren Breitäxte ein wenig auszuhorchen. Die versehen hier ihren Dienst als Stadtgarde und patrouillieren auch das Umland, wenn sie nicht gerade im Soldauftraug unterwegs sind. Jedenfalls ist den Söldnern nichts weiter aufgefallen, außer der Vermutung, dass trotz Goros Tod immer noch ein Schrecken im Borrewald umgeht. Aber mehr als Gerüchte ließen sich da nicht herausfinden. Manche meinen da ginge nach wie vor ein Oger um, andere wiederrum es seien die Reste von Goros Bande, oder Schergen der Finsterzwerge. Übergriffe auf Auersbrücker Gebiet gab es jedenfalls nicht, es kann also gut sein, dass es sich nur um Gerüchte handelt.“
Während die anderen Zuhörer Bodar gebannt lauschten wirkte Halmar etwas abgelenkt. Ein Hüne, am anderen Ende des Raumes, schien seine Aufmerksamkeit zu erregen. Halmar stupste Niam, die neben ihm saß an und deutete in die Richtung des Mannes. „Täusche ich mich, oder ist das Gerwulf?“ fragt er die ehemalige Knappin seines Vaters. Die junge Frau stutzte. „Tatsächlich. Ich dachte der ist in Barabein verbrannt.“ „Dachte ich auch“ erwiderte Halmar „wenn er aber überlebt hat und das Feuer dazu genutzt hat abzuhauen muss er Dreck am Stecken haben.“
Das Gespräch der beiden jungen Ritter zog nun auch die Aufmerksamkeit des Rests der Gruppe auf sich. Sie alle blickten jetzt immer wieder auf den Mann. Dem schien die Aufmerksamkeit aufzufallen, denn seine Blicke kreuzten sich mit den ihren. Ansatzlos stieß er zwei Tischlergesellen in eine Gruppe Söldner und sprang dann zur Tür hinaus. Sofort war Halmar auf den Beinen und setzte ihm nach, doch das war leichter gesagt als getan, denn zwischen den Tischlern und den Söldnern hatte sich eine handfeste Keilerei entwickelt.
„Mensch, schiebt eure Ärsche an die Seite, wir ham´s eilig!“ Roban stieß eine Handwerkerin zur Seite, um sich den Weg zur Tür zu bahnen, kam aber keine drei Schritte weit, ehe ihn ein Schlag von der Seite traf und gegen einen anderen Mann taumeln ließ, der dabei sein Bier verschüttete. Der leere Krug traf den Ritter kurz darauf zwischen die Augen und ließ ihn erneut taumeln, dieses Mal in die andere Richtung. „Hier leidet jemand eindeutig an Fressjucken!“ knurrte Roban, als er den malträtierten Gesichtserker massierte und den Verursacher der Blessur fixierte.
„Warte, Freundchen, wenn ich wieder da bin, lass ich durch, bis du lachst, und dann, weil du lachst!“ Dann stürzte er aber doch wieder Richtung Tür, die angedrohte Satisfaktion auf später verschiebend. Viel mehr Platz als vorher hatte er nicht, daher tauchte er unter einem der Tische hindurch, kroch über die Füsse der wütend aufspringenden Zecher, und stürzte mehr auf allen Vieren denn auf zwei Beinen durch die Türöffnung ins Freie.

Niam war nahezu zeitgleich mit Halmar aufgesprungen, als sie aber sah, dass sowohl der Sindelsaumer als auch der Koschtaler ihre Probleme hatten, auf normalem Wege aus der Esche zu finden, stieg sie auf einen Tisch. Die Bierkrüge darauf begannen gefährlich zu wackeln, als sie ansetzte und auf den nächsten Tisch sprang. Ein erster Bierkrug fiel um, und das wertvolle Gut darin ergoss sich über den Tisch und den Boden. Ohne darauf zu achten sprang Niam schon auf einen weiteren Tisch, der ebenfalls sehr bedrohlich zum Wackeln begann und noch mehr Bier verteilte sich über den inzwischen schon ziemlich rutschigen Boden. „He! Mein Bier! Dafür muss ich hart arbeiten!“ brüllte sie einer der Tischler an und griff nach der Grimsauerin. Ohne recht darauf zu achten, griff er dabei sehr unziemlich an Niams Oberschenkel. „Ich hab‘ dir nicht erlaubt, mich da anzutatschen, du Ferkel!“ giftete die junge Frau zurück, holte mit dem Stiefel aus und traf den Tischler mit voller Wucht in der Brust, so dass dieser direkt in die Arme von einigen Söldner taumelte. Bevor die Söldner den armen Tischler wieder zurückstoßen konnten, sprang Niam auf den nächsten Tisch. Doch hier verließ sie ihr Glück, den der Tisch fing nicht nur an zu wackeln, sondern kippte nach wenigen Sekunden, die Niam wie eine Ewigkeit vorkamen, nach vorne, mitsamt Ritterin, einigen unglücklichen Zechern und allen Humpen darauf. Niam landete hart auf einem der Zecher, der seine Hände zum Schutz vor sich gehalten hatte und dadurch diese ebenfalls sehr ungeziemend auf ihre Brust drückte. „Gnaaaa! Nur betrunkene Rumpelwichte hier, die nicht wissen, wie man sich zu benehmen hat.“ Mit diesen Worten gab Niam dem unter ihr liegenden einen Kopfstoß und drückte sich nach oben in den Stand. Den Hieb in ihren Rücken, der sie nach vorne stolpern ließ, sah sie nicht kommen und so wurde sie in hohem Bogen aus der geöffneten Tür befördert, direkt über den am Eingang krabbelnden Roban.
Tharnax war indes der letzte der reagierte, auch wenn er die Situation schon früher entsprechend erfasst hatte. Dennoch ließ er es sich nicht nehmen den letzten Schluck des Ferdoker zu trinken, zu dem er bereits angesetzt hatte, als der Ärger begann. Er war ohnehin der langsamste mit seinen kurzen, stämmigen Beinen, warum sollte er da den anderen im Weg stehen.
Während die Keilerei dann bereits tobte, sprang er auf und dankte Angrosch, dass er nur seinen Helm nebst allzu sperriger Ausrüstung abgelegt hatte. Mit den ersten Schritten die er tat zog er sich die Kettenhaube über den Kopf, zog selbigen zwischen die breiten Schultern und nutzte das entstandene Chaos, um in einem kleinen Bogen durch die Menge der wütenden Menschen zum Ausgang zu gelangen. Einem besoffenen Kerl der sich ihm dort in den Weg stellte trat er kurzerhand gegen das Schienbein. Sein schwerer mit einer dicken, eisernen Kappe versehener Stiefel indes war das passende Argument. An der Tür angekommen stellte er sich mit dem Rücken zur Wand und pfiff durch die Finger. „Raus jetzt!“ Brüllte er den anderen entgegen, schnappte sich einen herumstehenden Schemel und brach ein Standbein ab, um es in der Hand zu wiegen.
Aedin, der die bisherige Reise recht still war – es ging ihm dabei ähnlich wie Gilborn, er kannte einfach noch keinen der Anwesenden besonders gut – hörte auch an diesem Abend wieder aufmerksam zu. Wenn er schon nicht viel beitragen konnte, so konnte er doch zumindest die Informationen der Anderen sammeln, vielleicht würde er dann ja nach und nach ein besseres Bild der Sache bekommen. So konnte er die anderen auch ein wenig beobachten und ihre Gestik und Mimik studieren. Dann jedoch wurde es turbulent – und auch Aedin sah zu, dass er die auf einmal äußerst unwirtliche Schankstube verlies. Er fragte sich, ob dieser Gerwulf tatsächlich etwas mit der Sache zu tun hatte oder sie hier nur völlig ohne Grund die warme Schankstube zugunsten des kalten Schnees und eisigen Wetters verliesen, aber allzu lange hielt er sich nicht mit der Frage auf, da er unversehens vor die Wahl gestellt wurde, entweder weiter zu denken und einen Krug an die Rübe zu bekommen oder eben zu handeln, was in diesem Fall dem mehr oder weniger geplanten und eleganten Rückzug aus dem Gasthaus bedeutete – und weder gut geplant noch besonders elegant wirkte, hatte doch die Flucht des Kerls das ruhige und beschauliche Gasthaus im Nu in eine wilde Kneipenschlägerei verwandelt. Aedin, der eher drahtig als kräftig war, wand sich durch die plötzlich aktiven Menschen und Zwerge hindurch, teilte dabei hierhin und dahin die eine oder andere Schelle aus, wenn ihm einer der Gäste zu nahe kam und musste auch einmal den Stiefel dort einsetzen, wo es seinem Gegenüber am meisten wehtat, bevor er schließlich unter dem Schwinger von einem Hühnen von Tischler hindurch die Tür erreichte. Dort hielt er einen Augenblick inne, um nach den Anderen zu schauen, Halmar torkelte mehr, als das er rannte, aber endlich war auch er aus der Tür des Gasthauses gekommen. Angewidert versuchte er sich das Bier aus den Augen zu wischen, war aber nur teilweise erfolgreich. Aus den Augenwinkeln nahm er Gerwulf wahr, der die verschneite Straße hinunter hetzte. Ohne groß nachzudenken eilte Halmar ihm hinterher. Gerwulf blickte gehetzt über seine Schulter und beschleunigte seinen Lauf noch einmal als er die Schar der Ritter und Zwerge hinter ihm herlaufen sah. Abrupt bog er in eine kleine Gasse ein. Halmar holte seine letzten Reserven heraus um sein Tempo ebenfalls zu erhöhen, hatte jetzt aber zu viel Schwung aufgenommen, denn als er in die kleine Gasse einbiegen wollte rutschte er aus, schlidderte in eine Hauswand und fiel der Länge nach hin.

Roban schaffte es gerade noch, über den Gestrauchelten hinweg zu setzen, und auch er rutschte teilweise mehr, als er lief. Beinahe hätte er erneut ein Stück Weg auf allen Vieren zurück gelegt, fand dann aber das Gleichgewicht wieder, nur um es drei Schritte weiter erneut zu verlieren.
„Scheiße, ist das mörderglatt hier!“ schnaubte er und zog sich an einem an der Hauswand gestapelten Holzklafter wieder hoch. „Gut, dass die Leute wenigstens Holz vor der Hütte haben!“
Sprach´s, griff einen der handlichen Scheite und ließ ihn wie eine Wurfaxt durch die Luft wirbeln, dem flüchtenden Gerwulf hinterher. Und wäre das Holz eine Axt gewesen, sie hätte den Flüchtigen wohl nicht nur zu Boden, sondern gleich über das Nirgendmeer geschickt, traf nämlich genau zwischen den Schultern und ließ Gerwulf mit einem überraschten Schrei zu Boden gehen.
„Hähä, Treffer!“ Roban wollte weiter, aber der Klafter stand dummerweise dort, wo Schmelzwasser von der Dachkante auf dem Boden gefroren war. Der Koschtaler führte einen merkwürdig anmutenden Tanz mit sämtlichen Gliedmaßen auf, ehe er sich unfreiwillig auf den Hosenboden setzte und die Anwohner mit einigen überaus kreativen Wortschöpfungen aus dem Schlaf riss.

Wie geplant verließ der Angroschim als letzter die Gaststube. Er hatte großzügig mit dem Stuhlbein ausgeteilt, während sich die anderen an ihm vorbei ins freie gedrängt hatten. Soweit so gut. Als er sich dann jedoch selbst zur Schwelle hin umdrehte, traf ihm ein Bierkrug in den Nacken, so dass er unweigerlich ein Stück nach vorne, zum Glück für ihn in diesem Moment, vor die Tür taumelte. Tharnax fluchte und schüttelte unwirsch den Kopf, um die Benommenheit abzuschütteln. Sicher, die Kette hatte eine ernsthafte Verletzung verhindert, doch die Wucht musste man erst einmal wegstecken. Normalerweise hätte er sich jetzt umgedreht und ernsthafte Überlegungen angestellt auf welche Art und Weise er die Klöten des Werfers zu Brei verarbeitet hätte, doch er hatte in diesem Moment ja tatsächlich anderes im Sinn, zu seinem Leidwesen.
Als er wahrnahm, dass bereits zwei der Raufbolde aus dem Inneren dabei waren ebenfalls durch die Tür ins Freie zu treten, wusste er das er handeln musste. Instinktiv bekam er das Türblatt zu fassen. Mit aller Kraft die er aufbringen konnte und Tharnax war ja kein Harfenspieler, warf, nein, hämmerte er die Tür zurück in seinen Rahmen, um ließ sie unterwegs unsanft Bekanntschaft mit den beiden Handwerksgesellen machen.

Auch der Verfolgte hatte mit der Witterung und Robans Wurf zu kämpfen. Er stolperte mehr als das er lief durch ein Zauntor.

Aedin hatte es seinen Gefährten gleich getan und ebenfalls die Verfolgung aufgenommen. Zu seinem Leidwesen kannte er den Ort kaum, daher blieb ihm nur übrig, dem Flüchtigen einfach hinterherzusetzen. Fluchend stolperte und rutschte er mehr vorwärts, als dass er kontrolliert rannte, doch zahlten sich die winterlichen Läufe durch die Hilssschlucht aus – er hatte zumindest halbwegs gelernt, auch auf glattem Boden fortzukommen, auch wenn das Ergebnis eher ein kontrolliertes Fallen und Schlittern als ein gezieltes Rennen war. Nun, als fleißiger Bosparanschüler hätte ich mir diese Ausflüge damals wohl erspart, würde dann aber vermutlich auch schon lange auf dem Hosenboden liegen dachte er noch bei sich, als es erneut um eine Kurve ging – und er mit voller Wucht gegen eine dick eingepackte Person prallte, die in diesem Augenblick ungünstig aus dem Haus trat, dessen Ecke er gerade umrundet hatte. Phexverflucht noch eins, der Vorsprung dieses Kerls, der ihnen das warme Wirtshaus madig gemacht hatte, vergrößerte sich wieder! „He du Wicht! Halte ein!“ schrie er dem Kerl hinterher, wandt sich um, schnappte sich den Eimer der überraschten Frau, die mit diesem aus dem Haus getreten war und war diesen, ohne weiter auf den Inhalt zu achten, dem Flüchtenden hinterher. Der Inhalt verteilte sich großzügig in der Umgebung und der Eimer war sicher nicht das Beste Wurfgerät. Zu seiner – und sicher auch des Flüchtenden – Überraschung traf er mit dem nur halbwegs gezielten Wurf. Der Holzeimer, nicht eben leicht, erwischte den Flüchtenden so am Hinterkopf, dass es diesen erst Mal lang hinschlug. Während Aedin sich noch mühsam von der fluchenden und überraschten Frau löste, rappelte sich der Halunke nur langsam auf, wobei er immer noch benommen wirkte und ein paar Mal den Kopf schüttelte.

Tatsächlich kam der Flüchtende so schnell nicht wieder auf die Beine. Die keuchenden Verfolger begannen ihn in dem Innenhof zu umringen. Es wirkte als hätten sie Gerwulf im Hof eines Gasthauses gestellt. Roban trat gerade mit einem Holzknüppel an den Andergaster heran, als die Tür des Gasthauses aufging und eine ganze Schar Bewaffneter in den Hof traten. Es handelte sich offensichtlich um einen Adligen und sein Gefolge. Das Wappen erkannte keiner der Anwesenden. Vielleicht ein durchreisender Greifenfurter, oder Andergaster?
„Was geht hier vor?“ wollte der Ritter im mittleren Alter wissen.
„Das braucht euch nicht weiter zu stören,“ ergriff Halmar das Wort. „Der Kerl dort am Boden ist ein gesuchter Verbrecher.“
„So so.“ Der Ritter schmunzelte „Und wer seid ihr?“
Halmar stellte seine Begleiter vor. Der Ritter nickte, derweil verteilten sich das dutzend Begleiter an seiner Seite. Sie hatten keine Zeit gehabt sich zu rüsten, aber dennoch trugen zahlreiche von ihnen Schilde, Schwerter und Äxte. Zwei hielten sogar geladene Armbrüste in ihren Händen. Sie wirkten nicht gerade freundlich.
„Es betrübt mich euch Herrschaften zu enttäuschen, aber Gerwulf gehört zu uns und ihr werdet von ihm ablassen,“ verkündete der Ritter in einem sachlichen Tonfall.
Halmar spannte sich an. Die Situation schmeckte ihm überhaupt nicht, aber die Gruppe um den Ritter war deutlich in der Überzahl und dazu auch noch besser bewaffnet. Halmar jedenfalls trug nur seine Kleidung und sein Schwert, keine gute Voraussetzung für einen Kampf. „Wer seid ihr überhaupt das ihr uns hier bedroht.“ Grummelte Halmar während er einen Schritt zurück trat.
„Ich bin Alphak von Steinklos.“ Gab der Ritter zurück und gab sich damit als der Vogelfreie Ritter aus dem Uztrutzschen zu erkennen, der sein Lehen und seine Ehre in einer Fehde mit seiner Baronin verloren hatte.

Niam hatte die Verfolgung und das Stellen von Gerwulf aus genügend Abstand betrachtet. Einmal hatte es ihr heute gereicht, schmerzhaft auf dem Hosenboden zu landen und sie bewegte sich vorsichtig über den allzu rutschigen Boden. So kam sie just in dem Moment dazu, als sich Alphak vorstellte. Sogleich tat sie wieder einen Schritt zurück. Sie hatte schon von dem Ritter vopn Steinklos gehört. Einst ein treuer Vasall der Utztrutzer, aber dann wegen irgendeiner eigentlich trivialen Sache mit Rindern, die sich zu einer Belagerung ausweitete, in Ungnade gefallen. Niam kannte das Haus Uztrutz nur durch Hörensagen, viel hatte sie nicht mit ihnen zu tun. Aber momentan war das Haus Grimsau und das Haus Utztrutz nicht gut aufeinander zu sprechen, dafür hatte ihr Cousin sehr erfolgreich gesorgt. Mit der Begleitung hatte Alphak nicht allzuviel von ihnen zu befürchten, und sie war nicht allzu erpicht darauf, dass Alphak sie als Faustpfand für seine Begnadigung verwenden könnte. Andererseits wäre es vielleicht kein schlechter Anfang für eine mögliche Aussöhnung zwischen Rainfried und diesem Bolzerich von Uztrutz, wenn ein vogelfreier Ritter an die Baronin Derya übergeben werden konnte. Wenn sie doch nur vollständig gerüstet und bewaffnet wären. Doch da sie dies eben nicht waren, hielt sie sich unauffällig zurück.

Tharnax hustete im Rücken der anderen. Sein Atem ging schwer. Erwartungsgemäß war der gerüstete Zwerg der letzte gewesen, der den Weg in den Hof gefunden hatte. Dennoch war er rechtzeitig gewesen, um die Lage richtig einzuschätzen zu können.

„Na, großartig!“ Roban warf seinen Knüppel zur Seite, wo er klappernd auf dem Pflaster landete. Sofort schwenkten die Armbrüste in seine Richtung, was ihm aber nur ein ärgerliches Stirnrunzeln entlockte. „Und was führt Euch in diese hübsche Gegend? Noch dazu in so trefflicher Begleitung und zu dieser heimeligen Jahreszeit?“
Alphak grinste, sich seiner Überlegenheit wohl bewusst. „Ich wüsste nicht, was Euch das angeht. Begnügt Euch damit, dass wir hier sind, besser bewaffnet und Euch zahlenmässig überlegen. Das sollte ausreichen, Euch zu einer gewiss weisen Entscheidung zu verhelfen.“
Robans Zähne knirschten vernehmlich, und trotz der Kälte spürte Halmar, wie ihm der Schweiß ausbrach. Wenn dieser Verrückte jetzt wieder eine völlig unerwarteten, hirnrissigen Aktionen startete, konnte der Kampf nur mit ihrer Niederlage enden – und vermutlich einem sehr unerwarteten Dahinscheiden.
„Deine Fressleiste merk ich mir, Steinknödel!“ knurrte Roban aber nur drohend. „Für heute ziehe ich ab. Beim nächsten Mal gerbe ich dir das Fell, darauf kannst du einen lassen!“
„Große Worte für einen Kämpfer ohne Schwert und Rüstzeug!“ höhnte Alphak. „Aber wenn Euer großes Maul Eure mächtigste Waffe ist, sehe ich einer weiteren Begegnung gelassen entgegen!“

Langsam und ohne weitere Zeichen der Aggressivität legte der Bergvogt die Hand auf den Kopf des einhändig geführten Kriegshammers, welchen er im Eisenring am Gürtel aufbewahrte.
“Lasst sie ziehen”, ließ er ruhig und so leise vernehmen, dass es nur die hinteren seiner Gefährten vernehmen konnten. „Meine Gandrasch findet auch aus sehr großer Entfernung ihr Ziel. Wir können sie jagen. Ein so großer Haufen ist auffällig, hinterlässt Spuren und wird gesehen.”

Gerwulf gesellte sich zu seinen Kameraden und diese warteten, bis die Adligen abgezogen waren. Während Aedin von Eschenquell die Munteren Breitäxte, die in Auersbrück als Stadtgarde dienten aufsuchte eilte der Rest der Gruppe zum Wirtshaus zurück um sich zu bewaffnen. Hier wurden sie jedoch eine Weile vom Wirt aufgehalten, der ihnen eine Mitschuld an der wüsten Schlägerei gab und sich erst beruhigte als ein Geldbeutel den Besitzer wechselte. Als die gerüsteten Adligen schließlich mit einem Trupp der Breitäxte bei der Herberge eintrafen war von Alphak von Steinklos und seiner Schar keine Spur mehr zu finden. Es stellte sich heraus, dass sie den Ort in westlicher Richtung mit zwei schweren Schlitten verlassen hatten. Mittlerweile war es jedoch dunkel geworden, sodass an keine Verfolgung zu denken war, zumal die Breitäxte unter ihrem Waibel Brodo Sohn des Bragom nicht bereit waren den Ort zu verlassen, war doch Algunde von Runkelfels mit einem größeren Trupp Söldner auf eine mehrtägige Patrouille ausgezogen. So blieb den Adligen nichts weiter übrig als sich zu Bett zu begeben. Morgen galt es dann Informationen über Harrad und seine Reisegruppe einzuholen. Dabei wollte man sich freilich auch gleich nach von Steinklos und seiner Schar umhören.

Als man sich am Morgen im Schankraum einfand, watschelte der Wirt der Herberge direkt auf Halmar los.
„Euer Gefährte lässt sich entschuldigen – jener Herr mit der wenig gepflegten Kleidung und der“, der Wirt räusperte sich unbehaglich, „ebenso ungepflegten Ausdrucksweise. Er hat das Haus schon sehr früh verlassen.“
„Roban?“ Halmar legte die Stirn in Falten. Wenn der Kerl so früh ausrückte, spukte ihm eine Idee im Kopf rum, und das wohl schon die halbe Nacht. „Hat er gesagt, wohin er wollte?“
Der Wirt druckste einen Moment herum.
„Nun, Herr, er meinte, er wolle sein, ähem, Hinterteil spazieren tragen.“
Eine klassische Roban-Antwort, befand Halmar, bedankte sich beim Wirt und setzte sich zu Tisch. Aber noch ehe das Frühstück zur Gänze aufgetragen war, öffnete sich die Tür und der abgängige Moorbrücker trat ein. Auf das linke Auge hielt er einen großen Schneeklumpen gedrückt.
„Grobhand! Was ist Euch denn widerfahren?“ Halmar wollte aufspringen, aber Roban winkte ab, ließ sich auf den einzigen freien Stuhl fallen und gab einen tiefen Seufzer von sich.
„Gar nichts! In Auersbrück trägt man jetzt Schneeball auf dem Auge. Noch gar nicht bemerkt? Das Monokel der kleinen Leute!“
„Habt Ihr Euch geschlagen? Zu dieser frühen Stunde?“ Gilborn kämpfte ein Grinsen nieder. Als hätte die Prügelei vom Vorabend noch nicht gereicht. Roban ließ den Schneeball sinken und enthüllte tatsächlich ein prachtvolles Veilchen.
„Nein, mir schwillt bei Kälte immer das Auge zu“, schnappte er. „Außerdem wollte ich mich nicht schlagen, sondern nur in der Nachbarschaft der Herberge von diesem Steinklos ein paar Erkundigungen einziehen. Tappe also bei so einem Zimmermann in die Werkstatt – und stehe vor zwei von den Fratzen, denen wir gestern so großartig den Abend versaut haben. Die wollen mir den Scheitel mit der Dachlatte richten, also habe ich ihnen tüchtig den Arsch versohlt, ehe ich fragen konnte. Naja, und mir auf´s Auge hauen lassen.“
Der Schneeball hatte seine Konsistenz mittlerweile auf „flüssig“ gewechselt und eine prächtige Lache auf dem Tisch hinterlassen.
„Hat es sich wenigstens gelohnt?“ brummte Tharnax quer über den Tisch.
„Wie man´s nimmt.“ Roban rührte mit dem Finger im Eiswasser. „Genaues wussten die zwei auch nicht, erst recht nicht nach dem Fellgerben. Aber sie haben dem Steinkloser einen Schlitten repariert. Eine Kufe war gebrochen, war wohl zu schwer beladen, das Ding, mit was auch immer. Einen vollen Tag haben sie gebraucht, um das Ding zu reparieren, also hatten wir Glück, die Bagage überhaupt noch anzutreffen. Anscheinend wollten die nur einkaufen und dann direkt wieder abrücken.“
„Aber was sie gekauft haben, wisst Ihr nicht?“ hakte Niam von Grimsau nach.
„Ich wollte erst einmal Bericht abliefern, dann können wir uns auf die Krämer verteilen“, erklärte Roban. „Damit kommen wir wohl schneller an Antworten, als wenn wir als komplette Gruppe jeden Erbsenzähler einzeln abklappern.“
„Habt Ihr es auch beim Wirt der Herberge versucht, in der Alphak seine Leute untergebracht hatte?“ fragte Halmar und erntete einen spöttischen Blick.
„Natürlich“, entgegnete Roban. „War der erste Weg. Aber entweder hat der Drecksack das arme Schwein so übel bedroht oder so gut geschmiert, dass er kein Wort gesagt hat. Vermutlich weiß er ohnehin kaum mehr als wir jetzt. Das Alphak seine Pläne laut durch den Schankraum gekräht hat, kann ich mir nicht vorstellen.“
„Vermutlich nicht“, stimmte Halmar zu. „Also – klappern wir die Händler der Stadt ab, um herauszufinden, womit der Steinkloser sich eingedeckt hat?“

Der Bergvogt machte sich gleich nach dem Frühstück auf dem Weg seinerseits Erkundigungen anzustellen. Normalerweise hielt er sich unter Menschen eher zurück und wartete ab, doch da er wusste das der Offizier der Söldner, welche Vor-Ort für Recht und Ordnung sorgen sollten ein Angroschim war, fühlte er sich berufen dies Gespräch zu führen, um herauszufinden ob sie etwas wussten.
Als Tharnax dann etwa zwei Stundengläser wieder in die Gaststube der Schenke zurückkehrte, hatte er seine schwere Armbrust über die Schulter gelegt und wirkte guter Laune. Er ging zunächst zum Tresen und bestellte sich ein Bier, danach erst kam an den Tisch der Geführten. Diese saßen weiterhin beisammen, um zu beraten, wie es nun weitergehen sollte.
Während sich nun der Sohn des Thorgrimm setzte und die Gandrasch mit ihrem Spannfuss voran auf dem Boden neben sich platzierte, begann er zu berichten. “Also, ich habe mit dem Weibel der Munteren Breitäxte gesprochen. Brodo, der Sohn des Bragom konnte mir einiges, interessantes berichten.” Er warf einen vielsagenden Blick in die Runde.
Algunde von Runkelfels ist vor drei Tagen mit zwanzig Söldlingen ausgerückt. Es gab immer wieder Berichte von Bauern und Reisenden, wonach sich Vogelfreie im Grenzgebiet zur Sendschaft, Richtung Borrewald herumtreiben. Dies ist jedoch nicht der einzige Grund warum so viele Bewaffnete unterwegs sind der Sache auf den Grund zu gehen.”
Der herannahende Wirt unterbrach seinen kleinen Vortrag. Tharnax hielt inne und wartete geduldig, bis dieser den Humpen vor ihm abgestellt und sich wieder von ihnen entfernt hatte.
Bevor er jedoch weiter sprach tat er einen großen Schluck vom Gerstensaft.
“Jedenfalls ist wohl auch der Peraine Geweihte Storko Semmelbrot verschwunden. Vor einer Woche sei er nach Ilmenheide am Rande des Borrewald gezogen, um bei einer Geburt zu helfen. Da seine Heimkehr aber längst überfällig ist und man sich wegen den besagten Räubern und Gesindel sorgen macht sei Algunde ausgezogen. Seither hat man aber nichts mehr von ihnen gehört.
Die Söldner jedenfalls quartieren wohl normalerweise auf Burg Auersbrück, da sie der Sendschaft als Stadtwache dienen solange sie keinen anderen, zahlenden Diensherren haben.” Damit schloss der Bergvogt seinen Bericht, tat noch einen kräftigen Schluck, lehnte sich zurück und packte seine Pfeife aus.

Aedin war mit seinem Frühstück fertig und hatte die Rückkehr des Grobhänders verfolgt und gut zugehört, als dieser von seinen neuen Erkenntnissen sprach. „Die Händler und Herbergswirte werde ich mir vornehmen, ich mache mich gleich auf den Weg. Dann habt ihr Zeit, einmal beim Sendrich vorzusprechen, vielleicht weiß dieser ja auch etwas zu unserer Unterstützung beizutragen. Das sich solches Volk hier in und um sein Dorf versammelt und hier für Unruhe sorgt, findet der bestimmt nicht so gut.“ Dann machte er sich auf den Weg, um seinen Teil der Erkundigungen einzuholen.
Der Vormittag war damit gut gefüllt. Aedin klapperte die einzelnen Händler ab und holte seine Erkundigungen ein, hier und da ein Heller oder Silber half dabei, Zungen zu lösen. Gleiches galt für die Herbergswirte, die er ebenfalls abfragte. Hier half es oft, zumindest ein Getränk abzunehmen und so war Aedin nach seiner Rückkehr nicht mehr unbedingt nüchtern und musste sich ein wenig zusammenreißen, um halbwegs verständliche Worte rauszubekommen. „Alssso, der Spitzbube hat einigen Händlern und Handwerkern hier eiiinen Besuch abgestattet und einiges an Silbern dagelassen. Einiges an Lebensssmittteln und Bier wechselte wohl den Eigentümer, das könnte auf einen längeren Ausflug hindeuten. Werkzeuch hatter auch gekauft, so Bergdingensbaugerät, Hacken und so. Fragge mich ja, was der mitten im Winter damit vorhat. Ja, und Zeug, also Waffn un‘ Gerät hatter reparieren lassssn, war wohl entweder schon ein paar Tage unterwegs oder hat hohen Verschleiss, die Truppe. Und ich muss jetzt was essn, das warn mal anstrengende Erkundigungen...“ fasste er die Ergebnisse zusammen, dann wandt er sich erstmal an den Wirt, um ein deftiges Essen zu ordern.