Willkommen zuhause - willkommen daheim: Ein Abend in Roterz

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Adlerstein, 1037

Das Innere des zentralen Gebäudes war liebevoll eingerichtet, zugleich hatte man sich bemüht, ein wenig angemessenen Prunk in die alt-ehrwürdigen Gänge zu bringen. Es ging an einigen schlichten, aber soliden Rüstungen vorbei, an Wappenschildern und alten Feldzeichen. Ladislaus erkannte die Farben der Baronie, aber auch die schwarze Faust der Grobhands und einige Zeichen, die ihm unbekannten Adelshäusern oder alten Zeiten entstammen mochten.
Auch im Rittersaal hatte man sich Mühe gegeben, ihn zugleich wohnlich wie represäntativ zu gestalten. An der Stirn der schweren Tafel stand der Sitz des Barons, einem wohl siebzig Sommer zählenden Mann mit rotem Gesicht und schwindendem, weißen Haupthaar und einem prächtigen Bart von gleicher Farbe. Er erhob sich, als seine Gäste eintraten, und strich das Wams glatt, als er ihnen entgegen ging. Trotz seines Alters wirkte er immer noch kräftig und bei guter Gesundheit. Nur ein leichtes Hinken auf dem linken Bein entging Ladislaus nicht, als der Baron ihm die Rechte hinstreckte.
„Baron Grimwulf Grobhand von Koschtal.“ Ein Lächeln erhellte die etwas grimmig wirkenden Züge des Barons. „Mein Sohn Rondrolf hat Euch bereits avisiert, Wohlgeboren!“
Ladislaus stellte sich knapp vor, und der Baron wies auf die Plätze direkt neben seinem Thron, noch ehe er die Hand losgelassen hatte.
„Bitte, nehmt Platz. Meine Gattin wird sich bald zu uns gesellen, sie kümmert sich gerade um eine kleine Mahlzeit, die Euch sicherlich guttun wird. Euer Gefolge soll sich ebenfalls zu uns gesellen. Rondrolf, bitte sorge dafür, dass sie den Weg zu uns finden.“
„Natürlich!“ Rondrolf nickte, die Arme hinter dem Rücken verschränkt, und ging rasch, während die anderen Platz nahmen.
„Bitte, Wohlgeboren, erzählt mir, was Euch nach Adlerstein führt. Begleitet Ihr einfach unseren Roban auf einer Reise, oder habt Ihr ein Anliegen, dass Ihr mir zu Ohren bringen wollt?“
Ladislaus blickte kurz zu seinem Gefolge, dann sah er Baron Grimwulf wieder an.
„Euer Hochgeboren, wir sind noch nicht lange wieder im Kosch, ein paar Tage erst. Lange Jahre verbrachte ich in tobrisch Landen, um gegen die Schwarzen Lande zu kämpfen.“
Er schloss kurz die Augen und dunkle Wolken zogen für einen Moment über das sonst so sonnig dreinblickende Gesicht. Dann schlug er die Augen wieder auf und fuhr fort:
„Diese Zeit ist nun vorbei und eine neue hat angefangen. Eine neue Zeit, in der es, so bin ich mir sicher, meine Aufgabe ist, mich um meine Heimat zu kümmern.“
Er überlegte kurz, das Gesehene anzusprechen, aber den Gedanken verwarf er sofort wieder. Er wollte nicht mit der Tür ins Haus fallen, er war nicht auf der Flucht, sondern hatte Zeit.
„Viel ist geschehen, dort wie hier, und ich werde Zeit brauchen, hier, im Kosch, meiner Heimat, wieder anzukommen und in heimatlicher Erde Wurzeln zu schlagen. Vielleicht habt Ihr, Euer Hochgeboren, ja einen Platz für einen tüchtigen Mann mit zupackenden Händen und wachem Geist? Als Euer Vasall könnte ich hier wieder Fuß fassen, Land und Leute wieder kennen lernen und meine in der Fremde erworbenen Fähigkeiten in den Dienst meines Lehnsherren und meiner Heimat stellen. Eure Baronie, Hochgeboren, liegt direkt neben meiner Heimatbaronie Waldwacht, der Bergfreiheit Tosch Mur des Bergkönigs Arombolosch, Sohn des Agam. Es wäre mir eine große Freude, hier meinen Neuanfang im Kosch zu beginnen.“
Er lächelte und das Verschmitzte strahlte bis zu den Augen und ließ sein ganzes Gesicht aufleuchten. Es war eine lange Rede, doch um sein Anliegen auf den Punkt zu bringen, hätte er nicht viele Worte einsparen können und dürfen.
„Ein interessantes Anliegen“, lächelte der Baron nach einigen Sekunden. „Tatsächlich ist es so, dass es der Baronie an tüchtigen Adelsmännern fehlt. Die Konflikte der letzten Jahre, und nicht nur jene im Osten, sondern auch jene vor unserer Haustür, haben die Reihen der Roterzer Häuser arg gelichtet, einige gar völlig ausgelöscht. Gleich mehrere Lehen sind an die Baronie zurück gefallen und wurden noch nicht wieder vergeben.“
Für eine Sekunde verfinsterte sich die Miene Grimwulfs.
„Sieht man mal von Burg Ambossblick ab, die sich der gierige Treublatt selbst zugeschustert hat!“
„Der Posten eines Burghauptmannes wäre ebenfalls vakant“, fügte Rondrolf hinzu, der neben seinem kleinen Bruder Platz genommen hatte. „Falls Ihr mehr nach einer rondrianischen Tätigkeit strebt, Wohlgeboren. Aber tatsächlich fehlt den Ortschaften Reiderint, Schwalbenfels und Blaudorf im Moment ein Lehnsnehmer. Keines von ihnen ist besonders stattlich, aber für ein anständiges Auskommen würde es wohl genügen.“
„Die Baronie ist kein Marktstand, Rondrolf“, schnappte sein Vater ärgerlich. „Wenn Herr von Wildreigen in unsere Dienste treten will, ist er willkommen, und natürlich werde ich mit ihm gemeinsam abwägen, welchen Posten oder Lehen er übernimmt. Aber wir wollen nichts überstürzen. Essen wir erst einmal und lernen uns näher kennen, ehe wir alles weitere entscheiden.“
Wie auf Stichwort kamen zwei ältere Damen in den Saal, und sofort erhoben sich alle von ihren Plätzen.
„Meine Gattin, Idumelda von den Silberfällen“, stellte der Baron die kleinere der beiden vor, und der Glanz in seinen Augen verriet, dass die Liebe auch im hohen Alter nicht erloschen war.
„Und Selissa von Roterz, die Witwe des vor seiner Zeit verblichenen vormaligen Barons Karras von Roterz. Sie geniesst Wohnrecht in unserem Hause, und ihre profunden Kenntnisse der Baronie und ihrer Bewohner ist uns manches Mal nützlich gewesen.“
Die ehemalige Baronin machte auf Ladislaus einen traurigen und etwas verschreckten Eindruck, als sie seinen Gruß erwiderte. Und kaum dass die letzten Worte verklungen waren, marschierten einige Bedienstete in den Saal, um der versammelten Gesellschaft aufzutragen.
Ladislaus ließ den Damen den größten Respekt angedeihen und die Seinen taten es ihm gleich. Auf einen Wink hin gesellte sich Marano zur Herrin von Roterz, um ihr aufzuwarten. Der kleine Sonnenschein schaffte es tatsächlich, ein – wenn auch kleines – Lächeln auf das Gesicht der Baronswitwe zu zaubern. Es hatte den Anschein, als fänden die beiden sofort einen guten Draht zueinander. Ladislaus machte den Damen ein großes Kompliment für das vorzügliche Mahl und pflegte, wie es gewünscht war, mit dem Baron und den Seinen gehobene Konversation, um die Grundlage für ein Kennenlernen zu legen.
„Verzeiht, wenn ich es so offen sage, Euer Edelgeboren,“ sprach er, an Rondrolf gewandt, „aber ich denke nicht, dass jetzt schon der Zeitpunkt ist, um ein Lehen festzulegen, auch wenn ich verstehe, dass Ihr die Orte gerne so rasch wie möglich in Praios gefälliger Ordnung wisst, damit sie auch für die Baronie von Nutzen ist. Auch der Posten des Burghauptmannes, den Ihr, Edelgeboren, ansprecht, ist für die Burg und die Baronie unermesslich wichtig, zumal ja doch…“ er blickte kurz zum Baron: „… verzeiht…“ um an dessen rechte Hand gerichtet fortzufahren: „… einiges an der Burg getan werden muss, damit sie die Funktion einer Feste erfüllen kann. Dennoch, da gebe ich Seiner Hochgeboren recht, ist es sinnvoll, den ersten vor dem zehnten Schritt zu gehen. Erst einmal gilt es herauszufinden, ob ich für ihn als Vasall geeignet bin – und er für mich als Lehnsherr. Wir müssen einander noch ein wenig mehr kennen lernen, denn es soll ja keine Sache für ein paar Götternamen sein, sondern Hand und Fuß haben.“
Er nahm seinen Pokal und prostete erst den Damen und dann dem Baron zu.
„Euer Hochgeboren, da bereits inhaltliche Bereiche angeschnitten wurden und auch Ihr, Baron Grimwulf, einen offenbar leidlichen anspracht, so ist es nun an der Zeit, Meldung zu machen über einen Vorfall, der uns, Eurem Sohn Roban, meinem Gefolge und mir, auf dem Weg von Hohentrutz zum Adlerstein, widerfuhr.“
Er gab Zsigmond ein Zeichen und dieser gab ein kleines Lederpaket an seinen Herrn. Dieser faltete es auf und breitete es auf der Platte vor dem Herrn des Adlersteins aus.
„Die Kramboldin Govena Süßinger fand im Wald einen gewaltsamen Tod, Boron hab sie selig. Ich kenne die Landmarken nicht mehr so genau, doch Euer Sohn, Hochgeboren, sagte, das besagte Stück habe noch zum Lehen Ambossblick gehört. Ihr wurde ein Bolzen aus kurzer Distanz in den Nacken gejagt. Wir haben ihr geholfen, den Weg über das Nirgendmeer zu finden, doch ihr Tod bedarf einer Antwort. Dieses Zeichen hier auf dem Leder ist der Abdruck der Gravur ihres Messers als Beweis für ihren Tod. Gevatter Derwald Appellieb sagte, sie sei aus Reiderint. Vielleicht kann ja dieses Stück Leder an ihrer statt zu des Herrn Borons Anger dort gebracht werden, damit zumindest etwas von ihr daheim die ewige Ruhe findet.“
„Die alte Govena?“
Bei Ladislaus Bericht wich die Farbe aus dem Antlitz des Barons. Offenbar war die Boldin in diesem Landkreis nicht nur bekannt, sondern allerorten wohl gelitten. Doch der Schreck währte nur eine Sekunde, dann krachte die Faust des Barons mit solcher Wucht auf die Tafel, dass die Schüsseln in der Nähe klirrend hochsprangen, und die Blässe wich zornigem Rot.
Ork-Donner-noch-eins, dass kann doch einfach nicht wahr sein! Es reicht nicht, dass dieses Gesindel alle naselang Reisende ausnehmen, jetzt fallen sie auch noch über die Krambolde her! Und ein Mord auch noch! Jetzt reicht es mir! Bis diese stinkfaule von Rüpeln ihren Hintern aus der warmen Burg bewegt, sterben die Räuber an Altersschwäche! Roban, du greifst dir gleich morgen fünf Mann von der Burgwache, und vielleicht findest du in Eisenhuett ein paar wandernde Mietlinge, die du anheuern kannst, und dann trollst du dich in die Berge und bringst dem Pack die Flötentöne bei! So ist dein Besuch zu etwas gut!“
„Zu Befehl“, nuschelte Roban ungerührt zwischen zwei Bissen, und Sosse kleckerte dabei auf den Tisch.
„Roban“, tadelte seine Mutter halblaut, „hast du deine Manieren daheim vergessen? Oder weiß man sich in Moorbrück nicht zu benehmen?“
„Tschuljung“, brummelte Roban ungewohnt verlegen, wollte die Flecken mit der flachen Hand beseitigen, besann sich eines besseren und nahm dann doch die Serviette. Sein Bruder unterdrückte ein Kichern, wenngleich nicht besonders geübt.
„Und du, Rondrolf, begleitest deinen Bruder“, grollte da der Vater der so ungleichen Brüder. „Dann lernst auch du noch was dazu, was die Bewegung im Gelände und das Einschlagen von Räuberschädeln betrifft!“
Rondrolf wollte scheinbar protestieren, doch angesichts des ohnehin wutroten Gesichts des Barons entschied er dagegen. „Natürlich, Vater“, sagte er nur, und jetzt war es Roban, der sein Grinsen kaum verhehlen konnte.
„Wenn Ihr erlaubt, Euer Hochgeboren, begleite ich den Suchtrupp. Oder wünscht Ihr, dass ich mich hier nützlich mache? Ich könnte beispielsweise die Burgwache anleiten, die Wehrgänge wieder in Schuss zu bringen. Holz ist genug da und ein wenig Bewegung hat noch nie jemandem geschadet. Bis der Suchtrupp zurück ist, sollte der Wehrgang wieder funktionstüchtig sein.“
Er nahm einen Kanten Brot, tunkte ihn in die Soße auf seiner Platte und biss davon ab. Dann sah er wieder zum Baron und sah diesen neugierig an. Er wollte etwas tun, sich beweisen. Außerdem gab es nun bei den Göttern genug zu tun, besonders, da etliches in der Vergangenheit liegen gelassen wurde, da der Vogt und seine rechte Hand offensichtlich ihre Zeit mit anderen Dingen verbrachten. Wie würde der Baron entscheiden?
„Begleitet den Trupp, Herr von Wildreigen“, willigte Grimwulf Grobhand rasch ein. „Ein fähiger Schwertarm mehr ist uns nützlicher als ein Bauaufseher. Und was den Wehrgang angeht – abgesehen von der almadanischen Separation müssen wir hier wohl keine Feinde fürchten, so dass wir nur das nötigste an Wehranlagen unterhalten. Was wir dringender bräuchten, wäre eine fähige Burgbesatzung, daran mangelst es uns mehr. Diese Räuberhatz kann unserem müden Haufen nur nützen, ein wenig Praxis zu sammeln. Der alte Karras hatte eine eingespielte Mannschaft, doch die fiel größtenteils mit ihrem Herren im Wengenholmer Feldzug. Vogt von Treublatt verließ sich auf die Söldner der Frau von Rüpeln, so dass die Burg nahezu ohne Besatzung war, als wir sie übernahmen. Seitdem haben wir nur wenige Leute anwerben können. Das von Almada kommende Mietlingsvolk war an einer dauerhaften Anstellung selten interessiert oder von eher fadenscheiniger Herkunft.“
„Mit einer derartigen Verstärkung ist meine Präsenz bei dem Trupp dann doch eher obsolet“, warf Rondrolf ein, eine Chance witternd, aus der unliebsamen Aufgabe heraus zu kommen.
„Du magst ein überaus fähiger Verwalter sein, mein Sohn“, seufzte der Baron, „aber was deine militärischen Fähigkeiten angeht, ist es noch geschönt, von einem völligen Fehlen zu sprechen. Auch dir wird ein wenig kämpferische Praxis gut tun, außerdem kommst du dann mal raus aus deinem ruhigen, warmen Kämmerlein.“
„Wie du meinst“, seufzte Rondrolf ergeben. „Schließe ich mich mit einem völlig fehlenden Fähigkeiten an und versuche, von meinem Bruder mehr zu lernen als die neuesten Verbalinjurien!“
„Ihr seid unverbesserlich“, tadelte jetzt wieder die Mutter ihre zwei Sprößlinge. „Könnt Ihr euch nicht einmal benehmen, wenn wir Gäste haben?“
Ladislaus neigte das Haupt vor dem Baron.
„So sei es, Euer Hochgeboren.“ Ja, doch, das Vorhaben klang gut; und wenn es so stand, wie der Herr Grimwulf sagte, konnte der Wehrgang warten. Er erhob sich, umrundete die Tafel und verneigte sich standesgemäß vor Selissa von Roterz.
„Euer Hochgeboren, wenn es Euch genehm ist, werde ich meinen Pagen Marano bei Euch lassen, auf dass er Euch aufwartet. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass er Euch gut tut und Ihr ihm. Ihr werdet ihm eine gute Lehrmeisterin sein, während ich weg bin, dessen bin ich mir sicher.“
Sie blickte vom Ritter zum Knaben und ein warmes Lächeln huschte über ihr Gesicht, dann nickte sie knapp zu Ladislaus Worten. Dieser ging vor ihr auf ein Knie nieder.
„Habt vielen Dank, Euer Hochgeboren. Ich stehe in Eurer Schuld.“
Anschließend kehrte Ladislaus zu seinem Platz zurück, um seinen Krug Grimwulf entgegenzuheben.
„Dann ist es beschlossen!“ Grimwulf lachte kurz auf. „Darauf wollen wir die Krüge heben, wie es sich für Koscher gehört!“
Es bedurfte keiner Anweisung, damit die Dienerschaft die Krüge noch einmal befüllte, auf dass niemand mit leerem Krug dastand. Das Mahl zog sich noch bis in den späten Abend hin, wobei man absichtlich viel Zeit zwischen den Gängen ließ, den die Gesellschaft für allerlei Konversation nutzte. Auch der auf der Herreise so vermisste Murmelbraten wurde aufgetischt und restlos verspeist.
Erst als dem jungen Marano die Augen zufielen und damit den Mutterinstinkt der Baronin weckte, löste sich die Versammlung auf, mit schweren Augen die einen, mit schwerer Zunge die anderen, und dem festen Vorsatz, dem Räuberunwesen in den nächsten Tagen ein Ende zu setzen.