Willkommen zuhause - willkommen daheim: Leichenfund

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Roterz, 1037

Die Nacht verlief ruhig, ebenso wie der Weitermarsch am Morgen. Praios empfing die Reisenden mit einem prächtigen Sonnenaufgang, der die Hänge des Amboss in rotgoldenen Schein tauchte und den Nebel zwischen den Graten wie wallende Seide wirken ließ. Bis zum Mittag zogen sie, dann gemahnte die Hitze die Reiter zu einer Rast.
„Da vorn scheint ein guter Rastplatz zu sein.“
Ladislaus deutete nach vorn und wischte sich dann den Schweiß von der Stirn. So sehr er Praios´ Gaben schätzte, so sehr setzte die Hitze seinem eher an Kälte gewöhntem Tier zu.
„Scheint so“, stimmte Roban zu. „Ausreichend Schatten durch die Bäume, und wenn mich nicht alles täuscht, wittert die gute Girte Wasser. Ist auf jeden Fall schon ganz hibbelig.“
Sie steuerten die Stelle an, wo der hier noch üppige Bergwald vom Pass zurück wich, und wo der Schatten eine erholsame Rast versprach. Als sie aus den Sätteln glittern, hörte man tatsächlich das Plätschern von Wasser ganz in der Nähe, und eine noch frische Feuerstelle zeugte davon, dass schon andere Reisende diese Stelle für eine Rast genutzt hatten.
„Sigismund, schau doch bitte, wie weit dieser Bach entfernt ist“, bat Ladislaus seinen Begleiter und drückte Marano die Zügel seines Tieres in die Hand. Der Junge begann sofort damit, die Tiere abzusatteln und trocken zu reiben, während Ladislaus die vom langen Ritt steifen Glieder dehnte. Dann fiel ihm auf, dass Roban das erloschene Feuer misstrauisch betrachtete.
„Stimmt etwas nicht?“ fragte er alarmiert.
„Weiß nicht. Die Asche ist noch nicht verweht, und das Feuer wurde weder gelöscht noch zugescharrt, als wäre es einfach herunter gebrannt.“
Roban ließ sich in die Hocke sinken und streckte die Hand zu der Asche aus.
„Ist sogar noch warm. Wer lässt denn sein Feuer einfach runter brennen, statt es...“
Plötzlich sprang Roban auf, machte ein paar Schritte in Richtung der Bäume und sank wieder nieder.
„Was ist denn los?“ wollte Ladislaus wissen. „Das hier ist nicht Schwarztobrien, wo man hinter jedem Strauch mit einem Feind rechnen musst. Vielleicht hat man es einfach vergessen, oder ein wildes Tier hat denjenigen, der das Feuer entzündete, vertrieben.“
Roban griff ins Gras, und als er seine Finger zurück zog, lief es Ladislaus eiskalt über den Rücken. Die Fingerspitzen seines Freundes waren mit roten Schlieren bedeckt, als er mit finsterer Miene den Kopf schüttelte.
„Nein, das glaube ich nicht. Hier ist Blut, nicht viel, aber doch zu viel, um sich beruhigt unter die Bäume zu hocken. Möglicherweise hat man nur einen Hanghasen geschlachtet, über dem Feuer geröstet und ist dann weitergezogen, ohne das Feuer zu löschen. Vielleicht mache ich mir zu viel Sorgen, aber mir wäre es lieber, mich ein wenig umzusehen, ehe ich Pause mache. Bleib du bei dem Jungen, nur für alle Fälle!“
Ladislaus nickte.
„Nimm Sigismund und die Hunde mit. Marano und ich bleiben hier.“
Er nahm die Gambeson und das Kettenwerk vom Sattel und mit Sigismunds Hilfe war er rasch gerüstet. Er zupfte am Schwert, so dass es lockerer saß und setzte sich den Helm auf, das Visier offen; währenddessen tauschte Marano die Gebirgsstollen des Kriegsrosses gegen Bärenstollen aus, nahm Äkki die Gepäcktaschen ab und steckte die Steigbügel hoch. Anschließend ging er zu den anderen Reittieren, klopfte ihnen den Hals und nahm auch ihnen das Gepäck ab. Dann entrollte er die Standarte des Herrn von Wildreigen und blickte zu Roban.
„Hoher Herr, ist es genehm, wenn ich Eure Standarte ebenfalls entrolle und neben der des Herrn von Wildreigen aufpflanze?“
„Standarte? Ich hab ne Standarte?“, brummte es gedämpft, da sich Roban gerade mit Sigismunds Hilfe ebenfalls rüstete und gerade die Gambeson über den Kopf zog. Anschließend zog sich der Waffenknecht ebenfalls seine Gambeson über und legte die Arm- und Beinschienen an. Kette besaß er nicht. Seinen Helm, der schon einige derbe Beulen aufwies, hielt er noch in der Hand.
Während Marano bei den Reittieren stand und beruhigend auf sie einredete, stand der Hengst des Heimkehrers frei neben seinem Herrn und scharrte vor Erregung mit dem Huf. Ladislaus schnalzte leise, woraufhin Äkki das Scharren einstellte und wachsam die Ohren spitzte. Unterdessen führte Sigismund die Hunde zunächst zur Feuerstelle und anschließend zur Schweißfährte, damit sie die Witterung aufnähmen.
Rasch und organisiert, ohne viel zu reden, war die Reisegruppe der beiden Ritter bereit. Durch die geordneten Bewegungen und Abläufe seines Freundes, der frisch aus dem Felde kam, kehrte auch bei ihm die Sicherheit zurück. Seine drei Begleiter um Ladislaus blickten ihn an und unisono sprachen sie: „Wir sind bereit.“
“Also dann! Lass den harten Hut hier, Sigismund, der behindert nur die Sicht und das Gehör. Fünf Schritte Seitenabstand, und Maul halten! Die Hunde scheinen ja ohnehin nur dann Laut zu geben, wenn sie sollen!”
“Sie können auch lautlos Alarm schlagen”, erklärte der Bornländer nicht ohne Stolz, und Roban nickte anerkennend.
“Damit sind sie mancher Burgwache weit voraus”, schmunzelte er und gab mit einem Handzeichen das Signal zum Aufbruch. Langsam und in alle Richtungen sichernd glitten die zwei Männer mit den eifrig wedelnden Hunden durch das Unterholz. Es dauerte nicht lang, bis sie weitere Blutflecken fanden, schließlich gar eine regelrechte Schleifspur. Hatte man sie zuvor wohl bemüht, nicht allzu viele Spuren zu hinterlassen, war man zehn Schritt weiter nicht mehr so umsichtig gewesen.
“Scheiß auf ne Schindel!” sagte Roban plötzlich entgegen seiner eigenen Anweisung und winkte Sigismund zu sich. Dem Bornländer fiel die steife Haltung des Ritters ebenso auf wie der starr auf den Boden gerichtete Blick. Als er unmittelbar neben Roban anlangte und die Hunde leise winselten, begriff er den Grund dafür.
Vor den Füssen des Koschers lag, lang ausgestreckt, die Leiche einer Frau. Die Augen blickten starr gen Alveran, als habe Golgari sie ohne jede Vorwarnung geholt.
“Dreh sie um”, befahl Roban, immer noch völlig reglos. Doch als Sigismund sich bückte, um die Tote auf das Gesicht zu drehen, legte der Ritter die Hand auf den Schwertgriff, als rechne er fest damit, von der Leiche angegriffen zu werden.
‘Schwarztobrien’, erinnerte Sigismund sich. Die Götter allein wussten, wie oft der Koscher Untoten gegenüber gestanden hatte, das mochte seine übertriebene Vorsicht erklären. Doch diese Tote blieb reglos, auch als Sigismund sie gedreht hatte und damit ein knapp daumendickes, blutverschmiertes Loch in ihrem Nacken freigelegt hatte.
“Sieht wie der Einschuss eines Bolzens aus, Herr”, stellte er fest. “Fast wie eine Hinrichtung.”
“Nein. Die Frau wurde hinterrücks erschossen. Ihre Hände und Handgelenke sind unversehrt, sie wurde also nicht gehalten oder gefesselt, und das Gesicht ist nicht so verzerrt wie bei jemanden, der um sein Leben gekämpft hat. Da hat jemand aus nächster Nähe abgedrückt – entweder ein verdammt guter Schütze oder ein Glückstreffer, aber in jedem Fall ein Schweinehund, der an den Galgen gehört!”
“Dort vorn im Gebüsch liegt noch etwas, Herr”, bemerkte Sigismund und trat rasch vor, um eine Kiepe aufzuheben. Einige kleine Holzspielzeuge kollerten mit einem dumpfen Geräusch auf den Waldboden.
“Eine Boldin”, zischte Roban wütend. “Dem Pack ist auch nichts heilig!”
“Eine...Boldin, Herr? Eine Koboldin?”
“Nee, Kramboldin.” Roban blinzelte einige Male, als fiele ihm wieder ein, dass Sigismund den Kosch und seine Gepflogenheiten nicht kannte. “Krambolde ziehen im Kosch über die kleinen Orte, wo sie mit einfachen Waren handeln. Für viele Bergdöfer im Kosch, aber auch im Amboss und Wengenholm sind die Krambolde unverzichtbar, sowohl für den Handel als auch für die neuesten Nachrichten. Krambolde stehen unter einem besonderen Schutz, und selbst manch Räuber wagt es nicht, Hand an einen Bold zu legen. Dieses Verbrechen ist damit noch abscheulicher, als ohnehin schon.”
Roban atmete tief durch, wie jemand, der sich einer unliebsamen Aufgabe bewusst wird.
“Schön. Für eine Räuberjagd sind wir eindeutig zu wenige. Schaffen wir die arme Frau erst mal zum Lager. Wir müssen für ihre Bestattung sorgen, ihre Angehörigen benachrichtigen. Und natürlich dem Gerichtsherrn dieses Landstrichs Bescheid stossen – also meinem alten Herrn oder einem von dessen Vasallen. Geh zum Lager zurück und besorg eine Decke, in der wir die Tote einwickeln können. Lass mir einen von den Hunden da und erklär Ladislaus die Lage.”
“Natürlich, Herr”, antwortete Sigismund und eilte mit der Kiepe in der einen, der Hundeleine in der anderen Hand zurück. Roban sank neben dem Hund und der Toten in die Knie und kraulte dem Tier den Nacken.
“Gute Arbeit, alte Flohfalle. Ich glaube, so nen Kerl wie dich muss ich mir auch mal anschaffen.”
Ladislaus nickte, als Sigismund kurz Bericht erstattete und reichte ihm eine Decke und ein kleines Praios-Amulett. Sicher ist sicher.
„Lass mir Kolja hier. Schaut euch mit Anouk um, bevor ihr die gute Boldin herschafft. Wir bereiten hier alles vor.“
Sigismund nickte und kehrte mit der Decke zu Roban zurück. Gemeinsam betteten sie die Frau auf die Decke, schlossen ihr die Augen und legten ihr das Amulett auf die Brust. Lange konnte sie noch nicht tot sein.
„Bleib bei ihr, ich schau mich noch eben mit Anouk um.“
Rasch hatte der Hund die Stelle aufgestöbert, wo der Schütze gestanden hatte. Ungefähr auf halber Strecke zwischen Fundort der Leiche und Lagerfeuer. Es musste ein kräftiger Kerl gewesen sein, denn die Fußabdrücke waren groß und tief, was Sigismund mittels Handzeichen an Roban übermittelte. Unmittelbare Gefahr bestand nicht, sonst hätte Anouk Alarm gegeben, doch Männer und Hund blieben wachsam. Sie alle waren im Schwarztobrischen gewesen. Sigismund verließ den Wildwechsel, den der Angreifer offensichtlich genutzt hatte und nutzte die Deckung von Büschen, Sträuchern und niedrigen Bäumen, sich im Windschatten auf die feine Nase des Hundes verlassend, die ihm immer wieder beim Innehalten in Deckung die Richtung wies.
Er wollte gerade wieder umkehren, als Anouk lautlos in Zeigestellung verharrte. Sie hatte etwas gewittert, was frischer war als die Fährte, der sie folgte. Sigismund blickte in die Richtung und näherte sich vorsichtig dem Wildwechsel. An einer Brombeerranke hing ein kleiner Stofffetzen von der Größe eines Kinderdaumens. Sigismund löste den Stoffetzen, dann kehrte er im Bogen zu Roban zurück und zeigte ihm das ehemals blaue, nun eher schmutzige Leinengewebe.
Währenddessen hatten Ladislaus und Morano Holz gesammelt und über der Feuerstelle in der Mitte der Lichtung, damit die Bäume keinen Schaden nähmen, einen Scheiterhaufen errichtet. Tobrien saß noch zu dicht unter der Oberfläche der Erinnerungen. Roban nickte, als er mit Sigismund und der Toten zu der Stelle kam. Mit vereinten Kräften hoben sie die Tote auf den Scheiterhaufen. Dort schlug Ladislaus noch einmal die Decke auf und untersuchte die Handgelenke, Fußgelenke, den Hals und den Gürtel der Frau, ob er einen Hinweis auf ihre Herkunft fände. Tatsächlich fand er an der Klinge des Essmessers der Frau ein Schmiedezeichen. Er schwärzte die Klinge mit Ruß und nahm vom Schmiedezeichen einen Abdruck auf einem Stück Leder. Dann gab er der Frau ihr Messer zurück. Sie sollte ja auf der anderen Seite des Nirgendmeeres nicht Hunger leiden. Dann nickte er Roban zu und dieser setzte den Holzstoß in Brand; während alle andächtig und Boron gefällig schwiegen, rezitierte Ladislaus leise:
„Herr des Schlafes, der Du Bishdariel ausschickst und uns durch Deine Augen sehen läßt, Deine Wunder wirken in unserer Finsternis, Deine Stimme tönt sanft in unserem Vergessen, Herr des Vergessens, Deinen Bund will ich erneuern, zurück in Deine Arme geben wir das Sein dieser Frau, Herr des Todes, der Du an den Toten Wunder tust wie an den Lebenden, der Du uns den Weg weist über das Nirgendmeer und Deinen Raben ausschickst, uns heimzuholen in die Hallen, aus denen Du uns dereinst ausgesandt, Herr Boron, sie sehnt sich nach dem Frieden in Deinen Armen.“
Das Boronsrad schlagend trat er zurück und verneigte sich vor dem Totenfeuer. Schweigend ging er zu den Pferden am Rande des Lagerplatzes, Roban und Marano folgten ihm, während Sigismund Haltung annahm und Ehrenwache am Feuer hielt, dessen Zungen bereits an der Toten leckten.